Spiegel der Republik | KW37.2017

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Spiegel der Republik
  • Die Farce, genannt TV-Duell
  • Wahlprognosen verdrängen wirklich wichtige Themen
  • Auch wenn sie nicht gesendet wurden: Aus medial verbannten Themen werden Probleme – nach der Wahl
    • Medial verbanntes Thema #1: Griechenland
    • Medial verbanntes Thema #2: Das grandiose Krisenmanagement des Hauses Dobrindt in Sachen A1 mobil wird Milliarden kosten
    • Medial verbanntes Thema #3: Die umfassendste Grundgesetzänderung – mit Tricks und Lügen durch den Bundestag geboxt
    • Medial verbanntes Thema #4: Aggressive Finanzinvestoren ./. Bundesrepublik Deutschland ante portas

Die Farce, genannt TV-Duell

Nichts soll den Wähler irritieren, gar Zweifel streuen oder sein Denken anregen. Nach diesem Motto agieren die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender und so genannten Leitmedien seit Wochen: Da lässt man es sich bieten, dass die Kanzlerin die Bedingungen diktiert, unter denen sie geruht, belanglose Fragen zu beantworten. Das aber bitte nur einmal! Die beteiligten Sender – ARD, ZDF, RTL und SAT1 – haben den Mumm nicht aufgebracht, diese Farce frühzeitig abzusagen und statt dessen Informationen über wirklich wichtige und relevante Themen für den Wähler zu bringen. Allein schon mit diesem Einknicken verdienen sie sich das tiefe Misstrauen von Wählern, Lesern und Zuschauern. Und sollten sich daher über einbrechende „Kunden“-zahlen bzw. fehlende zahlende Kunden nicht wundern.

Kandidat Schulz von der SPD (das ist der, der auf den Wahlplakaten nur seinen Namen stehen hat – vermutlich, damit man weiß, wie er heißt …) hat jetzt ganz mutig der Kanzlerin einen Brief geschrieben [1], in dem er ein zweites TV-Duell fordert. Die hält eine Antwort nicht für nötig und lehnt ein zweites TV-Duell einfach ab. Doch nicht einmal jetzt stellt sich bei den TV-Leitsendern die Frage, ob man das Demokratieverständnis dieser Kanzlerin nicht massiv in den Fokus der Politsendungen nehmen sollte.

Wahlprognosen verdrängen wirklich wichtige Themen

Die Wirklichkeit wird zunehmend auf ein Bühnenbild reduziert. Es soll nicht mehr wahrnehmbar sein, was tatsächlich geschieht, oder was in Zukunft wichtig wird. Sondern nur noch das, was auf der medialen Bühne präsentiert wird. Wir werden daher seit Wochen bombardiert mit täglich aktualisierten Statistiken und Bildchen über die neuesten Wahlprognosen. Also Abschätzungen irgendwelcher miteinander konkurrierender, mal mehr der einen, mal mehr der anderen politischen Seite zuneigenden Meinungsforschungs-Institute auf der Grundlage der Befragung von wenigen tausenden Menschen. Das soll deren voraussichtliches Wahlverhalten wiederspiegeln. Ob das stimmt oder nicht, weiß niemand. Schon gar nicht bei der behauptet hohen Quote von bisher unentschlossenen Wählern. Der Nachrichtenwert solcher Beiträge ist annähernd Null. Wie sehr die Prognosen daneben lagen, hat zuletzt der Wahlausgang der Präsidentenwahl in den USA gezeigt.

Doch unterschwellig wird damit die ständig gleiche Botschaft transportiert: Wer will, dass möglichst alles bleibt, wie’s ist, wählt C-Parteien oder SPD. Denn nur die – prognostizierten – Stimmanteile für diese beiden Lager zusammen versprechen eine stabile Mehrheit jenseits der 50%. Umso wichtiger ist es dann, dass es Themen erst gar nicht auf die mediale Bühne schaffen, die an der Effektivität der BISHERIGEN Politik dieser Großkoalitionäre zweifeln lassen. Auf diese Weise erweisen sich dann die Medien, die Wahlprognosen statt echter Nachrichten bringen als die verlässlichen Bewahrer des Status Quo.

Auch wenn sie nicht gesendet wurden: Aus medial verbannten Themen werden Probleme – nach der Wahl

Ob allerdings der so bequeme Status Quo tatsächlich so unveränderlich bleibt, wie sich Frau Merkel, ihre Anhänger und eine bestimmte Wählerschicht dies wünschen, ist fraglich: Denn medial verbannte Themen sind nicht gleichzusetzen mit nicht existierenden Problemen in der Zukunft. Von denen gibt es eine Vielzahl, aus der wir nur diese vier herausgreifen:

Medial verbanntes Thema #1: Griechenland

Ein (Teil-)Erlass der Schulden ist unumgänglich, damit das Land wieder auf die Beine kommen kann. Der ganze Griechenland-Deal seit 2013 und die angebliche „Griechenland-Rettung“ nutzten ohnehin nicht dem Land. Das wird seitdem vielmehr mit massivem Drängen der Troika um die werthaltigen Filetstücke seiner Infrastruktur, wie Flughäfen oder Häfen etc., erleichtert. Was bisher an „Griechenland-Hilfe“ geflossen ist, hat Banken rausgepaukt. Die Schulden sind bei Griechenland verblieben und stellen – mit den Zinsen – eine Last dar, die das Land mit seiner Wirtschaftskraft allein nicht mehr stemmen kann. Der Internationale Währungsfonds will an Bord der Troika bleiben, allerdings nur dann, wenn auch die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank einer Schuldenerleichterung zustimmen. Das wurde – vor der Wahl – vom deutschen Finanzminister Schäuble kategorisch ausgeschlossen. Könnte nämlich die sicheren C-Partei-Wähler abschrecken. Man hätte ihm und seiner Kanzlerin sonst vorhalten können, was Faktum ist: Dass sie eine Lösung des Griechenlandproblems – vor der Bundestagswahl 2013 -, die damals eine zweistellige Milliardensumme gekostet hätte, aus rein wahltaktischen Gründen blockiert haben. Um mit dieser Blockadehaltung ein Desaster anzurichten, das inzwischen das x-fache an Folgekosten – insbesondere für Deutschland bedeuten wird. Und das Griechenland und die Menschen in Griechenland ins wirtschaftliche und persönliche Desaster gezwungen hat. Davon allerdings lesen bzw. hören wir aktuell in den Leitmedien GAR NICHTS.

Medial verbanntes Thema #2: Das Krisenmanagement des Hauses Dobrindt in Sachen A1 mobil wird Milliarden kosten

Die A1 mobil GmbH&Co KG ist die Betreibergesellschaft des Autobahnteilstücks der A1 zwischen Hamburg und Bremen, das mit dem hochgejubelten ÖPP-Modell finanziert wurde: Es besagt in Kürze: Betreibergesellschaft vor-finanziert schnellen Bau und frühzeitige Betriebsmöglichkeit dieser Autobahn – mit Bankkrediten. Und erhält dafür – auf 30 Jahre – die Einnahmen aus der LKW-Maut aus diesem Autobahnteilstück.

Rein logisch steht da schon seit Jahren eine riesengroßes Fragezeichen im Raum: Warum soll es billiger sein, wenn eine private Gesellschaft Kredite (sagen wir über eine halbe Milliarde Euro) aufnimmt und mit z.B. 5% pro Jahr verzinsen muss, wenn doch die öffentliche Hand das gleiche Geld zu weniger als 1% geliehen bekommt?!

Und so entwickelte sich denn auch eine Schieflage bei der Finanzierung der A1. Denn einerseits musste die Betreibergesellschaft die Zinsen bedienen. Andererseits wurde gar nicht so viel erlöst aus der LKW-Maut, wie im Laufe der Planung – und vermutlich viel zu optimistisch – berechnet worden war. Die Betreibergesellschaft versucht daher seit Jahren mit dem Verkehrsministerium als dem obersten Auftraggeber, zu einer Anpassung der Konditionen zu kommen. Und weist – ebenfalls seit Jahren – in ihren pflichtgemäß veröffentlichten Jahresabschlüssen in immer dramatischeren Worten auf ihre Schieflage hin. Spätestens Ende des Jahres ist Schicht im Schacht für die Gesellschaft: Stillhalteabkommen mit den Banken laufen dann aus. Dann tickt die Uhr für den Gang zum Insolvenzrichter. Und wer betreibt, saniert und pflegt in Zukunft den Autobahnabschnitt auf der A1?!

Medial verbanntes Thema #3: Die umfassendste Grundgesetzänderung – mit Tricks und Lügen durch den Bundestag geboxt

Ein jedermann offenstehendes Unternehmensregister [2] ist im Bundesverkehrsministerium angeblich unbekannt, wurde jedenfalls im Falle A1 mobil GmbH&Co KG nicht gelesen. Dort will man gar nichts gewusst haben von der Schieflage, die die Gesellschaft seit Jahren in ihren veröffentlichten Jahresabschlüssen mitteilt. Nach Auffassung der Regierung war es daher auch nicht schuldhaft, dass Verkehrsminister Dobrindt im Mai diesen Jahres im Bundestag – erfolgreich – die Privatisierung der Autobahnen und anderer staatlicher Infrastruktur erreicht hat. Was mit ziemlicher Sicherheit anders ausgegangen wäre, wenn Dobrindt vollständig und ehrlich über das drohende Scheitern des Paradebeispiels angeblich erfolgreicher ÖPP-Finanzierung hingewiesen hätte.

Die umfassendste Grundgesetzänderung seit Gründung der Republik ist dank der Dobrindt’schen Lügen und dank der Nibelungentreue der SPD zu ihrem Koalitionspartner im Bundestag durch. Wir BÜrger und Steuerzahler werden uns in der Zukunft in einem noch gar nicht absehbaren Ausmaß herumzuschlagen haben mit der Privatisierung von Schulen und Universitäten oder der Erlösgenerierung von Versicherungen und anderen Investmentgesellschaften aus privatisierten Verkehrseinrichtungen. Die dank der Zinspolitik in EU-Land kein Geld mehr verdienen mit ihrem Geld und daher den Steuerzahler melken wollen.

Medial verbanntes Thema #4: Aggressive Finanzinvestoren ./. Bundesrepublik Deutschland ante portas

Im konkreten Fall A1 mobil GmbH&Co KG hat sich Beachtliches getan in den letzten Wochen. Wie die Süddeutsche Zeitung am 09.09. berichtete [3] haben erste Kreditinstitute ihre Forderungen gegen den Autobahnbetreiber verkauft, darunter die staatliche L-Bank aus Baden-Württemberg und die Deka-Bank der Sparkassen. Deren Forderungen gegen die Betreibergesellschaft sollen – zu einem Bruchteil des Nominalbetrages – übernommen worden sein von einer „US-Großbank“, von der nicht bekannt ist, in wessen Auftrag sie agiert.

Bekannt ist allerdings, dass zwei US-Investmentgesellschaft – Aurelius Capital Management und Davidson Kempner – Engagements in Sachen A1 erwägen: Denn die Betreibergesellschaft A1 mobil hat auch attraktive Assets: In Gestalt einer Klage gegen den Staat, von dem sie 778 Millionen Euro fordert, vor allem wegen entgangener Einnahmen. Mehrere juristische Gutachten sollen dieser Klage gute Erfolgsaussichten eingeräumt haben. Die beiden genannten US-Investoren sind bekannt für ihr aggressives Auftreten in solchen Angelegenheiten. Das hat schon Argentinien zu spüren bekommen, das zum rigorosen Sparen gezwungen wurde, nachdem die beiden Gesellschaften nach jahrelangem Rechtsstreit Forderungen in Milliardenhöhe gegen den argentinischen Staat zugesprochen bekommen hatten.

Einiges spricht dafür, dass das Haus Dobrindt – nach Toll Collect, nach der mit Tricks und Täuschung durchgeboxten Grundgesetzänderung und nach der Diesel Affäre, hier ein weiteres Mal unter Beweis stellt, dass die Kompetenz dieses Hauses den Steuerzahler Milliarden und zusätzlich den einzelnen Diesel-Fahrzeugbesitzer entschädigungslos weitere tausende von Euros kosten wird.

Doch all diese und viele weitere Themen rangieren bei Politik und Leitmedien unter ‚ferner liefen‘, getreu dem Motto: „Nichts soll den Wähler zu nicht gewünschten Wahlentscheidungen veranlassen.“

Quellen

[1]   Merkel lehnt zweites TV-Duell ab, 1.09.2017, Spiegel Online
Der Brief von Schulz ist im Faksimile in diesem Artikel enthalten
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundestagswahl-2017-angela-merkel-lehnt-zweites-tv-duell-mit-martin-schulz-ab-a-1167409.html

[2]   Unternehmensregister im Verlag Bundesanzeiger
https://www.unternehmensregister.de

[3]   Finanzinvestoren greifen nach deutscher Autobahn, 08.09.2017, Süddeutsche Zeitung
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/2.220/autobahn-finanzinvestoren-greifen-nach-deutscher-autobahn-1.3658328

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