Die Bundesregierung, in Person des Bundesministers des Inneren, ist auf dem besten Wege, eine dramatische Veränderung der polizeilichen Informationslandschaft in Deutschland weitgehend ohne Konzept, dafür mit umso brachialeren Mitteln durchzusetzen. Dazu hat es – angeblich – eine Einigung zwischen Unionsfraktion und SPD gegeben, deren Einzelheiten geheim gehalten werden. Schon in der kommenden Woche soll das Gesetz in einer 38-minütigen „Beratung“ in 2. und 3. Lesung den Bundestag passieren. Hat sich die SPD hier ein weiteres Mal in kurzer Zeit in einer wichtigen Frage der Inneren Sicherheit von der Union über den Tisch ziehen lassen?! (Zu letzterem mehr in [4].)
Kritik der Sachverständigen am Entwurf für das BKA-Gesetz
Ein undemokratisches Kalkül: Bis das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz (erneut) kassiert, kann das BKA damit arbeiten …
Doch das Risiko, dass auch dieses BKA-Gesetz in einigen Jahren vom Bundesverfassungsgericht in weiten Teilen kassiert wird, wie die aktuelle Fassung, ist – leider – ein stumpfes Schwert aus Sicht des Bundesinnenministers. Denn auch mit der aktuell gültigen, in wesentlichen Teilen verfassungswidrigen und teilweise sogar nichtigen Gesetzesfassung konnten bzw. können die Behörden immerhin fast zehn Jahre operieren.
„Fake News“ der Tagesschau, wenn es um Themen der IT der Polizeibehörden geht
Hoffnungen darauf, dass sich die SPD-Mitglieder im Innenausschuss – und weitere Angehörige der SPD-Fraktion – umstimmen lassen würden von den Ausführungen der Sachverständigen, bestätigen sich nicht: So berichtete zunächst die Tagesschau drei Tage nach der Anhörung, dass „die SPD nun keine Bedenken mehr gegen die Reform des BKA-Gesetzes“ habe, nachdem sich „die Große Koalition auf eine Überarbeitung des BKA-Gesetzes verständigt hat“. [2]
Die „Erklärungen“ über die Art der angeblichen Einigung im Beitrag der Tagesschau sind aus fachlicher Sicht abenteuerlich. Sie haben mit der Sachlage nichts zu tun und gehen am Problem windschief vorbei. Da wird kritiklos nachgeplappert, was Politiker von sich geben, die offensichtlich auch nicht verstanden haben, worum es geht [b]. Mit solcher Art von Berichterstattung ist die Tagesschau in den vergangenen Monaten schon wiederholt aufgefallen, wenn es um Themen der Informationstechnik der Polizeibehörden geht. Auch eine Form von „Fake News“, für die auch noch zwangsweise Gebühren erhoben werden …
Knickt die SPD schon wieder ein vor der Union?
POLICE-IT wollte daher aus erster Quelle wissen, wie denn nun die überarbeitete Fassung des Gesetzes aussieht und fragte bei der SPD-Pressestelle nach. Doch nach einigem Hinhalten kam lediglich die Mitteilung: „Wir planen, das BKA-Gesetz in der nächsten Sitzungswoche des Deutschen Bundestages in 2./3. Lesung im Parlament abzuschließen. Bis dahin kann ich Ihnen noch nichts Schriftliches anbieten.“ Das heißt also, dass die Oppositionsfraktionen (?) und die Öffentlichkeit vor vollendete Tatsachen gestellt werden sollen, wenn dann das Gesetz am 27.4. in 38-minütiger „Beratung“ in zweiter und dritter Lesung mit der Mehrheit der Großen Koalition den Bundestag passieren wird.
Fußnoten
[a] Dass der „Sachverständige“ Holger Münch das neue Gesetz begrüßt und sich dementsprechend positiv geäußert hat, dürfte an seiner Funktion liegen: Der Mann ist der Präsident des BKA.
[b] Anders, als im Beitrag dargestellt, dreht es sich nicht um „eine (!) neue Datenbank“. Es sollen in diese Datenbanken auch keine „Akten einfließen“, wie im Artikel behauptet (wie geht das eigentlich, wenn „Akten in eine Datenbank einfließen“??). Vor allem übersieht der Beitrag völlig, dass „nicht ausreichend gekennzeichnete Altdaten“ nicht etwa eine Ausnahme darstellen, sondern die Regel. Denn – wie wir an anderer Stelle [3] ausführlich dargelegt haben – können die aktuell eingesetzten polizeilichen Informationssysteme die heute schon geforderten Kennzeichnungen nicht aufnehmen und speichern. Folglich müsste der Löwenanteil der „nicht ausreichend gekennzeichneten Altdaten“ mit einer „Generalklausel“ versehen werden. Dann aber kann man sich das neue IT-System erst einmal ganz sparen!
Update am 19.4.2017 um 06.33: Und sollte vorrangig erst einmal klären, ob und wieviele tausend personenbezogene Informationen in den aktuellen polizeilichen Informationssystemen eigentlich unrechtmäßig gespeichert sind, genutzt werden und weitergegeben wurden, weil die heute schon gesetzlich vorgeschriebenen Kennzeichnungen ganz fehlen, funktional unwirksam sind bzw. schlichtweg ignoriert werden.
Quellen
[1] Experten uneinig zu neuem BKA-Gesetz, 20.03.2017, Deutscher Bundestaghttp://www.bundestag.de/presse/hib/2017_03/-/498832
[2] Koalition legt Streit über BKA-Gesetz bei, 31.03.2017, Tagesschau
http://www.tagesschau.de/inland/bka-gesetz-121.html
[3] Unkeusche Begründungen im Entwurf zum neuen BKA_Gesetz, 070.4.2017, POLICE-IT
https://police-it.org/unkeusche-begruendungen-im-entwurf-zum-neuen-bka-gesetz
[4] Wohnungseinbrüche: Union zieht SPD über den Tisch, 30.03.2017, POLICE-IT
https://police-it.org/wohnungseinbrueche-union-zieht-spd-ueber-den-tisch
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