Es wird eng für den Bundesverkehrsminister. Der noch im Frühsommer gegenüber Öffentlichkeit und Bundestag in prächtigen Farben die Vorteile einer (weiteren) Privatisierung der Bundesfernstraßen an die Wand gemalt hat. Womit er ja auch Erfolg hatte. Dabei aber offensichtlich verschwiegen hat, dass sich der Betreiber eines Paradeprojekts der frühen Autobahnprivatisierung, die A1/Hansalinie zwischen Hamburg und Bremen, schon seit Jahren in gravierender finanzieller Schieflage befindet. Denn die tatsächliche Situation war seit Jahren zu erkennen: Sie ergibt sich aus Pflichtveröffentlichungen der Betreibergesellschaft, die für jedermann einsehbar sind …
Das Dementi des Verkehrsministeriums
Die Fragen an Alexander Dobrindt häufen sich daher. Ob er bzw. sein Ministerium nichts gewusst habe von der Schieflage der Betreibergesellschaft, der A1 mobil GmbH & Co KG. Die Tagesschau online brachte dazu am 28.08. ein aktuelles und eindeutiges Dementi [1]:
Dass es seit langem Probleme bei dem Projekt gebe, liege auf der Hand sagte der Sprecher und verwies auf langjährigen Gespräche auf Arbeitsebene. Dabei sei es aber nicht um die Gefahr einer Insolvenz des Betreibers gegangen. … Eine solche Zahlungsunfähigkeit gebe es ja auch momentan nicht. Es sei vielmehr um ‚Restrukturierungen‘ gegangen.“
Tagesschau als Verlautbarungsorgan, Überprüfung findet nicht statt
Diese Darstellung ist fragwürdig, um es vorsichtig auszudrücken. Dass die Tagesschau eine solche Darstellung ohne weitere Recherche oder Überprüfung bringt, beleuchtet deren Selbstverständnis: In „90“ die Pressemitteilung eines Ministeriums wiedergeben. Dass es tatsächlich auch ganz anders gewesen sein kann, als vom Ministerium berichtet, kommt in dem Beitrag der Tagesschau nicht vor:
Was wahr ist, steht in öffentlich verfügbaren Quellen
Dabei hätte es nicht einmal eines großen Rechercheverbunds bedurft, um die wahren Sachverhalte nachzulesen. Denn die stehen im Unternehmensregister, einer Datenbank, die jedermann via Internet einsehen kann [2]. Diese Datenbank wird betrieben vom Verlag Bundesanzeiger im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz. Alle in Deutschland ansässigen, gewerblich tätigen juristischen Personen – dazu gehören insbesondere GmbHs und GmbH & Co KGs – sind GESETZLICH VERPFLICHTET, beim Unternehmensregister ihre sämtlichen veröffentlichungs-relevanten Informationen einzureichen. Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung des Unternehmensregisters die Transparenz über Kapitalgesellschaften erhöhen. Zu den im Unternehmensregister veröffentlichten Angaben gehören also alle Änderungen, die im Handelsregister eingetragen werden, wie z.B. Änderungen des Firmensitzes, der Geschäftsführer, die Liste der aktuellen Gesellschafter, sowie die Jahresabschlüsse der Gesellschaften nach dem Ende jedes Geschäftsjahres.
Die Veröffentlichungen der A1-Betreibergesellschaft
Diese Veröffentlichungspflichten betrafen logischerweise auch die A1 mobil GmbH & Co KG, also den Vertragspartner der Bundesrepublik Deutschland im ÖPP-Teilprojekt A1/Hansalinie. Und man kann wirklich nicht sagen, dass die Gesellschaft, insbesondere in den veröffentlichten Jahresabschlüssen, hinter dem Berg gehalten hätten mit dem Hinweis auf „außerbilanzmäßige Risiken und Verpflichtungen“ bzw. auf „bestandsgefährdende Tatsachen“. Neben den ausführlichen Erläuterungen in diesen beiden Kapiteln des Anhangs zum jeweiligen Jahresabschluss findet sich auch die Mitteilung, dass sämtliche früheren Geschäftsführer – Vertreter der Anteilseigner – ersetzt wurden durch einen Einzelgeschäftsführer. Der kam von einer Beratungsgesellschaft und gilt als Experte für Unternehmenssanierungen. Der Posten, den der Mann bei der A1 mobil GmbH & Co KG übernahm, ist insofern undankbar, als er vom drohenden Damoklesschwert der Insolvenz seiner Gesellschaft bedroht ist. Denn für nachweisbare Sachverhalte einer Insolvenzverschleppung als Geschäftsführer haftet der Betroffene persönlich. [Unter anderem das ist es, was Geschäftsführer von Politikern unterscheidet – doch genug der spitzen Bemerkungen.]
Schlichtungsverhandlungen – schon im Jahresabschluss 2010 erwähnt
Schon im veröffentlichten Jahresabschluss für 2010 [3/2010] weist die Gesellschaft unter dem Punkt ‚Rechtsstreitigkeiten‘ im Anhang des Jahresabschlusses darauf hin, dass sie
Auch Schäuble muss noch zustimmen – Hinweise im Jahresabschluss 2011
Im Jahresabschluss 2011 [3/2011] heißt es dann zum gleichen Thema:
Im Jahresabschluss 2012: Mögliche Zahlungsunfähigkeit und Insolvenz als „bestandsgefährdende Tatsachen“
Im Jahresabschluss für 2012 [3/2012] taucht dann erstmals im Anhang zur Jahresabschluss ein Gliederungspunkt ‚Bestandsgefährdende Tatsachen‘ auf:
Dobrindt wird Verkehrsminister
Am 17.12.2013 wird Alexander Dobrindt zum Bundesverkehrsminister ernannt.
Im Jahresabschluss 2013: Prognostizierte Erlöserwartungen nicht zu halten
Der Jahresabschluss 2013 [3/2013] der A1 mobil GmbH & Co KG lässt überlang auf sich warten. Erst am 24.05.2016 und damit um mehr als ein Jahr „zu spät“ erscheint er im Unternehmensregister:
Im nun schon eingeführten Gliederungspunkt im Anhang zum Jahresabschluss, der überschrieben ist mit ‚Bestandsgefährdende Tatsachen‘, wird inzwischen dramatischer formuliert:
Selbst bei einer Fortschreibung der Verkehrsentwicklung gemäß der ursprünglichen Prognose kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass die durch die Kapitalgeber zur Verfügung gestellten Finanzmittel vollumfänglich zurückgezahlt werden können.“
Man nennt diese Situation eine ‚drohende Zahlungsunfähigkeit‘. Dem Geschäftsführer droht in einer solchen Situation der strafrechtlich empfindliche Vorwurf der Insolvenzverschleppung.
Um sich dagegen abzusichern, ist im Anhang zum Jahresabschluss 2013 begründet, dass und warum eine positive Fortbestehensprognose besteht. Es wurde da nämlich eine Stillhaltevereinbarung mit den Kreditinstituten vereinbart. Ferner drückt die Geschäftsführung ihre Zuversicht aus, dass das mit dem Konzessionsgeber, also der Bundesrepublik Deutschland, noch immer anhängige Schlichtungsverfahren nunmehr bis zum 31. Mai 2016 zum Abschluss gebracht wird. Sollte dies allerdings nicht der Fall sein, so würde „die Kündigung und Fälligstellung der Kredite voraussichtlich zur Zahlungsunfähigkeit und Insolvenz der Gesellschaft führen.“ Diesen Hinweis unterschrieb der Geschäftsführer am 24. März 2016. Und ergänzte den Text durch den nicht unwesentlichen Hinweis darauf, dass „nicht durch Vermögensanlagen gedeckte Verlustanteile der Kommanditisten“ von inzwischen 702,5 Millionen Euro aufgelaufen sind.
Im Jahresabschluss 2014 – deutliche Warnung vor „Zahlungsunfähigkeit und Insolvenz“
Der Geschäftsführer war in dieser Situation wirklich nicht zu beneiden. Mit einem Fuß steht er in der Gefahr des Vorwurfs der Insolvenzverschleppung, umso mehr muss er sich Mühe geben, nach wie vor eine positive Fortführungsprognose plausibel darstellen zu können. Insofern unterschrieb er im Anhang zum Jahresabschluss 2014 [3/214] den Satz,
Diesen Jahresabschluss hat der Geschäftsführer am 16. Juni 2016 unterzeichnet und zeitnah beim Unternehmensregister eingereicht.
Vergleich des Dementis des Verkehrsministerium mit den über Jahre veröffentlichten Firmendokumenten
Angesichts der Fülle dieser Warnungen und Hinweise der Geschäftsführung des Konzessionsnehmer in fünf aufeinander folgenden, veröffentlichten Jahresabschlüssen ist die Darstellung des Verkehrsministeriums in mehrfacher Hinsicht ein Für-Dumm-Verkaufen der Öffentlichkeit und der Medien:
Insolvenzantragsgründe
Dazu sei erläuternd noch gesagt, dass im Wesentlichen zwei Sachverhalte zur Insolvenz führen und der/die Geschäftsführer der betroffenen Gesellschafter damit verpflichtet ist/sind, Insolvenzantrag zu stellen:
- Grund 1 ist die Zahlungsunfähigkeit bzw. drohende Zahlungsunfähigkeit, die nicht kurzfristig behoben werden kann.
- Grund 2 ist die Überschuldung, die man aus der Bilanz ablesen kann und die charakterisiert ist dadurch, dass die Schulden der Gesellschaft das Vermögen übersteigen. Das Eigenkapital ist somit negativ. In diesem Fall liegt nur dann keine Überschuldung vor, wenn eine positive Fortführungsprognose besteht.
Denn das steht in den öffentlich für jedermann einsehbaren Dokumenten der Betreibergesellschaft:
- Auf die Insolvenzgefahr hat die A1 mobil GmbH & Co KG erstmals ausdrücklich im Jahresabschluss 2012 hingewiesen und in immer dramatischeren Darstellungen in den Abschlüssen für 2013 und 2014.
- Die drohende Zahlungsunfähigkeit wurde durch ein zeitlich bis zum 31.12.2017 befristetes Stillhalteabkommen mit den Banken vorübergehend abgewendet; wenn es bis zum Ablauf der Frist nicht zu einer Einigung mit dem Konzessionsgeber kommt, läuft das Stillhalteabkommen aus. Die Kredite müssten dann wieder bedient werden, wozu die Gesellschaft wohl nicht fähig wäre, was also dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit gleichkäme.
- Schlichtungsvereinbarung mit dem Konzessionsgeber: Nach den Ausführungen in den Jahresabschlüssen der Betreibergesellschaft hing alles an der Modifizierung der Vereinbarungen zwischen Betreibergesellschaft und dem Bund. Nach Berichten der Süddeutschen Zeitung [4] soll es dazu angeblich drei Gerichtsentscheidungen gegeben haben, die jeweils zugunsten der Betreibergesellschaft ausgegangen sein sollen. Die Formulierung von „langjährigen Gesprächen auf Arbeitsebene“ verschleiert die über Jahre gelaufenen Schlichtungsverhandlungen mit der Bundesrepublik Deutschland, die nach der Darstellung in den Jahresabschlüssen mehrfach (scheinbar) erfolgreich waren und immer wieder seitens des Konzessionsgebers blockiert wurden.
- Es mag sein, dass es bei diesen Schlichtungsverhandlungen nicht hauptsächlich um die Insolvenz gegangen ist. Es sollte jedoch ein Betriebswirtschaftsstudium im Erstsemester ausreichen, um aus den veröffentlichten Bilanzen der Betreibergesellschaft schon seit Jahren ablesen zu können, dass diese überschuldet ist und zusätzlich aus den Erläuterungen im Anhang erkennen zu können dass die Zahlungsunfähigkeit droht. Beides sind Voraussetzungen, die sehr ernsthaft an die Notwendigkeit eines Insolvenzantrags denken lassen. Diese Kenntnis muss auch bei verantwortlichen Verhandlern im Bundesverkehrsministerium vorausgesetzt werden.
- Der weitere Hinweis, dass es eine solche Zahlungsunfähigkeit derzeit ja noch nicht gebe, kann nur noch als zynisch gewertet werden. Denn de facto tritt diese Zahlungsunfähigkeit erst ein, wenn nach dem festgestellten Scheitern der über Jahre laufenden Schlichtungsverhandlungen mit dem Konzessionsgeber Bundesrepublik Deutschland, bzw. nach dem Auslaufen der befristeten Schlichtungsvereinbarung, die Kreditgeber die Kredite fällig stellen.
Wir wissen derzeit nicht, wer eigentlich die Kreditgeber der A1 mobil GmbH & Co. KG sind. Insofern ist mit gewisser Spannung abzuwarten, wie sich eigentlich diese Institute zum nicht unwahrscheinlichen Eintritt des Insolvenzereignisses für die Betreiberlinie der A1/Hansalinie stellen. Sollten es d/Deutsche Banken sein? Sollte wieder einmal der Steuerzahler aufgerufen sein, die Schäden von diesen Banken abzuwenden, indem er die Verbindlichkeiten ausgleicht?
Dabei sollte auch nicht übersehen werden, dass die noch aktive Betreibergesellschaft ein Pfund hat mit dem sie wuchern kann: Es stehen ihr nämlich die anteiligen Erlöse aus der LKW-Maut auf der Strecke A1/Hansalinie für die gesamte (30-jährige Laufzeit) des ursprünglichen Vertrages zu. Insofern bleibt mit Spannung abzuwarten, wer sich – und wie – im Zuge einer möglichen Insolvenz diesen Vermögensgegenstand sichert.
Doch zurück zum Verkehrsminister Alexander Dobrindt und seiner Strategie des Leugnens
Klar ist: Dobrindt hat ein Problem. Denn im Frühsommer hat er der Öffentlichkeit und den Medien – erfolgreich – die Vorteile der Privatisierung des Netzes der Bundesfernstraßen eingeredet. Ein Vorhaben, das von mindestens zwei Dritteln der Bürger der BRD abgelehnt wird. Wenn Dobrindt schon damals offengelegt hätte, wie schief sich seit Jahren das ehemalige ÖPP-Vorzeigeprojekt A1/Hansalinie tatsächlich entwickelt, wäre dies die Bestätigung der Argumente der ÖPP-Kritiker durch Fakten gewesen. Die Entscheidung im Bundestag über die umfassende Privatisierung des Fernstraßennetzes wäre dann mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit anders ausgefallen. Das alles hat der Verkehrsminister gewusst, aber verschwiegen.
„Täuschung im Rechtsverkehr“, sagt ein juristischer Standardkommentar [5], kann auch durch Unterlassen geschehen. Und ist verwirklicht, „wenn eine Garantenpflicht zur Aufklärung besteht“ und „die Aufklärung möglich und zumutbar ist“. Das sollte man von einem Bundesminister und seinem Personalstab erwarten können.
Die Schieflage ist offensichtlich durch hohe Finanzierungskosten verursacht – das hätte der Bund selbst billiger hingekriegt
Und da wäre übrigens noch ein wichtiges Thema: Die Schieflage der Betreibergesellschaft ist verursacht durch Fremdfinanzierung – vulgo: Es wurden Kredite aufgenommen, um die Bauleistungen und initialen Erhaltungsleistungen durch die Betreibergesellschaft finanzieren zu können. Würde der Bund selbst solche Leistungen erbringen (und eben nicht in ÖPP-Projekten an private Dritte auslagern), so müsste der Bund entsprechende Kredite aufnehmen. Eine Maßnahme, die ihm der Bundesfinanzminister Schäuble mit seiner genialen Idee von der Schuldenbremse versagt hat. Eine Kreditfinanzierung durch den Bund hätte jedoch den Vorteil, dass der Bund extrem niedrige Schuldzinsen bezahlt. Ganz im Unterschied zu der privaten A1-Betreibergesellschaft.
Und so bleibt also auch hier wieder als Fazit eines gigantisch im Scheitern begriffenen Projektes. Phantastische Konzepte ohne Bezug zur wirtschaftlichen Wirklichkeit und völlig abgehoben von den ernst zu nehmenden Empfehlungen bzw. Warnungen kompetenter Wirtschaftswissenschaftler werden – koste es was es wolle – durchgezogen: Denn am Ende zahlt immer der Dumme und das ist in diesem Land leider – unfreiwillig – der Steuerzahler.
Quellen
[1] Ministerium widerspricht Berichten, 28.08.2017, Stand: 17:25 , Tagesschau Online
http://www.tagesschau.de/inland/dobrindt-autobahn-103.html
[2] Zur Datenbank des Unternehmensregisters gelangen Sie über diesen Link: https://www.unternehmensregister.de
[3] Die Jahresabschlüsse der A1 mobil GmbH & Co KG für die angegegebenen Jahre sind kostenlos beim Unternehmensregister (siehe [2]) abrufbar.
[4] Autobahnbetreiber will noch mehr Geld vom Bund, 26.08.2017, Süddeutsche Zeitung online
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/autobahnbetreiber-a-milliardenpanne-1.3640334
[5] Kommentar zum Strafgesetzbuch, 64. Auflage, 2017 Thomas Fischer, dort Rn 38 zu §263
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