Die Hunnen kommen – oder etwa doch nicht?!

„Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund steigt deutlich“ behauptete die Welt Online am 01.08 [1]. Sie bezieht sich dabei auf Daten des Statistischen Bundesamts: Aus denen sie ableitet, dass die Flut von ‚Migranten‘ stetig anschwillt. Dabei aber unter den Tisch fallen lässt, dass 68% der Ausländer in Deutschland aus Europa stammen, von denen die meisten schon viele Jahre im Lande sind. Damit betreibt die ‚Welt‘ ein weiteres Mal [A, B] unverhohlen Propaganda für die Ideologie von CSU und CDU. Sie bedient sich damit aus dem Methodenkoffer des Politischen Framings. Worauf man achten sollte, um auf solche Manipulation nicht hereinzufallen, das beleuchtet der folgende Artikel. | Lesedauer: Ca. 6 Minuten

Politisches Framing in Reinkultur

Schon die Überschrift ‚Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund steigt deutlich‘ aktiviert im Kopf des Lesers das Bild vom Flusspegel, der bedrohlich anschwillt. Der Fluss, das ist die Bundesrepublik Deutschland, die unter Wasser gesetzt, überschwemmt wird von ‚Migranten‘ bzw. ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘.

Die Metapher von der steigenden Flut ist bewusst gesetzt. Sie verknüpft sich im Kopf des Lesers mit dem Flüchtlings-Strom oder der Flüchtlings-Flut, Begriffen, die seit 2015 häufig und gerne in der ideologisch agierenden Presse verwendet werden. Diese Begriffe wecken die Assoziation von einem Fluss, der nicht aufgehalten werden kann, der immer mehr anschwillt und in Gefahr ist, in Zukunft über die Ufer zu treten. Es werden dann, so suggeriert das Bild und die Texte weiter, die Deutschen die Opfer der Überschwemmung sein. Die Migranten bzw. synonym so bezeichnet „die Flüchtlinge“ kommen in dem Bild nur als Masse vor, ein persönliches Gesicht oder Schicksal gesteht ihnen diese Ausdrucksweise nicht zu. Sie bilden die „Fluten, die ohne Sinn und Verstand – und vor allem ohne Ziel und Zweck! – das Land überrollen“. „Sie überschwemmen unser Land, hinterlassen verwüstete Landschaften, großen wirtschaftlichen Schaden und eine traumatisierte Bevölkerung“ (nach [3], S. 174f) . Metaphern, wie diese vom „deutlichen Anstieg“ sollen den Leser gedanklich vorbereiten bzw. in dieser Haltung bekräftigen. Und passen somit bestens ins Bild, das sich vor allem in den Leserkommentaren breitmacht, die solche Artikel in der Welt provozieren.

Wer sind nun diese ‚Migranten‘ vor denen die ‚Welt‘ so viel Furcht verbreitet?

Im redaktionellen Umfeld der ‚Welt‘ sind Migranten gleich Flüchtlinge gleich Zuwanderer. Also die Gruppe von Menschen, die vor allem seit 2015 ins Land kamen, als Flüchtende vor dem Bürgerkrieg in Syrien, aus dem Iran oder Irak, aus Agghanistan oder Eritrea. In den letzten Tagen kommen die Menschen hinzu, denen es überhaupt noch gelungen ist, über die südliche Mittelmeerroute vor allem in Spanien an Land zu kommen. Gegen die und die Wirkungslosigkeit der deutschen Regierungspolitik mobilisiert die ‚Welt‘ in einem weiteren Artikel vom 05.08. ihre Leserkommentatoren mit der Mitteilung „Bundesregierung besorgt über weiterreisende Flüchtlinge aus Spanien“ [4]. Diese treuherzig provokante Überschrift provozierte innerhalb von zwei Tagen 2.100 verbale Wutausbrüche und belegte damit genau die Emotionen, die beabsichtigt waren.

Aus alledem entsteht der Eindruck, dass es vor allem diese Flüchtlinge sind, die Deutschland in die Gefahr der Überfremdung stürzen. Denn schließlich liegt „der Anteil an der Gesamtbevölkerung bei 23,6 Prozent“.

Fakten über die Herkunft und aktuelle Staatsbürgerschaft von Ausländern in Deutschland

Die Zahl, die die ‚Welt‘ da kolportiert, ist korrekt wiedergegeben. Woher ‚die Ausländer in Deutschland“ jedoch tatsächlich kommen, hat man allerdings wohlweislich unter den Tisch fallen lassen. Daher hier einige Fakten aus dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes [2], die das manipuliert schiefe Bild, das die ‚Welt‘ hervorruft, gerade rücken:

Ausländische Wurzeln und Staatsbürgerschaften

Die ‚Welt‘ verwendet, nicht nur in diesen Artikeln, den Begriff ‚Migrant‘ bzw. „Mensch mit Migrationshintergrund“ gerne und häufig.

  • Ausländer, die zugewandert sind:
    Als ‚Migranten‚ bezeichnet sie [a] Menschen, die in einem anderen Staat geboren wurden und nun in Deutschland leben. Dabei handelt es sich um 13,2 Millionen Menschen im Jahr 2017. Von denen haben 5,2 Millionen einen deutschen Pass und 7,9 Millionen haben nach wie vor eine andere Staatsbürgerschaft.
  • In Deutschland geborene Kinder von Ausländern
    Diese Menschen haben Kinder, die in Deutschland geboren wurden. Sie werden als „Menschen mit Migrationshintergrund“ bezeichnet, weil einer oder beide Elternteile nicht gebürtige Deutsche sind. Im Jahr 2017 weist die Statistik weitere 6,1 Millionen Menschen mit einem solchen, so genannten „Migrationshintergrund“ aus. Von denen haben 76% die deutsche Staatsangehörigkeit.
  • Der Anteil aller Menschen, die in Deutschland leben, ohne die deutsche Staatsbürgerschaft zu haben – es sind insgesamt 9,416 Millionen – beträgt 11,5 Prozent an der Gesamtbevölkerung.

68% der Menschen in Deutschland mit ausländischen Wurzeln stammen aus Europa


Bemerkenswerte und überraschende Erkenntnisse liefert ein Blick auf die ursprüngliche Herkunft der 13,2 Millionen, die in einem anderen Land geboren und nach Deutschland eingewandert sind: Denn 8,867 Millionen bzw. 68% aller Mitbürger von ausländischer Herkunft stammen aus Europa.

39 von 100 Menschen mit ausländischen Wurzeln sind EU-BÜRGER

5,102 Millionen Menschen kommen aus Ländern der Europäischen Union. Polen mit 1,664 Millionen, Rumänien mit 707.000, Griechenland mit 278.000 und Bulgarien mit 242.000 stellen große Gruppen. Bei denen sich die Frage stellt, welche „Fluchtursachen“ Polen, Griechen, Rumänen oder Bulgaren dazu gedrängt haben, ihr Heimatland (zeitweise?) zu verlassen. Oder andersherum, wie eigentlich die Situation in Deutschland auf dem Bau, in der Pflege oder in Krankenhäusern aussähe, ohne Arbeiter aus Bulgarien oder Rumänien, Pflegekräfte (im Privatbereich) aus Polen oder ohne Ärzte aus Griechenland.

Nicht zu vergessen sind die halbe Millionen Menschen aus Italien, von denen viele ins Land kamen, nachdem die Bundesrepublik Deutschland schon 1955 ein erstes Anwerbeabkommen mit Italien geschlossen hatte. Dem später noch viele weitere solcher Abkommen folgten mit Spanien, Griechenland, der Türkei, Marokko (sic!), Südkorea, Portugal, Tunesien und Jugoslawien.

Weitere 36 von 100 Menschen mit ausländischen Wurzeln stammen aus sonstigen europäischen Ländern und aus Russland

Fast ebenso groß wie die Gruppe der EU-Ausländer ist die Gruppe der Menschen aus sonstigen Ländern Europa, sowie der Türkei und der (ehemaligen) Sowjetunion. Dazu gehören Türken mit 1.270 Millionen (hier sind nur die in der Türkei GEBORENEN und zugewanderten Menschen umfasst), „Spätaussiedler“ aus der russischen Föderation (1.100 Millionen) und 931.000 aus Kasachstan, sowie 364.000 aus der Ukraine. Weitere 744.000 stammen aus den ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Serbien. Auch für die Zuwanderung dieser Menschen waren Anwerbeabkommen, wie z.B. mit der Türkei, verantwortlich. Oder Vereinbarungen im Zuge der Wiedervereinigung. Oder die relativ freizügige Aufnahme von Menschen, die vor dem Krieg in Jugoslawien flüchteten. All das war politisch gewollt und vereinbart von einer demokratisch legitimierten deutschen Regierung.

(Nur) 11 von 100 Menschen mit ausländischen Wurzeln stammen aus dem Nahen und Mittleren Osten

Unter den 1,401 Millionen Menschen aus dieser Region stellen die Syrer die größte Gruppe mit 641.000, gefolgt von Irakern mit 199.000 und Iranern mit 167.000. Der Rest von 394.000 verteilt sich auf diverse Länder dieser Region. Im Jahr 2017 wurden 91,5% der in diesem Jahr entschiedenen Asylanträge von Syrern positiv im Sinne der Antragsteller entschieden. Das bedeutete jedoch beileibe nicht lebenslanges Aufenthaltsrecht in Deutschland, sondern subsidiären Schutz nach §4, Abs. 1 ASylG. Was zur Folge hat, dass die Schutzberechtigten ein Aufenthaltsrecht von einem Jahr haben, das um zwei weitere Jahre verlängert werden kann.

Weniger als 2 von 100 Menschen mit ausländischen Wurzeln kommen aus allen sonstigen Kontinenten

Auf den Fernen Osten entfallen 912.000 Menschen, davon 186.000 Menschen aus Afghanistan, 147.000 aus China, 116.000 aus Indien und 106.000 aus Vietnam.

Insgesamt 578.000 Menschen aus Afrika lebten 2017 in Deutschland. Was nichts darüber aussagt, wann diese Menschen nach Deutschland kamen. Denn darunter sind z.B. auch 110.000 Leute, die sich zum Studium oder aufgrund einer Stellenzusage vor ihrer Anreise auf den Weg nach Deutschland gemacht haben.

Aus Nordamerika stammen 135.000 Menschen, aus Mittel- und Südamerika 239.000 Leute. Und aus Australien und Ozeanien 35.000.

Was Artikel, wie den hier kritisierten so gefährlich macht

Die Meinungsmache in der ‚Welt‘ gegen Ausländer verfolgt das Ziel der Ausgrenzung. Sie ist Ausdruck eines „auf leisen Sohlen daherkommenden“ Rassismus, der mit angeblich „journalistischen“ Inhalten in die Mitte der Gesellschaft getragen und dort salonfähig gemacht werden soll. Die journalistische Qualität ist solchen Artikeln abzusprechen, weil sie das Thema unvollständig darlegen und ideologisch selektiv argumentieren. Getreu dem Motto „Das wird man dann doch noch sagen dürfen“ werden Denkweisen und Haltungen erzeugt und verbreitet, die in ihrer Verachtung von Grundwerten und ihrem Zynismus bis vor kurzem noch undenkbar bzw. unaussprechlich gewesen wären.

Zu diesem Zweck bedient sich die ‚Welt‘ aus dem Methodenkoffer des Politischen Framings. Sie nutzt, schafft und verstärkt Metaphern, das sind plastische, gut begreifbare Bilder und Szenen, wie zum Beispiel die vom „Flüchtlingsstrom“, um das Denken, die (politische) Entscheidung und das Handeln ihrer Leser zu beeinflussen und zu steuern. Viele Artikel dienen kaum noch der Information, sondern vorrangig der (demagogischen) Vorstrukturierung des Denkens der Leserschaft, von denen sich die besonders aktiven dann zu – meist den Tenor der Artikel bestätigenden – Kommentaren motivieren lassen, deren Zahl in die tausende geht. Dies wiederum kann und wird von der Welt – und ihren politischen Opportunisten – als Bestätigung der Bevölkerung für ihre durch Manipulation erzeugte politische Haltung genutzt. Ein Perpetuum Mobile der Meinungsmache in der Massenkommunikation ist damit in Gang gesetzt.

Fußnoten

[a]   Die – aus unserer Sicht – nicht mehr wertfreien – Begriffe „Migrant“ und „Migrationshintergrund“ werden bereits in der Dokumentaion des Statistischen Bundesamtes verwendet.

Quellen und Belege

[1]   Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund steigt deutlich, 01.08.2018, Welt Online
https://www.welt.de/politik/deutschland/article180338680/Zahl-der-Menschen-mit-Migrationshintergrund-steigt-deutlich-auf-19-3-Millionen.html

[2]   Ergebnisse des Mikrozensus 2017 – Bevölkerung mit Migrationshintergrund, 01.08.2018, Statistisches Bundesamt
https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=3&ved=2ahUKEwjZqNS-3NjcAhUK36QKHb-5CbcQFjACegQICRAC&url=https%3A%2F%2Fwww.destatis.de%2FDE%2FPublikationen%2FThematisch%2FBevoelkerung%2FMigrationIntegration%2FMigrationshintergrund2010220167004.pdf%3F__blob%3DpublicationFile&usg=AOvVaw3uHjkZ-uSqjF3pV9OzsqWv

[3]   Politisches Framing – Wie eine Nation sich ihr Denken einredet und daraus Politik macht, Eliabeth Wehling, Herbert von Halem Verlag 2016

[4]   Bundesregierung besorgt über weiterreisende Flüchtlinge aus Spanien, 05.08.2018, Welt Online
https://www.welt.de/politik/deutschland/article180588420/Steigende-Migrantenzahlen-Bundesregierung-besorgt-ueber-weiterreisende-Fluechtlinge-aus-Spanien.html

Artikel zu diesem und verwandten Themen

[A]   “Kritischer, tiefgründig recherchierter Journalismus“ in Bild und Welt, 25.08.2018, CIVES
https://cives.de/kritischer-tiefgruendig-recherchierter-journalismus-in-bild-und-welt-7798

[B]   Dobrindt sägt am Rechtsstaat, Springers ‚Welt‘ assistiert, 08.05.2018, CIVES
https://cives.de/dobrindt-saegt-am-rechtsstaat-springers-welt-assistiert-7723

Copyright und Nutzungsrechte

(C) 2018 CIVES Redaktionsbüro GmbH
Sämtliche Urheber- und Nutzungsrechte an diesem Artikel liegen bei der CIVES Redaktionsbüro GmbH bzw. bei dem bzw. den namentlich benannten Autor(en). Links von anderen Seiten auf diesen Artikel, sowie die Übernahme des Titels und eines kurzen Textanreißers auf andere Seiten sind zulässig, unter der Voraussetzung der korrekten Angabe der Quelle und des/der Namen des bzw. der Autoren. Eine vollständige Übernahme dieses Artikels auf andere Seiten bzw. in andere Publikationen, sowie jegliche Bearbeitung und Veröffentlichung des so bearbeiteten Textes ohne unsere vorherige schriftliche Zustimmung ist dagegen ausdrücklich untersagt.