Welche geheimen Verträge beschränken die Souveränität Deutschlands?

Seit Wochen wird erbittert gestritten über die Forderung an die Bundesregierung, die sogenannte Selektorenliste an den NSA-Untersuchungsausschuss herauszugeben.

Die Diskussion um die Selektorenliste überdeckt jedoch, worum es im Kern eigentlich geht: Das eigentliche Problem besteht darin, dass diverse Bundesregierungen seit Endes des zweiten Weltkrieges Vereinbarungen, insbesondere mit den Vereinigten Staaten, abgeschlossen haben über die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste oder das Gewährenlassen fremder Nachrichtendienste auf deutschem Boden. Diese Vereinbarungen sind geheim.

Wichtiger als die Selektorenliste ist die Frage, welche solchen geheimen Abkommen eigentlich in Kraft sind – und mit wem. Und wie sich Deutschland aus diesen Verstrickungen geheimer Verträge lösen kann, die die Grundrechte so massiv beschränken.

Und nebenbei bemerkt: Gerade diese geheimen Abkommen demonstrieren die nachteiligen Folgen solcher Konstrukte. Weshalb sich CETA, TTIP & Co schon aus diesem Grund verbieten.

Ist es nicht „Klein-Klein“?! Der Streit um die Selektorenliste …

Seit Wochen wird erbittert gestritten über die Forderung an die Bundesregierung, die sogenannte Selektorenliste an den NSA-Untersuchungsausschuss herauszugeben. Das Kanzleramt hat diese Forderung lange und erfolgreich ausgesessen. Um in der vergangenen Woche mitzuteilen, dass es – nach Rücksprache mit Washington – die Liste allenfalls an einen von ihm selbst bestimmten Sonderermittler herausgeben werde. Der Vorschlag läuft darauf hinaus, dass das Kanzleramt den Ermittler selbst benennt, der Handlungen der Bundesregierung bzw. der Nachrichtendienste des Bundes untersuchen soll.

Dieser Vorschlag wiederspricht dem gesunden Rechtsempfinden ebenso wie den einschlägigen parlamentarischen Regularien: Im Gesetz für parlamentarische Untersuchungsausschüsse (PUAG) ist vielmehr vorgesehen, dass es Sache des Untersuchungsausschusses selbst ist, den von ihm beauftragten Ermittlungsbeauftragten zu bestimmen. Nur konsequent also, dass auch der Präsident des Bundestages, Norbert Lammert, auf diesem Recht des Bundestages und seines Ausschusses bestanden hat und den Vorschlag der Bundesregierung zurück gewiesen hat.

Verträge, insbesondere mit den Vereinigten Staaten, über die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste – sie existieren, aber sind geheim

Die Diskussion um die Selektorenliste überdeckt jedoch, worum es im Kern eigentlich geht: Das eigentliche Problem besteht darin, dass diverse Bundesregierungen seit Endes des Zweiten Weltkrieges geheime Vereinbarungen, insbesondere mit den Vereinigten Staaten, abgeschlossen haben über die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste oder das Gewährenlassen fremder Nachrichtendienste auf deutschem Boden.
Nicht alle diese Vereinbarungen gehen auf „Siegerrecht“ gegenüber dem im Zweiten Weltkrieg unterlegenen Deutschland zurück. Ganz wesentlich sind auch die Verpflichtungen Deutschland als NATO-Partner, vor allem, nachdem die Vereinigten Staaten nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Bündnisfall erklärt haben, und damit alle anderen NATO-Bündnispartner, also auch Deutschland, zum Beistand verpflichtet haben. Ein Beistand übrigens im „Kampf gegen den Terror“, was erklärt, dass diesem Thema bis heute innen-, außen- und sicherheitspolitisch so großes Gewicht beigemessen wird.

Quasi eine Generalklausel liefert insbesondere das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, dessen Artikel 3, Absatz 2 eine – aus der Sicht der Vereinigten Staaten und anderer Verbündeter – wunderbar umfassende Verpflichtung enthält für deutsche Behörden und die Behörden der Stationierungsstreitkräfte, …

„… alle Nachrichten, die für die Wahrung und Förderung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, der Entsendestaaten und deren Streitkräfte von Bedeutung sind, zu sammeln, auszutauschen und zu schützen.“

In einer Vereinbarung vom 28. Oktober 1968 mit Großbritannien *) wurde ganz ausdrücklich noch einmal dieser Passus aus dem Zusatzabkommen wiederholt:

„…die deutschen Behörden und die Behörden der Stationierungskräfte verpflichtet sind, in enger Zusammenarbeit die Sicherheit der Bundesregierung Deutschland, der Entsendestaaten und der Streitkräfte zu fördern und zu wahren, indem sie insbesondere alle Nachrichten, die für diese Zwecke von Bedeutung sind, sammeln, austauschen und schützen.“

Im Artikel des Zusatzabkommens ist der umfassende Schutz solcher „Amts- und Staatsgeheimnisse“ vereinbart. Und in der Tat kann man ja, bei genauem Hinhören bei den Zeugenbefragungen im NSA-Untersuchungsausschuss in letzter Zeit vermehrt den Hinweis auf Geheimhaltungsnotwendigkeiten aufgrund „völkerrechtlicher Verpflichtungen“ vernehmen.

Bei diesen Verpflichtungen handelt es sich augenscheinlich nicht nur um das genannte Zusatzkommen, sondern es spielt offensichtlich auch ein vom damaligen Kanzleramtsminister Steinmeier unterschriebenes Memo of Agreement nach den Anschlägen vom 11. September eine große Rolle. Und auch das ist – selbstredend – geheim.

Erkenntnisse über die Existenz solcher Vereinbarungen sind nicht neu: Insbesondere der Freiburger Historiker Prof. Josef Foschepoth hat seine jahrelangen Recherchen zum Thema schon im Jahr 2012 in dem Buch „Überwachtes Deutschland“ vorgestellt. Wir haben eine Zusammenfassung in diesem Artikel [e] im Sommer 2013 publiziert.

Die wesentlich wichtigere Frage: Welche geheimen Verträge gibt es, die die Souveränität Deutschlands beschränken?

Aus Sicht eines deutschen Bürgers bzw. deutschen Unternehmens wird einer relativen Detailerscheinung, nämlich dieser Selektorenliste, ein Gewicht beigemessen, das ihr meiner Ansicht nach im Gesamtkontext nicht zukommt. Jedenfalls dann nicht, wenn man die verbleibende Zeit und die Ressourcen in Rechnung stellt, die dem Untersuchungsausschuss noch bleiben. Die Mitte der Legislaturperiode ist jedenfalls schon erreicht. Bis heute ist nämlich die Frage nicht gestellt, welche geheime Abkommen und Vereinbarungen es eigentlich gibt – und mit wem – und in welcher Weise und welchem Umfang diese die Souveränität Deutschlands einschränken.

Klar ist, dass sich die Regierung auf Geheimhaltungsnotwendigkeiten beruft. Dieses Menetekel wird gerne entgegengehalten t und zwar in einem Ton, als erscheine Luzifer persönlich, wenn auch nur ein Sterbenswörtchen nach außen dringt. Dabei ist überhaupt nicht klar, was eigentlich geschieht, wenn eine Regierung diese Geheimhaltung verletzt: Sie könnte sich ja, zum Beispiel, darauf berufen, dass Grundrechte deutscher Bürger höher zu bewerten sind als Geheimhaltungsinteressen des jeweiligen ausländischen Vertragspartners.
Oder sich zumindest einmal die Mühe machen, genauer zu erläutern, welche Staatswohlinteressen eigentlich betroffen sind, hinter denen sich gerade die aktuelle Regierung gerne und oft versteckt, wenn es darum geht, konkrete aber unangenehme Fragen zu beantworten. Und unangenehm wäre es sicher für alle großen Parteien, wenn sich herausstellen würde, was sie hinter dem Rücken der Öffentlichkeit noch verhandelt und abgeschlossen haben, z.B. 1968 oder im Zuge der Wiedervereinigung oder nach dem 11. September 2001.

Es wäre an der Zeit, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen und eine politische Lösung im Inland und gegenüber dem Vertragspartner zu finden, wie sich Deutschland aus diesen Verstrickungen geheimer Verträge lösen kann, die die Grundrechte so massiv beschränken.

Und übrigens: Das Beispiel dieser geheimen Vereinbarungen zeigt überdeutlich, welche nachteiligen Folgen für Bürger und Unternehmen mit solche Vertragskonstruktionen verbunden sind. Allein aus diesem Grunde schon verbietet sich der Abschluss einer weiteren Welle von geheimen Verträgen, nämlich von CETA, TTIP & Co.

Fußnote

*) Diese Vereinbarung mit Großbritannien soll inzwischen aufgehoben worden sein, über eine zeitgleich abgeschlossen Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten mit anzunehmend vergleichbarem Inhalt ist eine Aufhebung nicht bekannt.

Verwandte Beiträge zum gleichen Thema auf dieser Seite

[a]   Five Eyes: Merkel will da rein …, 12. Juli 2014;
https://cives.de/bnd-nsa-five-eyes-merkel-will-da-rein-592

[b]   Der amerikanische Spion im BND und das No-Spy-Abkommen, 11. Juli 2014;
https://cives.de/bnd-nsa-der-spion-im-bnd-und-das-no-spy-abkommen-590

[c]   “Spionage“! – Ablenkungsmanöver aus dem Kanzleramt
, 10. Juli 2014;
https://cives.de/bnd-nsa-spionage-ablenkungsmanoever-aus-dem-kanzleramt-588

[d]   It’s the NATO, stupid!
, 19. September 2013;
https://cives.de/bnd-nsa-its-the-nato-stupid-582

[e]   Rechtsgrundlagen der Zusammenarbeit zwischen BND und NSA, 10. Juli 2013;
https://cives.de/bnd-nsa-rechtsgrundlagen-der-zusammenarbeit-565

[f]   Vision 2015: Das „U.S. Intelligence Enterprise“, 17. Juli 2013;
https://cives.de/bnd-nsa-vision-2015-global-vernetztes-und-integriertes-geheimdienst-unternehmen-576

[g]   Das amerikanische ‘Vision 2015′-Konzept und die Politik der Inneren Sicherheit in Europa, 2. August 2013;
https://cives.de/bnd-nsa-das-us-vision-2015-konzept-und-die-politik-der-inneren-sicherheit-in-europa-573

Quellen zu diesem Artikel

[1]   NSA/BND-Affäre: Ein Akt der Unterwerfung – Warum deutsches Recht nicht vor Überwachung durch die US-Dienste schützt, Ungekürzte Fassug des Interviews mit Prof. Josef Foschepoth in der Badischen Zeitung 20. Mai 2015 und andere Veröffentlichungen zum gleichen Thema auf der Webseite https://foschepoth.wordpress.com

[2]   ‚Die Anstalt‘ vom 26.05.2015, ZDF; insbesondere ab 18:24;
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2407406/Die-Anstalt-vom-26.-Mai-2015#/beitrag/video/2407406/Die-Anstalt-vom-26.-Mai-2015

[3]   Aktenvermerk bringt Merkel in Bedrängnis, 26.05.2015, Süddeutsche Zeitung
http://www.sueddeutsche.de/politik/keine-zusage-fuer-abkommen-merkel-in-no-spy-affaere-belastet-1.2494410

[4]   Reducing Transatlantic Barriers to Trade and Investment An Economic Assessment;
http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/march/tradoc_150737.pdf

Copyright und Nutzungsrechte

(C) 2015ff CIVES Redaktionsbüro GmbH
Sämtliche Urheber- und Nutzungsrechte an diesem Artikel liegen bei der CIVES Redaktionsbüro GmbH bzw. bei dem bzw. den namentlich benannten Autor(en). Links von anderen Seiten auf diesen Artikel, sowie die Übernahme des Titels und eines kurzen Textanreißers auf andere Seiten sind zulässig, unter der Voraussetzung der korrekten Angabe der Quelle und des/der Namen des bzw. der Autoren. Eine vollständige Übernahme dieses Artikels auf andere Seiten bzw. in andere Publikationen, sowie jegliche Bearbeitung und Veröffentlichung des so bearbeiteten Textes ohne unsere vorherige schriftliche Zustimmung ist dagegen ausdrücklich untersagt.