Datenbanken-Wildwuchs beim BKA

Der Spiegel wusste in dieser Woche Skandalöses zu berichten: „Innenminister Thomas De Maizière will die Deutschen besser vor Verbrechen schützen – doch die Länder behindern die Zusammenarbeit.“ Und: „Kleinstaaterei behindert die Polizeiarbeit an allen Ecken und Enden“ [1]. Wenige Tage zuvor hatte schon die Süddeutsche ein „Babylonisches Gewirr“ an die Wand gemalt [2]. Auch dort waren die gleichen Schuldigen ausgemacht: Es herrscht „IT-Wildwuchs in den Bundesländern“ [a].
Bemerkenswert, dass sich zwei „Leit“medien so unkritisch und ohne eigene Prüfung auf Behauptungen aus dem BMI einlassen, die faktisch falsch sind. Denn „Wildwuchs“, der die Zusammenarbeit behindert, herrscht vor allem beim Bundeskriminalamt (BKA). Dort wird aktuell nicht eine, sondern werden mehr als 40 verschiedene Datenbanken unterhalten, in denen Informationen über länderübergreifend wichtige, polizeilich relevante Informationen gespeichert sind. Wer diese Informationen abfragen will, muss jeden Datentopf einzeln durchsuchen. Das ist nicht die Schuld der Länder, sondern vom Bundesinnenminister und dem ihm unterstellten BKA zu verantworten …

An der Behauptung vom „IT-Wildwuchs in den Bundesländern“ ist nichts dran

Es gibt in Deutschland 18 Polizeibehörden: Je eine in jedem Bundesland und auf Bundesebene das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei. Jede Polizeibehörde hat jeweils ein eigenes Vorgangs- [A] und ein eigenes Fallbearbeitungssystem [B].. Relevant für den Datenaustausch mit anderen Polizeibehörden sind die Fallbearbeitungssysteme. 12 der 16 Bundesländer, sowie die beiden Bundespolizeibehörden arbeiten mit dem Fallbearbeitungssystem der Firma Rola Security Solutions. Die anderen 4 Bundesländer verwenden CRIME, eine behördeneigene Entwicklung.

Wildwuchs?!
In 14 von 18 Polizeibehörden ist das System der Firma Rola Herstellers im Einsatz

In den 18 Polizeibehörden der Bundesrepublik sind also nur zwei Fallbearbeitungssysteme [B] im Einsatz: Der Marktführer Rola deckt 78% der Behörden ab und CRIME die restlichen 22%. Kann man da mit Recht von „IT-Wildwuchs der Bundesländer“ sprechen?!

Wildwuchs?!
Rola wurde von BMI und BDK zum Monopol-Anbieter gemacht

Für die Einführung des Rola-Systems hat sich besonders das Bundesministerium des Innern weit aus dem Fenster gelehnt. Das System wurde freihändig beschafft, eine Marktsichtung, die diesen Namen verdient hätte, fand nicht statt. In den Ländern (und beim Bund) wurde offensiv – gerade auch von der Polizeigewerkschaft BDK [3]- für die Beschaffung des Rola-Systems geworben: Mit der Begründung, dass ein Datenaustausch zwischen verschiedenen Behörden KEIN PROBLEM sei, wenn nur alle Behörden das GLEICHE Fallbearbeitungssystem benutzen.

Wildwuchs?!
Das PIAV-Zentralsystem beim BKA und die PIAV-Anpassung der Fallbearbeitungssysteme von 14 Teilnehmersystemen stammen vom gleichen Hersteller

Als dann die Realisierung des PIAV anstand, des Polizeilichen Informations- und Analysesystems, sorgte das BMI dafür, dass die teilstaatliche T-Systems die Firma Rola aufkauft [4]. Die neue Firma Rola, nunmehr eine Tochter der T-Systems, wurde beauftragt mit der Entwicklung des PIAV-Zentralsystems beim BKA [5]. Und mit der Anpassung der Fallbearbeitungssysteme von 12 Bundesländern und der zwei Bundespolizeibehörden an den PIAV. 78% der Teilnehmerbehörden und das BKA als PIAV-Zentralstelle verlassen sich auf Rola-Produkte. Ist das „Wildwuchs der Bundesländer“?!

Was der Bundesinnenminister verschweigt: Das Scheitern des PIAV

Doch der Informationsaustausch zwischen den Teilnehmerbehörden und dem BKA funktionierte nicht so, wie man sich das gewünscht hatte. Es gibt offensichtlich Probleme zwischen den Teilnehmersystemen – 14 von 18 wurden von Rola geliefert – und dem von Rola gelieferten Zentralsystem beim BKA. Der Minister verschweigt allerdings, dass PIAV faktisch gescheitert ist [6]. Denn die Entwicklungsverantwortung für das PIAV-Zentralsystem lag beim BKA. Mit der Projektkoordination hat das BMI eine externe Beratungsfirma (zu unbekannten Kosten) beauftragt. Mit der technischen Umsetzung war Rola beauftragt, der vom BMI mit tatkräftiger Unterstützung der Polizeigewerkschaft BDK geschaffene Monopolist. Was hat das mit „IT-Wildwuchs der Bundesländer“ zu tun?!

Wildwuchs an Datenbanken gibt es vor allem im BKA

„Viele Töpfe verderben den Brei“, sagt der Minister [1]. Eine richtige Erkenntnis! De Maizière muss es wissen: Denn im BKA gibt es mindestens 40 Datentöpfe, die für die behördenübergreifende Zusammenarbeit von Polizeibehörden bei Gefahrenabwehr bzw. Strafverfolgung bundesweit bedeutsam sind [u.a. in [7]. Leider handelt es sich dabei um Informationsinseln. Brücken oder Übergänge existieren nicht; ein Informationsaustausch zwischen diesen Inseln, geschweige denn die Abfrage aller Datenbanken mit einem Aufruf, ist nicht möglich. Das ist Wildwuchs und zwar beim BKA!

Ca. 40 Verbunddateien beim BKA für die unterschiedlichen Kriminalitätsbereiche

Es handelt sich bei diesen Datentöpfen um so genannte Verbunddateien, das sind Datenbanken, in die alle 18 Polizeibehörden (Bundespolizei, Bundeskriminalamt und 16 Länderpolizeibehörden) Informationen eingeben und aus denen sie Informationen abfragen können [7]. Die Verbunddateien sind nach Kriminalitätsbereichen organisiert: Es gibt jeweils eine für Rockerkriminalität, Organisierte Kriminalität, Eigentums- und Vermögensdelikte, Geldwäsche, Falschgeld, Kinderpornographie, politisch motivierte Kriminalität usw. usw. Auch die Antiterrordatei und die Rechtsextremismusdatei sind Verbunddateien.

Alle Polizeibehörden müssen im Rahmen von so genannten „Meldepflichten“ relevante Informationen aus ihrem Zuständigkeitsbereich bei der passenden Verbunddatei anliefern. Alle Polizeibehörden kommen dieser Verpflichtung auch nach. Richtig ist, dass alle Behörden sich funktionierende Schnittstellen wünschen würden. Dann könnten Informationen direkt aus dem behördeneigenen Fallbearbeitungssystem elektronisch via Schnittstelle beim BKA angeliefert werden. Wo das nicht der Fall ist, müssen die Informationen direkt in einer browsergestützten Erfassungsoberfläche in die Verbunddatei eingegeben werden.

Warum sind die Verbunddatei nicht fähig zum Datenaustausch miteinander

Man hat es beim BKA zugelassen, dass diese Verbunddateien „historisch“ gewachsen sind und technisch unterschiedlich sind. Geschätzt zwei Drittel der Dateien nutzen das Informationssystem INPOL-Fall, darunter auch die für die Extremismus- bzw. Terrorismusbekämpfung wichtige Antiterrordatei (ATD) und die Rechtsextremismusdatei (RED).

INPOL-Fall – wie eine große Chance vertan wurde

INPOL-Fall ist hervorgegangen aus dem Fallbearbeitungssystem CRIME. Es nutzt das so genannte generische Datenbankmodell [8], was praktisch bedeutet. Die Datenbanktabellen sind in allen Verbunddatenbanken mit INPOL-Fall völlig gleich aufgebaut. Das ist ein großer Vorteil für einen Informationsaustausch zwischen solchen Datenbanken, weil Daten von Datenbank A nach Datenbank B nahezu ohne technischen Aufwand, vollständig und verlustfrei übertragen werden können. (Mehr zu INPOL-Fall in [9].)

Das Informationsmodell [10] kann für jede Datenbank spezifisch definiert werden. Mit einem Informationsmodell wird festgelegt, welche Informationsobjekt-Typen in der Datenbank verarbeitet werden können (z.B. Person, Adresse, Telefonanschluss, Fahrzeug usw.) und für jeden einzelnen Objekttypen welche Attributtypen zugelassen sind, um ein Objekt dieses Typs zu beschreiben und zu identifizieren (z.B. für den Objekttyp Person: Vorname, Nachname, Geburtsdatum, Geburtsort, usw.) Ferner können im Informationsmodell noch die Kataloge für Begriffe definiert werden (z.B. für den Familienstand: ledig | verheiratet | …).

Hätte man beim BKA von Anfang an darauf geachtet, dass sämtliche Verbunddateien mit INPOL-Fall das gleiche Informationsmodell verwenden, gäbe es heute keinerlei Probleme: Dann könnten Informationen zwischen den Verbunddateien ohne Probleme miteinander geteilt werden, weil die Information in jeder Verbunddatenbank in gleicher Weise verstanden würde. Eigentlich lag dieser Gedanke auch sehr nahe: Denn es gibt ja sogar eine gesetzliche Grundlage dafür, welche Objekttypen und Attributtypen überhaupt in den Datenbanken des BKA gespeichert werden dürfen. Sie heißt BKA-DV = BKA-Daten-Verordnung [11]. Man hätte also nur ein einziges Mal die Objekttypen, Attributtypen und Begriffskataloge aus der BKA-DV in ein einheitliches Informationsmodell für INPOL-Fall übernehmen müssen. Und dann sämtliche Verbunddateien auf der Basis von INPOL-Fall mit diesem Informationsmodell betreiben müssen.

Das BKA hat jedoch zugelassen, dass für die diversen Verbunddateien mit INPOL-Fall, sowie für die ATD und RED jeweils eigene Informationsmodelle definiert und implementiert wurden, die sich zum Teil ganz erheblich voneinander unterscheiden. Die Schuld dafür wird heute gerne auf die fachlichen Anforderungen geschoben. Doch dass Fachgruppen in der Polizei fachspezifische Anforderungen stellen, ist nichts Neues. Fachgruppen heißen so, weil sie etwas vom Fach, also der Polizeiarbeit verstehen. Für das BKA ist diese Ausrede jedoch zu billig: Denn das BKA ist die Bundesbehörde, deren gesetzliche Aufgabe es ist, „die Kriminalpolizei die Polizeien des Bundes und der Länder als Zentralstelle für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen .. zu unterstützen.“ Insofern wäre es die Aufgabe des BKA gewesen, mit seiner IT-Fachkompetenz auf die Folgen der unterschiedlichen Informationsmodelle hinzuweisen.

Denn in der Tat waren die Folgen katastrophal. Heute existieren 30 oder mehr wichtige Verbunddatenbanken auf der Basis von INPOL-Fall, jedoch mit unterschiedlichem Informationsmodell: Der große Vorteil von INPOL-Fall – einheitliches Datenmodell – leichter Datenaustausch – wurde damit zunichte gemacht. Ein leicht möglicher, umfassender Informationsaustausch zwischen sämtlichen Verbundsystemen wurde durch diesen kapitalen Fehler der IT-Verantwortlichen im BKA unmöglich gemacht.

Eine weitere Datenbankplattform beim BKA

Andere Verbunddatenbanken und insbesondere die GED, die Gemeinsame Ermittlungsdatei im Staatsschutz [12], wurden dann gar nicht auf INPOL-Fall aufgesetzt. Statt dessen nahm man b-case, die BKA-Variante des Fallbearbeitungssystems von Rola. Die GED wird immer dann benötigt, wenn das BKA Terrorismus-Ermittlungen durchführt und dazu die Mitarbeit der Länderpolizeien anfordert. Damit die Länder die GED benutzen können, stellte das BKA den Ländern [, so wird es kolportiert] Computersysteme zur Verfügung, die wie Terminals an den GED-Zentralrechner beim BKA angeschlossen sind. Im Bedarfsfall begibt sich also ein Sachbearbeiter „in den Keller“, dorthin wo diese Erfassungssysteme stehen, um dort die Daten an die GED einzugeben.

Verschiedene Erfassungs-/Abfragegeräte in den Ländern – Folge des Wildwuchses beim BKA

Dort braucht man also Erfassungs-/Abfrageplätze für Verbunddateien mit INPOL-Fall und weitere Arbeitsplätze für die GED. Das ist zweifellos Wildwuchs: Jedoch nicht der der Bundesländer, sondern der, den das BKA verursacht hat.

Denkbare Ursachen für den Datenbank-Wust beim BKA: Überheblichkeit und das bewusste Aushungern von INPOL-Fall

Die Entscheidungen für INPOL-Fall und die Entscheidung für das Fallbearbeitungssystem von Rola wurden allein im BKA und BMI getroffen.

INPOL-Fall war Teil eines Gesamtpakets, das der Bund 2003 den Ländern Hamburg und Hessen abkaufte. Zum Paket gehörte auch POLAS, das beim Bund zu INPOL-Neu-Neu gemacht wurde. Um möglichst rasch vergessen zu machen, dass die Entwicklung von Inpol-Neu – unter der Projektverantwortung von BKA und BMI – grandios gescheitert war.

Keine müde Mark mehr für INPOL-Fall!

Dass die Datenbankmodelle von INPOL-Fall und POLYGON „sehr ähnlich“ war bei POLYGON aufgefallen als die BLDS-Schnittstelle für POLYGON zu entwickeln war. BLDS – das Akronym steht für Bund-Länder-Datei-Schnittstelle – war bzw. ist noch die Konvention für eine Schnittstelle, über die Informationen bei INPOL-Fall auf elektronischem Weg angeliefert werden können. Die Firma POLYGON war beauftragt worden, diese Schnittstelle für das POLYGON-Informationssystem der Polizei Brandenburg zu implementieren. Zu diesem Zeitpunkt war ich Projektleiterin der Firma POLYGON.

Und suchte in dieser Funktion im Frühjahr 2007 um ein Gespräch nach beim damaligen IT-Direktor des BKA. Dr. G., der damalige IT-Direktor, nahm daran teil, Herr G. vom BKA, dort Projektverantwortlicher für INPOL-Fall und später mitverantwortlich für die Entwicklung des PIAV. Die Patentfrage war rasch erledigt: „Sehr ähnlich“ sei es schon, meinte der IT-Direktor, aber „keine Patentverletzung„. Dann ging es um die beim BKA vorhandenen Datenbanken mit INPOL-Fall. „Ich habe hier über hundert verschiedene Datenbanken“ klagte der IT-Direktor. Als Entwickler der Datenbanktechnologie, die „sehr ähnlich“ auch in INPOL-Fall verwendet wird, wussten wir genau, worin das Problem mit den „verschiedenen Datenbanken“ lag und wie es zu beheben ist. Wir schlugen eine Zusammenarbeit vor. Die Antwort im Gespräch war brüsk: „Keine müde Mark werden wir für INPOL-Fall mehr in die Hand nehmen“, teilte der INPOL-Fall-Verantwortliche kurz angebunden mit.

Wir machten schriftlich erneut einen Vorschlag: Boten an, für einen Betrag von 8.000 Euro ein Gutachten zu erstellen über die Ursachen der Schwierigkeiten der „unterschiedlichen INPOL-Fall-Datenbanken“, sowie eine Lösungsskizze, wie diese Probleme zu beheben sind. Auch das wurde abgelehnt. Sollte die Firma an Aufträgen des BKA interessiert sein, gäbe es da eine Ausschreibungsplattform, dort könne man sich registrieren …

Seit dem beschriebenen Gespräch im BKA sind zehn Jahre vergangen. Dass jeder neue Datentopf eine weitere Variante war, dass keine der INPOL-Fall-Datenbanken verträglich ist mit den schon vorhandenen, das interessiert im BKA, soweit ersichtlich, niemanden. Dabei ist es auch bis heute geblieben.

Die BLDS-Schnittstelle – mehr Hindernis als Brücke seitens des BKA

Den Ländern bot man eine Schnittstelle an, genannt BLDS, eine Art Brücke, über die sie Daten „elektronisch“ anliefern können, direkt aus dem Fallbearbeitungssystem des Landes in die entsprechende Verbunddatenbank beim BKA. Für viele, wenn auch nicht alle Verbunddateien stellt das BKA die BLDS zur Verfügung.

Der Entwicklungsaufwand für die BLDS-Schnittstelle war jedoch exorbitant hoch: Denn durch die verschiedenen Informationsmodelle – jede Verbunddatei hat ihr eigenes – konnte nicht ein universelles BLDS-Übertragungsprogramm entwickelt werden. Vielmehr musste für jede einzelne Verbunddatei eine eigene BLDS-Variante entwickelt werden. Dazu braucht jedes Land externe IT-Unterstützung von seinem Lieferanten. Die kostet Geld. Beim Marktführer soll sie sehr viel Geld kosten. Sechsstellige Beträge multipliziert mit der Zahl der Verbunddateien, in die man übertragen möchte: Solche Preise erklären die exorbitanten Gewinnmargen des Anbieters [13]. Sie übersteigen jedoch selbst die Leistungsfähigkeit von finanzstarken Ländern. Wenn die BLDS-Variante (pro Verbunddatei) dann fertig entwickelt war, verlangte das BKA in einem aufwändigen Verfahren eine Prüfung und Abnahme der jeweiligen Datenanlieferung via BLDS. Auch das kostete wieder viel Zeit und Geld.

Die hohen Preise und das aufwändige Abnahmeverfahren erreichten, was sie vermutlich erreichen sollten: Sie schreckten ab. Selbst die gutwilligsten und finanzkräftigsten Länder waren nach einigen Jahren zermürbt von dieser Taktik. Und gaben weitere Anbindungen via BLDS einfach auf. Im Frühjahr letzten Jahres fragte unsere Redaktion beim BMI nach dem aktuellen Nutzungsgrad der Datenanlieferung via BLDS. Ganze vier Polizeibehörden nutzen die elektronische Anlieferung für ganze vier Verbunddateien. Alle anderen hatten resigniert und verlangen von ihren Mitarbeitern, dass sie die Daten sowohl im Landessystem, als auch per Hand im BKA-Verbundsystem eingeben.

Status und Ausblick

Am Problem mit dem vielen, verschiedenen Datenbanktöpfen beim BKA hat sich seither nichts geändert. Die Situation hat sich – ganz im Gegenteil – verschlechtert. Dem neuen Wunderkind, PIAV, galt die ganze Aufmerksamkeit. Mehr als 62 Mio Euro investierte allein der Bund in die Entwicklung des PIAV. Die Länder mussten zwangsläufig mitziehen und ihre Systeme anpassen lassen. Wir schätzen, dass zusammen mindestens 100 Mio Euro ausgegeben wurden, um zu dem heute erreichten Stand des PIAV zu kommen. Der darin besteht, dass im Mai 2016 eine erste Ausbaustufe in den Wirkbetrieb gegangen ist, mit der Informationen über Waffen- und Sprengstoffdelikte bearbeitet werden können, das sind 0,5 % aller Straftaten.

INPOL-Fall war und blieb das ungeliebte Arbeitssystem: Die Antiterrordatei und Rechtsextremismusdatei laufen damit, im Anschlagsfall oder bei Großlagen muss INPOL-Fall genutzt werden und für die Datenbanken in allen anderen länderübergreifend wichtigen Kriminalitätsbereichen. Auch die EiVer – die Datenbank für Wohnungseinbruchs- und Vermögensdelikte läuft auf Basis von INPOL-Fall. Erst im November 2016 haben die Innenminister bei ihrer Herbsttagung wieder bekräftigt, dass die EiVer verstärkt und „konsequent“ benutzt werden soll.

Bei der Androhung von „keine müde Mark“ für INPOL-Fall ist es allerdings fast geblieben. Aus Antworten der Bundesregierung im Deutschen Bundestag ergibt sich, dass bis 2012 rund 6,6 Mio Euro für (Weiter-)Entwicklung und Pflege von INPOL-Fall ausgegeben wurde. Dann über Jahre hinweg gar nichts, wenn die Antworten der Bundesregierung richtig und vollständig sind. Und im zweiten Halbjahr 2016 dann noch einmal 550.000 Euro. In zehn Jahren hat der Bund also (nur) etwas über 7 Mio Euro aufgewendet für das System, in dem das Gros der polizeilichen relevanten Informationen von Bund und Ländern gespeichert ist. Und fast das Zehnfache für den PIAV, der bisher keinerlei praktischen Nutzen bringt.

Das Desaster wurde vorsätzlich geschaffen, das De Maizière jetzt für seinen „Umbau der Sicherheitsarchitektur“ zu nutzen versucht

Das ist sträfliche und vorsätzliche Vernachlässigung der wichtigsten informationstechnischen Plattform im BKA nach dem INPOL-Fahndungs- und Auskunftssystem (INPOL-Zentral). Doch mit „IT-Wildwuchs bei den Bundesländern“ bzw. „Kleinstaaterei der Länder“ hat auch dies nicht das Geringste zu tun!

Das alles spricht dafür, dass es die volle Absicht war, die ‚offene Schnittstelle‘ via BLDS auf diese Weise ins Leere laufen zu lassen. Und dass die aktuelle Situation, nachdem auch der PIAV gescheitert ist, dem BMI sehr gut in seine strategischen Absichten passt:

  • Erst die selbst angerichtete Misere – ebenso falsch, wie unanständig – den Ländern in die Schuhe zu schieben,
  • sich dann als Retter in den Not zu gerieren,
  • um die Strategie zum Abschluss zu bringen, die De Maizière seit Monaten verfolgt:

Die Polizeibehörden der Länder in eine „nationalstaatlichen Steuerung“ unter dem Dach seines Hauses zu überführen.

Fußnoten

[a]   Als Beispiel für „Kleinstaaterei“ bzw. „IT-Wildwuchs“ der Länder wird angeführt, dass mehrere Bundesländer derzeit den Einsatz von Systemen zur vorhersagenden Polizeiarbeit (Predictive Policing) evaluieren. Solche Systeme sind für die Polizeiarbeit vor Ort von Nutzen. Mit Informationsaustausch über Behördengrenzen hinweg, haben sie nichts zu tun. Solange die Länderpolizeibehörden eigenständige Körperschaften sind, die für ihre Investitionen mit eigenen Finanzmitteln aufkommen müssen, spricht doch nichts gegen dieses Vorgehen! Es werden doch auch nicht zentral für alle Länder Fahrzeuge oder Polizeiausrüstung nur deshalb gekauft, weil man damit die Beschaffung effektiver machen kann!

[b]   Er meinte nicht nur die Verbunddateien, die auch von den Ländern beliefert werden dürfen, sondern zusätzlich auch die Amts- und Zentraldateien, also Datenbanken, die nur das BKA beliefert / bedient.

Quellen

[1]

Viele Köche, viele Töpfe, S. 39 in Der Spiegel 07/2017

[2]   Babylonisches Gewirr, 06.02.2017, Süddeutsche Zeitung
http://www.sueddeutsche.de/politik/bka-gesetz-babylonisches-gewirr-1.3366400

[3]   ’Der BDK und die Sicherheitspartnerschaft‘ in „BDK und DPolG – Polizei-Vertretung oder PR-Agenturen?“, 17.05.2016, POLICE-IT
https://police-it.org/bdk-und-dpolg-polizei-vertretung-oder-pr-agenturen

[4]   T-Systems übernimmt PIAV-Wunschkandidaten Rola Security Solutions, 23.06.2014, POLICE-IT
https://police-it.org/telekom-uebernimmt-piav-wunschkandidaten-rola

[5]   PIAV-Wunschkandidat Rola mit traumhaften Gewinnen, 26.11.2014, POLICE-IT
https://police-it.org/piav-wunschkandidat-rola-mit-traumhaften-gewinnen

[6]   Hart an der Bankrotterklärung: BMI zum Funktionieren des polizeilichen Informationsaustauschs, 24.05.2016, POLICE-IT
https://police-it.org/polizeilicher-informationsaustausch-und-der-piav-3

[7]   Strafverfolgungsdateien der Bundessicherheitsbehörden, 01.10.2013, Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion, DBT-Drs. 17/14810
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/148/1714810.pdf

[8]   Daten- und Informationsmodelle, 24.06.2013, POLICE-IT
https://police-it.org/itfdf1_daten-infmodelle

[9]   Weit besser als sein Ruf: Inpol-Fall, der Vorläufer des PIAV, 01.10.2013, POLICE-IT
https://police-it.org/weit-besser-als-sein-ruf-inpol-fall-der-vorlaeufer-des-piav

[10]   Mehrere Artikel zum Informationsmodell unter https://police-it.org/?s=Informationsmodell

[11]   Verordnung über die Art der Daten, die nach den §§ 8 und 9 des Bundeskriminalamtgesetzes gespeichert werden dürfen (BKA-DV)
http://www.gesetze-im-internet.de/bkadv/

[12]   Bewährungsprobe für die GED, die Gemeinsame Ermittlungsdatei im Staatsschutz, 16.11.2015, POLICE-IT
https://police-it.org/bewaehrungsprobe-fuer-die-ged

[13]   Umsatz-/Gewinn-Verhältnis von Rola übertrifft selbst Apple, 04.02.2015, POLICE-IT
https://police-it.org/umsatz-gewinn-verhaeltnis-von-rola-uebertrifft-selbst-apple

Fachbegriffe und andere relevante Beiträge aus unseren Blogs

Um Quellenangaben nicht immer wieder zitieren zu müssen, verweisen wir auf den Artikel in unseren Blogs, in dem die ausführlichen Quellenangaben und Belege zum Thema ursprünglich enthalten waren.

[A]   Vorgangsbearbeitungssysteme in deutschen Polizeibehörden, 27.01.2017, POLICE-IT
https://police-it.org/vorgangsbearbeitungssysteme-in-deutschen-polizeibehoerden

[B]   Fallbearbeitungssysteme in deutschen Polizeibehörden, 08.12.2016, POLICE-IT
https://police-it.org/fallbearbeitungssysteme-in-deutschen-polizeibehoerden

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