Impressionen aus dem Gipfel-Hinterland
Es ist Samstag, der 6. Juni, ein Tag vor offiziellem Beginn des Gipfels. Ich bin im Hinterland unterwegs:
Halbwegs entvölkert: Oberbayern am langen Wochenende in den Pfingstferien
Das Wetter ist traumhaft, dank der Feiertags am Donnerstag ist langes Wochenende. Kaum ein Münchner lässt sich eine solche Gelegenheit entgehen zu einem gepflegten Kurzurlaub:
Noch halbwegs normal der Verkehr auf der B307 von Bad Tölz zum Sylvenstein. Einige Paddler lassen ihre Boote zu Wasser. Am See die erste Polizeikontrolle. Wer Richtung Gipfelregion abbiegen will, braucht eine plausible Begründung oder hat, wie ich, eine Akkreditierung. Ich fahre am See entlang, weiter bis Vorderriß und nehme dort die Mautstraße nach Wallgau. In Vorderriß die nächste Polizeikontrolle. Wieder werde ich, dank meiner ‚Hundemarke‘ freundlich durchgewunken. In Wallgau herrscht so wenig Verkehr wie im Spät-November. Café und Konditorei und die Bäckerei haben geschlossen: An einem Samstag um 11 Uhr! Auf nahezu jedem freien Parkplatz vor den Hotels und Pensionen stehen Polizei-Bullies. Die zugehörigen Besatzungen, meist in Freizeitkleidung, versorgen sich in der Getränkeniederlassung mit Leberkäs-Semmeln.
Krün schafft Biergartenatmosphäre
Wenige Kilometer weiter in Krün herrscht emsige Geschäftigkeit. Der Ort bereitet sich vor auf den Besuch der Kanzlerin und des US-Präsidenten am morgigen Vormittag. Beide möchten damit Volksnähe zum Ausdruck bringen. Nach Häufigkeit sortiert sind zu sehen: Polizisten, Rettungskräfte, Handwerker, Journalisten und Offizielle des Ortes. Bürgermeister Schwarzenberger grüßt mich freundlich, was bei ihm inzwischen ein Reflex geworden sein dürfte. Die amerikanische und deutsche Fahne sind gehisst, ein Begrüßungsdisplay ist gedruckt. Hier werden die Aufsager für die Medien stattfinden. Vor dem Gemeindehaus wird für eine „Biergartenatmosphäre“ gesorgt. Das bedeutet, dass die Grasflächen mit Plastikbelag abgedeckt werden und Holzhäuschen aufgebaut werden, die beim letzten Weihnachtsmarkt zum Lebkuchenverkauf genutzt worden sein dürften.Bewohner des Ortes sind kaum auszumachen. Man beobachtet das Treiben vom Balkon aus oder huscht kurz in den Garten. Bloß nicht den Schutz der eigenen Privatsphäre verlassen. Ein Ehepaar hilft mit einem kleinen Problem: Weit und breit ist kein Abfalleimer mehr auszumachen. Frau K. entsorgt netter Weise meine Semmeltüte und wir kommen ins Gespräch. Man fühle sich durchaus „vorgeführt“ in Krün nach der Ankündigung, dass Merkel und Obama mit Hilfe dieses Ortes ihre Verbundenheit mit der Bevölkerung demonstrieren wollen. Eigentlich findet sie, sei es eine „Frechheit“ für eine solche Veranstaltung so viel Geld auszugeben. Da gäbe es viele Menschen auf der Welt, die dieses Geld besser brauchen würden. Die Gemeinde habe profitiert: Neues Feuerwehrauto, neue Wasserleitung, Bahnhof und Gemeindehaus aufgehübscht. Das würde dem Ort aber langfristig nichts nützen. Aktuell seien keine Touristen da. Die wenigen, die es vor kurzem noch gab, sind verschreckt worden. Nicht mal wandern kann man mehr ungestört. Um langfristig bestehen zu können gegen die Konkurrenz der Tourismuszentren im nahen Österreich, sei eine Modernisierung und Verjüngung des Angebots notwendig. Und nicht ein neues Feuerwehrauto. Und, warnt sie zum Schluss, man solle erst mal abwarten, ob die versprochenen Finanzhilfen auch tatsächlich alle gezahlt würden. Ganz anders sieht das Herr G., ein 80jähriger Krüner, der sich bereitwillig von einem Journalisten ausquetschen läßt. Ja selbstverständlich geht er morgen zum Empfang von der Frau Bundeskanzlerin und dem Obama. Des ist schließlich a ganz große Ehre!
Hamburger Bereitschaftspolizei auf Gipfelurlaub in Klais
Ich fahre weiter nach Klais, passiere wieder ohne Probleme drei Polizeikontrollen und kann vordringen bis in den Protokollbereich im Ort. Auch nach den Beschränkungen durch das Landratsamt [und auch nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom Samstag Abend] ist ja ein Demonstrationsbereich am Bahnhof in Klais zugelassen: Für eine Demonstration am Bahnhof in Klais für ca. 500 Teilnehmer. Zugelassen wurde die Straße vor dem Bahnhof bis zur Höhe des Anwesens Bahnhofstraße 18. Davon wissen weder die Polizisten dort etwas noch die drei Kommunikationsbeamten der Polizei. Die gehen davon aus, dass maximal 50 Demonstranten als Delegation nach Elmau gefahren werden, wenn nicht noch eine andere Gerichtsentscheidung ergeht. [Was inzwischen der Fall ist: Das Verwaltungsgericht hat selbst diese delegierte Demonstration „aus Sicherheitsgründen“ abgelehnt.] Das Bild zeigt die nun zur Demonstration zugelassenen 40 m – vom Standpunkt des Betrachters bis zum blauen Schild hinten.
Unklar ist, wie die Demonstranten diese Demo-Meile erreichen sollen. Denn der Ort Klais ist gesperrter Protokollbereich, und die B2 ebenfalls gesperrt.
Ich mache mich auf den Fußmarsch zur Mautstelle an der Straße zum Schloss Elmau. Rechts und links der Straße stehen Demo-Absperrgitter.
Dahinter, in Grüppchen von jeweils zwei bis drei Leute, sind Angehörige der Bereitschaftspolizei Hamburg verteilt. Die waren schon bei der Großdemo am Donnerstag in München im Einsatz. Für sie ist es „mal was ganz anderes“, so ein Einsatz in Oberbayern. Abgesehen von der schwarzen Dienstkleidung scheinen sie den Aufenthalt regelrecht zu genießen. „Hund müsste man sein“, entfährt es einem von ihnen, als er den Diensthund mit Hundeführer beim Spielen im Bach beobachtet. Ich sehe viele junge Gesichter. Wäre da nicht die sehr unterschiedliche Kleidung, könnte man die jungen Demonstranten im Camp und die Polizisten hier äußerlich kaum unterscheiden.Auf der B2 von Klais Richtung Garmisch: Massive Reserven der Polizei
Von der angeblichen Einzäunung der B2 ist nichts zu erkennen. Bis hinter Kaltenbrunn sind Demo-Absperrgitter links und rechts der B2 aufgebaut.
Eilig und mit Blaulicht an allen Fahrzeugen kommt mir ein Tross von ca. 20 Polizei-Bullies entgegen. Sie nehmen Aufstellung auf dem Bahnhofsplatz in Klais. Wenige Minuten später folgt ein gepanzertes Fahrzeug und ein Wasserwerfer. Und eine halbe Stunde später kommt ein zahlenmäßig gleicher Tross von Bullies wieder zurück aus Klais. Diesmal nehmen sie einen Schleichweg, nicht die B2, um nach Garmisch zurück zu fahren. Wirkt, als sei die Einsatzleitung sehr, sehr nervös.
Diesen Eindruck bestätigen auch erste Radiomeldungen aus Garmisch. Die Demo ist angelaufen, es kommt immer wieder zu Stockungen. Noch ist alles freundlich und friedlich, trotz einer erdrückenden Übermacht von Polizeikräften.
Apropos Übermacht: Entlang der B2 gibt es wirklich keinen, noch so kleinen Weg, der nicht vollgestopft ist mit Polizeifahrzeugen. Die zugehörigen Besatzungen haben nichts zu tun. Für die Gespräche mit Kollegen sind die Themen inzwischen auch alle durchgehechelt. Man sucht nach Schatten und genug Wasser.
Die Nerven liegen blank in Wamberg
Über Wamberg, ein kleines Dorf an einer Flanke der Berge zum Elmauer Tal, führt eine der Wanderrouten von Garmisch nach Elmau. Nichts für Spaziergänger, eine ordentliche Kondition ist erforderlich. Mit dem Wirt des Berggasthofs habe ich in den letzten Wochen mehrmals gesprochen. Damals war er noch zuversichtlich, was das Gipfelwochenende angeht und sprach sogar von einer Veranstaltung, die am Sonntag im Gasthaus stattfinde. Heute finde ich das Gasthaus verschlossen, ein Strick sperrt die Zufahrt ab. Ich wage es dennoch, das Grundstück zu betreten, möchte fragen, was die Situation so verändert hat. Doch die Nerven eines jungen Mannes dort liegen blank. Auskünfte will er nicht geben, fordert mich unmissverständlich zum Gehen auf. Im Nachbarhof steht das nächste Polizeiauto.Schleichwege um Partenkirchen
Die Ortsdurchfahrt Garmisch ist gesperrt. Eine weitere Polizeikontrolle, diesmal aus Dresden, empfiehlt mir in herrlichstem Sächsisch, einen Schleichweg oberhalb der B2 nach Partenkirchen. Den nutzt auch der Tross von Polizeifahrzeugen, die eine halbe Stunde zuvor nach Klais gebraust war. Nun kommen sie über die Bergstraße wieder zurück nach Partenkirchen.
Die Autobahn – leergefegt wie an einem autofreien Wochenende
Auf dem Rückweg Richtung Norden: Die Fahrspuren Richtung Garmisch sind leergefegt. Auf zwanzig Kilometern begegnen mir nicht mehr als 20-30 Fahrzeuge.
Das liegt allerdings nicht an der nach wie vor aktiven Sperrung und Polizeikontrolle an der Ausfahrt Sindelsdorf. Dort waren maximal 10 Fahrzeuge. Die Leute in Bayern haben anscheinend ihre Schlüsse gezogen. Das Werdenfelser Land ist Sperrzone in diesen Tagen …