Mehr als drei Millionen Unternehmen bleiben weiterhin im Regen stehen

„Der Mittelstand ist das Rückgrat unserer Gesellschaft und gerade in dieser Krise besonders betroffen“. Deshalb ist es entscheidend, dass wir diese einzigartige Substanz und Breite erhalten, um nach der Krise wieder durchstarten zu können“

Diese bombastischen Seifenblasen ergossen sich heute aus dem Mund des amtierenden Wirtschaftsministers – Peter Altmaier. Gemeinsam mit seinem Amtskollegen Scholz, dem Finanzminister, suhlte er sich in der Retterrolle. „Kleine und mittlere Firmen und Betriebe, die jetzt sehr rasche Unterstützung benötigen“ wollten sie unterstützen: Mit einem „KfW-Schnellkredit für den Mittelstand, bei dem der Staat 100% der Kreditrisiken übernimmt“. Den Schuss mit der hundertprozentigen Haftungsübernahme hat man jetzt anscheinend auch in den Berliner Ministerien gehört. Nicht verstanden hat man dort aber anscheinend,

  • dass es vor allem die mehr als 3 Millionen Kleinst- und Kleinunternehmen (bis 9 Mitarbeiter) und die daran hängenden 4 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind, die diese Hilfen brauchen (und auch durch diesen KfW-Schnellkredit NICHT bekommen)
  • und dass die verbalen Seifenblasen nicht darüber hinwegtäuschen können, dass die Kreditprüfung auch beim lediglich so getauften, aber nicht auf „schnell“ konzipierten „KfW-Schnellkredit“ weiterhin Sache der Hausbanken ist und dort viel zu lange dauern werden, um Liquiditätskrisen aufgrund staatlich verordneter Geschäftseinstellungen, damit verbundener Umsatzeinbrüche bei weiterlaufenden Kosten auffangen zu können.

Die „heiße Luft“ von Scholz und Altmaier und der wohl klingende Name „KfW-Schnellkredit“ werden nicht verhindern, dass hunderttausende von Kleinst- und Kleinbetrieben und auch so mancher mittelgroße Betrieb vor die Hunde gehen – mit allen Folgen für die Sozialsysteme, die wir in diesem Artikel [A] schon aufgezeigt haben, vor allem aber für an die zehn Millionen Menschen, die wirtschaftlich von diesen Betrieben abhängig sind und von denen ein Großteil in Gefahr steht, durch die großen Maschen der angeblichen Schutz- und Rettungsschirme dieses Wirtschaftssystems zu stürzen! | Lesedauer: Ca. 6 Minuten

Siehe auch: Schlechte Nachrichten für Arbeitnehmer

Wirtschaftsminister Altmaier schnitzt sich sein Bild vom ‚Mittelstand‘

Besonders deutlich machte beim heutigen Auftritt vor der Presse der Wirtschaftsminister, dass er keine Ahnung davon hat, von welchen und wie vielen Unternehmen da die Rede ist:

Da schwadronierte er über den „Mittelstand mit seiner einzigartigen Substanz und Breite“, die erhalten werden müsse, um „nach der Krise wieder (??) durchstarten zu können. Nicht nachzuvollziehen ist, Unternehmen welcher Größe er damit eigentlich meint: Denn Unternehmensgrößenklassen sind EU-weit einheitlich definiert in der ‚KMU-Definition‘ der Europäischen Kommission. KMU steht für Kleine und mittlere Unternehmen. Der Begriff ‚Mittelständler‘, den Herr Altmaier da einsetzt, ist eher als politischer Verbalpopulismus zu verstehen und spielt in relevanten amtlichen Statistiken keine Rolle.

Die „Mittelständler“, die irgend jemand diesem Wirtschaftsminister eingeredet hat „erwirtschaften 35% des gesamten Umsatzes“ [aller Unternehmen], sagt Herr Altmaier. Die Zahl lässt sich mit amtlichen Statistiken allerdings so gar nicht in Einklang bringen:

  • Denn zwei Drittel des Umsatzes aller Unternehmen entfällt auf die rund 22.000 ganz großen Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern.
  • Weitere 25% des Umsatzes tragen die 332.881 kleinen Unternehmen bei mit 10-49 Mitarbeitern PLUS die 78.660 mittlere Unternehmen mit 50-249 Mitarbeitern
  • Und der Rest des Gesamtumsatzes, 8,4% oder 584 Milliarden Euro, wird erwirtschaftet von MEHR ALS DREI MILLIONEN Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern. Die passen allerdings nicht unter den Mittelstands-Schutzschirm von Papa Altmaier: Denn sie haben zu wenige Mitarbeiter (dazu unten mehr).

Ebenso wenig nachzuvollziehen ist seine Angabe über eine Unternehmensklasse, die „60% alller Arbeitsplätze“ stellen soll. Alle rund 100.000 Unternehmen ab 50 Mitarbeitern aufwärts stellen 68% aller Arbeitsplätze für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Welche Unternehmensklasse aber meint der Wirtschaftsminister, wenn er von „60% aller Arbeitsplätze“ spricht? Das können doch wieder nur die mittleren und großen sein, die doch ohnehin schon alle bisherigen Kredithilfen bekommen!

Bleibt als Fazit Nr. 1: Herr Altmaier spannt einen „weiteren umfassenden Schutzschirm für Unsere Mittelständische Wirtschaft auf“. Doch abgesehen von Wortblasen mit undefiniertem Inhalt gibt es vom Wirtschaftsminister aktuell NICHTS, worauf drei Millionen Kleinst- und Kleinunternehmen in der Krise hoffen oder setzen könnten.

Anforderungen an den Antragsteller für einen „KfW-Schnellkredit für den Mittelstand“

Die heutige, erste Ankündigung dieser Maßnahme [1], geht zurück auf das „Corona-Kabinett“ der Bundesregierung. Im Grundgesetz wurde ich nicht fündig auf der Suche nach einer Definition für dieses Regierungsorgan. Es könnte sich – Lateiner, seid wachsam! – um eine Art Spitznamen zu handeln, für ein Kabinett DER Mitglieder der Bundesregierung, die als die Krone der Regierungsarbeit gelten. Also Scholz, Spahn, Altmaier, Seehofer und andere Koryphäen, die mit der Entstehung der so genannten Corona-Krise nichts zu tun haben …

Nur für Unternehmen mit „MEHR ALS 10 Beschäftigten“

88% aller Unternehmen in Deutschland kommen für den hier angepriesenen KfW-Schnellkredit NICHT IN FRAGE. Denn sie haben nicht MEHR ALS 10 Beschäftigte“. Die 3,050 Millionen Selbständigen und Kleinstunternehmen fallen also nicht in dieses Raster. Rund 3 Millionen Unternehmer / Selbständige und noch einmal rund 4 Millionen sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter, die diese Unternehmer beschäftigten, bleiben also weiterhin schutzlos im Regen stehen.

Von der „einzigartigen Substanz und Breite“ dieser Freiberufler, Selbstständigen und Kleinstunternehmen werden sehr viele diese so genannte ‚Corona-Krise‘, die ja eigentlich eine Kompetenzkrise dieser Regierung ist, nicht überleben. Abgesehen von einmaligen Zuschüssen von einigen tausend Euro erhalten die Firmeninhaber nicht die finanziellen Mittel, die notwendig wären, um ihr Unternehmen in der zwangsweise verordneten Geschäftsuntätigkeit über Wasser zu halten. Die rund 4 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in diesen Unternehmen werden das Heer der Kurzarbeiter und später der Arbeitslosen schon in Kürze vergrößern.

Aber Herr Altmaier scheint ja unbesorgt darüber zu sein, dass hunderttausende von Musik- und BallettlehrerInnen, Dolmetschern, Übersetzern, Wissenschaftlern, Sachverständigen, Gastwirten, Friseuren, Unternehmensberatern, Kfz-Werkstätten, Handwerkern, Landwirten und Künstlern usw. usw. es schon schaffen werden, sich selbst und ihre Familienanghörigen energieeffizient gefrierzutrocknen, bis sie dann irgendwann „nach der Krise““zum Durchstarten“ wieder gebraucht werden.

Kreditvolumina

Das Kreditvolumen für die glücklich qualifizierten Unternehmen mit MEHR ALS 10 Beschäftigten beträgt „bis zu“ (sic?!) 3 Monatsumsätze des Jahres 2019, gedeckelt jedoch auf „maximal 800.000 Euro für mittlere Unternehmen (> 50 Beschäftigte) und maximal 500.000 Euro für kleine Unternehmen (10 – 49 Beschäftigte).

Fazit 2: Dieses Kriterium ist also geeignet, um die kleinen und mittleren Unternehmen aufzufangen, die ohne eine 100% Haftungsfreistellung durch die KfW – wie in den bisher verabschiedeten „Schutzschirmen“ der Regierung – KEINE CHANCE auf Kreditfinanzierung haben!

Die Marktbereinigungs-Klausel

Recht unscheinbar kommt als weitere Voraussetzung daher, dass „das Unternehmen zum 31. Dezember 2019 nicht in Schwierigkeiten gewesen sein darf“. Das ist eine Standard-Klausel aus dem EU-Beihilferecht, mit der verhindert werden soll, dass Unternehmen in Schwierigkeiten staatliche Beihilfen erhalten.

Das ist zum Beispiel der Fall

  • bei einer GmbH, wenn die Hälfte des gezeichneten Stammkapitals aufgrund von aufgelaufenen Verlusten aufgezehrt ist,
  • bei Gesellschaften, in denen zumindest einige Gesellschafter unbeschränkt für die Schulden der Gesellschaft haften: Wenn mehr als die Hälfte der ausgewiesenen Eigenmittel des Unternehmens durch Verluste verlorengegangen sind.
  • wenn das Unternehmen
    • Gegenstand eines Insolvenzverfahrens (am 31.12.2019) gewesen ist
    • oder die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Antrag seiner Gläubiger (zum 31.12.2019) erfüllt hat.
      Hinsichtlich des Insolvenzeröffnungsgrundes der ZAHLUNGSUNFÄHIGKEIT wird dieses Kriterium drei Monate nach dem 31.12.2019 wohl eindeutig und abschlägig zu beantworten sein. Hinsichtlich des Insolvenzeröffnungsgrundes (für juristische Personen, wie GmbHs, AGs) der ÜBERSCHULDUNG ist diese Frage nicht ganz einfach zu beantworten. Es muss da genauer die Situation auch hinsichtlich der begebenen Sicherheiten und anderer Kriterien geprüft werden. Und das wiederum kann und wird – so wie ich Geschäftsbanken in Deutschland kennengelernt habe – dazu führen, dass die entsprechende Prüfung gründlich und mit Weile erfolgen wird. Denn wer will sich als Bank-Kredit-Verantwortlicher später von seinem Vorstand schon vorwerfen lassen, NICHT gründlich genug geprüft zu haben. Und das wiederum könnte den KFW-Schnellkredit trotz hundertprozentiger Haftungsfreistellung zum Schneckenkredit werden lassen.
  • Wenn das Unternehme eine Rettungsbeihilfe erhalten und der Kredit noch nicht zurückbezahlt ist oder die Garantie noch nicht erloschen ist.

Welches kleine oder mittlere Unternehmen hat Anfang April schon den Jahresabschluss für das Vorjahr fertig????

Im Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsministerium ist man offensichtlich SEHR WEIT WEG von der unternehmerischen Praxis. Sonst wüsste man dort nämlich, dass

  • Unternehmen zur Erstellung des Jahresabschlusses ihren Steuerberater brauchen,
  • der Steuerberater aber in den ersten Monaten – aufgrund gesetzlicher Fristen – beschäftigt ist mit der Fertigstellung von Jahresabschlüssen für größere Unternehmen,
  • das kleine Unternehmen (i.S. des HGB) daher erst ca. ab Jahresmitte mit seinem Jahresabschluss „drankommt“
  • und bis dahin allenfalls einen vorläufigen, nicht testierten Abschluss vorweisen kann
  • und es daher illusorisch ist anzunehmen, dass im April ein professionell erstellter Jahresabschluss, ggf. sogar mit einem Testat (das die Hausbank sehr wahrscheinlich fordern wird!) vorliegt.

Aus all dem stellt sich dann die Frage, wie eigentlich der Unternehmensaspirant für den KfW-Schnellkredit nachweisen soll,

  • welchen durchschnittlichen Monatsumsatz das Unternehmen im Jahr 2019 gehabt hat,
  • dass das Unternehmen am 31.12.2019 sich nicht in Schwierigkeiten befunden hat,
  • insbesondere wie bei einer GmbH oder kleinen AG die Überschuldungssituation an diesem Stichtag ausgesehen hat
  • und welche sonstigen Darlehen zu diesem Zeitpunkt in Anspruch genommen waren, die u.U. nachteilig sind für den Antrag auf einen KfW-Schnellkredit.

Unter Berücksichtigung dieser Details im Kleingedruckten ist es dann politisch wohlfeil, in die Pressemitteilung zu schreiben: „Die Kreditbewilligung erfolgt ohne weitere Kreditrisikoprüfung durch die Bank oder die KfW. Hierdurch kann der Kredit schnell bewilligt werden.“ Dass die Wirklichkeit dieser Aussage eine lange Nase drehen wird, darunter leiden ja nicht Herr Scholz, Herr Altmaier oder ihre kompetenten Berater! Anscheinend hat noch niemand von denen mal selbst den Versuch unternommen, geschweige denn erfolgreich absolviert, einen KfW-gestützten Kredit für ein Unternehmen über die Hausbank zu erhalten.

Fazit Nr. 3: Die heutige gemeinsame Pressemitteilung [1] ist bisher bloßer Aktionismus. Den besonders bedrohten mehr als drei Millionen Klein- und Kleinstunternehmern und den von ihnen abhängigen weiteren vier Millionen Mitarbeitern ist damit nicht geholfen.

Selbst für Unternehmen, die die Voraussetzung von „mehr als 10 Mitarbeitern“ erfüllen, ist das Kleingedruckte so gespickt mit Arbeit und Prüfaufwand, dass viele Unternehmen entweder die Prüfung nicht überstehen, oder das Prüfverfahren so lange dauert, dass der Patient tot ist, bevor die Diagnose steht.

Wer sich Hoffnungen auf solche Kredite macht, sollte sich VORHER genau überlegen, ob sich der Aufwand lohnt. Ober ob es nicht sinnvoller ist, die gewonnene Zeit aufzuwenden, um einen Neustart zu planen – ohne leere Versprechungen von Koryphäen wie Scholz, Altmaier & Co.

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Hinweis

Unsere Presseanfrage vom 6.4.2020 beim Bundeswirtschaftsministerium zur Klärung von Aussagen in der Gemeinsamen Pressemitteilung [1] wurden bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht beantwortet.

Quelle

[1]   Gemeinsame Pressemitteilung: Bundesregierung beschließt weitergehenden KfW-Schnellkredit für den Mittelstand, 06.04.2020, Bundesfinanzministerium

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1 Gedanke zu „Mehr als drei Millionen Unternehmen bleiben weiterhin im Regen stehen“

  1. Die Wiederwärtigkeit in Person, Altmeier und Scholz. Wollen wir doch mal sehen, ob es mit den bevorstehenden Insolvenzlisten, für diese unfähigen Politiker, so spaßig wird. Den Knall haben Sie anscheinend noch nicht gehört. Ich warte auf den Satz „Wir lieben Euch doch alle“. Doch der wird Euch nicht helfen. Die Geschichte hat es gezeigt.

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