Meinungsmache mit Hilfe der Polizeilichen Kriminalstatistik

Mit Update vom 28.04.2017
Der Bundesinnenminister und der derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Sachsens Innenminister Ulbig, haben am Montag die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2016 in der Bundespressekonferenz vorgestellt. Die Mühe hätten sie sich eigentlich sparen können, denn das Thema war bereits durch in der Presse. Wieder einmal dank der besonderen Kontakte des Welt-Journalisten Martin Lutz, der bereits am Wochenende zuvor das aus seiner Sicht Wesentliche zusammengefasst hatte in der Überschrift „Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer steigt um 52,7 Prozent“. Das wusste er deshalb, weil die PKS „der Welt am Sonntag schon vorliegt“ [1]. Die Überschrift lockte jeden Leser auf eine falsche Fährte. Der glaubt nämlich, dass „Zuwanderer“ die Menschen sind, die als „Migranten“, „Flüchtlinge“, „Asylbewerber“ oder „Einwanderer“ – um nur die wichtigsten gebräuchlichen Bezeichnungen zu zitieren – vor allem seit 2015 ins Land gekommen sind. Und so wurde ein durchgestochenes Dokument, das exklusiv nur der‘ Welt am Sonntag‘ vorlag, und ein außerordentlich unglücklich gewählter (sic!) Begriff zur Grundlage für die größte Fake News Blase der letzten Wochen.

Meinungsmache à la Welt

Innerhalb von Stunden titelte dann am Sonntag z.B. der Münchner Merkur „Mehr straffällige Flüchtlinge als im vergangenen Jahr“, die Süddeutsche Zeitung überschrieb ihren Beitrag mit „Mehr Flüchtlinge begehen mehr Straftaten“; und in den Kommentarspalten der entsprechenden Artikel und sozialen Medien hatten Tausende ihren höchst persönlichen Beleg aus führenden Medien und die Rechtfertigung für ihr ‚Immer schon gewusst‘ über kriminelle Asylanten und die Regierung, die eine über lange Zeit unkontrollierte und unregistrierte Einreise zugelassen hatte.

Merkte Torsten Krauel, der „Chefkommentator“ der Welt, wie unsauber bei diesem Artikel gearbeitet worden war? Denn gut vier Stunden nach der Erstveröffentlichung schob er in der ‚Welt Online‘ einen eigenen Beitrag nach und die Schuld aufs BKA: „Die sprachliche Sorglosigkeit des BKA ist ein Skandal“ war diese Philippika überschrieben [2]. Die er einleitete mit „Das Bundeskriminalamt spricht bei der Bilanz 2016 von einem rapiden Anstieg bei „Zuwanderern“, meint aber Zugereiste und hemmungslose Abenteurer“. Da hatte er zwar den richtigen Punkt getroffen, schlug allerdings auf den Falschen ein. Denn es war nicht das BKA, sondern das Autorenteam Martin Lutz und Marcel Leubecher der Welt Online, die den missverständlichen Begriff „Zuwanderer“ schon in ihrer Überschrift verwendet hatten [1].

Weiter hinten im Text ihres Artikels erwähnten die beiden Autoren, dass der Begriff „Zuwanderer“ in der Polizeilichen Kriminalstatistik in einer sehr speziellen Definition verwendet wird [a]. Er umfasst nicht die einige hunderttausend Ausländer, denen Asyl gewährt worden oder die einen Schutzstatus nach Genfer Flüchtlingskonvention erhalten haben. Sondern er umfasst die

  • Ausländer, die einen Asylantrag gestellt haben, der aber noch auf endgültige Entscheidung wartet;
  • ferner solche, deren Aufenthalt in Deutschland behördlich anerkanntermaßen geduldet wird,
  • „Bürgerkriegs- und Kontigentflüchtlinge“, von denen es, soweit ich feststellen konnte, nur ein paar hundert gibt, sowie
  • Personen, die sich schlicht illegal im Land aufhalten. Dazu gehören z.B. Leute aus Ländern die trotz Visapflicht illegal eingereist sind und keinen Asylantrag gestellt haben, oder Personen aus Ländern, für die zwar keine Visumpflicht besteht, die sich jedoch länger als die maximal zulässigen 90 Tag in Deutschland aufhalten.

Allerdings verhinderte diese Begriffserklärung nicht, dass der Tenor des Artikels durch die Überschrift geprägt wurde und meinungsbildend bzw. -verstärkend für die breite Öffentlichkeit wirkte. Demnach sind vor allem „die Zuwanderer“ ursächlich für einen Anstieg „der Kriminalität“ um mehr als die Hälfte.

Plausible, belastbare Aussagen?! – Fehlanzeige!

Ab Montag Nachmittag konnten dann auch nicht so exklusiv bediente Journalisten und Bürger ein Dokument beim Bundesinnenministerium herunterladen mit dem Titel „Bericht zur Polizeilichen Kriminalstatistik 2016“ [3]. Es handelt sich dabei nicht um das sonst als „PKS“ veröffentlichte, mehr als 300 Seiten starke „PKS-Jahrbuch“, sondern um eine nicht einmal halb so umfangreiche Kurzfassung namens „IMK-Bericht“, die von der Konferenz der Innenminister gutgeheißen wurde. Wann es das ausführliche Jahrbuch geben wird, konnte die Pressestelle des BKA auf Anfrage von POLICE-IT nicht mitteilen [4]. Zehn Seiten widmen sich dem Thema „Kriminalität und Zuwanderung“.

Straftat der unerlaubten Einreise – Beschäftigungsmaßnahmen für unterbeschäftigte (?!) Polizeibeamte?!

Man erfährt dort eingangs, wie deutsche Polizeibeamte beschäftigt werden: Wer nämlich aus einem Drittstaat ins Land kommt, um einen Asylantrag zu stellen, und kein Visa bei sich trägt, begeht die Straftat der unerlaubten Einreise bzw. des unerlaubten Aufenthalts, noch bevor er den Asylantrag stellen kann. In diesem Fall „ist eine Strafanzeige zu fertigen“. Polizeivertreter fordern schon seit Jahren – vergeblich -, dass diese unproduktive Beschäftigungsmaßnahme für die ohnehin überlastete Polizei durch eine entsprechende Verfahrens(!)änderung beseitigt wird. Allein die auf diese Weise generierten Fallzahlen und Tatverdächtigenzahlen finden sich in der Kriminalstatistik 2016 mit 381.296 Tatverdächtigen und einer entsprechenden Anzahl von Fallakten bei der Polizei und Staatsanwaltschaft …).

Kriminalstatistische Menschen-Kategorien

In einer weiteren Tabelle werden „Ausgewählte Straftaten/-gruppen“ präsentiert und dazu die Gesamtzahl von etwas über 2,022 Millionen Tatverdächtigen, eine unsignifikante Steigerung gegenüber dem Vorjahr (2,011 Millionen). Diese Tatverdächtigen sind in drei Kategorien eingeteilt: Zunächst in Deutsche und Nicht-Deutsche. Und innerhalb der Nicht-Deutschen werden die „Zuwanderer“ dann herausgerechnet, die – wohlgemerkt – hier zu verstehen sind als „Illegale“ im Sinne der BKA-eigenen Definition.

Bezugsgrößen fehlen

Leider krankt jegliche belastbare Aussage daran, dass die absolute Gesamtzahl dieser drei Kategorien nirgends benannt ist. Man weiß also nicht, wie viele Deutsche bzw. Nicht-Deutsche bzw. „Zuwanderer“ es am Ende des Jahres 2016 bzw. des Vorjahres gegeben hat. Eine Aussage zur Steigerungsrate zwischen Bezugsjahr (2016) und dem Vergleichsjahr (2015) wäre jedoch nur dann von Wert, wenn man wüsste, wie viele Menschen im Bezug auf die Gesamtzahl in der jeweiligen Kategorie zu „Tatverdächtigen“ geworden sind, also beispielsweise 8% im Bezugsjahr und 6% im Vergleichsjahr. Dies gilt umso mehr, als die Zahl der ins Land gekommenen Ausländer sich seit 2015 dramatisch erhöht hat. Nur dann könnte man eine valide Aussage über eine Zunahme treffen, die unabhängig wäre von der Zu- der Abnahme der Gesamtmenge. Genau das ist hier aber nicht geschehen.

Wie „Tatverdächtige“ bestimmt werden, ist weder einheitlich noch objektiv

Vielmehr wird eine Zahl von in Tatverdacht geratenen „Zuwanderern“ aus dem Jahr 2015 der Zahl von tatverdächtigen „Zuwanderern“ aus dem Jahr 2016 gegenübergestellt. Nicht nur gibt es keine Aussage über die jeweilige Gesamtzahl. Dazu ein Update vom 28.04.2017 in Fußnote b. Man weiß auch nichts darüber, wie die Zahl der Tatverdächtigen in den beiden Jahren überhaupt zustande gekommen ist:

  • Gab es mehr oder wenigen polizeilichen Beobachtungsdruck?
  • Hat die Anzeigebereitschaft in der Bevölkerung zu- oder abgenommen?
  • Hat vielleicht sogar die Rechtsgrundlage abgenommen?! So war z.B. die „Beförderungserschleichung“, vulgo das Schwarzfahren, in einigen Bundesländern gar nicht strafbar.

All diese Angaben würden eine differenzierte Betrachtung zulassen. Sie sind allerdings nicht vorhanden. Insofern existiert mit den hier gelieferten Daten keine Grundlage für die Einnahme einer Pro- oder Anti-Position gegenüber den so abgegrenzten „Zuwanderern“. Und damit auch keine Grundlage für eine skandalisierte Behauptung über eine Zunahme der Kriminalität durch „Zuwanderer“ um „52,7 Prozent“!

Thomas Fischer, Kolumnist für Rechtsfragen in der ‚Zeit‘ und Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat zur Auslegung der PKS zum Zwecke der Meinungsmache schon 2015 angemerkt:

„Erste Aufgabe und Voraussetzung einer kritischen Presse ist es, die Dinge zu verstehen. Nur dann kann man Interessen, Tendenzen und Meinungen von Tatsachen trennen und bewerten. Unsere Journalisten haben sich stattdessen angewöhnt, sich wie Politiker zu gebärden. Sie schwimmen im Kielwasser der Macht und bemühen sich, deren Eingebungen vorzuformulieren – als ob sie dadurch Ruhm erringen könnten. Wann ist in der deutschen Presse der letzte Bericht erschienen, der die Zahlen und Ergebnisse der PKS unter methodenkritischem, kriminologischem Blickwinkel infrage stellte? Was sind das für „kritische Medien“, die nur nach personalisierbaren Skandalen suchen, aber den Skandal im Gewöhnlichen nicht bemerken?“ [5]

Das Bundesinnenministerium und sein Einfluss auf die Zahl der „Zuwanderer“

Zumal noch eine weitere Tatsache eine Rolle spielt: Die Zahl der „Zuwanderer“ im Sinne der befremdlichen Verwendung dieses Begriffs in der PKS liegt ganz maßgeblich in der Hand des Bundesinnenministeriums selbst:

  1. Zur Gruppe der „Zuwanderer“ gehören nämlich insbesondere auch die Ausländer, die einen Asylantrag zwar gestellt haben, der jedoch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch nicht bearbeitet ist. Deren Zahl lag Ende Dezember 2016 bei 433.719 Verfahren, im Vergleich zu 364.664 am Ende des Vorjahres. [6] Das gibt Grund zur Annahme, dass die Gesamtzahl der „Zuwanderer“ größer geworden ist. Was eine Ursache sein könnte für die Zunahme der Menschen aus dieser Gruppe, die den Verdacht einer Straftat auf sich gezogen haben. Hat es das Bundesinnenministerium insofern nicht selbst in der Hand, die Zahl der „Zuwanderer“ klein zu halten, indem es für eine zügige Entscheidung von Asylantragsverfahren sorgt?!
  2. Gleiches gilt auch für die Zahl der „Illegalen“ im Land. Hätte nicht eine konsequente Einreisekontrolle dafür sorgen können, dass es weniger Personen gibt, die illegal eingereist sind bzw. sich hier ohne Aufenthaltsrecht aufhalten?! In diesem Sinne erscheint es mehr als befremdlich, wenn die Institution, die für die Einreise maßgeblich verantwortlich ist, von ihrer eigenen Verantwortung ablenkt, indem sie den bösen Einwanderer die Schuld in die Schuhe schiebt.

Schlussbemerkung: Was nicht in der PKS zu finden ist

Nach wie vor optimistische Staatsbürger könnten in einer polizeilichen Kriminalstatistik auch ein Dokument für die Bemessung des polizeilichen Erfolges erwarten. Und sich daher fragen, wie erfolgreich Polizei denn für die „Innere Sicherheit“ gesorgt hat, die dem einzelnen Bürger oder Unternehmer in diesem Land besonders am Herzen liegt: Nämlich die Sicherheit seines Eigentums. Wenn es um die Aufklärungsquoten geht, wird die vorliegende, unübliche Kurzfassung der PKS (das Jahrbuch gibt es bisher, wie gesagt, nicht …) allerdings sehr schmallippig. Auf Seite 41 (in [3]) finden sich einzig die Aufklärungsquoten für „ausgewählte Straftaten/-gruppen“: Dem lässt sich, zusammengefasst – entnehmen, dass die Aufklärung von Straftaten gegen das Eigentum von Bürgern bei der Polizei „unter Ferner liefen“ läuft: Die Aufklärungsquote beträgt bei …

  • Diebstahl: zwischen 14,6 und 37,9%
  • Wohnungseinbruchsdiebstahl: 16,9%
  • Kfz-Diebstahl: 25,1%
  • Sachbeschädigung: 24,8%
  • und selbst bei Raub nur 52%

Bei solchen polizeilichen „Erfolgen“ werden sich noch mehr Betroffene als bisher schon fragen, ob es sich überhaupt noch lohnt, eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Das wiederum könnte den Machern einer Polizeistatistik ganz zu Pass kommen: Senkt es doch die Fallzahlen in einem Bereich, in dem Polizei nachweislich ohnehin nicht reüssiert …

Fußnote

[a]   Zur Definition des Begriffs Zuwanderung: Die „Gemeinsame Normdatei“ (GND) ist die Standardreferenz für deutschsprachige Begriffe, die von den meisten Bibliotheken und Dokumentationsstellen als Referenz verwendet wird. Jedermann kann die GND online verwenden, so auch ein Bundeskriminalamt!. Das Schlagwort ‚Zuwanderung‘ ist in der OGND definiert wie folgt: „1. Vorgang der Neu- oder Wiederbesiedelung eines Lebensraumes; 2. bezogen auf eine Gemeinde: Wechsel eines Wohn- bzw. Betriebsstandortes in diesen Ort“. Die Verwendung des Begriffs „Zuwanderer“ für mehrere oben näher definierte Gruppen von illegalen, bzw. möglicherweise legalen aber noch nicht rechtskräftig entschiedenen Einwanderern durch das BKA widerspricht insofern fahrlässig (und absichtlich??) dem definierten Begriff. Sachlich richtig wäre der Begriff ‚Einwanderung‘, in der GND definiert als „Zuwanderung von Ausländern in ein fremdes Staatsgebiet zur dauernden Wohnsitznahme“. Vermutlich hat man, vor allem in der Union, aber panische Angst davor, diesen Begriff auch nur zu verwenden, wo es doch maßgeblich die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin war, die Einwanderungsgesetz tatkräftig verhindert hat (siehe dazu auch ‚Polit-PR der Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage‘)

[b]   Update am 28.04.2017, 09.26: Unsere Presseanfrage nach der absoluten Zahl der „Zuwanderer“ per 31.12.2015 und 31.12.2016, konnte (oder wollte?) die Pressestelle des Bundeskriminalamts trotz Nachfrage nicht beantworten. Vermutlich kennt man sie auch dort nicht.

Quellen

[1]   Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer steigt um 52,7 Prozent, 23.04.2017, Stand: 09.52 Uhr, Martin Lutz und Marcel Leubecher in Welt Online

[2]   Die sprachliche Sorglosigkeit des BKA ist ein Skandal, 23.04.2016, Stand: 14.03 Uhr, Torsten Krauel in Welt Online

[3]   Bericht zur Polizeilichen Kriminalstatistik (IMK-Bericht). Bundesministerium des Innern und Innenministerkonferenz unter dem Vorsitz Sachsens

[4]   Antwort der BKA-Pressestelle vom 25.04.2017 zur Presseanfrage von POLICE-IT vom gleichen Tage

[6]   Asylgeschäftsstatistik für den Monat Dezember 2016 und das Berichtsjahr 2016, Bundesamt für Migratino und Flüchtlinge

[5]   Was zählt die Statistik der Polizei?, 13.05.2015, Fischer im Recht in Zeit Online

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2 Gedanken zu „Meinungsmache mit Hilfe der Polizeilichen Kriminalstatistik“

  1. Hallo Klaus,

    zu der komischen Kriminalstatistik habe ich den
    anhängenden Artikel gefunden.
    Grüße
    Herbert

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