In den Wochen nach den ersten Enthüllungen durch Edward Snowden – im Sommer 2013 – haben wir eine Reihe von Artikeln zur Zusammenarbeit zwischen BND und NSA und zum Verhalten der Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzlerin veröffentlicht. Der folgende Artikel erschien erstmals am 19. September 2013. Aus aktuellem Anlass – und weil schon wieder Vieles in Vergessenheit geraten ist, was damals öffentlich bzw. bekannt war – veröffentlichen wir diesen Artikel hier noch einmal.
Antworten hat die Bundesregierung bisher zwar noch nicht vorgelegt auf wesentliche Fragen, die sich nach den Enthüllungen durch Snowden und Greenwald so stellten. Aber anscheinend lieferte die Berichterstattung zumindest Anlass, das Archiv der völkerrechtlichen Verträge und Vereinbarungen mal zu sichten.Der Historiker Foschepoth hatte ja hingewiesen, dass Verwaltungsvereinbarungen aus dem Jahr 1968 existieren zwischen der BRD und den drei Westmächten: Es handelt sich um Relikte aus der Nachkriegszeit, die den westlichen Siegermächten sogenannte „Vorbehaltsrechte“ einräumten.
Verwaltungsvereinbarungen mit den drei Westmächten aufgehoben
Die Bundesregierung wurde also aktiv – im Juni 2013 – und hat „Gespräche mit der amerikanischen, britischen und französischen Regierung aufgenommen“: Im Ergebnis wurden die Verwaltungsvereinbarungen aus dem Jahr 1968 mit den drei Westmächten Anfang August 2013 „im beiderseitigen Einvernehmen“ aufgehoben. Sie seien, teilte die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag [1] mit, schon seit der Wiedervereinigung nicht mehr in Anspruch genommen worden. Etwaige alliierte Vorbehaltsrechte seien „mit Vereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 ausgesetzt und mit Inkrafttreten des Zwei-plus-Vier-Vertrages am 15. März 1991 ausnahmslos beendet worden.“
Verpflichtungen aus der NATO-Mitgliedschaft nach wie vor in Kraft
Nach wie vor in Kraft sind allerdings die Abkommen, die die Bundesrepublik völkerrechtlich als Mitglied der NATO und damit gegenüber anderen NATO-Mitgliedern verpflichten. Als Mitglied des Nordatlantikpakts seit 1955 ist sie, wie alle anderen Mitglieder, gebunden an den Washingtoner Vertrag, den Gründungsvertrag der NATO aus dem Jahr 1949. Im Artikel 5 dieses Vertrages verpflichten sich die Mitglieder zum gegenseitigen Beistand im Falle eines bewaffneten Angriffs auf eines der Mitglieder:
Und speziell für die Bundesrepublik Deutschland wurde am 3. August 1959 das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut geschlossen. Es regelt die Stationierung und den Aufenthalt von Streitkräften anderer NATO-Mitglieder auf deutschem Boden. Aus diesem Zusatzabkommen ergibt sich, dass
„… streng nach deutschem Recht …“
Ganz im Gegensatz zu ihrer sonstigen Zurückhaltung, wenn es um umfassende Antworten auf vielfach gestellte Fragen geht, wird die Bundesregierung auch nicht müde zu wiederholen, dass „deutsches Recht [durch die US-Streitkräfte] zu achten ist“. [so z.B. nachzulesen in der Antwort zu Frage 17 in [1]]. Das allerdings wirft die Frage auf:
Wie lässt sich die völkerrechtliche Verpflichtung aus dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, nämlich „alle Nachrichten, die für die Sicherheit der Bundesregierung Deutschland, der Entsendestaaten und der Streitkräfte von Bedeutung sind, [zu] sammeln, auszutauschen und zu schützen] in Einklang bringen mit „deutschem Recht“? Noch dazu, wenn die Amerikaner, wie die Bundesregierung ebenfalls immer wieder betont, nicht selbst überwachend aktiv werden?! Heißt das nicht zwangsläufig, dass die deutschen Dienste diese „Dienstleistung“ erbringen und liefern, was „von Bedeutung“ ist?! Vieles spricht dafür …
Rechtsgrundlage für den Verfassungsschutz
„Zur Erfüllung dieser Pflicht“ [aus dem Zusatzabkommen], teilt die Bundesregierung [in [1], zu Frage 17] mit „kann das Bundesamt für Verfassungsschutz nach §19, Absatz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes personenbezogene Daten an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte übermitteln.“ Dass es sich dabei nicht nur um „zwei Datensätze“ handelt, wie von Kanzleramtsminister Pofalla wochenlang behauptet wurde, sondern immerhin um 864 Datensätze allein im Jahr 2012, ergibt sich aus einem Geheimdokument der Bundesregierung, über das die Süddeutschen Zeitung [2] und der NDR gemeinsam berichteten. Dort steht auch, dass „der Verfassungsschutz den Amerikanern regelmäßig bewertete Sachverhaltsdarstellungen übermittelt.“ Und der Spiegel berichtet [3], dass Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst jahrelang gemeinsam mit der CIA ein „Projekt 6“ betrieben haben, eine Datenbank, in der Daten von mutmaßlichen islamistischen Terrorunterstützern gesammelt wurden. Die Zusammenarbeit war offensichtlich so gut eingespielt, dass die Amerikaner auch nichts dabei fanden, beim BfV Informationen über einen deutschen Journalisten anzufordern, der zwar nicht der Terrorunterstützung verdächtig war, wohl aber als ausgewiesener Experte für den Nahen und Mittleren Osten gilt. Bisher ist offen, ob die Anforderung von deutscher Seite erfüllt wurde oder nicht. Das Amt unterstreicht jedoch [3], „ausschließlich auf Grundlage der deutschen Rechtsbestimmungen“ tätig geworden zu sein.
Rechtsgrundlage für den Bundesnachrichtendienst
Für den Bundesnachrichtendienst (BND) hat die Regierung Merkel erst im Jahr 2007 eine geeignete Regelung eingeführt. Es wurde dazu das G10-Gesetz [zur Beschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses] um einen Paragraphen 7a erweitert mit der Folge, dass Informationen, die der BND im Rahmen seiner strategischen Telekommunikationsüberwachung – übrigens auch über deutsche Bürger – erlangt hat, an andere, ausländische Nachrichtendienste bzw. im Rahmen des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte weitergegeben werden können.
NATO
Auffällig häufig geht es in den genannten Rechtsgrundlagen für die deutschen Nachrichtendienste um die NATO. Und ebenso auffällig ist, dass die Bundesregierung in ihrer Argumentation seit Bekanntwerden der Enthüllungen von Snowden nichts unternimmt, um auf die bestehenden (völkerrechtlichen) Verpflichtungen gegenüber der NATO hinzuweisen, obwohl diese zweifellos existieren und weitreichende Konsequenzen für die Arbeit der Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden haben.
Übertragung von Hoheitsrechten an die NATO nach Art. 24 GG
Dabei sind bereits im Grundgesetz weitreichende Vorkehrungen aufgenommen über die Zusammenarbeit mit der NATO, bis hin zu einer Übertragung von Hoheitsrechten: Im Art. 24, Abs. 3 GG heißt es: „(2) Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.“Mit der Frage, ob es sich bei der NATO ein solches System „gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ handelt, hat sich das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach beschäftigt; bisher wurde sie im Wesentlichen bejaht [in [4], Art. 24, 4c].
Bündnisfall nach Art. 80a, Abs.3 GG
Im Zuge der Notstandsgesetze, denen u.a. auch die Einführung des G10-Gesetzes zu verdanken ist, wurde im Grundgesetz auch der Artikel 80a eingeführt. In einem Kommentar zum Grundgesetz [4] erfahren wir Näheres: Art. 80a GG regelt, dass „bestimmte Rechtsvorschriften des Grundgesetzes oder eines Bundesgesetzes [, sowie Rechtsverordnungen und Rechtsvorschriften], die der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung dienen“, (nur) im Fall des „äußeren Notstands“ zur Anwendung kommen dürfen.“ Drei Fälle werden dabei unterschieden:
- Der „Verteidigungsfall“ – ein erfolgter oder unmittelbar bevorstehender bewaffneter Angriff auf das Bundesgebiet,
- der „Spannungsfall“ – eine „Zeit schwerer außenpolitischer Konfliktsituationen“ mit „erhöhten internationalen Spannungen“, welche die Herstellung ‚erhöhter Verteidigungsbereitschaft’erforderlich“ macht,
Die Feststellung jedes der beiden Fälle setzt einen Beschluss des Bundestages mit Zweidrittelmehrheit voraus.
- Abweichend davon regelt Art. 80a, Abs 3 des Grundgesetzes, dass im so genannten „Bündnisfall“ die vorherige Zustimmung des Bundestages nicht erforderlich ist, wenn ein Beschluss vorliegt, „der von einem internationalen Organ im Rahmen eines Bündnisvertrages [sprich: der NATO] mit Zustimmung der Bundesregierung gefasst wird.“
Zum entsprechenden Beschluss des NATO-Rates über einen Bündnisfall muss für die Anwendung des Art. 80a, Abs.3 ein Beschluss des Bundeskabinetts hinzukommen, der öffentlich bekanntzumachen ist. Diese Regelung wurde, soweit meine Recherchen ergeben haben, bisher allerdings noch nicht angewendet, auch nicht bei Ausrufung des NATO-Bündnisfalls nach den Anschlägen vom 11. September.
Überrascht stellt man anhand dieser Auszüge aus deutschen Gesetzen fest, dass sich aus der Mitgliedschaft in der NATO gravierende Konsequenzen für die Aktivitäten der deutschen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden ergeben. Und man fragt sich, warum die Bundesregierung, anstelle ihrer spärlichen Antworten auf parlamentarische Anfragen nicht frank und frei erklärt, dass z.B. eine Zusammenarbeit zwischen BND und amerikanischen Diensten auf der Grundlage völkerrechtlicher Vereinbarungen geschieht?! Oder gibt es da etwas zu verbergen- z.B. hinsichtlich des Umfangs und der Ziele der nachrichtendienstlichen Überwachung?!
Die Entwicklung der aktuellen NATO-Strategie
Bei ihrer Gründung im Jahr 1949 durch zwölf westliche Staaten wurde die NATO bezeichnet als ein Verteidigungsbündnis gegen den Warschauer Pakt. Kritischere – und durchaus nicht „linke“ Stimmen – [5] sehen ihren Zweck in der „militärischen Durchsetzung und Absicherung kapitalistischer Expansion“: Die USA als führende Weltmacht nach dem 2. Weltkrieg habe damit ihre vom Krieg geschwächten europäischen Alliierten einbinden und die besiegten Industrieländer Deutschland und Italien in die kapitalistische Weltökonomie integrieren können. Nach dem Ende des Kalten Krieges veränderte sich die Situation für die NATO dramatisch: Der Warschauer Pakt hatte sich 1991 aufgelöst und damit entfiel ihre bisherige Aufgabe. Die NATO befand sich insofern in ganz ähnlicher Situation wie der BND zu dieser Zeit [wir hatten in diesem Beitrag einen Blick darauf geworfen]: Beide suchten – dringend – nach einer neuen tragfähigen Aufgabe, um ihr Dasein weiter legitimieren zu können. Unter dem Slogan „Gemeinsames Haus Europa“ und mit dem Programm „Partnerschaft für den Frieden“ bereitete die NATO – unter Führung der Vereinigten Staaten – ihre Erweiterung im Osten Europas vor. Dieses Ziel war nur folgerichtig aus Sicht der Vereinigten Staaten, sahen sie in Europa doch ohnehin schon lange „das gegenüberliegende Ufer“ zur Ostgrenze des eigenen Staatsgebiets. Je weiter sich dieses Ufer nach Osten verschieben ließ, desto mehr Distanz wurde geschaffen zwischen feindlichem oder nicht beeinflussbaren Ländern (also insbesondere Russland) und dem eigenen Staatsgebiet. Die naheliegende Maßeinheit für solche Überlegungen ist die Reichweite von mit Nuklearsprengköpfen oder anderen Massenvernichtungswaffen bestückten Raketen.
„Wir nehmen aktuell Verbündete auf“ konnten die USA jedoch schlecht aufs Plakat schreiben. Es wurde also stellvertretend die NATO aktiv, die zunächst einmal ein neues strategisches Konzept ausgab: Es fiel allerdings noch ziemlich schwammig aus: Von neuen „sicherheitspolitischen Herausforderungen und Risiken“ war die Rede, von „vielgestaltigen“ Sicherheitsrisiken“, die aus „vielen Richtungen“ kämen und von Risiken, die „auch auf ganz unterschiedliche Weise Gestalt annehmen“ könnten.
Bis zur nächsten NATO-Strategie – 1999 – blieb den US- bzw. NATO-Strategen ausreichend Zeit, ihr Konzept konkreter zu fassen: Wesentliche Erweiterung war die Aufhebung der Schranke aus Artikel 5 des NATO-Vertrages, der den Einsatz nur zur Verteidigung des Bündnisgebiets vorsah. Die USA forderten, dass die neue NATO-Strategie auch so genannte „out-of-area-Einsätze ermöglichen sollte, z.B. bei Krisen in der Golfregion oder in Taiwan; damit wurde eine Begründung geschaffen für den weltweiten Einsatz auch ohne völkerrechtliche Legitimation.
Konkreter gefasst war nun auch, was eigentlich unter „Bedrohungen“ und „Risiken“ zu verstehen sein sollte: Internationaler Terrorismus, Weiterverbreitung von Atomwaffen bzw. Massenvernichtungswaffen, vom Westen definierte „failing states“, Gefährdung wirtschaftlicher Interessen bzw. der Energie- und Rohstoffversorgung des Westens, weltweite Destabilisierungen und „Migrationsbewegungen“; dies alles wurde zusammengefasst als mögliche Begründung unter dem Schlüsselwort „Nicht-Artikel-5-Einsätze“.
Osterweiterung der NATO: Das Marketing unter dem Slogan „Gemeinsames Haus Europa“ bzw. „Partnerschaft für den Frieden“ trug 1999 erste Früchte: Polen, Tschechien und Ungarn wechselten als erste der ehemaligen Mitgliedsländer des Warschauer Pakts die Seiten. 2004 schlossen sich Bulgarien und Rumänien, die Slowakei und Slowenien, sowie die drei baltischen Staaten der NATO an und als – zunächst letzte – folgten 2009 noch Albanien und Kroatien. Auf dem „gegenüberliegenden Ufer“, nämlich in Europa, hatten die Amerikaner Verbündete gewonnen, deren Staatsgebiete zusammen einen mehrere tausend Kilometer breiten Puffer bildeten zwischen dem möglichen Angreifer Russland und der amerikanischen Ostküste.
Die Anschläge vom 11. September: Am 12. September 2001 beschloss der NATO-Rat, dass die Terrorangriffe als Angriffe auf alle Bündnispartner im Sinne der Beistandsverpflichtung des Artikels 5 des Nordatlantikvertrages zu betrachten seien. Damit war auch die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert, im Rahmen der kollektiven Selbstverteidigung zu Maßnahmen der Bündnispartner gegen den Terrorismus beizutragen. [6] Und im Oktober 2001 wurden auf einer geheimen NATO-Sitzung dann konkret die folgenden Maßnahmen vereinbart:
- Die umfassende nachrichtendienstliche Zusammenarbeit der NATO-Mitglieder unter der operativen Führung der CIA
- die Gewährung der völligen Immunität für Agenten, die in diesem Zusammenhang tätig sind
- und Behandlung dieser Maßnahmen unter der höchsten Geheimhaltungsstufe [Das könnte die zurückhaltende Informationspolitik der Bundesregierung erklären / d. Verf.]
Darüber waren nach Einschätzung des Schweizer Geheimdienstexperten Dick Marty selbst bei höchster Geheimhaltungsstufe der Regierungschef, der Innenminister, der Verteidigungsminister und der politisch Verantwortliche der Regierung für die Geheimdienste, im Falle Deutschlands also der Chef des Bundeskanzleramts informiert.
Nach dem 11. September 2001: „Umfassende nachrichtendienstliche Zusammenarbeit …“
Die Anschläge vom 11. September und der daraufhin vom amerikanischen Präsidenten Bush ausgerufene „Krieg gegen den Terror“ veränderten das gesamte sicherheitspolitische Umfeld in der westlichen Welt. Für eine NATO, die sich im Prozess der Neuorientierung befand, eröffneten sich dadurch Chancen, weil die zuvor nur abstrakt zu benennenden „Bedrohungen“ nun konkreter darstellbar wurden. Internationaler Terrorismus oder die mögliche Verfügbarkeit von Massenvernichtungswaffen in der Hand von Schwellenländern oder „sonstigen Gruppierungen“ waren begreifbar und auch gegenüber Presse und Öffentlichkeit vermittelbar als Begründung. Dies umso mehr, als es auch wiederholt zu Terroranschlägen mit großen Opferzahlen kam, wie z.B. in London oder Madrid.
Mit klassisch militärischem Instrumentarium ist solchen Bedrohungen nicht beizukommen: Anschlägen auf den Nahverkehr von Metropolen, Sabotage von staatlichen Informationssystemen, Angriffe auf Telekommunikations-Infrastrukturen oder Energieversorgungseinrichtungen, Spionage und „Hackerattacken“ gegenüber Regierungseinrichtungen, u.v.a. zählten spätestens seit dem NATO-Konzept von 2002 zu den Bedrohungsszenarien, die einzugrenzen, sich die „neue NATO“ zum Ziel gesetzt hatte. Der Begriff der „asymmetrischen Kriegsführung“ ging ein in die breiter werdende öffentlich und politische Diskussion. Er bezeichnet die Auseinandersetzung zwischen Parteien, die waffentechnisch, organisatorisch und strategisch stark unterschiedlich ausgerichtet sind.
Die NATO musste für diese Art der Kriegsführung aufrüsten, allerdings nicht (nur) im bisher gepflegten militärischen Bereich, sondern vor allem bei der Intelligence, des nachrichtendienstlichen Wesens der NATO. Ihr Auf- und Ausbau wurde zur „treibenden Kraft für den Transformationsprozess der gesamten Organisation“ [7]
Comprehensive approach / vernetzte Sicherheit
2007 legten fünf führende NATO-Strategen ein Konzeptpapier vor mit dem pompösen Titel „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World – Renewing Transatlantic Partnership“ [8]. Zu den Autoren zählt u.a. Klaus Naumann, ehemaliger Vorsitzendes der NATO-Militärausschusses und Generalinspekteur der Bundeswehr und John Shalikashvili, Vorsitzender des Vereinten Generalstabes der US-Streitkräfte. Sie forderten unter dem Motto einer „Neuen NATO“ die Runderneuerung des Bündnisses und eine intensivere Form der zivil-militärischen Zusammenarbeit.
„Comprehensive approach“, zu deutsch „vernetzte Sicherheit“ wurde zum Schlüsselbegriff des neuen strategischen Konzepts der NATO. Ziel war die wesentlich bessere Vernetzung von zivilen (Sicherheits-)Behörden und Militär, sowie eine umfassende Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten aller NATO-Mitglieder und Kooperationspartner – unter Führung der amerikanischen Dienste und der dort geübten Verfahren.
Als ein erster Schritt wurde Ende 2006 das NATO Intelligence Fusion Center in Molesworth/England eröffnet, eine Einrichtung, in der nachrichtendienstliche Erkenntnisse aus 17 NATO-Staaten zusammenlaufen und ausgewertet werden. „Der Zweck dieser Einrichtung ist teilen, nicht abschotten“, sagte der Oberkommandierende der NATO in Europa bei der Eröffnung [9] unter Anspielung auf die bis dahin geübte Praxis unter den Nachrichtendiensten. Gegenseitiges Vertrauen und Zusammenarbeit seien „wesentlich für den gemeinsamen Erfolg“ und „man kann nur rausholen, was hineingesteckt wurde“.
Cyber security und Information Warfare
Cyber security bzw. Cyber defence ist ein weiterer Eckpfeiler der neuen NATO-Strategie. Mit der wachsenden Nutzung des Internet hatten Hackerangriffe, im NATO-Terminus als „Cyber attacks“ bezeichnet, gegen US- und NATO-Einrichtungen erheblich zugenommen. Bei der NATO versteht man sie als Teil der elektronischen Kriegsführung, wozu Angriffe gegen Kommunikationseinrichtungen und Computer zählen, wie auch dadurch herbeigeführte Systemunterbrechungen und -ausfälle, Ausspähungen, Eindringen durch Unbefugte, und der Diebstahl von Software und Dokumenten, sowie Patenten und sonstigem geistigem Eigentum.
Ziele solcher Cyberangriffe sind nicht nur Regierungseinrichtungen, sondern z.B. auch die New York Stock Exchange oder die NASDAQ, die Washington Post, die Amerikanische Handelskammer oder auch Google, Yahoo oder Amazon [, was widerum deren Bereitschaft zur Kooperation mit den amerikanischen Diensten erklären könnte / d. Verf.]. In den Vereinigten Staaten wurde zur Abwehr solcher Angriffe im Juni 2009 das US Cyber Kommando (CYBERCOM) eingerichtet, das unter der Führung der National Security Agency steht und technisch unterstützt wird durch DARPA, die Forschungs- und Entwicklungsagentur des US-Verteidigungsministeriums. CYBERCOM ist dafür zuständig, die Schutz- und Verteidigungsmaßnahmen für US-Einrichtungen zu organisieren und zu koordinieren, unternimmt aber seinerseits auch Angriffe auf ausländische bzw. feindliche Systeme und Angreifer.
Nach Cyberangriffen durch Russland gegen Estland im Jahr 2007 und entsprechenden Angriffen auf deutsche Regierungseinrichtungen aus China, wurde auch auf NATO-Ebene beschlossen, mehr für Cyber security der NATO-Mitgliedsstaaten zu tun. Auch auf diesem Gebiet ist die NATO jedoch abhängig von der Leistung entsprechender Einrichtungen auf nationaler Ebene und insbesondere vom oben erwähnten US CYBERCOM-Center. In Deutschland beispielweise wurde zeitgleich damit DBT-Drucksache 17/14560 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion „Abhörprogramme der USA und Umfang der Kooperation der deutschen Nachrichtendienste mit den US-Nachrichtendiensten“ implementiert, die nationale Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen.
Future Group der EU, „Vision 2015“ der USA und die NATO-Strategie 2010 – ein integrierter Gesamtansatz
Nicht nur am Beispiel Cyber security zeigt sich, dass Europäische Union, Vereinigte Staaten und NATO in der Sicherheitspolitik konzertiert vorgehen und am selben Strang ziehen: In Europa war es die Future Group, die vom damaligen Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft initiiert worden war. In Amerika entstand zur gleichen Zeit das Konzept für ein “U.S. Intelligence Enterprise” mit dem Titel „Vision 2015“ . Wir hatten diese Kooperation DBT-Drucksache 17/14560 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion „Abhörprogramme der USA und Umfang der Kooperation der deutschen Nachrichtendienste mit den US-Nachrichtendiensten“ ausführlicher beleuchtet. Die beiden Konzepte wurden im Abstand von wenigen Wochen im Sommer 2008 vorgestellt und sind inhaltlich eng aufeinander abgestimmt. Das bisher fehlende Glied in der Troika der Konzepte bildete dann das Süddeutsche Zeitung, 13.09.2013: Verfassungsschutz beliefert NSA.
Dieses neue Strategiekonzept des Bündnis wurde auf dem NATO-Gipfel im November 2010 in Lissabon feierlich von den Regierungschefs der NATO-Mitgliedsländern unterzeichnet. Die Unterschrift für die Bundesrepublik Deutschland leistete Bundeskanzlerin Merkel.
Eine Woche zuvor hatten die Fraktionen von SPD, Grünen und Linken Entschließungsanträge im Deutschen Bundestag eingebracht. Sie enthielten Forderungen an die Bundesregierung an konkrete Verhandlungsinhalte beim NATO-Gipfel (SPD und Grüne), während die Linke zwei Anträge einbrachte, nämlich zum einen, das Strategiekonzept in Gänze abzulehnen und zum zweiten das Dokument vor der Zustimmung durch die Bundesregierung im Parlament zur Abstimmung vorzulegen.
Sämtliche Anträge der Opposition wurden mit den Stimmen der Mehrheit der schwarz-gelben Koalition abgelehnt. [10]
Dass es aus Sicht von NATO-Strategen opportun erscheint, die NATO-Strategie möglichst klammheimlich umzusetzen, ergibt sich aus einer Nebenbemerkung im pompösen Konzeptpapier „Towards a Grand Strategy …“ [8] der fünf ehemaligen NATO-Befehlshaber. Sie drücken ihre Zufriedenheit damit aus, dass es in der Europäischen Union gelungen sei, den Vertrag von Lissabon [, also den reformierten EU-Vertrag,] „einzuschmuggeln“ „ohne dass die Europäischen Wähler in dieser Angelegenheit befragt werden müssen.“ Günther Weiße, ein Fachmann für fernmelde- und elektronische Aufklärung, nach eigenen Angaben langjähriger Mitarbeiter der Bundeswehr, bei der NATO, beim „Amt für Nachrichtenwesen“ und im Stab des Bundesverteidigungsministeriums und Autor eines jüngst erschienenen kenntnisreichen Fachbuchs mit dem Titel „Totale Überwachung“, [erschienen im Ares Verlag], bringt in einem Artikel mit seinem Ko-Autor Juhl [7] die Sache auf den Punkt:
In den vergangenen Wochen haben alle drei Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag umfangreiche Anfragen zum „NSA-Komplex“ an die Bundesregierung gerichtet. Die wesentlichen Fragen blieben – jedenfalls in den öffentlich nachlesbaren Antworten – unbeantwortet. Die Bundesregierung machte dafür Geheimhaltungsbedürfnisse geltend, verwies auf ein von ihr proklamiertes „Staatswohl“ und machte geltend, dass „die Offenlegung der entsprechenden Informationen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen“ könne.
Vieles spricht allerdings dafür, dass die Informationsverweigerung der Bundesregierung vor allem den Zweck verfolgt, nach wie vor geheim zu halten, in welchem Umfang Deutschland im Rahmen der NATO und in bilateralen Kooperationen mit anderen NATO-Mitgliedern zur umfassenden Totalüberwachung der eigenen Bevölkerung und der anderer NATO-Staaten beiträgt.
Quellen zu diesem Beitrag
[1] Spiegel Online, 08.09.2013, CIA und deutsche Dienste betrieben jahrelang Geheimprojekt[2] Expansion und Eskalation: 60 Jahre Nato, Blätter für deutsche und internationale Politik
[3] DBT-Drucksache 14/7296: Antrag der Bundesregierung: Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA …
[4] Schmidt-Bleibtreu, Klein: Kommentar zum Grundgesetz, Luchterhand, 10. Auflage
[5] Chancen und Risiken eines Nachrichtendienstes der Europäischen Union – Günther K. Weiße und Felix Juhl, Sandfire AG, 2011
[6] ; Towards a Grand Strategy for an Uncertain World – Renewing Transatlantic Partnership, 2007, Noaber Foundation, by General (ret) Dr. Klaus Naumann, Former Chief of Staff of the Defence Staff German, Former Chairman Military Committe NATO General (ret.) John Shalikashvili, Former Chairman of the Joint Chiefs of Staff of the U.S. and Former NATO Supreme Allied Commander in Europe et. al.
[7] NATO Intelligence Fusion Center opens in England, 17.10.2006, Stars and Stripes
[8] Debatte im Deutschen Bundestag am 13. November 2010 zum Strategiekonzept 2010 der NATO, AG Friedensforschung
[9] NATO Intelligence Fusion Center opens in England, 17.10.2006, Stars and Stripes
[10] Debatte im Deutschen Bundestag am 13. November 2010 zum Strategiekonzept 2010 der NATO, AG Friedensforschung
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