Im Bundesjustizministerium galoppiert der Amtsschimmel

Die Frist zur Abgabe der Steuererklärungen 2019 für von Steuerberatern beratene Unternehmen wurde – spät, aber immerhin noch – verlängert bis zum 31.08.2021. Damit soll den erheblichen Anforderungen Rechnung getragen werden, die Steuerberater u.a. auch aufgrund ihrer Zwangsverpflichtung als Vorab-Gutachter im Rahmen der Corona-Hilfen für Unternehmen ausgesetzt sind.

Vergleichbare Fristen gibt es für Unternehmen zur Offenlegung ihrer Jahresabschlüsse für 2019. Die waren – ungeachtet der Corona-Pandemie – bis zum 31.12.2020 offenzulegen. Immerhin verzichtete das Bundesamt für Justiz und sein übergeordnetes Ministerium bis Ende Februar generös auf die Einleitung des Ordnungsgeldverfahrens. Seit Freitag, dem 25.2. um 13.00 Uhr kann nun auch jeder Steuerberater wissen, dass er nicht bis Sonntag Nacht durcharbeiten muss: Denn soeben hat das Bundesamt für Justiz verkündet, dass „Ordnungsgeldverfahren nun erst nach den Osterfeiertagen“ (=4. bis 6.4.2021) eingeleitet würden.

Generell, sagt der Pressesprecher des Bundesjustizministerium, sei die Offenlegung der 2019er Abschlüsse wichtig, weil „Investoren, Gläubiger, Lieferanten, Kunden, sonstige Marktakteure und Dritte sind – auch und gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten – auf diese Informationsquelle angewiesen“ seien. Dass der Jahresabschluss eines blendend verdient habenden Modeunternehmens aus 2019 wenig aussagt über dessen wirtschaftliche Misere heute – diese Erkenntnis hat das Bundesjustizministerium anscheinend noch nicht ereilt. | Lesedauer: Ca. 5 Minuten

Zu sachfremden Aufgaben zwangsverpflichtete Steuerberater werden zum Nadelöhr

Hunderttausende von Kapitalgesellschaften, die meisten darunter GmbHs und von der Größe her Klein- oder Kleinstunternehmen, benötigen für die Erstellung ihrer Jahresabschlüsse die Hilfe ihrer Steuerberater.

Diese Zunft ist allerdings im Rahmen der Corona-Pandemie gegenwärtig in besonderer Weise von zusätzlichen Anforderungen betroffen. Was unter anderem daran liegt, dass sich der Staat im Zusammenhang mit den sogenannten Hilfsmaßnahmen für Unternehmen im Rahmen dieser Pandemie einen schlanken Fuß gemacht hat. Indem er zur Auflage gemacht hat, dass solche Hilfsanträge grundsätzlich nur mit Hilfe der Steuerberater gestellt werden können. Hinzu kommt, dass Steuerberater und deren Mitarbeitern vielfach Eltern sind und daher neben ihrer Arbeit auch noch die Pflichten des Home-Schoolings übernehmen „dürfen“. [1]

Frist zur Abgabe der Steuererklärungen 2019 für beratene Unternehmen bis 31.08.2021 verlängert

Die Bundessteuerberaterkammer versuchte seit Herbst letzten Jahres beim Bundesfinanzministerium zu erreichen, dass die Frist für die Abgabe von Steuererklärungen für das am 31.12.2019 endende Geschäftsjahr von Ende Februar 2021 angemessen verlängert wird. Immerhin schon Ende Januar 2021 lag dazu im Bundestag eine Beschlussempfehlung vor, wo es zum Problem heißt: „Die Einhaltung der gesetzlichen Steuererklärungsfrist für den Besteuerungszeitraum 2019 ist aufgrund der zusätzlichen Anforderungen für die Angehörigen der steuerberatenden Berufe vielfach nicht mehr gewährleistet. Für Steuer- bzw. Feststellungserklärungen, die durch Angehörige der steuerberatenden Berufe erstellt werden, ist in dieser außergewöhnlichen Situation antragslos eine längere Bearbeitungszeit ohne Verspätung Folgen in Gestalt von Verspätungszuschläge und Zinsen einzuräumen.“ [2]

Und so kam es am 28. Januar mit den Stimmen der großen Koalition und von Bündnis 90/Die Grünen zu einem Beschluss im Bundestag, mit dem diese Frist um ein halbes Jahr verlängert wurde. „Die regulär mit Ablauf des Monats Februar 2021 endende Steuererklärungsfrist nach §149, Abs. 3 der Abgabenordnung für den Besteuerungszeitraum 2019 wurde um sechs Monate bis Ende August 2019 verlängert“ (soweit im Einzelfall nicht eine Anordnung des Finanzamts zur früheren Abgabe dieser Steuererklärung vorliegt).
So weit, so gut.

Die Pflicht zur Offenlegung von Jahresabschlüssen

Der Jahresabschluss, den ein Steuerberater für ein Unternehmen erstellt, wird allerdings nicht nur für die Steuererklärung benötigt. Sondern auch zur Erfüllung der Offenlegungspflicht nach §325 HGB. Dort wird verlangt, dass Kapitalgesellschaften ihren festgestellten Jahresabschluss und – je nach Firmengröße gegebenenfalls weitere Unterlagen – nach aktueller Rechtslage bis spätestens zum 31. Dezember des folgenden Jahres beim Bundesanzeiger für die Veröffentlichung einzureichen haben, also bis zum 31.12.2020. Großzügig verzichtete das Bundesamt für Justiz in Abstimmung mit dem übergeordneten Bundesjustizministerium bisher auf die Einleitung von Ordnungsgeldverfahren bei nicht fristgerechter Offenlegung bis Ende Februar 2021.

Keine Fristverlängerung für die Offenlegung der Jahresabschlüsse 2019

Beides zusammen wirft, wie von jedermann mit gesundem Menschenverstand leicht zu erkennen ist, praktische Probleme auf. Es müssten jetzt nämlich die Steuerberater den offenzulegenden Jahresabschluss bis zum 28. Februar 2021 fertig haben, während sie sich für das Ausfüllen der daraus abzuleitenden Steuererklärungen noch ein halbes Jahr Zeit lassen können. Ganz so hat sich der Gesetzgeber vermutlich die Erleichterungen nicht vorgestellt mit seinem oben zitierten, zutreffenden Hinweis auf die besonderen Anforderungen von Steuerberatern im Rahmen der Corona Pandemie.

Auf die gestrige Anfrage von CIVES beim Bundesamt für Justiz verwies uns der Pressesprecher mit dieser „politischen bzw. gesetzgeberischen Frage“ zuständigkeitshalber an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.

Immerhin zeitnah erhielten wir dann vom Pressesprecher dieses Ministeriums am 25.2. abends diese Antwort:

„Kapitalgesellschaften sind nach den Vorschriften des Handelsbilanzrechts dazu verpflichtet, ihre Rechnungslegungsunterlagen spätestens ein Jahr nach dem Abschlussstichtag beim Betreiber des Bundesanzeigers elektronisch zur Bekanntmachung oder dauerhaften Hinterlegung einzureichen. Die Jahresfrist beruht auf zwingenden europarechtlichen Vorgaben und ist deshalb vom deutschen Gesetzgeber nicht verlängerbar. Der überwiegende Teil der Unternehmen ist den Offenlegungspflichten bereits nachgekommen.

Für die Offenlegung von Rechnungslegungsunterlagen sind andere Erwägungen maßgeblich als für die Abgabe der Jahressteuererklärungen. Die Offenlegung dient den Interessen Dritter, die sich von der Vermögenslage haftungsbeschränkter Gesellschaften ein Bild machen wollen oder müssen. Investoren, Gläubiger, Lieferanten, Kunden, sonstige Marktakteure und Dritte sind – auch und gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten – auf diese Informationsquelle angewiesen.

Um pandemiebedingte Schwierigkeiten der offenlegungspflichtigen Unternehmen und ihrer Steuerberaterinnen und Steuerberater abzumildern, hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz mit dem Bundesamt für Justiz Erleichterungen bei der Durchsetzung der Offenlegungspflicht abgestimmt. Diese Erleichterungen sind auf der Internetpräsenz des Bundesamts der Justiz veröffentlicht.“ [a]

Zur Aussagekraft von Jahresabschlüssen 2019 nach einem dreiviertel Jahr Corona-Lockdown

Ein Steuerberater bemerkte dazu nur noch lapidar, dass „der Amtsschimmel inzwischen sehr fern ist von der unternehmerischen Realität“.

Und fragte, ob man im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz wirklich glaubt, dass Abschlüsse für das Geschäftsjahr 2019, in dem zum Beispiel ein Unternehmen der Modebranche blendend verdient haben kann, noch in irgendeiner Weise vergleichbar seien mit aktuellen Unternehmensdaten nach dem flächendeckenden Abwürgen ganzer Branchen, wie Non-Food-Einzelhandel, Gastronomie oder Tourismus im Zuge der Lockdown-Maßnahmen seit Februar 2020.

Dritte, die sich „von der Vermögenslage haftungsbeschränkter (sic!) Unternehmen ein Bild machen“ wollen, sind mit Sicherheit schlauer als der Pressesprecher des BMJV annimmt. Sie dürften sich daher die Mühe sparen, Jahresabschlüsse ohne Aussagewert aus dem Jahr 2019 überhaupt noch anzufordern.

Und die Moral – auch aus dieser Geschichte …

Doch das ist aus Sicht des Justizministeriums gar nicht weiter wichtig. Weitaus wichtiger ist es, dass Gesetze eingehalten werden. Kosten bzw. Nutzen sind dann zweitrangig.

Was kann bei nicht fristgemäßer Einreichung zur Offenlegung geschehen?!
Die fristgemäße (elektronische) Einreichung der Unterlagen wird vom Bundesanzeiger / Unternehmensregister überwacht. Nach dem Fristversäumnis kommt ein gelber Brief (Zustellurkunde) vom Bundesamt für Justiz. Ein Vertreter des Bundesamts für Justiz soll gesagt haben, dass die ersten bereits am Montag, dem 1.3.2021 auslaufen würden.

Darin findet sich die Aufforderung, innerhalb von sechs Wochen den Offenlegungspflichten nachzukommen. Gleichzeitig wird ein Ordnungsgeldverfahren nach §335 HGB angedroht. Es richtet sich gegen das Unternehmen, gleichzeitig aber auch gegen die juristischen Vertreter und beläuft sich auf mindestens 2.500 Euro. Für den gelben Brief selbst werden 100 Euro Kosten berechnet und die Zustellgebühren, die zusammen sofort fällig sind. Ein Einspruch gegen diesen Rechtsakt ist möglich, hat aber keine aufschiebende Wirkung und entbindet auch nicht von der Zahlungsflicht für die Kosten.

Sollte also diesem Einspruch später nicht stattgegeben werden und nicht innerhalb der Nachfrist doch noch offengelegt werden, so kostet dieses Paradestück eines galoppierenden Amtsschimmels den verantwortlichen Geschäftsführer mindestens 2.603,50 Euro.

Fußnoten

[a]   Einschlägig relevante Erleichterungen konnte ich bisher auf der Internetpräsenz des Bundesamt für Justiz nicht finden. Eine Bitte um Nachweis eines Links beim Pressesprecher BMJV verhallte bisher ebenfalls ohne Ergebnis. Meine Hoffnung liegt nun noch beim Pressesprecher des Bundesamts für Justiz. Vielleicht weiß der ja ‚was von den angeblichen „Erleichterungen bei der DURCHSETZUNG (sic!) der Offenlegungspflichten“.
Wobei die Frage von CIVES ja eigentlich notwendigen Erleichterungen bei der FRISTGEMÄSSEN ERFÜLLUNG der Ordnungspflichten galt …

Aktualisierung

Am Freitag, dem 26.2.2021, kurz nach 13:00 Uhr teilte der Pressesprecher des BMJV CIVES dann mit, dass man sich dazu durchringen konnte, bis nach Ostern auf die Einleitung von Ordnungsgeldverfahren für noch nicht offengelegte Jahresabschlüsse 2019 zu verzichten …

Quellen

[1]   Siehe „Die Zusatzaufgaben der Steuerberater“ in ‚Krasses Missverhältnis zwischen Fehlern der Regierung und Anforderungen an Unternehmen‘
https://cives.de/krasses-missverhaeltnis-zwischen-fehlern-der-regierung-und-anforderungen-an-unternehmen-10664

[2]   Beschlussempfehlung und Bericht des FInanzausschusses zum Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung … DBT-Drs.: 19/26245, vom 27.01.2021
https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/262/1926245.pdf

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