Innenministerkonferenz beschließt „grundlegende Modernisierung des Informationsmanagements der deutschen Polizei“

— Update vom 1.12.2016, 04.30 Uhr —
Bei der Abschluss-Pressekonferenz der Herbsttagung der Innenminister kündigten der IMK- Vorsitzende und der Bundesinnenminister ein „fachliches und technisches Gesamtsystem“ für die Polizei der Länder und des Bundes an. Was da mit großem Optimismus vorgetragen wurde (wir dokumentierten den Originalton …), verschleiert völlig, dass das aktuelle Projekt mit dem gleichen Ziel – es heißt Polizeilicher Informations- und Analyseverbund (PIAV) – komplett gescheitert ist und dass es bei der aktuellen desaströsen Situation des Informationsaustauschs zwischen Bund und Ländern noch auf Jahre bleiben wird.

Zunächst das Transkript von der Abschluss-Pressekonferenz der Herbsttagung der Innenminister vom 30.11.2016. Denn den Originalton der Ankündigungen der Minister Bouillon und De Maizière zum „Beschluss 24“, der Modernisierung des polizeilichen Informationsmanagements, wollen wir Ihnen nicht vorenthalten.
Darauf folgt unsere erste Bewertung dieser vollmundigen Ankündigungen und der Hinweis auf das, was völlig fehlte: Nämlich jeglicher Hinweis auf das offensichtliche Scheitern des PIAV, des Polizeilichen Informations- und Analyseverbunds.

„Saarbrücker Agenda zur Digitalisierung der Inneren Sicherheit“

Das ist der offizielle Titel der Ankündigungen, die auf der Abschluss-Pressekonferenz der Herbsttagung der Innenminister von Bund und Ländern gemacht wurden. Wir dokumentieren den Original-Wortlaut der beiden Minister mit dem folgenden Transkript:

Einführung von Klaus Bouillon, Vorsitzender der IMK und Innenminister des Saarlandes


„Aus meiner Sicht der wichtigste Punkt war der Tagesordnungspunkt 24: Wir haben eine Zäsur gemacht, was die polizeiliche Ermittlungstätigkeit angeht. Der eine oder andere wird wissen: Wir haben 19 Erkennungsdaten …, wir haben 19 verschiedene Systeme für Datenerfassungen. Und wir haben 11 Systeme, wie man die Daten bearbeitet. Nach unterschiedlichen Parametern. Erstmals ist es gelungen und dafür gilt mein Dank allen Kollegen und den Fachleuten in den Arbeitskreisen, die dies über viele Monate vorbereitet haben. Ich weiß, ich sage nichts Seltsames. Viele haben nicht geglaubt, dass es gelingt. Wir haben jetzt diesmal eine Zäsur, wir haben einen Quantensprung und das wird die Voraussetzung: Wenn diese Dinge umgesetzt sind, dass jede Polizistin und jeder Polizist in Deutschland mit einem Knopfdruck alle Daten erhält, dass wir miteinander vernetzt sind und dass die Dinge deutlich besser funktionieren, als bisher. So viel aus meiner Sicht …“

Bundesinnenminister De Maizière

„…
Ich beginne auch, wie Klaus Bouillon, mit dem meiner Ansicht nach wichtigsten Beschluss. Wie ich bereits bei der BKA-Herbsttagung angekündigt habe, ist es mir besonders wichtig, den Bereich des Informationsmanagements der deutschen Polizei grundlegend zu modernisieren und zu vereinheitlichen. Dabei stehen wir vor großen Herausforderungen. Die Polizei-IT, die Informationstechnik in Deutschland ist über viele Jahrzehnte organisch gewachsen. Wir haben verschiedene Systeme, die nur zum Teil miteinander verbunden sind und Daten austauschen können. Die Daten werden nicht flächendeckend nach gleichen Standards erhoben und verwendet. Teilweise müssen Daten nur aufgrund fehlender Austauschmöglichkeiten mehrfach von Hand in unterschiedliche Systeme eingegeben werden. Das können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten. Die Zeit ist reif für eine grundlegende Modernisierung. Wir sehen gemeinsam die Notwendigkeit, dass alle verfügbaren und relevanten Informationen in einem fachlichen und technischen Gesamtsystem in einer Gesamtarchitektur für die Polizei der Länder und im Bund nutzbar sind. Wir wollen eine moderne IT, besseren Datenschutz und mehr Nutzerfreundlichkeit, damit die Polizei insgesamt besser arbeiten kann. Ein Polizist in Saarbrücken muss wissen, dass sein Kollege in Stuttgart gegen die gleiche Person ermittelt. Wir werden also die Ressourcen von Bund und Ländern bündeln, damit sich die Polizeibeamten wieder mehr um das kümmern können, wofür sie eigentlich ausgebildet sind: Aufklärung von Straftaten, Vorbeugung von Straftaten und Ermittlung von Straftätern. Und nicht um die Frage, wo und welche Daten in welches System eingetragen werden müssen. Der Beschluss von heute ist buchstäblich wegweisend. Ein wichtiger Beschluss am Beginn eines langen Weges in eine neue Dimension der Zusammenarbeit von Bund und Ländern.
Und ich freue mich besonders, dass das gelungen ist, ohne jede Form von Übergriffen des Bundes auf die Länder, von Sorgen der Länder, dass der Bund zuviel zentralisieren will, sondern die IT-Architektur selbst ist in einem Zustand, dass wir jetzt gemeinsam sie vereinheitlichen wollen.“

… anderes Thema, andere Sprecher, Fragerunde der Pressevertreter (alle Fragen unverständlich)

Bundesinnenminister DeMaizière auf Frage zu den Details der Umsetzung dieses Vorhabens

„Also zur ersten Frage: Wir erarbeiten jetzt einen Zeitplan. Wir hoffen, dass wir die neue IT-Architektur des Bundeskriminalamts, die dann sozusagen auch eine Leitarchitektur für die Andockfähigkeit der anderen ist, – ähm – jetzt haben wir das Jahr 2016 – bis 2019/2020 fertig haben werden. Sehr anspruchsvolles Vorhaben! Wir wollen dabei den Datenschutz berücksichtigen, wir wollen natürlich im Übergangsprozess müssen wir voll handlungsfähig sein, äh, und wir müssen berücksichtigen, dass wir auch neue technische Daten aus Europa bekommen, ähm, nämlich für den Zugriff auf Eurodac, auf das Schengen Informationssystem, auf das Visa-Informationssystem. Auch da sollen die Daten miteinander verknüpft werden, interoperabel werden, wie man das nennt. Und all das muss technisch abgebildet werden, äh, das ist ein sehr, sehr aufwändiger Prozess, das wird nicht schnell gehen. Aber der Durchbruch, den wir gestern und heute erzielt haben, ist, dass Bund und Länder sagen, wir machen das gemeinsam und nicht jeder für sich. Ähm. Und das dient der Sache. Und das spart Geld. Viel Geld wird das ohnehin kosten, äh, und es überfordert auch kleine Länder, das alleine aufbauen zu können und wir wollen wiederum mit unseren Systemen keine technische Dominanz herstellen, aber eine Anschlussfähigkeit für alle in dem beschriebenen Sinne. „

Zu diesen Ankündigungen werden wir in den nächsten Tagen Bewertungen vornehmen. Außerdem haben wir einen ganzen Sack von Fragen, die die Erklärungen der Minister offen lassen. Doch das hat Zeit. Zunächst wollten wir Ihnen die Mitteilungen über den nächsten Quantensprung im polizeilichen Informationswesen nicht länger vorenthalten.

—- Update am 01.12.2016, 04.30 Uhr —–

Eine erste Bewertung: Am desaströsen Status Quo wird sich auf Jahre nichts ändern

Boullion und De Maizière stellten hier eine gehörige Portion Euphemismus zur Schau. Was insbesondere De Maizière da skizzierte – denn eine konkrete Ankündigung sieht anders aus – bedeutet in Praxis weitere x Jahre Stillstand für die polizeiliche IT. „x Jahre“ deshalb, weil bisher noch jede Ankündigung dieser Art, „bis 2019/2020“ wolle man „fertig werden“ hatte der Minister gesagt, hinterher um Jahre überschritten wurde. Nach dem kompletten Scheitern des PIAV (siehe unten) haben sich Bund und Länder mit dieser Ankündigung wieder einmal Zeit gekauft. Beim BKA wird gewerkelt werden an der neuen Leitarchitektur. Die Länder werden in dieser Zeit ihre bestehenden Systeme mit minimalem Aufwand am Laufen halten. Denn wer investiert noch in ein System, das absehbar abgelöst werden wird oder umfangreich an die neue „Andocksituation beim BKA“ angepasst werden muss?!

Und der heutige Status Quo bleibt unverändert: Sollte es in der Bundesrepublik Deutschland zu einem terroristischen Anschlag (oder Großschadensereignis) kommen, so existiert derzeit kein gemeinsames, polizeiliches Informationssystem, in dem bundesweit Hinweise aus den Landessystemen übertragen und zentral gesammelt werden könnten. Es sei denn, sie werden händisch eingetippt [a]. Es existiert kein System, in dem Vermisstenmeldungen (elektronisch) abgeglichen werden können mit Verletzten oder Toten [b]. Für „gemeinsame Ermittlungen im Staatsschutz“ (GED) existiert eine „Terminallösung“. Brücken aus den Fallbearbeitungssystemen der Länder zum GED-System existieren dagegen nicht. Die Folge ist, dass bei solchen Ermittlungen die Informationen in der GED – händisch – eingepflegt werden müssen. Obwohl sie im landeseigenen Fallbearbeitungssystem längst vorhanden sind [c]. An diesem unglaublichen, von den Ministern totgeschwiegenen und von den Medien ignorierten Zustand – und wir haben hier nur einige Beispiele beleuchtet – ändert die vollmundige Ankündigung der Minister noch auf Jahre überhaupt nichts.

Kein Wort über das Scheitern des Polizeilichen Informations- und Analyseverbunds – PIAV

In den vergangenen neun Jahren haben Bund und Länder mehr als 60 Millionen Euro in den Polizeilichen Informations- und Analyseverbund (PIAV) investiert. Dieses System sollte die vereinheitlichte Plattform sein für den Informationsaustausch zwischen den Ländern und zwischen Ländern und dem Bund. Kein Wort kam den Ministern über die Lippen darüber, dass der PIAV krachend gescheitert ist. Eine Entwicklung, die seit Jahren absehbar war und über die wir seit Jahren berichten [d, e].

Es ist dies, nach Inpol-Neu, der zweite Fall in weniger als zwanzig Jahren, wo ein Bund-Länder-Projekt zur „Modernisierung der polizeilichen IT“ komplett scheitert. Hat es im Rahmen der jetzt angekündigten „Modernisierung“ eine Analyse gegeben, warum solche Projekte immer wieder scheitern? Wird man aus früheren Fehlern lernen und es besser machen beim nächsten Projekt dieer Art? Soweit derzeit erkennbar ist (und das ist nicht viel bei den aktuell vorliegenden, wolkigen Ausführungen der Minister) werden die gleichen Personen, Institutionen, Hauslieferanten(?) und Strukturen auch an diesem nächsten, nunmehr dritten Anlauf für ein funktionierendes, gemeinsames polizeiliches Informationssystem von Bund und Ländern beteiligt sein. Das allein lässt nichts Gutes befürchten …

Frühere Artikel zum Thema

[a]   Stichwort ‚BAO-Lagefall‘ in ‚Die aktuelle Sitution ist ein Desaster – Fakten zum Informationsaustausch der Polizeien in Deutschland‘, 19.06.2016, POLICE-IT
https://police-it.org/die-aktuelle-situation-ist-ein-desaster

[b]   Stichwort ‚Streugut‘ bzw. ‚GSL‘ in ‚Die aktuelle Sitution ist ein Desaster – Fakten zum Informationsaustausch der Polizeien in Deutschland‘, 19.06.2016, POLICE-IT
https://police-it.org/die-aktuelle-situation-ist-ein-desaster

[c]   Bewährungsprobe für die GED, die Gemeinsame Ermittlungsdatei im Staatsschutz, 16.11.2015, POLICE-IT
https://police-it.org/bewaehrungsprobe-fuer-die-ged

[d]   PIAV, der Polizeiliche Informations- und Analyseverbund ist krachend gescheitert – der Bundesinnenminister entwickelt neue (alte) Visionen, 18.11.2016, POLICE-IT
https://police-it.org/piav-gescheitert-innenminister-neue-alte-visionen

[e]   Alle Fragen (und viele Antworten) zum PIAV, POLICE-IT
https://police-it.org/themenseiten_piav_uebersicht

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1 Gedanke zu „Innenministerkonferenz beschließt „grundlegende Modernisierung des Informationsmanagements der deutschen Polizei““

  1. Ich will auch so einen Knopf haben, draufdrücken und alles ist gut.
    Für was ich den Knopf einsetzen will darf ausgesucht werden.

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    LG
    S

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