Wenn Geheimdienst-Insider Presse brauchen

Meist ist der Rechercheverbund aus NDR, WDR und SZ ganz vorn dabei, wenn es um Recherchen aus wenig transparenten Quellen geht: Mit Panama Papers, Lux Leaks, Swiss Leaks und vielen Arbeitsproben aus der Welt der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste hat er sich seinen inhaltlichen Markenkern erarbeitet.

Wo bleiben Antworten auf wirklich brennende Fragen aus der aktuellen Arbeit der Nachrichtendienste?!

Schade, dass es dem Rechercheverbund dann aktuell nicht einfällt, die Themen zu bearbeiten, die vielen Zuschauern und Lesern nach der Wahl von Trump zum US-Präsidenten wirklich auf den Nägeln brennen:

  • Wie sieht unter Trump die aktive Zusammenarbeit zwischen den deutschen und amerikanischen Nachrichtendiensten aus? Gerade nachdem die deutschen Dienste nach der jüngsten Änderung des BND-Gesetzes verpflichtet sind, der NSA und Partnern zuzuliefern.
  • Welche Auswirkungen wird es haben, dass Trump mit einem Federstrich den Datenschutz für Nichtamerikaner für nicht existent erklärte?
  • Was hat eigentlich Bundesinnenminister De Maizière im Frühjahr letzten Jahres in den Vereinigten Staaten gemacht und welche geheime Vereinbarung hat er dort unterschrieben?

Georg Mascolo, der Leiter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und SZ, aber auch Hans Leyendecker, Leiter ‚Investigative Recherche‘ bei der Süddeutschen Zeitung [1] waren in der Vergangenheit immer wieder bemerkenswert gut informiert in Angelegenheiten, die die Nachrichtendienste betroffen haben. Ihnen würde man es daher zutrauen, Antworten auf solche Fragen zu bekommen oder zumindest Trends …

Keine Smoking Gun … langatmige Beiträge über das NICHTS

Umso mehr erstaunt das aktuelle Thema – oder besser gesagt: Nicht-Thema: Denn Mascolo bediente in den vergangenen Tagen hunderttausende von Fernsehzuschauern und Lesern mit einer schmalbrüstigen Story, deren Sachverhalt sich in diesen drei Sätzen zusammenfassen lässt:

  • Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz haben gemeinsam auftragsgemäß einen Bericht an das Kanzleramt geschrieben.
  • In dem drinsteht, dass sie keine Beweise gefunden haben dafür, dass in Deutschland Desinformation im Auftrag der russischen Regierung betrieben wird.
  • Dieser Bericht wird vom Kanzleramt nicht veröffentlicht [warum sollte er auch?!]

Bei Mascolo wurde mehr draus, viel mehr: Am Sonntag Abend (6.2.) kam in der Tagesschau sein Beitrag „Keine Smoking Gun aus Russland“ [2]. Am Montag Morgen folgte ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung, den Mascolo zusammen mit Nicolas Richter verfasst hatte: „Die Angst vor dem langen Arm des Kreml“ [3]. In beiden Beiträgen ging es kurioser Weise um ein NICHTS. Dass nämlich NICHTS an Beweisen gefunden wurde von den beiden Nachrichtendiensten, das die These von der russischen Desinformation erhärten würde.

Meinungsmache gegen Südländer, Muslime und andere Redaktionen:
Was hat das mit dem Thema zu tun?!

Die dpa brauchte acht Zeilen, um zu berichten, dass der Rechercheverbund von NDR, WDR und SZ über dieses NICHTS berichtet hatte. Mascolo und sein Koautor in der SZ hätten auch nicht mehr benötigt. Wenn sie sich denn auf den Sachverhalt beschränkt hätten. Doch sie schmückten die Geschichte aus, raunten über ein vertrauliches Dokument, das dem Chef des Kanzleramts vorliegt, dass unter Verschluss bleiben soll, weil es die Öffentlichkeit nicht lesen soll usw. usw.

Und füllten den großen Restteil ihrer dreieinhalb A4-Druckseiten mit Meinungsmache, indem sie wiederholten, dass eben gerade NICHTS dran war an der Geschichte von Lisa, die behauptet hatte von „Südländern“ vergewaltigt worden zu sein. Dass eben gerade NICHT bewiesen wurde, dass die russische Regierung etwas mit dem Gerücht von Muslimen zu tun haben, die am Valentinstag einen Sex-Dschihad organisieren. Dass auch der Cyberangriff auf den Deutschen Bundestag NICHT vom russischen Geheimdienst durchgeführt wurde, weil „der nicht so dilettantisch vorgeht“. Und teilten ansonsten kräftig aus gegen zwei Redaktionen, die ihrer Meinung nach „journalistisch umstritten sind, um das Mindeste zu sagen“.

Ein „Insider des bundesdeutschen Nachrichtendienstwesens“ teilt mit …

Und aus all diesen NICHT-Argumenten folgerten die beiden Autoren dann umwerfend logisch: Entweder gibt es den vermuteten Angriff durch Putin gar nicht. Oder die russischen Dienste sind schlau genug, sich von den Deutschen nicht erwischen zu lassen. Und kamen dann zum krönenden Schluss: „Die deutschen Agenten, teilte uns der Insider im bundesdeutschen Nachrichtendienstwesen mit, neigten eindeutig zur zweiten Version.“.

War das die Kernbotschaft des ganzen, langen Beitrags?! Ist es die Aufgabe des Rechercheverbunds, Geheimdienstlern zu Veröffentlichung ihrer Ansichten zu verhelfen? Gibt es überhaupt diesen behaupteten geheimen Bericht? Sicherheitshalber hat CIVES nachgefragt und von einem Regierungssprecher erfahren, dass der Bundesregierung tatsächlich ein interner, eingestufter, gemeinsamer Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes vorliegt.

Wie kommen Autoren des Rechercheverbunds – wiederholt – an geheime Dokumente aus Behörden?

Wie kommen Mascolo & Co an geheimhaltungsbedürftige Dokumente aus dem Bundeskanzleramt? Das geschieht zum wiederholten Male. Ein nahezu identischer Fall ist erst vor drei Wochen passiert: Am 16. Januar veröffentlichte der Rechercheverbund von NDR, WDR und SZ Details aus einer Verschlusssache aus dem Bundeskriminalamt. Es war der Bericht des BKA im Fall des Attentäters von Berlin. Mehrere Seiten dieses Berichts wurden abgefilmt für einen langen Beitrag in der Tagesschau. Auf jeder Seite prangte oben, gut lesbar, der Vermerk „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ [4].

Und interessanter Weise kommt kein Aufschrei aus den betroffenen Behörden. In Fällen von Durchstecherei und Geheimnisverrat, die den Behörden nicht passen, wird ein großes Geschrei angestimmt. Hier jedoch wird kein Staatsanwalt in Marsch gesetzt. Wenn überhaupt nach dem ‚Verräter‘ gesucht werden sollte, so geschieht dies sehr, sehr leise.

Welche Interessen verfolgt der geheime Informant?!

„Durchgestochen wurde schon immer“ bekam ich von einem erfahrenen Journalisten zu hören, mit dem ich über dieses Thema sprach. Das mag sein. Es ist aus der Sicht des Lesers bzw. Zuschauers allerdings irrelevant: Denn wie bei jedem Informanten muss sich der sorgfältige Rechercheur auch in solchen Fällen fragen: Was will der Durchstecher damit erreichen? Will er in der eigenen Behörden „Politik“ machen, Druck aufbauen, seine Position durchsetzen? Will er jemanden oder eine Sache „hinhängen“? Will er damit Meinung machen oder Informationen weitergeben, sozusagen Pressearbeit am offiziellen Pressesprecher vorbei?! Und wie kann der Rechercheur verhindern, für die Zwecke des Informanten instrumentalisiert zu werden?

Das Geschäftsmodell: Mediale Reichweite gegen exklusive Informationen?!

Bei Transaktionen dieser Art kommen zwei Parteien zusammen, die sich wechselseitig etwas zu bieten haben: Der Informant hat exklusive, nur wenigen Leuten bekannte, geheimhaltungsbedürftige Dokumente. Der Rechercheverbund aus NDR, WDR und SZ hat mediale Reichweite wie sonst kein anderes Medium in Deutschland. Daraus kann für beide Seiten eine außerordentlich erfolgreiche Zusammenarbeit werden …

Mediale Bedeutung des Rechercheverbunds von NDR, WDR und SZ

Für den Informanten aus der Behörde ist der Verbund aus NDR, WDR und SZ extrem attraktiv: Mit NDR und WDR gehören zwei der ganz großen öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten dazu, mit der Süddeutschen Zeitung eine der größten, überregionalen Tageszeitungen. Beim NDR ist die zentrale Fernsehnachrichtenredaktion der ARD angebunden: Sie produziert Tagesschau, Tagesthemen und das Nachtmagazin. Vom NDR kommt ferner Panorama, ein hoch angesehenes Politmagazin, vom WDR kommt Monitor, eine Sendung, deren Reputation auf gleicher Ebene liegt, wie die von Panorama.

Beiträge von den Nachrichten- und Magazinredaktionen dieser Fernsehanstalten oder von der Süddeutschen Zeitung haben per se schon Nachrichtenwert. Sie werden sehr häufig von anderen Medien übernommen, als stammten sie aus einer Primärquelle. „Aus Informationen des Rechercheverbunds von NDR, WDR und SZ geht hervor“ … ist inzwischen eine weit verbreitete Einleitung in den Beiträgen vieler anderer Redaktionen geworden.

Exklusive, geheime Informationen …

Die Rechercheprojekte des Rechercheverbunds gehören zu folgenden Schwerpunkten:

  • Einzelne Unternehmen oder Institutionen, wie VW
  • Panama-Papers, Swiss-Leaks oder Lux-Leaks
  • Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste

Selbstredend sind Recherchen in solchen Bereichen auf Informanten angewiesen. Wer diese Informanten sind, muss der Zuschauer / Leser auch gar nicht wissen.

… verlangen großes Vertrauen vom Zuschauer / Leser

Der Zuschauer / Leser muss sich jedoch darauf verlassen können, dass die so beschafften und dann medial verbreiteten Informationen auch der Wahrheit entsprechen und vollständig sind. Ein Sich-Einlassen auf Berichte aus solchen Quellen verlangt vom Zuschauer und Leser einen Vertrauensvorschuss: Er soll glauben, was in der „geheimen“ Quelle steht, die von einem nicht genannten Informanten stammt.

Das ist besonders viel verlangt bei Quellen aus Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten. Angesichts der Erfahrungen, die selbst parlamentarische Untersuchungsausschüsse und Gerichte in den Fällen NSU oder NSA mit Dokumenten und Zeugen fortlaufend machen.

… und noch mehr Sorgfalt vom Rechercheur

Der Journalist als „Überbringer der Nachricht“ fordert einen weiteren Vertrauensvorschuss. Ihm soll der Zuschauer / Leser glauben, dass vollständig, richtig und wahrheitsgemäß berichtet wird. Das ist ein weiteres Mal viel verlangt, selbst wenn man Mascolo heißt.

„Keine Smoking Gun …“ und „Die Angst vor dem langen Arm des Kreml“ waren Stückchen von Georg Mascolo, die diesem Anspruch nicht gerecht werden. Als Leser und als Zwangsgebührenzahler für die ARD wünsche ich mir weniger Pressearbeit für „Insider im bundesdeutschen Nachrichtendienstwesen“ und mehr Recherchen und Antworten zu den Fragen, die wirklich interessieren.

Quellen

[1]   im Impressum der Süddeutschen Zeitung, heruntergeladen am 08.02.2017, ist Hans Leyendecker als „Leiter Investigative Recherche“ aufgeführt.
http://www.sueddeutsche.de/tools/impressum

[2]   Keine „Smoking Gun“ aus Russland, 06.02.2017, 18.00 Uhr, Tagesschau
https://www.tagesschau.de/inland/deutsche-geheimdienste-russland-101.html

[3]   Die Angst vor dem langen Arm des Kreml, 07.02.2016, 05:39 Uhr, Süddeutsche Zeitung
http://www.sueddeutsche.de/politik/demonstrationen-und-hackerangriffe-spur-und-vorurteil-1.3366393

[4]   Ausführlicher dokumentiert in: Bericht zum Behördenhandeln im Fall Anis Amri unter merkwürdigen Umständen veröffentlicht, 16.01.2017, CIVES
https://cives.de/bericht-zum-behoerdenhandeln-im-fall-anis-amri-unter-merkwuerdigen-umstaenden-veroeffentlicht-4284

Copyright und Nutzungsrechte

(C) 2017 CIVES Redaktionsbüro GmbH
Sämtliche Urheber- und Nutzungsrechte an diesem Artikel liegen bei der CIVES Redaktionsbüro GmbH.

1 Gedanke zu „Wenn Geheimdienst-Insider Presse brauchen“

Kommentare sind geschlossen.