Organisierte Kriminalität als alternativer Geldgeber für klamme Unternehmen

Liquidität zu beschaffen, wird das größte Problem für Unternehmen werden, je mehr die Umsätze einbrechen, während die Kosten weiterlaufen. Geld in ausreichender Höhe und ausreichend schnell vom Staat zu bekommen, erweist sich schon jetzt für viele Unternehmen als Problem. Doch neben dem Staat existiert ein potenziell alternativer Geldgeber: Organisierte Kriminalität, die die „Corona“krise ausnutzt, um gegen Cash Unternehmensanteile zu kaufen und sich damit auch in solchen Branchen breit zu machen, die bisher nicht zu ihrem Geschäftsfeld gehören. Erfahrungen aus der Zeit der Finanzkrise von 2008 belegen, dass dies eine reale Gefahr ist. Wir haben zwei Bundesministerien und das Bayerische Landeskriminalamt nach ihrer Einschätzung gefragt … | Lesedauer: Ca. 5 Minuten

Flächendeckender Liquiditätsmangel in Unternehmen aufgrund des „Corona“-Lockdowns

Die Maßnahmen zur Eindämmung weiterer Infektionen mit dem Corona-Virus stellen große Teile von Handwerk, Handel, Gastronomie, Tourismus und verarbeitendem Gewerbe vor existenzielle wirtschaftliche Probleme. Da derzeit keine Geschäfte gemacht werden dürfen, und Umsätze damit fehlen, wird das Loch im Liquiditätspolster – das bei vielen kleinen und mittleren Unternehmen ohnehin nicht üppig ist – immer größer.

KEINE Liquiditätsprobleme hat nur „der Staat“ und die organisierte Kriminalität

Nur zwei Spieler im Marktgeschehen haben aktuell KEINE Probleme mit Liquidität: Das ist einerseits der Staat, also Bund und Länder, die scheinbar Geld ohne Ende in den Markt pumpen können. Und das ist andererseits organisierte Kriminalität (OK), der es an Liquiditätsreserven nicht mangelt. Die jedoch ebenfalls die wirtschaftlichen Folgen der so genannten Corona-Krise spürt, weil auch im Schmuggel, beim Drogenverkauf oder im Verkauf von Produktpiraterie das Geschäft deutlich eingebrochen ist. Es ist daher naheliegend anzunehmen, dass die OK neue Geschäftsfelder sucht. Die so genannte Corona-Krise bietet ihr dafür neue Möglichkeiten:

Die Mafia als Geldgeber für Unternehmen in Italien

Franco Gabrielli, der Leiter der Hauptabteilung für öffentliche Sicherheit im italienischen Innenministerium in Rom stellt in einem Gespräch mit CNN [1] fest, dass italienische Mafia-Organisationen schon jetzt tief eingedrungen sind in Bereiche der Wirtschaft, selbst wenn die gar nicht oder nur gering von den Lockdown-Maßnahmen betroffen sind: Wie zum Beispiel in die Versorgungskette mit Lebensmitteln, die Beschaffung von Arzneimitteln und medizinischer Ausrüstung und den Warentransport. Dazu kommt ein neues Geschäftsfeld: Was nahezu jedes Unternehmen, das vom Lockdown betroffen ist, zur Zeit am Dringendsten benötigt ist Cash. OK-Organisationen, die über diese Ressource in ausreichendem Maße verfügen, bekommen dank Corona“ die Chance, sich in Geschäftsfelder auszudehnen, in denen sie bisher nicht tätig waren. Indem sie sich – anfänglich durch Liquiditätsspritzen, Einfluss auf Unternehmen verschaffen, die bisher nicht zu ihrem Einflussbereich gehörten.

CNN zitiert auch Anna Sergi, eine Kriminologin der Universität Essex: Die sagt, dass die Mafia schon in der Vergangenheit demonstriert hat, dass sie in der Lage ist, Geld auch außerhalb des Bankensystems zur Verfügung zu stellen (was man auch als freundliche Umschreibung für Schwarzgeld bzw. Geldwäsche ansehen kann) und dafür weniger Sicherheiten als die Banken verlangt. Es ist, sagt Frau Segri, ein gut funktionierendes Vorgehen, Unternehmen in der Krise zunächst Geld zu leihen und dann schrittweise die Kontrolle zu übernehmen (nicht zuletzt deshalb, weil solche Unternehmen die Möglichkeit bieten, Gelder aus illegalen Geschäften in den legalen Geldkreislauf einzubringen).

Nicola Gratteri, ein ialienischer Staatsanwalt und Anti-Mafia-Experte, hält Gastronomie und Hotellerie für besonders gefährdet. Schon bei der großen Finanzkrise von 2008 hatte sich die Mafia in Italiens größte Bank verwandelt. Das war zu der Zeit, als sich viele italienische Banken vor allem nur dank enormer Ausleihungen bei der der Europäischen Zentralbank in sicheres Fahrwasser retten konnten.

Liquidität wird im Mittelpunkt von allem stehen

Liquidität wird im Gefolge der Corona-Krise „im Mittelpunkt von allem“ stehen. Dann klopft ein Vertreter der „Organisation“ bei einem krisengebeutelten Unternehmen an und schlägt einen Deal vor: Cash im Austausch gegen Unternehmensanteile. Gratteri, der Staatsanwalt, sagt: „Wenn wir, also der Staat, nicht mit unseren Hilfen überzeugen können, kann OK sich als die bessere Lösung präsentieren und – als Beispiel – bei der nächsten Wahl um einen kleinen Gefallen bitten“. Und Zora Hauser, eine OK-Expertin von der Universität Oxford, weist darauf hin, dass die Mafia zu ihrem Kerngeschäft zurückkehrt: Gewalt und Kontrolle.

Kein allein italienisches Problem

Die Mafia, mag in Italien präsenter sein, vielleicht aber auch besser beobachtet und bewusster begleitet in den Medien. Organisierte Kriminalität, um einen allgemeineren Ausdruck zu verwenden, gibt es allerdings auch in Deutschland. In einem nicht so präsenten, nicht so medial bewussten Ausmaß wie in Italien vielleicht. Doch Roberto Scarpinato, der leitende Oberstaatsanwalt der Anti-Mafia-Direktion in Palermo, wundert sich nur noch, warum Deutschland nicht stärker gegen die organisierte Kriminalität vorgeht. Er bezeichnete in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom Oktober 2019 [2] Deutschland als „Geldwäscheparadies“. Die Kriminellen könnten hier nahezu problemlos ihr illegal erworbenes Geld investieren, insbesondere in Immobilien und Restaurants. [3]

Empfehlungen für möglicherweise Betroffene

Ich habe dieses drohende Szenario zum Anlass genommen, beim Bundesministerium für Wirtschaft, beim Bundesinnenministerium und beim Bayerischen Landeskriminalamt anzufragen

  1. wie man dort – aktuell und in naher Zukunft – das Risiko der Einflussnahme von organisierter Kriminalität im oben geschilderten Sinne, insbesondere auf das Hotel- und Gaststättengewerbe, einschätzt;
  2. welche anderen Branchen für gefährdet gehalten werden
  3. und wie sich u.U. betroffene Unternehmen wirksam gegen solche Einflussversuche schützen können und was solchen Unternehmen geraten wird

Die Pressestelle des Bundeswirtschaftsministeriums verweist auf KfW-Hilfe, -Schnellkredite, Zuschussmöglichkeiten und Kurzarbeitergeld… und bittet darum, sich im Bezug auf Organisierte Kriminalität an das dafür zuständige Bundesinnenministerium zu wenden.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums hält eine mögliche Einflussnahme im Sinne der ersten Frage für grundsätzlich denkbar, konkrete Erkenntnisse lägen aber nicht vor. Zur Frage 2 kämen organisierter Diebstahl und Schwarzmarktgeschäfte mit knappen Gütern in Betracht. Und zur dritten Frage verweist er auf Tipps des Bundeskriminalamts:

„Das Bundeskriminalamt (BKA) empfiehlt, angebotene Hilfskredite besonders sorgsam zu prüfen und Auffälligkeiten unmittelbar den örtlichen Polizeidienststellen zu melden. Allgemeine Informationen und Hilfestellungen für Unternehmen zum Schutz vor Kriminalität können auch den Internetseiten der polizeilichen Kriminalprävention entnommen werden (siehe unter https://www.polizei-beratung.de/startseite-und-aktionen/coronastraftaten/fuer-unternehmen/). Die Polizei informiert dort über die Vorgehensweise der Kriminellen und gibt Empfehlungen zum Schutz von Unternehmen.“

Ein Sprecher des Bayerischen Landeskriminalamts möchte sich zwar auf Fragen 1 und 2 nicht einlassen, da „derzeit keine eigenen belastbaren und speziellen Erkenntnisse vorliegen, die eine valide, faktenbasierte Einschätzung und Beantwortung der Frage zulassen“.

Am konkretesten von allen drei Befragten wird das BayLKA dann mit seinen Ratschlägen an betroffene Unternehmen:

„Die Inanspruchnahme der regulären staatlichen bzw. sonstigen öffentlichen Hilfsangebote sowie eine Beratung durch offizielle Stellen und der Verzicht auf vermeintlich „gute Rettungsangebote“ von inoffizieller Seite ist der wirksamste Schutz vor der Einflussnahme durch OK-Kreise. Entsprechende Versuche können vor allem von den Unternehmen selbst unterbunden werden, indem sie nicht darauf eingehen und sich an die zuständigen Behörden, nicht zuletzt an die Polizei, wenden, sofern ihnen entsprechende zweifelhafte Angebote unterbreitet werden. Hiervor sollten sie nicht wegen eventueller Drohungen oder Einschüchterungsversuchen der vermeintlich hilfsbereiten Geldanbieter zurückschrecken oder sich zu vorschnellem Handeln drängen lassen.“

Quellen

[1]   The Mafia is poised to exploit coronavirus, and not just in Italy, 19.04.2020, CNN

[2]    Darum fühlen sich Geldwäscher in Deutschland wohl, 27.10.2019, Süddeutsche Zeitung

[3]    Mission des Mafia-Jägers 15.12.2019, Süddeutsche Zeitung

Mehr zum Thema

[A]   Das neue Geldwäschegesetz: Generalverdacht gegen den deutschen Mittelstand, 29.01.2018, CIVES

[B]   Steuerberater als verlängerter Arm der Finanzpolizei, 02.02.2018, CIVES

[C]   Eintragung der ‚wirtschaftlich Berechtigten‘ im Transparenzregister, 14.03.2018, CIVES

[D]   Ein weiteres IT-Projekt im Bundesinnenministerium in Schieflage: Einführung des bundeseinheitlichen Datenbankgrundbuchs (dabag) verzögert sich um Jahre

[E]   Vorstellung des Bundeslagebilds OK (2018) – Organisierte Kriminalität
Wer Kriminalität nicht misst, kann Kriminalität auch nicht feststellen, 11.10.2019

[F]   Vorstellung des Bundeslagebilds OK (2017) –
Organisierte Kriminalität im BKA: Organisierte und dokumentierte Doppelmoral, 15.08.2018

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