Auf ‚Welt Online‘ arbeitet ein Politikredakteur, der dort als Experte für die Flüchtlingskrise bezeichnet wird. Sein Output ist immens: In den letzten fünf Monaten zählen wir 33 Namensartikel von ihm, die eines gemeinsam haben. Darin wird Stimmung gemacht GEGEN Ausländer, GEGEN Zuwanderung und GEGEN das Ausländer- und Asylrecht in seiner bestehenden Form. Und Meinung gemacht FÜR mehr Abschiebungen, FÜR mehr Aus- und Zurückweisungen, FÜR Ankerzentren und generell FÜR die harte Linie der CSU. Differenzierte Information und Diskussion über diese komplexen Themen ist unstreitig notwendig. Die allerdings sucht man in diesen Artikeln vergeblich Auch haben wir inzwischen in mehreren Einzelfällen festgestellt, dass die Behauptungen, insbesondere aus den plakativen Überschriften, sich bei Sichtung der Quellen gerade NICHT belegen ließen. Die Artikel bedienen Emotionen und Meinungen, die sich gegeneitig bestärken in hunderten von Leser-Kommentaren. Deren Inhalte stark dem ähneln, was man in den sozialen Medien und auf Demonstrationen, wie z.B. in Chemnitz, inzwischen als vorherrschende Meinung GEGEN Ausländer und Zuwanderung erlebt.
Die Artikelsalven in der ‚Welt‘ KÖNNTEN als journalistischer Beitrag zur politischen Meinungs- und Willensbildung aufgefasst werden. Vieles spricht allerdings dafür, dass Springer in den Hut- und Wutbürgern, die gegen Ausländer und Zuwanderung sind, ein dankbares Zielpublikum gefunden hat für sein erklärtes Geschäftsmodell: Denn Springer erzielte schon 2017 mehr als zwei Drittel seines Umsatzes aus Werbung und der damit verbundenen Verwertung erhobener Daten. Ein in die Millionen gehendes, demographisch stabiles Kundensegment, das den Leser durch maßgeschneiderte Inhalte, Emotionen und Meinungen interessiert und zum Wiederkommen veranlasst, ist die notwendige Basis für das angestrebte geschäftliche Wachstum in diesem und den folgenden Jahren. | Lesedauer: Ca. 12 Minuten
In Chemnitz tobte der Mob: Hut-/Wut- oder einfach nur Bürger, die Meldungen in sozialen Medien oder Presseorganen für die Wahrheit halten, fühlten sich bestärkt in ihrem tief sitzenden Gefühl, dass in diesem Land vieles nicht mehr „richtig“ läuft. Blasen in sozialen Medien verstärken diese eigene Meinung und Haltung. Genauso aber auch Artikel, insbesondere in den Online-Ausgaben von ‘Bild’ und ‚Welt‘, die systematisch und seit Monaten Salven von Artikeln abfeuern und Hetze betreiben über „zu viele“ Ausländer, „zu viele“ Migranten, „zu viele“ Ausreisepflichtige“ und die angebliche Ohnmacht des Staates, der diese „Illegalen“ nicht abschiebt. Solche Artikel befeuern tausende von Leser-Kommentatoren und mit den häufig unvollständigen, unkorrekten oder verzerrten Aussagen aus diesen Artikeln begründen und rechtfertigen Demonstranten, wie die in Chemnitz, ihren Protest.
Wenn bzw. wie die ‘Welt’ Online über Ausländer informiert
Marcel Leubecher (ML) hat an dieser Entwicklung seinen gehörigen Anteil. Er schreibt als Politikredakteur für die ‚Welt‘ bzw. ‚Welt Online‘. Dort steht auf einer Profilseite über ihn:
Dieser ML also arbeitet sich schon seit einigen Jahren ab an seinem Thema der „Flüchtlings“ „krise““. Und hat es damit schon früh zu einem, wenn auch etwas anrüchigen Ansehen gebracht: In einer Broschüre des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über die ‚Politischen Entwicklungen in Deutschland zu Migration, Integration, Asyl im Jahr 2017‘ [2] wird ML gleich zweimal als negatives Beispiel erwähnt: Weil er Auslöser war einer „stark angefachten Debatte“, indem er einem Großteil der unbegleiteten Minderjährigen Täuschung im Bezug auf ihr Alter unterstellte. Und in Folge davon die Einführung von gesetzlich vorgeschriebenen, medizinischen Altersgutachten für minderjährige Schutzsuchende verlangte. Was von Fachleuten als „Symbolpolitik und gefährliche Stimmungsmache“ abgelehnt wird.
Das messbare Ergebnis der Artikel von ML ist Stimmungsmache
„Stimmungsmache“ ist auch das wesentliche Ergebnis der Artikel von ML. Und zwar Stimmung GEGEN Ausländer, GEGEN das Asylrecht, GEGEN Zuwanderung und GEGEN die Politik seit 2015, die die von ML so bezeichnete „Flüchtlingskrise“ möglich gemacht hat.
Das Ergebnis lässt sich messen daran, dass er es zuverlässig schafft, mit seinen Artikeln einige hundert, bei besonders aufwühlenden Themen sogar mehr als tausend Leser zum Griff in die Tasten zu bewegen, um einen Leser-Kommentar zu verfassen. Die große Mehrzahl der Kommentatoren bestätigt sich und die anderen darin, dass der Autor genau das zum Ausdruck gebracht hat, was sie selbst schon längst empfinden:
- Dass viel zu viele „Migranten“ Einlass erhalten haben,
- dass es höchste Zeit ist, die wieder los zu werden,
- dass die Asyl- bzw. Flüchtlingspolitik dieser Bundeskanzlerin eine Katastrophe ist bzw. „unfassbar“ oder „unglaublich“ ist,
- dass die meisten „Migranten“ – so die inzwischen allgemein üblich gewordene übliche Bezeichnung – ohnehin „ausreisepflichtig“ seien, weil ihr „Asylantrag“ ja abgelehnt worden sei
- und dass der Staat seiner Aufgabe nicht nachkommt, wenn die angeblich hunderttausenden „Illegalen„, sich hier „unerlaubt“ aufhaltenden, angeblich „ausreisepflichtigen“ „Migranten“ nicht endlich in ihre „Herkunftsländer“ abgeschoben werden. (Um die negative, GEGEN Nicht-Deutsche gerichtete Konnotierung all der hier kursiv gesetzten Begriffe hat sich ML in seinen Artikeln der letzten Monate ganz besonders intensiv bemüht.)
Fakten oder eine differenzierte Betrachtung eines komplexen Themas interessieren Leser-Kommentatoren und Demonstranten schon lange nicht mehr. Gerne wird geglaubt, abgeschrieben und weiterverbreitet, was ML, der Experte für die Flüchtlingskrise so feststellt und behauptet. Wobei sich wieder und wieder gezeigt hat, dass längst nicht alles so wahr und richtig ist an seinen Artikeln, wie insbesondere die plakativen Überschriften dies glauben machen. Doch wer macht sich schon die Mühe, solche Behauptungen nachzuprüfen?! Wenn sie doch so wohltuend die eigene Haltung bestärken und einem RECHT GEBEN?!
Die Überschrift ist sein schärfstes Schwert
Die schärfste Waffe des Redakteurs ML sind die Überschriften über seinen Artikeln.
Überschriften kommen als Feststellungen daher
Die folgende Tabelle zeigt eine Liste der Überschriften aus den letzten Monaten, bei denen ML – meist allein, mitunter mit Koautoren – namentlich als Verfasser aufgeführt ist. Alle diese Überschriften sind wie eine Feststellung formuliert, erscheinen also wie eine Behauptung, dass das, was da steht, genau so wahr und richtig ist. Eine Annahme, die sich bei genauerer Prüfung immer wieder als falsch herausgestellt hat.
Datum | Überschrift |
18.03.2018 | Die Schieflage bei Asylentscheidungen ist extrem |
13.04.2018 | Die Politik nimmt das Asyl-Shopping ins Visier |
21.04.2018 | BAMF-Skandal in Bremen |
08.05.2018 | Gegen diese [„Abschiebungs-„]Lobby richtet sich Dobrindt |
08.05.2018 | „Das ist der eigentliche Angriff auf den Rechtsstaat“ |
12.05.2018 | Abschiebung abgelehnter Asylbewerber aus Afrika scheitert oft |
15.05.2018 | Nur wenige abgelehnte Asylbewerber haben mit Klage Erfolg |
16.05.2018 | Ein Fußball-Eklat offenbart das Problem der Doppelstaatler |
23.05.2018 | Nur noch jeder dritte Bewerber erhält Asyl in Deutschland |
25.06.2018 | In NRW leben mehr Asylzuwanderer als in ganz Italien |
28.06.2018 | Das Paradox der Asylzuwanderung |
30.06.2018 | Afrikanische Lösung der Asylkrise? „Typische EU-Prosa“ |
01.07.2018 | Rückführung von Migranten scheitert vor allem an Deutschland |
04.07.2018 | Auf seiner Mission hat Seehofer gewichtige Argumente |
10.07.2018 | Seehofer rechnet mit 220.000 Asylsuchenden pro Jahr |
10.07.2018 | „Dann nützt die schönste Schleierfahndung nichts“ |
13.07.2018 | Abzuschiebende sollen wieder ins Gefängnis kommen |
18.07.2018 | Was es heißt, wenn ein Herkunftsland als „sicher“ gilt |
21.07.2018 | Warum kaum noch Afghanen nach Norwegen kommen |
24.07.2018 | In NRW sind die Asylchancen für Türken am größten |
29.07.2018 | Polizei fahndet nach 126.000 ausreisepflichtigen Ausländern |
30.07.2018 | Deutschland überstellt nur wenige Häftlinge an Herkunftsländer |
01.08.2018 | Zwei Megatrends führen zum wachsenden Migrantenanteil |
06.08.2018 | Weiterrreise gen Norden – unerlaubt aber ungehindert |
10.08.2018 | Inflationäre Vergabe von Doppelstaatsbürgerschaften |
11.08.2018 | Spanische Polizei beklagt Chaos an der Grenze wegen Zurückweisungen |
14.08.2018 | Hohe Bleibechance für abgelehnte Asylbewerber aus Afrika |
14.08.2018 | „Ein „Spurwechsel“ würde noch mehr Asylbewerber anlocken“ |
14.08.2018 | Bayern schiebt 46 Afghanen in ihre Heimat ab |
16.08.2018 | Interesse an Abschiebung gefährlicher Zuwanderer höher gewichten |
21.08.2018 | „Wie gut steuert Deutschland die Migration?“ – ‘Welt’ Redakteur (=ML) im Chat |
28.08.2018 | Wo sich der ewige Konflikt der Zuwanderungspolitik zeigt |
29.08.2018 | Aufnahmekosten für junge Migranten schwanken extrem |
Überschriften als Fernwaffen
Was die Überschriften neben ihrer suggestiven Formulierung als Wahrheitsbehauptung so gefährlich macht, ist ihre Fernwirkung: Denn man muss gar nicht die ‘Welt’ Online lesen, um von einer seiner Überschriften getroffen zu werden.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür gab es im Frühjahr 2017: Da war – auf später nie ganz geklärten Wegen [A] – eine Vorabfassung der zu dem Zeitpunkt noch behörden-vertraulichen Polizeilichen Kriminalstatistik für 2016 bei ML und seinem Kollegen Martin Lutz gelandet. Gerade noch rechtzeitig genug, um daraus für die Wochenendausgabe der ‚Welt am Sonntag‘ die Aussage zu verfertigen, dass (angeblich) die Zahl der „tatverdächtigen Zuwanderer“ um 52,7 gestiegen sei. Das war auch die Aussage in der Überschrift. Binnen Stunden hatte diese Behauptung enorme Streuwirkung entfaltet. „Mehr straffällige Flüchtlinge als im vergangenen Jahr“ titelte der Münchner Merkur, die Süddeutsche meldete „Mehr Flüchtlinge begehen mehr Straftaten“, die Fernsehsender griffen die „Nachricht“ auf und in diesem Tenor ging es dahin. Denn jedermann verstand, dass ‚Zuwanderer‘ ein anderes Wort für ‚Flüchtlinge‘ ist.
Am darauf folgenden Montag war die große Mehrheit von Fernsehzuschauern und Online-Lesern überzeugt davon, dass Flüchtlinge mehr Straftaten begangen hätten. Die Aussage war allerdings falsch, gleich aus mehreren Gründen. In dem von ML und seinem Kollegen kritiklos (oder sehr absichtlich) missverständlich wiederholten Begriff ‚Zuwanderer‘, wie das BKA ihn in sehr eigentümlicher Weise in seiner Statistik verwendet hatte, waren nämlich hunderttausende von Menschen mit anerkanntem Schutzstatus gerade NICHT enthalten. Selbst Torsten Krauel, der Chefkommentator der ‘Welt’ zürnte noch am Samstag, einige Stunden nach dem Erscheinen des Artikels „die sprachliche Sorglosigkeit des BKA ist ein Skandal“. Darüber hinaus hatte er es allerdings nicht zuwege gebracht, seine Kollegen davon abzuhalten, diesen Skandal bzw. diese Fehlinformation überhaupt erst landesweit in Umlauf zu bringen. Die beiden Autoren verteidigten sich später: Sie hätten doch, weit hinten im Artikel, erläutert, wie (eigentümlich) das BKA den Begriff ‚Zuwanderer‘ definierte. Das erreichte nur niemanden von den hunderttausenden von Lesern, die einfach nur mit der Behauptung aus der Überschrift beliefert worden waren, dass „mehr Flüchtlinge mehr Straftaten begehen“.
Wenn die Überschrift die einzige Aussage ist: Artikel hinter der Bezahlschranke
Es kommt vor, dass der eigentliche Artikel hinter der Bezahlschranke steht, sodass die Mehrzahl der Leser ohnehin nur die Überschrift zur Kenntnis nehmen kann. Das ist – auch über den direkten Wirkungskreis von ML hinaus – eine Fernwaffe, die besonders von der ‚Bild‘ gerne eingesetzt wird. Wenn man berücksichtigt, dass ‚Bild‘ und ‚Welt‘ zusammen (nach Zahlen aus dem März 2017) gerade einmal 421.000 Digital-Abonnenten haben, die hinter die Bezahlschranke sehen können [3], wird deutlich, wie gefährlich die Behauptungen IN DEN ÜBERSCHRIFTEN sind: Denn nur ein geringer Teil aller Leser, die die Überschrift gesehen haben, hat – zumindest theoretisch – die Möglichkeit zu überprüfen, ob die Aussage in der Überschrift überhaupt belegt ist durch den Text des Artikels. Diese Form der Wahrheitsbehauptung allein durch Überschriften verbreitet sich immer mehr; es handelt sich um eine ebenso effektive, wie auch für den Herausgeber sehr preiswerte Variante der Produktion von „journalistischem“ Content.
Die ArtikelTEXTE des Politikredakteurs ML
Die Texte unter den Überschriften weisen handwerkliche Eigenheiten auf, die ganz typisch sind für den Redakteur ML: Dazu gehören
- Die Verwendung von ungenauen, missverständlichen Begriffen
- eine Flut von Zahlen aus Statistiken von höchst reputierlichen Behörden
- missverständliche bzw. unrichtige Angaben über die Quellen, sowie
- ein Dauerfeuer an Artikeln (siehe die Tabelle oben), mit denen Aussagen erst gesetzt und durch systematische Wiederholung solange vertieft werden, bis sie von einer großen Zahl von Menschen als „wahr“ und „richtig“ empfunden werden.
Verwendung ungenauer Begriffe
Die notwendige Differenzierung in der Sache oder die Verwendung präziser Begrifflichkeiten gehören nicht zu den herausragenden Stärken bzw. Bemühungen des Redakteurs Leubecher.
Begriffliche Diffamierung von Nicht-Geburtsdeutschen
Insbesondere, wenn es um die betroffenen Akteure geht, also die Menschen, die – wann auch immer – in dieses Land gekommen sind und nicht Deutsche von Geburt an sind, jongliert ML mit einem ganzen Strauß von Begriffen: ‚Ausländer‘ ‚Asylbewerber‘, ‚Flüchtlinge‘, ‚Zuwanderer‘, oder eben ‚Migranten‘. Ist Ihnen eigentlich schon mal aufgefallen, dass Bezeichnungen für Menschen, die auf „-ANT“ enden, wie in MigrANT – ein Begriff, den ML geradezu hochgejazzt hat in den letzten Monaten – meist negativ oder minderwertig konnotiert sind?! Denken Sie an DebütANT, DemonstrANT, DenunziANT, DilletANT, EmigrANT, ExilANT, HospitANT, IgnorANT, ImmigrANT, InformANT, KombattANT, OkkupANT, QuerulANT, SimulANT, SpekulANT, SympahisANT. Und nun also MigrANT bzw. AsylANT. Gemeinsam ist den „…ANTen“, dass sie die Assoziation aktivieren von Leuten, die sich gegenüber ihren Mitmenschen ein ihnen nicht zustehendes Recht herausnehmen.
In seinen Texten bleibt ML ungenau und undefiniert, was er denn meint, wenn er von „abgelehnten Asylbewerbern“ schreibt oder von „Zuwanderern“ oder von „Migranten“. Diese Ungenauigkeit macht die Lektüre seiner Werke obsolet. Denn es erfordert viel Zeit und Aufwand, um nachzuprüfen, was er denn diesmal eigentlich meint. Zumal unsere bisherigen Nachprüfungen jeweils zu dem Ergebnis kamen, dass die scheinbar wahren und richtigen Feststellungen aus seinen Überschriften und Artikeltexten sich gerade nicht bestätigt hatten.
Ein aktuelles Beispiel für die fatale Wirkung der Begriffs-Unschärfe …
Die fehlende Differenzierung bzw. absichtliche Begriffsunschärfe durch den Autor ML ist deshalb so gefährlich, weil damit beim Leser – bewusst – ein falsches Verständnis hervorgerufen wird. Da schreibt ML zum Beispiel am 27.08.2018 [4] dass „dem Bundesinnenministerium zufolge rund 618.000 Migranten mit rechtskräftig abgelehntem Asylantrag im Ausländerzentralregister als noch im Land lebend gespeichert“ sind. Das ist doch mal wieder Futter für den Confirmation Bias der Zielkunden! 618.000 von diesen Nicht-Deutschen! rechtskräftig abgelehnt! und dennoch leben die noch in unserem Land! Abschieben, ganz schnell Abschieben! Das ist die typische Reaktion von Lesern, die Artikel von ML kommentieren, findet sich als vorherrschende Meinung in den sozialen Medien und unter Demonstranten, wie in Chemnitz.
Auf unsere Nachfrage beim Statistischen Bundesamt zu dem gerade erwähnten Artikel lautete die Antwort: „Die Daten, die im von Ihnen zitierten Artikel der ‘Welt’ erschienen sind, stammen nicht aus unserer Statistik.“ Und die Sprecherin des Bundesinnenministerium teilte uns auf die zeitgleich auch dort gestellte Anfrage mit: „Die Angaben stammen aus der Antwort der Bundesregierung auf die Parlamentarische Anfrage ‚Zahlen in der Bundesrepublik Deutschland lebender Flüchtlinge zum Stand 31. Dezember 2017′“ und lieferte die zitierfähige Nummer der Bundestagsdrucksache mit.
Das ist ein ganz typisches Beispiel für die missverständlichen Informationen durch den Flüchtlingskrise-Experten ML. Hier hat er die Assoziation geweckt, dass über sechshunderttausend „rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber“ kein Recht mehr haben, in diesem Land zu leben. Daher gab auch die Sprecherin des BMI in ihrer Antwort noch den ergänzenden Hinweis, „dass … etwa 80 Prozent dieser Personen ein dauerhaftes oder zumindest befristetes Aufenthaltsrecht haben. Dies ist darin begründet, dass eine Asylablehnung im AZR im Regelfall nicht gelöscht wird. Die zugrunde liegende Asylentscheidung kann daher u. U. viele Jahre zurückliegen, sodass der Ausländer zwischenzeitlich das Aufenthaltsrecht ggf. auf andere Weise legal erworben hat.“ Nachdem dieser Sachlage, die genau so in der Antwort der Bundesregierung steht, auf die sich auch ML bezieht, dann hat sein ganzer Text keinen Nachrichtenwert mehr. Denn rund 480.000 dieser Datensätze im AZR betreffen Menschen, die einen Aufenthaltstitel haben und „eine im AZR gespeicherte Asylablehnung allein bedeutet nicht, dass diese Person ausreisepflichtig wäre“.
Eine Flut von Daten aus Statistiken
„Wenn Du es Deinem Gegner schwer machen willst, dann mach die Sachlage komplex – überwältige ihn durch Menge und Vielfalt“. Sinngemäß so konnte man das schon vor Jahren bei Dröscher und Reiter lesen, zwei Psychologen, die sich mit Komplexitätsforschung beschäftigt haben. ML hat diesen Ratschlag verinnerlicht: Er macht es unübersichtlich, komplex und schert sich nicht darum, ob seine Flut von Zahlen, Daten und Behauptungen zu einer verständlichen Erkenntnis beim Leser führt:
- Es fängt schon damit an, dass er Quellen behauptet – wie im obigen Beispiel „dem Bundesinnenministerium zufolge“ – die so für Dritte nicht auffindbar sind. Die daraus abgeleiteten Zahlen und Schlussfolgerungen lassen sich also nicht so einfach überprüfen.
- Es geht weiter damit, dass seine Berechnungen nicht nachvollziehbar sind, wie in dem Fall, wo die behaupteten, angeblich immensen Steigerungsraten der Kriminalität von „Zuwanderern“ gar nicht berechnet werden KÖNNEN, weil eine gesicherte Bezugsgröße (also die 100%) fehlt. Selbst auf Nachfrage konnte uns das BKA diese Bezugsgröße bis heute nicht mitteilen. Macht aber nichts! Denn bis das dann (damals von uns recherchiert und moniert) war, hatten längst hunderte von anderen Medien die Überschrift „Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer steigt um 52,7%“ für bare Münze genommen. als Tatsachenbehauptung übernommen. Es stand ja schließlich in der ‚Welt am Sonntag‘! [A]
- In einem weiteren Fall, ebenfalls erst im Mai diesen Jahres, behauptete ML, dass „nur noch jeder dritte Bewerber Asyl erhält in Deutschland“: Visuell garniert war dieser Artikel durch ein gleichzeitig ablaufendes Video (älteren Datums), in dem sich eine Strom von abgekämpften Männern, Frauen und Kindern durch eine Landschaft wälzt – Schnitt – und im nächsten ‘Bild’ Schlangen von Antragstellern den Eingang einer Dienststelle belagern. Unsere Nachprüfung ergab auch in diesem Fall, dass die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge veröffentlichten Zahlen die Behauptungen von ML gerade NICHT bestätigen: Statt der von ihm behaupteten 33% haben in Wirklichkeit 47% der Antragsteller in diesem Zeitraum einen Schutzstatus erhalten.
Angeblich exklusive Quellen, durchgestochene Informationen
Gerne verwendet ML die Formulierung, „dass … -Dokumente der ‘Welt’ vorliegen.“ Was den Eindruck der Exklusivität erweckt. Auf Nachfragen haben wir mehrfach festgestellt, dass von Exklusivität keine Rede sein konnte, sondern es sich um ganz normale, für jedermann zugängliche Dokumente handelt, wie z.B. Antworten auf Anfragen im Deutschen Bundestag. Wenn diese faktische Quelle auch korrekt benannt worden wäre, hätte jedermann die daraus von ML abgeleiteten Behauptungen nachprüfen können. Und – siehe oben – feststellen müssen, dass die Behauptungen sich aus diesen Quellen gerade NICHT belegen lassen.
Wenn es allerdings um die Polizeiliche Kriminalstatistik geht, dann haben ML und sein Kollege Martin Lutz in den Jahre 2017 und 2018 eine schwer zu erklärende Sonderstellung erlangt. In beiden Fällen lag nämlich die PKS den beiden Autoren vor und sie konnten ausführlich darüber berichten. Zu einem Zeitpunkt, als das Dokument noch behörden-vertraulich war, noch nicht offiziell vorgestellt war und keinem anderen Journalisten vorlag. Sie hatten daher die Meinungsherrschaft, konnten mit ihren Überschriften und Artikeln das Thema besetzen, ohne dass Dritte die Möglichkeit hatten, die Behauptungen anhand der offiziellen Quelle zu prüfen oder auch nur Fragen zu stellen. Was die beiden dann veröffentlicht haben, wurde von vielen anderen Medien (ungeprüft) übernommen und so berichtet. Die Frage allerdings, von wem Dokumente, die zu diesem Zeitpunkt noch „Dienstgeheimnisse“ waren durchgestochen wurden, haben bisher weder das BMI noch das BKA beantworten können bzw. wollen.
Hinter der Meinungsmache des Politikredakteurs steckt das neue Geschäftsmodell von Springer: Werbung verkaufen!
Leubecher hat dazu beigetragen, dass und wie sich die Meinung vieler Bürger in Deutschland gewendet hat GEGEN Ausländer, GEGEN das Asylrecht und GEGEN die auch nur zeitlich befristete Aufnahme von Menschen, die Schutz beantragen vor … und Verfolgung.
Die durch ML & Co praktizierte und oben auszugsweise dokumentierte Meinungsmache unter dem Logo eines der führenden Verlagshäuser in Deutschland geschieht – meiner Meinung nach – nicht primär aus politischen Gründen. Sondern ganz profan deshalb, weil die ‚Welt‘ die besorgten deutschen Bürger als lohnende Zielgruppe erkannt wurden, die man mit auf ihre Befindlichkeit zugeschnittenen Überschriften und Artikeln bedient, um damit den Umsatz von Digital-Abonnements bzw. den Absatz von zielgerichteter Online-Werbung anzukurbeln.
In keinem anderen deutschsprachigen „Leit“medium werden seit Monaten solche Salven von einseitigen, GEGEN Ausländer gerichteten Artikeln abgefeuert. Von einem Politikredakteur, der darauf angesetzt scheint, den Leser aufzuhetzen GEGEN Ausländer, GEGEN das Asylrecht, auch GEGEN Zuwanderung und GEGEN Sozialleistungen für Ausländer, selbst wenn diese hier arbeiten und Steuern und Sozialabgaben zahlen. Was da betrieben wird, ist vorsätzliche soziale Spaltung und Schüren bzw. Bestärken von nationalistischen und rassistischen Haltungen.
Wenn es, wie ML gerne vorgibt, tatsächlich darum ginge, dass Recht und Gesetz in diesem Lande wieder zur notwendigen Geltung verholfen wird, ergäben sich andere, lohnende Betätigungsfelder für Politikredakteure in der ‚Welt“‚.
- Doch wo sind die gleich vielen Artikel in der ‚Welt‘, die sich gegen die fortgesetzten Betrügereien in der Automobilindustrie richten?
- Und Warum wettert die ‘Welt’ nicht gegen ein Finanzministerium, das die einigermaßen funktionsfähige FIU-Dienststelle zur Überprüfung von Geldwäsche-Verdachtsanzeigen im BKA auflöst und im Zollkriminalamt neu einrichtet, wo bisher nichts funktioniert?
- Oder wo hätte man aus dem bei der ‘Welt’ ja stark besetzten Ressort für „Innere Sicherheit“ mit gleicher Verve und Frequenz gelesen, dass Vertreter der Exekutive und Justiz in Italien Deutschland seit langem als ein „Paradies für die Organisierte Kriminalität“ (OK) bezeichnen während der aktuelle Bundesinnenminister nonchalant erklärt, dass Deutschland kein Raum für OK sei?!
Das Thema „Flüchtlinge“ und das, was bei der behördlichen Beschäftigung mit Flüchtlingen schief läuft, hat geradezu lächerlich geringe Dimensionen, verglichen mit den wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Schäden, die durch die Diesel-Abgasaffäre, die Nichtverfolgung der Geldwäsche, das weitgehende Ignorieren der Wirkens der Organisierten Kriminalität durch Politik, Justiz und Polizei verursacht werden.
Man KANN die Drögheit der ‘Welt’ bzw. bei Springer im Umgang mit diesen Themen für politische Absicht halten. Wir neigen inzwischen stärker dazu, Springer vor allem eigene, geschäftliche Intention zu unterstellen und allenfalls zweitrangiges ein Interesse als Meinungsmacht von Politik oder Wirtschaftsmächtigen. Der Springer-Konzern hat in seinem letztjährigen Geschäftsbericht sein Geschäftsmodell und seine geschäftlichen Ziele deutlich artikuliert:
Springer machte im Geschäftsjahr 2017 71% seines Umsatzes von 3,6 Milliarden Euro mit Werbung. 42% des Umsatzes stammen aus dem Geschäftsfeld „NewsMedia“, das sind die Print- und Online-Medien aus dem Hause. Auch die verdienen ihre Erlöse nur noch zum geringen Teil durch den Verkauf von Printausgaben von ‚Welt‘, ‚Bild‘ & Co. Getreu dem Motto „Wir sind so digital wie nie“ des Vorstandsvorsitzenden Döpfner liegt das Geschäft auch für NewsMedia bei den Online-Ausgaben.
Wie verschafft man sich – als „seriöses Leitmedium“ nun möglichst hohe Zugriffszahlen in diesem Bereich?! Indem man ein Themenfeld besetzt und tagtäglich sorgsam bearbeitet.
„Flüchtlingskrise“ das ist das Themenfeld, das man bei Springer als besonders aussichtsreich entdeckt hat, um langfristig und dauerhaft viele Leser für die Online-Ausgabe der ‚Welt‘ anziehen und behalten zu können. Die Analyse der „Targets“, also Zielkunden, war rasch gemacht: Leser der mittleren Altersgruppe, dem Mittelstand zuzuordnen, politisch als konservativ und mit Tendenz zum Nationalismus, weil tendenziell eher abgeschreckt von den Auswirkungen der EU. Diese Leser sind ein lukratives Kundenfeld für Werbung und Datenerhebung. Man kann sie dauerhaft interessieren, zum Wiederkommen anlocken und binden, mit Artikeln zu dem Thema, das sie emotional besonders berührt. Eigentlich die Angst vor dem eigenen Abstieg, der ein Ableitungskanal geboten wird durch die Ablenkung der Emotion auf Abneigung (und Schlimmeres) gegenüber Ausländern.
In diesem Sinne machen auch die Artikel von ML ihren Sinn: Seine reißerischen Überschriften und Texte GEGEN Ausländer bzw. Asylantragsteller, FÜR ein Beschneiden von Rechtsmitteln für diese und MEHR Abschiebung, haben für Springer geschäftlichen Mehrwert: Auf journalistische Inhalte kommt es bei einem solchen Geschäftsmodell nur noch insofern als, als diese geeignet sein müssen, möglichst viele Klicks zu generieren. Damit dann auf den Landing-Pages hinter den Klicks entsprechend viel Werbung platziert werden kann. Oder Tracking-Tools wirken können, mit denen nachverfolgt und eingesammelt werden kann, was denn dieser dem Thema zugeneigte Leser sonst noch so betrachtet und anklickt. Das erreicht man in einem Medium, das ohnehin dem rechten, konservativen Lager zuzurechnen ist, recht einfach damit, dass Haltungen und Meinungen dieses Leserkreises aufgegriffen und raffiniert verstärkt werden.
„Fake News und populistischen Trendes im Netz,“ hatte der Springer Vorstandsvorsitzende Döpfner im Vorwort zum Springer-Geschäftsbericht für 2017 gesagt [5], „setzen unsere Medien kritischen, tiefgründig recherchierten Journalismus entgegen.“ Das kann man, angesichts des Werkes des ‚Welt‘-Redakteurs ML, wenn nicht als Zynismus, so nur noch als eine in Schönsprech verpackte Beruhigungspille für Gutgläubige verstehen.
Quellen
[2] Migration, Integration, Asyl – Politikbericht 2017, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/EMN/Politikberichte/emn-politikbericht-2017-germany.pdf
[3] Axel Springer steigert Digital-Abos bei ‚Bild‘ und Welt‘ um knapp 10 Prozent, 09.03.2017, Horizont
https://www.horizont.net/medien/nachrichten/Plus-bei-Umsatz-und-Gewinn-Axel-Springer-steigert-Digital-Abos-bei-Bild-und-Welt-um-knapp-10-Prozent-156441
[4] Wo sich der ewige Konflikt der Zuwanderungspolitik zeigt, 27.08.2018, Welt Online
https://www.welt.de/politik/deutschland/article181330302/Spurwechsel-Der-ewige-Konflikt-der-Zuwanderungspolitik.html
[5] Geschäftsbericht des Springer-Konzerns für 2017
http://www.axelspringer.de/publikationen/cw_publikation_de_31768043.html?action=pdf
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