Koalitionsversprechungen – vom Mittelstand zu bezahlen

Ob die Entscheidung der SPD-Mitglieder tatsächlich für die Umsetzung der Versprechungen in der Koalitionsvereinbarung sorgen wird, ist fraglich. Denn „gegen meinen Willen … konnten Sie echt nichts durchsetzen“ kanzelte Frau Merkel die SPD erst vor wenigen Monaten ab. Dramatische Auswirkungen ergeben sich jedoch sicher für die „Leistungsträger“ im Mittelstand: Vor allem sie sind es, die die Steuern aufbringen müssen, mit denen die Versprechungen bezahlt werden sollen. Ein bisher weitgehend unbemerkt eingeführtes neues Folterinstrument aus dem Finanzministerium namens GOBD stellt alle Selbstständigen und Unternehmen unter den Generalverdacht der Steuerhinterziehung. Den sie nur durch die Einführung von vorgeschriebenen, extrem zeit- und kostenaufwändigen Verfahrens- und Formvorschriften wirksam entkräften können. | Lesedauer: 15 Minuten

Zugegeben, es hat diesmal ziemlich lange gedauert, bis auch die SPD ihr Stimmverhalten in der Regierungskoalition für die nächsten vier Jahre geklärt hatte. Und es wurde langsam Zeit. Denn die BRD ist immerhin ein „Unternehmen“, das allein im Jahr 2017 Steuereinahmen von rund 675 Milliarden Euro [a] generieren konnte.

Die Entscheidung lag bei einer Kohorte von IM DURCHSCHNITT 60 Jahre alten SPD-Mitgliedern

Es stand ja durchaus auf der Kippe mit dieser Entscheidung. Umso glücklicher fügte es sich, dass die SPD-Vertreter noch einen Pfeil im Köcher hatten, dessen Wirksamkeit sich schon 2013 bestens bewährt hatte – nämlich den „Mitgliederentscheid“. Von der SPD-Führungsriege verkauft als Gipfel der Basisdemokratie. Wobei die Nahles‘ und Scholz‘ und andere Mitglieder im SPD-Vorstand sich hundertprozentig verlassen konnten auf die Uninformiertheit bzw. Unaufgeklärtheit des deutschen Fernsehzuschauers: Dem weder die Tagesschau noch die Mitglieder im SPD-Vorstand auf die Nase banden, dass die jetzt zur Abstimmung aufgerufenen SPD-Mitglieder IM DURCHSCHNITT 60 Jahre alt sind. Und auch nicht, dass diese Gruppe gerade mal 0,75% aller Wahlberechtigten zum Deutschen Bundestag ausmachte.

Fragen von Kinderbetreuung, Bildungschancen, wachsender Ungleichheit, Unsicherheit des Arbeitsplatzes durch explosionsartig vermehrte, befristete Arbeitsverhältnisse und kaum mehr zu bezahlende Mieten bei einem zu geringem Wohnungsangebot, sowie die klimatischen Bedingungen in Mitteleuropa bzw. auf der Erde im Jahre 2030ff können einem ziemlich egal sein, wenn man über 60 ist, sein Leben lang Arbeitnehmer war, dem Ruhestand im eigenen Heim entgegensieht oder den schon genießt. Denn diese Lebenssituation lässt nicht erwarten, dass man/frau selbst solche Probleme noch bekommen könnte. „Das mit den Kindern“?! „Ach Gott, auch wir mussten schauen, wie wir durchkommen!“ Insofern war das Abstimmungsverhalten der sehr speziellen Kohorte der SPD-Mitglieder SEHR absehbar. Trotz der wackeren Bemühungen von Herrn Kühnert und Genossen. Und lieferte daher auch zuverlässig das ab, was zu erwarten war, nämlich die Zustimmung zur nächsten Großen Koalition unter der Führung von Angela Merkel.

Die angeblichen „SPD-Inhalte“ in der Koalitionsvereinbarung

Um den Ganzen den Anstrich von rein sachlichen Abwägungen und darauf fußender Entscheidung zu geben, hatte man diesmal die Koalitionsvereinbarung schon VOR der SPD-Mitgliederbefragung verhandelt. Das war im Schnelldurchgang möglich: Denn den Mitgliedern in den Verhandlungsteams auf beiden Seiten war klar, dass die Politfunktionäre auf Seiten des SPD-Teams einerseits „sozialdemokratische“ Inhalte auf diesem Papier für ihre Mitglieder präsentieren können mussten. Und andererseits für ihre jeweilige persönliche Position eine Absicherung erwarteten, welche allein eine sicherere Alternative zu den sonst absehbaren Neuwahlen und dem daraufhin folgenden Abschied aus dem Bundestag für sich selbst und viele Fraktionskollegen bedeutet hätten.

Was die Erfolge auf dem Papier anlangt, setzte die SPD-Führung eine weiteres Mal – erfolgreich – auf Uninformiertheit und Vergesslichkeit. Vergessen ist insbesondere der ebenso ungezogene, wie höhnische Ausspruch von Kanzlerin Merkel in der letzten Bundestagssitzung im September 2017: Als sie dem seinerzeitigen SPD-Generalsekretär Hubertus Heil auf dessen Zwischenruf vorhielt: „Gegen meinen Willen und den der Unionsfraktion konnten Sie in diesem Parlament echt nichts durchsetzen.“ Das war am Ende der Wahlperiode, in der die große Koalition unter der Kanzlerin Merkel nur durch den SPD-Mitgliederentscheid (2013) möglich geworden war [1]. Diesen Schlag ins Gesicht ihres Koalitionspartners, der SPD-Mitglieder und aller Wähler konnte sich die Kanzlerin so ungestraft leisten, WEIL sie darauf setzen kann, dass Zugehörigkeit zur nächsten Regierungskoalition für SPD-Politfunktionäre sowieso und für viele SPD-Mitglieder erkennbar VIEL WICHTIGER ist als jede inhaltliche Forderung.

Die angeblichen sozialdemokratischen Inhalte bei den Koalitionsverhandlungen – FDP-Chef Linder soll von „70 Prozent SPD-Handschrift“ gesprochen haben – werden sich erst am Ende dieser Regierungsperiode messen lassen. Erst dann wird feststellbar sein, was aus den vielen Wir wollen„-Absichtserklärungen in der Koalitionsvereinbarung tatsächlich umgesetzt wurde. Doch schon in der letzten Wahlperiode hat die SPD-Fraktion ja – für Beobachter geradezu schmerzlich – demonstriert, dass ihre Treue zur Einhaltung des Koalitionsversprechens für sie über alles geht: Sowohl über eventuell früher einmal vorhandene ’sozialdemokratische‘ Prinzipien, als auch über prinzipielle demokratische Regeln: Denn Vereinbarungen am Anfang einer Legislaturperiode über ein gemeinsames, zuvor vereinbartes Abstimmungsverhalten in vielen wichtigen Sachfragen in den nächsten vier Jahren sind im Grundgesetz aus gutem Grund NICHT vorgesehen. Doch auch das ficht die SPD und ihre Mitglieder nicht an. Hauptsache – „Wir regieren weiter mit …“

Die neue politische Dynamik im Bundestag, nicht nur der AfD zu verdanken

Die tatsächliche Umsetzung der angeblichen SPD-Inhalte bei den Koalitionsverhandlungen wird der Dynamik der parteipolitischen Entwicklungen unterliegen. Die SPD verliert schon jetzt stetig weiter an Zuspruch bei den Wählern, die AfD gewinnt weiter an Zustimmung. Nicht unbedingt, weil ihr Wahlprogramm oder das Auftreten der AfD-Vertreter im Bundestag so überzeugend wäre: Denn aktuell stehen sicher wichtigere Themen an als die Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz oder eine „Missbilligung“ des endlich aus türkischer Haft freigekommenen Journalisten Deniz Yücel durch die Bundesregierung. Beides war Gegenstand von AfD-Anträgen in jüngster Zeit.

Am Beispiel Cottbus lässt sich gerade ablesen, warum die AfD – ohne viel eigenes Zutun – an Zustimmung gewinnt. Sie hat es dort inzwischen nach aktuellen Umfragen auf 29% gebracht [2]. Maßgeblich deshalb, weil sich viele Cottbuser Bürger seit Jahren im Stich gelassen fühlen von einer (übrigens SPD-/Links-) geführten Landesregierung. Auch, aber nicht nur im Umgang mit sehr vielen Asylbewerbern, die man dieser >100.00-Einwohner- und Universitäts-Stadt aufs Auge gedrückt hat, ohne zeitgleich parallel seitens der Landesregierung für die Beistellung der notwendigen, finanziellen, personellen, rechtlichen, polizeilichen und infrastrukturellen Ressouren zu sorgen.

Auch die CSU wird (erneut) verlässlich ihren Teil zur Dynamik beitragen

Absichtserklärungen in der Koalitionsvereinbarung, die im „sozial“-„demokratischen“ Eck einsortiert sein mögen, werden unter starken Druck geraten und viele davon werden sich in Luft auflösen, wenn die CSU in Bayern noch stärker den Wind der Missbilligung ihrer Stammwähler spürt und daher den Verlust ihrer Mehrheit bei der Wahl im Herbst 2018 zum Bayerischen Landtag befürchten muss. Da die CSU-Stammwählerschaft von vielen Strömungen hofiert wird – die AfD zählt dazu, aber genauso auch Grüne, FDP und – in Bayern sogar auch – die SPD und Linke – wird ein CSU-Team im Kabinett unter Führung des bisherigen bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer und des derzeitigen CSU-Generalsekretärs Scheuer (angeblich gesetzt als nächster Vertreter der Automobilindustrie in der Bundesregierung Bundesverkehrsminister) mit Forderungen im Parteiprogramm jeder Konkurrenzpartei wildern, wenn dies kurzfristig den Gewinn von Wählerstimmen in Bayern verspricht.

Versprechen in der Koalitionsvereinbarung – bezahlt von Steuerpflichtigen, die sich nicht wehren können

Die Zugeständnisse, die die C-Parteien der SPD in der Koalitionsvereinbarung gemacht haben, werden viel Geld kosten. Wenn sie denn umgesetzt werden. Natürlich bringt dieses Geld nicht die CDU/CSU auf. Vorgesehen ist – wieder einmal, dass „DER STEUERZAHLER“ für entsprechende Ausgaben aufzukommen hat.

Bestimmte Bevölkerungsgruppen zur Melkkuh zu machen, ist ein ebenso simples, wie verlässliches Erfolgsmodell aus Sicht der Bundesregierung (siehe dazu auch [A]): Denn kaum einer der Millionen „normalen“ Steuerzahler kann vor solcher Inanspruchnahme flüchten. Egal, ob er als Arbeitnehmer Lohnsteuer zahlt (Abführung durch den Arbeitgeber), als Selbstständiger oder Freiberufler einkommenssteuerpflichtig ist (festgelegte Vorauszahlungen ans Finanzamt), ob das kleine oder mittelständische Unternehmen zur Körperschaft veranlagt wird (festgelegte Vorauszahlungen an das Finanzamt, sowie für die Gewerbesteuer an die Gemeinde) oder ob jeder von uns einkaufen geht und die Umsatzsteuer für Waren und Dienstleistungen gleich an der Kasse erhoben wird. Die Abführung von Steuern folgt zeitnah und unausweichlich.

Die GOBD: Noch viel zu wenig bemerktes, neues Folterinstrument zur Steuereintreibung

Damit das auch wirklich lückenlos – und zunehmend vollautomatisiert – funktioniert, hat der langjährige Innen-, dann Finanzminister Schäuble ein perfide-effektives Konzept der Selbst-Überwachung von Steuerpflichtigen installieren lassen: Es nennt sich harmlos „Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GOBD)“. Und kam, Ende 2014, in Form eines unscheinbaren Erlasses aus dem Bundesfinanzministerium daher [3].

Die GOBD betrifft jeden Freiberufler, Selbstständigen und Betriebe jeder Rechtsform und Größe

Dieser Erlass überzieht alle Steuerpflichtigen, die bis dato nicht ohnehin schon, wie die unselbstständigen Arbeitnehmer, einem unausweichlichen Vorweg-Steuerabzug durch den Arbeitgeber unterliegen, mit einem Moloch an Dokumentations-, Form- und Verfahrensvorschriften darüber, wie sie ihre Buchhaltung zu führen und ihre Belege zu ordnen und abzulegen haben. Die GOBD betrifft jeden freien Journalisten oder Grafiker, den kleinen Vermieter der für das Alter erworbenen Eigentumswohnung, alle sonstigen Freiberufler und Selbstständigen, sowie kleine und mittelständige Unternehmen jeder Rechtsform und Betriebsgröße. Die meisten Betroffenen haben dies auch drei Jahre nach der Einführung noch gar nicht bemerkt oder entsprechende Hinweise ihres Steuerberaters längst verdrängt.

Die Macher der GOBD hegen einen Generalverdacht

Den nämlich, dass potenziell jeder Steuerpflichtige Ertrags- und Umsatzsteuern hinterzieht, indem er nicht alle Einkünfte bucht bzw. Buchungen nachträglich kreativ und zu Ungunsten des Finanzamts gestaltet. Daher sind jetzt harte Regeln vorgegeben, dass sämtliche buchungsrelevanten Belege zeitnah so zu erfassen sind, dass eine nachträgliche Manipulation unmöglich wird. Zu dem Zweck ist die Anschaffung und der Betrieb eines GOBD-sicheren (teuren) Dokumentenmanagementsystems für jeden Steuerpflichtigen praktisch unverzichtbar. Entsprechende Belege müssen – auch die elektronischen – zehn Jahre vorgehalten werden. Und damit sich das Finanzamt bei einer Betriebsprüfung leichter tut, ist eine Schnittstelle zum Abruf der Daten für das Finanzamt vorzusehen [b].

Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Kritik an der GOBD richtet sich nicht gegen eine ordnungsgemäße Besteuerung. Sondern dagegen, dass der gesamte Mittelstand, der in Politikerreden sonst ja gerne als der „Leistungsträger“ in der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet wird, unter Generalverdacht gestellt UND DAHER mit immens aufwändigen Pflichten überzogen wird. Die bei vielen Betroffenen die Frage aufkommen lassen, ob sie in Zukunft ihrem Geschäft nachgehen oder sich hauptsächlich um die Einhaltung der GOBD-Pflichten kümmern sollen.

Die Verfahrensdokumentation – Bedienungsanleitung für den Betriebsprüfer

Damit sich der Betriebsprüfer vom Finanzamt besser auskennt beim jeweiligen Steuerpflichtigen, ist eine Verfahrensdokumentation zu erstellen und jeweils aktuell fortzuschreiben. Dabei handelt es sich sozusagen um eine Bedienungsanleitung für den einzelnen Steuerpflichtigen bzw. Betrieb, in der genau zu beschreiben ist, wie Ausgangsrechnungen zu erstellen sind (Word ist ganz schlecht dafür, das nur am Rande!) und weiter zu verarbeiten sind, wie alle sonstigen buchhaltungsrelevanten Vorgänge im Betrieb standardisiert durchgeführt werden, wer wofür verantwortlich ist und auf welchen IT-Systemen welche Prozesse ablaufen und Daten bzw. Dokumente gespeichert werden.

Die GOBD als Folterinstrument: Wer sie ignoriert, muss mit „Zuschätzungen“ und Steuernachzahlungen rechnen

Vor allem kam es aus Sicht der Steuereintreibungsabteilung aus dem Bundesfinanzministerium darauf an, scharfe Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten nun auch über alle Freiberufler, selbstständigen, sowie klein-und mittelständischen Betriebe zu erlangen. Also über die, die ohnehin nicht flüchten können. Sollte nach Einführung der GOBD bei einer Betriebsprüfung festgestellt werden, dass diese Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung … nicht umgesetzt und dokumentiert sind, so kann das Finanzamt „Zuschätzungen“ vornehmen, d.h. die seiner Meinung nach korrekt ermittelten Gewinne und die sich daraus ergebende Umsatzsteuer schätzen und vom Steuerpflichtigen/Betrieb kurzfristig die entsprechend festgesetzte Nachzahlung verlangen. Rechtsmittel sind natürlich weiterhin möglich, ändern aber nichts daran, dass zunächst einmal gezahlt werden muss. Was manchen Unternehmer an den Rand der Insolvenz oder darüber hinaus treiben kann.

Ihre Annahme, verehrter Leser, dass bei der Formulierung dieses Textes der Autorin die Phantasie durchgegangen seien, ist leider nicht richtig. Das und noch viel mehr [b] steht in der GOBD, nur vermeiden die meisten Steuerberater bisher, ihre Mandanten damit zu konfrontieren. Dahinter mag bei den Steuerberatern Sorge um die eigene physische Sicherheit und psychische Gesundheit stecken …

Versprechungen in der Koalitionsvereinbarung – verlässlich finanziert durch sichere Steuereinnahmen dank GOBD

In der Koalitionsvereinbarung wurden viele Projekte vorgesehen, die viel (Steuer-)Geld kosten werden. Für die Umsetzbarkeit einer solchen Politik aus dem Steuer-Füllhorn, ist die GOBD ein elementar wichtiger Baustein. Denn das Geschäftsmodell der Bundesregierung beruht ja darauf, dass Einnahmen vor allem aus solchen Steuerpflichtigen generiert werden, die – TINA, d.h. there is no alternative! – sich der Steuererhebung nicht durch Flucht entziehen können. Zum Beispiel, weil sie hier ein Haus gebaut haben, ihre Kinder hier zur Schule gehen, weil ihr Handwerksbetrieb hier ansässig ist oder sie das Kaufhaus oder den Lebensmittelmarkt in der nächsten Stadt betreiben. Deren Einkünfte werden die Grundlage für die Besteuerung und sorgen so für einen steten Fluss an staatlichen Einnahmen.

Der gut gefüllte Steuersäckel zur freien Disposition durch die Bundesregierung

Welche dann für polit-taktische Zwecke eingesetzt werden können: Wenn das notwendig ist, bei Koalitionsvereinbarungen. Oder um Bad Banks aus einer HSH Nordbank herauszulösen, für deren Folgen der Steuerzahlen zu bezahlen haben wird. Oder um aus den Steuereinnahmen der gebeutelten, verarmten und vom Diesel-Skandal schwer geschädigten Autoindustrie in Zukunft finanziell unter die Arme zu greifen.

Profiteure von Steuerflucht und das Märchen von der Einheitlichkeit der Besteuerung

Solche Steuergeschenke fallen der Vorstandsvorsitzenden und ihren Kollegen umso leichter, als eine Kontrolle im Hinblick auf tatsächliche Notwendigkeiten oder Effektivität staatlicher Ausgaben allenfalls auf dem Papier existiert. Zumal mögliche andere Einnahmen für den Steuersäckel gegen den Willen der Macher im Bundesfinanzministerium nicht erzwungen werden können, wie zuletzt das Beispiel Cum Ex gezeigt hat. Da soll der Fiskus willentlich auf mögliche Steuereinnahmen in Höhe von mehr als 20 Milliarden Euro verzichtet haben. Und Cum Ex ist nicht das einzige Beispiel dieser Art: Theoretisch gibt es andere potenziell extrem ergiebige Steuereinnahme-Quellen: Z.B. in Form eines Großunternehmens, wie Amazon, das in Deutschland Milliardenumsätze pro Jahr generiert. Seine Gewinne, bzw. das, was in der Steuererklärung davon übrig bleibt, allerdings in Luxembourg versteuert. Wo der heutige EU-Kommissionspräsident und ehemalige luxemburgische Finanzminister und spätere Premierminister Jean-Claude Juncker für vorteilhafte Konditionen – aus Sicht von Amazon – gesorgt hat. Gleiches gilt sinngemäß für Apple und seine Verkäufe in Deutschland.

Die Einnahmen jedes Händlers in Deutschland sind, auch dank im vergangenen Jahr im Gefolge der GOBD neu eingeführten strengen Regeln für die (elektronische) Kassenführung, lückenlos kontrollierbar. Und damit auch die zeitnahe Abführung der auf jeden Kaufpreis erhobenen Umsatzsteuer spätestens zwei Monate später an das Finanzamt. Auch dieses System können Online-Händler, wie Amazon (und deren Handelspartner) leicht unterlaufen und – so berichtete die Tagesschau vor wenigen Wochen [4] – den deutschen Fiskus damit um einen Milliardenbetrag hintergehen. Die Bundesregierung unternimmt nichts dagegen. Liegt es daran, dass sie nicht „MUSS“? Weil zu viele andere Steuerpflichtige vorhanden sind, die leicht in Anspruch genommen werden können, weil sich nicht flüchten können?!

Weniger als 5% der Fraktionsmitglieder von CDU/CSU und der SPD im aktuellen deutschen Bundestag sind Unternehmer. Auch die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands rekrutieren sich traditionell NICHT aus dem Lager von Selbständigen oder Mittelständlern. Die Auswirkungen ihrer an einseitigen Interessen orientierten Entscheidung auf den in Sonntagsreden gerne als Leistungsträger bezeichneten Mittelstand sind absehbar und – sie werden desaströs sein.

Fußnoten

[a]   Von den rund 675 Milliarden Steuereinnahmen im Jahr 2017 entfielen rund 100 Milliarden auf den Bund allein, rund 22 Milliarden auf die Länder und 547 Milliarden wurden aufgeteilt als so genannte Gemeinschaftssteuern. Zu den letzteren gehören die Umsatzsteuer (226 Milliarden), die Lohnsteuer (~195 Milliarden), die Einkommenssteuer (~59 Milliarden), sowie die Körperschaftssteuer (~ 29 Milliarden). Daten übernommen aus Steuereinnahmen nach Steuerarten, Bundesministerium der Finanzen

[b]   Einzelheiten des 37-seitigen GOBD-Erlasses sind hier natürlich nicht dargestellt, ändern aber nichts an der hier vorgenommenen Charakterisierung.

Verwandte Beiträge

[A]   Hommage an Wolfgang Sch.: Das Geschäftsmodell der Bundesregierung AG, 22.09.2017, CIVES
https://cives.de/das-geschaeftsmodell-der-bundesregierung-ag-6334

Quellen

[1]   Angela Merkel „Gegen meinen Willen konnten Sie echt nichts durchsetzen“, 05.09.2017, Welt Online
https://www.welt.de/politik/deutschland/article168351986/Gegen-meinen-Willen-konnten-Sie-echt-nichts-durchsetzen.html

[2]   Umfrage: AfD käme in Cottbus auf 29 Prozent, 01.03.2018, Berliner Zeitung
https://www.berliner-zeitung.de/berlin/umfrage–afd-kaeme-in-cottbus-auf-29-prozent-29802554

[3]   Grund­sät­ze zur ord­nungs­mä­ßi­gen Füh­rung und Auf­be­wah­rung von Bü­chern, Auf­zeich­nun­gen und Un­ter­la­gen in elek­tro­ni­scher Form so­wie zum Da­ten­zu­griff (GoBD), 14.11.2014, Bundesministerium der Finanzen
http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Weitere_Steuerthemen/Abgabenordnung/Datenzugriff_GDPdU/2014-11-14-GoBD.pdf

[5]   
Umsatzsteuer bei Amazon Chinesische Händler im Visier der Fahnder, 04.01.2018, Tagesschau
http://www.tagesschau.de/wirtschaft/amazon-china-101.html

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