Beiträge der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung gelangen zuverlässig in die Tagesschau Hauptausgabe und erreichen damit im Schnitt 10 Millionen Zuschauer. Im Schneeballsystem gelangen diese „Berichte“ auf hunderte anderer Seiten mit dem Stempel „wie die Recherchekooperation von NDR, WDR und SZ berichtet, …“ Zahlreiche Beiträge dieser Art stammen aus obskuren Quellen und geben, wenn sie denn stimmen, geheimhaltungsbedürftige Informationen wieder.
Wie funktioniert und wem nützt solcher ‚Journalismus‘?!
Die Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung
„Die Rahmenbedingungen für investigative Recherchen haben sich in den letzten Jahren stark verändert“: Die Recherche-Themen werden komplexer und globaler. … Die sorgfältige journalistische Aufarbeitung bindet immer mehr personelle und finanzielle Ressourcen. … Der NDR ist deswegen eine Recherchekooperation mit dem WDR und der Süddeutschen Zeitung (SZ) eingegangen“, die von Georg Mascolo geleitet wird. Das schreibt der NDR, die Rundfunkanstalt in der ARD für die norddeutschen Bundesländer [1]. Er ist, sowohl gemessen an der Zahl der Planstellen (3.447), als auch an der Zahl der Einwohner im Sendegebiet (14,2 Mio) die drittgrößte Landesrundfunkanstalt. Vor ihm rangieren der SWR, dicht gefolgt vom WDR [2].
Rund 10 Millionen Zuschauer vertrauen der Tagesschau
Beim NDR ist auch die Gemeinschaftsredaktion ‚ARD-aktuell‘ angesiedelt, die mit ihren rund 300 Mitarbeitern zuständig ist für Redaktion, Produktion und Moderation der Tagesschau, der Tagesthemen, des Nachtmagazins, sowie für den Nachrichtenkanal tagesschau24 und das Angebot tagesschau.de. Die Tagesschau um 20 Uhr ist die meistgesehene Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen. Im September 2016 sahen durchschnittlich täglich fast zehn Millionen Zuschauer die Hauptausgabe der Tagesschau. Sie gilt nach Ansicht von befragten Konsumenten als die „wichtigste Informationsquelle“ im Fernsehen, weil sie „mit Abstand den höchsten Anteil an Themen aus dem Bereich Politik“ enthält. 57% der Befragten gaben im Jahr 2015 an, dass sie sich „bei der ARD zuerst informieren, wenn etwas Wichtiges passiert“. [3, dort Seite 9]
Die Recherchekooperation – regelmäßiger Lieferant für die Tagesschau
Die Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hat sich, seit sie 2014 aus der Taufe gehoben wurde, als häufiger und regelmäßiger Lieferant von Beiträgen für die Tagesschau etabliert. Bekannt geworden ist die Kooperation durch Mitarbeit an internationalen, investigativen Projekten, wie z.B. den Offshore Leaks, den Panama Papers oder aktuell den Paradise Papers. Man kann verstehen, dass solche Projekte hohe Aufwendungen für die die personelle und finanzielle Ausstattung erfordern, wie der NDR schrieb. Auf den einzelnen Kooperationspartner – NDR, WDR bzw. Süddeutsche Zeitung – entfällt eine ein- bzw. niedrige zweistellige Zahl von Mitarbeitern und entsprechende Infrastruktur. Der Gegenwert ist, gerade für die Süddeutsche Zeitung, ganz erheblich. Denn in jedem Beitrag der Recherchekooperation in der Tagesschau wird als Quelle die „Recherchekooperation von NDR, WDR und ‚Süddeutscher Zeitung'“ genannt, also unentgeltliche Werbung im Fernsehen zur besten Sendezeit gemacht. Große Zeitungsverlage erheben daher den Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung. Bild-Chefredakteur Julian Reichelt z.B. sagt: „Das ist eine ganz klare Form von Media-Leistung, von Markenwerbung für die Süddeutsche Zeitung. Ohne diesen Verbund (= Recherchekooperation) gäbe es das so in diesem Umfang niemals.“ [4]
Unfairer Wettbewerbsvorteil für die Süddeutsche Zeitung
Ins gleiche Horn stieß der Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT), der schon 2015 eine Beschwerde gegen den Rechercheverbund bei der Staatskanzlei in NRW einreichte [5] Im neu gefassten WDR-(Rundfunk)gesetz [6] wurde festgelegt, dass der WDR bei Kooperationen mit anderen ARD-Anstalten und Dritten „im Rahmen seiner Programmfreiheit den Zielen der Meinungsvielfalt Rechnung zu tragen und diskriminierungsfrei vorzugehen“ hat. Auch eineinhalb Jahre später haben sich die Diskussion noch nicht abgekühlt. Vor allem wegen der Verbreitung, die die mit Mitteln aus dem zwangserhobenen Rundfunkbeitrag finanzierte Tagesschau dem Blatt aus München bietet. Der Spiegel heizte den Vorwurf des unfairen Wettbewerbsvorteils der Öffentlich-Rechtlichen gegen die privat finanzierten Medien im Oktober 2017 wieder an mit einem Titel „Die unheimliche Macht – Wie ARD und ZDF Politik betreiben“ [7]. Im Bezug auf die Beiträge der Recherchekooperation wird von einem „Zitierkartell“ gesprochen, weil sich die drei genannten Kooperationspartner gegenseitig zitieren und hunderte von anderen Organen sie als Quellenangabe heranziehen. Kai Gniffke, der Chefredakteur der Tagesschau wehrte sich vehement [8], das Medienmagazin Zapp vom NDR und andere stiegen auf das Thema ein [9].
Das „Zitierkartell“
Doch der Vorwurf ist nicht von der Hand zu weisen: Denn es hat sich in vielen anderen Medien eingebürgert, schlicht ungeprüft zu übernehmen, was die Tagesschau und die Recherchekooperation so berichten. „Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ …“ ist inzwischen eine geflügelte Formulierung und Ersatz für die an sich gebotene Quellenangabe geworden. Dabei unterbleibt jegliche kritische Frage, ob denn auch alles richtig und wahr ist, was unter dem Label „Recherchekooperation“ über den breiten Kanal der Tagesschau in Millionen Wohnzimmer gesendet wird. Umso schlimmer ist, dass eine Mehrheit der Zuschauer dort – siehe oben – überzeugt ist, dass man der Tagesschau, ihrer wichtigsten Informationsquelle, glauben und vertrauen kann.
Die Macher hinter der Recherchekooperation
Ein wichtiger Macher und Leiter der Recherchekooperation ist Georg Mascolo, früher Chefredakteur beim Spiegel [10]. Der verfügt über ein umfangreiches Netzwerk von Kontakten bis ins Kanzleramt und die Ministerien, vor allem aber auch über beste Verbindungen zu den Spitzen der deutschen Sicherheitsbehörden.
Quasi „graue Eminenz“ im Hintergrund war zu den Anfangszeiten der Recherchekooperation Hans Leyendecker, ein seit Jahrzehnten bestens konnektierter Journalist, den Wikipedia als einen der „profiliertesten investigativen Journalisten“ bezeichnet [11]. Auch Leyendecker war früher beim Spiegel und schreibt seit Ende der 90iger Jahre für die Süddeutschen Zeitung über die Themen, die er für relevant erachtet. Dort hat er das Ressort ‚Investigative Recherche‘ aufgebaut, dessen Mitarbeiter, z.B. bei den Panama Papers, wichtige Beiträge für Berichte der Recherchekooperation geliefert haben.
Dritter Mann im Boot, wenn auch sehr im Hintergrund, ist Wolfgang Krach. Der war zur gleichen Zeit wie Leyendecker und Mascolo beim Spiegel, wechselte 2003 zur Süddeutschen Zeitung und wurde 2011 in die Chefredaktion des Blattes berufen. Krach war der notwendige, wichtige Entscheider, um die Mittel für das Ressort „Investigative Recherche“ bei der Süddeutschen freizuschaufeln [12].
Mascolo, Leyendecker und Krach verbindet einerseits ihre langjährige, gemeinsame Geschichte und Erfahrung im bundesdeutschen Journalismus ab den frühen 80iger Jahren. Alle drei sind ‚Wessis‘ und bestens konnektiert mit der Entscheiderebene und den Leuten in den Stabspositionen der Polizeibehörden, Nachrichtendienste und Regierungsstellen. Von dem Netzwerk und den Kontakten und Einflussmöglichkeiten dieser drei profitieren die jüngeren MitarbeiterInnen der Recherchekooperation aus WDR, NDR und SZ und wachsen daran selbst in die Szene. Wie zwei von ihnen bei einer Podiumsdiskussion auf dem Journalistentag 2017 [a] auch ganz unkritisch – sinngemäß – einräumten: Über die Recherchekooperation erhalten wir Kontakte – und was die Kontakte uns anbieten, das nehmen wir …
Informationslieferanten bzw. Durchstechereien machen aufwändige Recherchen überflüssig
Neben der oben erwähnten, in Teilen sicher verdienstvollen Mitarbeit an großen Investigationsprojekten gibt es bei der Recherchekooperation auch ein Brot- und Butter-Geschäft. Vor allem im Bezug auf Nachrichten, die für Deutschland relevant sind. Und ganz besonders, wenn es um Informationen aus bzw. über deutsche Justiz- und Polizeibehörden, sowie Nachrichtendienste geht. „Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ“, heißt es bei solchen Berichten inzwischen standardmäßig in der Tagesschau. Bei näherem Hinsehen stellt man allerdings fest, dass die dort gelieferten Informationen weniger das Ergebnis intensiver Recherchen sind, sondern vielmehr aus behörden-internen, vertraulichen, nicht selten auch angeblich geheimen Dokumenten abgeschrieben bzw. von zur Geheimhaltung verpflichteten Informanten durchgestochen worden sind. Die Autoren der jeweiligen Beiträge machen daraus auch gar kein Hehl: Sie scheinen stolz darauf zu sein, welche internen, vertraulichen, geheimhaltungsbedürftigen Informationen sie da haben und nutzen können und benennen das auch ganz freimütig :
- „In der Sommermärchen-Affäre um den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland geht das Finanzamt Frankfurt I nach Recherchen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ davon aus, dass ein schwerer Fall von Steuerhinterziehung vorliege …“ heißt es in einem als ‚Zwischenbericht‘ ausgewiesenen Vermerk des Finanzamtes Frankfurt I vom 24. Januar 2017.“[13a]
- Zu Steuertricksereien großer Konzerne in der EU: „Das belegen interne Dokumente aus dem Bundesfinanzministerium, die NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ vorliegen“. [13b]
- Im Zusammenhang mit 71 toten Flüchtlingen, die in einem Lastwagen in Österreich gefunden wurden: „Das ist das Ergebnis von Recherchen des NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung“ nach Auswertung der Abhörprotokolle“ (der ungarischen Sicherheitsbehörden) [13c]
- Im Zusammenhang mit dem Soldaten Franco A., der sich als Syrer ausgab, werden Inhalte aus Videos beschrieben, die aus dessen Anhörung (als vermeintlicher Flüchtling) beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ stammen sollen [13d].
- Im Fall Anis Amri, dem Attentäter vom Breitscheidplatz, beruft sich ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung von Lena Kamp, einer Mitarbeiterin des WDR, auf die „Zeugenaussage“ des Polizeiinformanten „VP01“ alias „Murat“, „die SZ, WDR und NDR vor(liegt). [13e]
- „Nach Informationen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ übergab der Chef des türkischen Geheimdienstes MIT am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz eine Liste mit den Namen von Hunderten in Deutschland lebenden angeblichen Gülen-Anhängern an den Präsidenten des BND.“ heißt es über die Bespitzelung von Gülen-Anhängern in Deutschland [13f]
- „Die Zahl radikaler Islamisten, die Deutschland verlassen, um sich dem IS anzuschließen, ist stark zurückgegangen. Das geht aus einem Papier der Sicherheitsbehörden hervor, das NDR, WDR und „SZ“ vorliegt.“ [13g]
- „Der Bundesnachrichtendienst (BND) wird offenbar ein System von Aufklärungs-Satelliten bekommen. Eine erste Finanzierung des Projekts hat das geheim tagende Vertrauensgremium des Bundestages nach Informationen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ in dieser Woche bewilligt.“ [13h]
„Durchstecherei gab es schon immer“
Diese Bemerkung fiel, wie selbstverständlich, bei der erwähnten Podiumsdiskussion. Auch Hans Leyendecker hat schon 2010 seine Haltung zur Quellenangabe bekanntgemacht [14].
„Regel 1: Über Quellen (also Informanten) redet man nicht.
„Regel 2: Informanten müssen unter allen Umständen geschützt werden.“
Bei der Recherchekooperation hat es sich allerdings eingebürgert, ganz stolz hinauszuposaunen, dass man über die Mittel und Kanäle verfügt, um an geheimhaltungsbedürftige Informationen heranzukommen. Und die via Tagesschau auch veröffentlicht, wenn … Tja! Das ist die große Frage!
Denn außer den obskuren Informanten und Insidern in der Recherchekooperation weiß doch niemand, ob richtig oder vollständig ist, was hier veröffentlicht wird. Ulrich Teusch befürchtet in seinem Buch ‚Lückenpresse‘: „Dem Publikum werden Informationen unterschlagen, die für seine Urteilsbildung wesentlich sind; wüsste es Bescheid, würde es vielleicht anders urteilen und handeln.“ Wer auch nur einigermaßen aufmerksam die Information über Polizei und Nachrichtendienste und spektakuläre Fälle verfolgt, kann eine Neigung der Beiträge der Recherchekooperation nicht übersehen: Hier wird viel Positives pro Staatsmacht (BMI, BSI, BKA, BND) verbreitet, kritische Beiträge über die Politik der Inneren Sicherheit oder die Leistungen bzw. Versäumnisse gerade dieser Sicherheitsbehörden findet man allerdings nicht.
Geheimnisverrat von Amtsträgern und Beihilfe dazu durch Journalisten
Der Geheimnisverrat von Amtsträgern im Staatsdienst wird ja mitunter SEHR ernst genommen: Wenn GEGEN Behörden-Mitarbeiter vorgegangen wird, die tatsächlich oder angeblich geheimhaltungsbedürftige Informationen an Außenstehende / Journalisten weitergegeben haben und GEGEN unliebsame Journalisten. Das Instrument findet sich im §353b des Strafgesetzbuches [15], mit dem die Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht durch Amtsträger und zur Geheimhaltung verpflichtete Angehörige des öffentlichen Dienstes geahndet wird. Bekanntes Beispiel dafür war die so genannte Cicero-Affäre im Jahr 2005 Damals durchsuchten Beamte der Staatsanwaltschaft Potsdam, des brandenburgischen Landeskriminalamts und des Bundeskriminalamtes (BKA) die Redaktionsräume des politischen Magazins sowie die Wohnung des Redakteurs Bruno Schirra. „Mit der Durchsuchung wollten die Behörden vor allem die undichte Stelle im BKA ausfindig machen, durch die der Zeitschrift verbotenerweise Unterlagen mit der Geheimhaltungsstufe „VS vertraulich“ zugegangen worden“ schrieb der Spiegel in seiner Zusammenfassung [16].
geheimen BKA-Papieren zur Finanzierung islamistischer Terroristen zitiert worden
Fallbeispiel: Durchstecherei wird nicht verfolgt, wenn’s den Interessen der Informanten nützt
Auf diese konsequente, manche sagen auch rigide, Durchsetzung der Pflichten von Amtsträgern über den Umgang mit Verschlusssachen ist inzwischen kein Verlass mehr. Das mussten wir in mehreren Fällen im vergangenen Jahr durch eigene Nachfragen feststellen:
„Vertraulich-Nur für den Dienstgebrauch“ – wird gesendet in der Tagesschau
Die Tagesschau brachte am 15.01.2017 in ihrer Hauptausgabe einen detaillierten Beitrag der Recherchekooperation über die bis dato erfolgten Ermittlungen der Sicherheitsbehörden zum Attentäter Anis Amri und seinen Aktivitäten vor der Tat. Da wurden dann auch seitenweise Dokumente in die Tagesschau-Kamera gehalten, auf deren Kopf groß und deutlich „Vertraulich – nur für den Dienstgebrauch“ steht [A].Ein merkwürdiger Umgang mit einer Verschlusssache, wie wir fanden.
Cives fragte daher Minuten später beim Bundesinnenministerium nach:
a) Wir bitten Sie, uns diesen Bericht zeitnah zur Verfügung zu stellen.
b) Sollte dies nicht möglich sein, bitten wir Sie um Mitteilung der Gründe
c) sowie, da es sich angeblich um eine „vertrauliche“ Chronologie handelt, wie das BMI die Weitergabe und journalistische Nutzung von eingestuften Informationen, wie sie hier nicht zum ersten Mal geschieht, rechtlich beurteilt und zu ahnden gedenkt bzw. deren Legalität rechtfertigt.
d) Unabhängig von den obigen Fragen bitten wir Sie auch um eine Stellungnahme dazu, welche Rechtsgrundlage nach der Ansicht Ihres Hauses existiert, die es rechtfertigt, dass „WDR, NDR und SZ“ vorrangig mit solchen Informationen – und möglicherweise andere Pressevertreter überhaupt nicht zeitnah – bedient werden. Denn in den aktuellen Pressemitteilungen Ihres Hauses bzw. des BKA ist eine entsprechende Meldung derzeit nicht zu finden.“
Das Bundesinnenministerium erklärte sich für nicht zuständig und verwies ans Bundeskriminalamt. Von der dortigen Pressestelle kam dann am nächsten Tag die Antwort: „es handelt sich um einen internen Bericht, der als Verschlusssache eingestuft ist und dessen Weitergabe an Nicht-Berechtigte strafbar ist; er wurde vom BKA weder veröffentlicht noch herausgegeben.“
Wir hakten nach und wollten wissen, ob es sich „bei den Mitarbeitern des genannten Rechercheverbunds Ihrer Kenntnis nach um „Berechtigte“ im Sinne Ihrer Antwort“ (handelt). Die Antwort der Pressestelle des BKA darauf war ebenso kurz, wie unbefriedigend: Sie lautete: „ich habe meinen Ausführungen nichts mehr hinzuzufügen.“
[Details sind nachzulesen in A]Was ein Regierungssprecher dazu sagte
Ähnliche Anfragen hat CIVES in der Vergangenheit schon mehrfach gestellt.
So hatten am 6. und 7.02.2017 die Süddeutsche Zeitung und die Tagesschau Beiträge von Georg Mascolo gebracht über einen angeblichen Bericht „der Geheimdienste“ für das Kanzleramt. Darin soll die These einer „russischen Desinformationskampagne“ untersucht worden sein. Dieser Bericht soll als geheim eingestuft sein. Auf unsere Anfrage teilte uns ein Regierungssprecher mit: „Der Bundesregierung liegt ein interner, eingestufter, gemeinsamer Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes vor. Im Übrigen äußert sich die Bundesregierung zu nachrichtendienstlichen Angelegenheiten grundsätzlich nur gegenüber den zuständigen, geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages.“ [Details dazu in B]
Auch die ‚Welt‘ gab Anlass, weil auch dort eine kleine Gruppe von Autoren immer wieder „exklusiv“ über Vertrauliches bzw. Geheimzuhaltendes aus Polizei- und Sicherheitsbehörden berichtet [D]. Oder auch der Bundesvorstand des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Der über Sachverhalte plaudert und damit Meinung macht, ohne dass die Grundlagen seiner Erkenntnisse objektiv nachvollziehbar wären [Einzelheiten dazu in E]
Die Antworten auf unsere Anfragen beim Bundesinnenministerium, dem Bundespresseamt bzw. Behörden fielen im Tenor immer so aus, wie die oben: Es handele sich um Verschlusssachen, man wisse nicht, wie die Journalisten zu diesen Informationen gelangt seien. Doch auf unsere weitere Frage, ob denn rechtliche Schritte wegen Verstoß gegen Geheimhaltungsvorschriften eingeleitet seien, geschah bisher in allen Fällen – NICHTS.
Fazit
Es bleibt daher, aus meiner Sicht, nur die Schlussfolgerung:
- Kreise, anscheinend aus Regierung bzw. dem „Sicherheitsapparat“, nutzen Verbreitungskanäle, um über bestimmte Themen Darstellungen in der Öffentlichkeit zu lancieren, die ihren Interessen nützen.
- Journalisten, leider auch solche mit gutem Zugang zu den besonders breiten Kanälen, benutzen diese „exklusiven Zugänge“ und Informationen, um solche Darstellungen in die Öffentlichkeit zu bringen. Sie verschaffen sich damit gegenüber ihrem Wettbewerb einen unfairen Vorteil und verschleiern, dass ihre Informanten mit der Durchstecherei eigene Interessen verfolgen. Eine objektiv ausgewogene Berichterstattung zu solchen Themen findet durch die so agierenden Journalisten nicht statt.
- Wir, die zwangsläufig solcher „Nachrichten“ konsumieren, müssen sehr viel kritischer werden. Und nicht nur blind glauben, was uns auf den angeblich so vertrauenswürdigen Kanälen präsentiert wird. Sondern viel bewusster hinsehen, von wem diese Information angeblich stammt, ob es sich um eine Durchstecherei handelt. Ob es weitere Quellen gibt, die diese Darstellung bestätigen. Und wesentlich vorsichtiger mit solchen „Nachrichten“ umgehen, wenn denn die eigene Prüfung für eine lancierte Durchstecherei spricht.
- Die „anderen“ Journalisten aber, die nicht den exklusiv bevorzugten Kreisen angehören, täten gut daran, nicht jeden diesartigen Beitrag der Recherchekooperation von NDR, WDR und SZ bzw. aus der Welt vollkommen unkritisch und vor allem ungeprüft aufzunehmen und im Schneeballsystem weiterzugeben. Erst dadurch gewinnen solche journalistisch fragwürdigen Erzeugnisse das Momentum, das ihnen ihre besondere öffentlichkeitswirksame Macht verleiht.
Ulrich Teusch, Lückenpresse – Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten, Westend Verlag, Frankfurt 2016
The Biggest Secret – My Life as a New York Times Reporter in the Shadow of the War on Terror, 03.01.2018, James Risen in The Intercept
https://theintercept.com/2018/01/03/my-life-as-a-new-york-times-reporter-in-the-shadow-of-the-war-on-terror/
Alle Artikel aus der Serie ‚Journalismus 2017 aus Sicht des Konsumenten‘
Teil 1: Einheitsbrei und zweifelhafter Nutzen, 01.01.2018
Teil 2: Unausgewogene Themenauswahl, 02.01.2018
Teil 3: Verschlusssachen, obskure Quellen und 10 Millionen Zuschauer, 05.01.2018
Teil 4: Merkel’s Befürwortungen und die No-such-further-News-Diät, 08.01.2018
Teil 5: G20-Akkreditierung: Kein Angriff auf die Pressefreiheit 12.01.2017
Teil 6 (Schluss): Ihr Käuferpotenzial bestimmt, welche Inhalte Sie sehen , 19.01.2017
Fußnoten
[a] Die Autorin war eine von vier TeilnehmerInnen an dieser Podiumsdiskussion beim 30. Deutschen Journalistentag der DJU. Das Thema der Diskussion lautete „Recherche ohne Grenzen: Dominanz, Relevanz und Nachhaltigkeit großer Rechercheverbünde“
Quellen
[1] Recherchekooperation NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung, 04.08.2017, NDRhttp://www.ndr.de/der_ndr/daten_und_fakten/Recherchekooperation-NDR-WDR-und-Sueddeutsche-Zeitung,kooperationen100.html
[2] Wikipedia – ARD in der Fassung vom 05.01.2018
https://de.wikipedia.org/wiki/ARD
[3] ARD-Bericht 2015/16 und ARD-Leitlinien 2017/18 für Das Erste
https://www.daserste.de/specials/ueber-uns/ard-leitlinien-2017-2018-100.pdf
[4] “Zitier-Kartell“? Tagesschau-Chef Kai Gniffke widerspicht Kritik an Rechercheverbund NDR, WDR und SZ, 16.11.2017, Meedia
http://meedia.de/2017/11/16/zitier-kartell-tagesschau-chef-kai-gniffke-widerspricht-kritik-an-rechercheverbund-ndr-wdr-und-sz/
[5] SZ, NDR und WDR Warum der Rechercheverbund viele Fragen aufwirft, 03.05.2016, Kölner Stadtanzeiger
https://www.ksta.de/kultur/sz–ndr-und-wdr-warum-der-rechercheverbund-viele-fragen-aufwirft-24000098
[6] Gesetz über den „Westdeutschen Rundfunk Köln“ (WDR-Gesetz) in der Fassung vom 06.02.2016
https://www1.wdr.de/unternehmen/der-wdr/profil/wdr-gesetz-102.pdf
[7] Spiegel Ausgabe 41/2017, Titel, Tielbild und Inhaltsverzeichnis
http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-2017-41.html
[8] Gniffke: „Die ‚Tagesschau‘ gewährt niemandem Medialeistung“, 15.11.2017, NDR
https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Die-Tagesschau-gewaehrt-niemandem-Medialeistung,zappgniffke104.html
[9] Kritisierte Kooperation – NDR, WDR und SZ, 15.11.2017, NDR / Zapp
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Kritisierte-Kooperation-NDR-WDR-und-SZ,recherchekooperation102.html
[10] Wikipedia über Georg Mascolo, in der Fassung vom 05.01.2018
https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Mascolo
[11] Wikipedia über Hans Leyendecker, in der Fassung vom 05.01.2018
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Leyendecker
[12] Wikipedia über Wolfgang Krach, in der Fassung vom 05.01.2018
https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Krach
[13a] Fahnder werfen DFB Steuerhinterziehung vor, 09.03.2017, Georg Mascolo, NDR in der Tagesschau
http://www.tagesschau.de/inland/dfb-steuern-101.html
[13b] Vier Staaten in der Kritik, 07.09.2017, Philipp Eckstein, Jan Strozyk, Benedikt Strunz, NDR in der Tagesschau
http://www.tagesschau.de/inland/dfb-steuern-101.html
[13c] “Beinharte Kampagne gegen Ungarn“, 16.06.2017, Stephan Ozsváth, ARD-Studio Wien in der Tagesschau
http://www.tagesschau.de/ausland/fluechtlinge-kuehllaster-101.html
[13d] Videotagebuch des „falschen Syrers“, 29.11.2017, Lena Kampf, WDR in der Tagesschau
http://www.tagesschau.de/inland/bundeswehr-rassismus-101.html
[13e] Gülen-Anhänger in Deutschland bespitzelt, 27.03.2017, Georg Mascolo, NDR in der Tagesschau
http://www.tagesschau.de/inland/guelen-spionage-deutschland-101.html
[13f] Das Ende der Dschihad-Reisen, 16.11.2016, Georg Mascolo, NDR in der Tagesschau
http://www.tagesschau.de/inland/jihad-reisen-101.html
[13g] BND soll eigene Satelliten bekommen, 10.11.2016, Georg Mascolo, Reiko Pinkert und Jan Lukas Strozyk in der Tagesschau
http://www.tagesschau.de/inland/bnd-aufklaerungssatelliten-101.html
[14] Journalismus – Quellenangabe, 19.05.2010, Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung
http://www.sueddeutsche.de/politik/journalismus-quellenangabe-1.914407
[15] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__353b.html
[16] “Cicero“-Durchsuchung Chronik einer Affäre, 27.02.2007, Spiegel
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/cicero-durchsuchung-chronik-einer-affaere-a-468868.html
Eigene Artikel zum Thema mit Quellenangaben dazu
[A] Bericht zum Behördenhandeln im Fall Anis Amri unter merkwürdigen Umständen veröffentlicht, 16.01.2017, CIVEShttps://cives.de/bericht-zum-behoerdenhandeln-im-fall-anis-amri-unter-merkwuerdigen-umstaenden-veroeffentlicht-4284
[B] Wenn Geheimdienst-Insider Presse brauchen, 09.02.2017, CIVES
https://cives.de/wenn-geheimdienst-insider-presse-brauchen-4510
[C] Die Recherchekooperation von WDR, NDR und SZ und ihre speziellen Quellen, 054.06.017, CIVES
https://cives.de/die-recherchekooperation-von-wdr-ndr-und-sz-und-ihre-speziellen-quellen-5326
[D] Meinungsmache mit Hilfe der Polizeilichen Kriminalstatistik, 26.04.2017, CIVES
https://cives.de/meinungsmache-mit-hilfe-der-polizeilichen-kriminalstatistik-4826
[E] Visafreiheit für Georgien und die Polizeiliche Kriminalstatistik, 30.08.2016, POLICE-IT
https://police-it.org/visafreiheit-fuer-georgien-und-die-polizeiliche-kriminalstatistik
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