Autobahnprivatisierung und PKW-Maut

Im Bundeskabinett soll morgen eine Grundgesetzänderung beschlossen werden. Sie überstellt die Verwaltung der Bundesautobahnen in eine Gesellschaft, an der sich – zu sehr vorteilhaften Bedingungen – auch private Investoren beteiligen können. Das Gesetz des Bundesverkehrsministers zur Einführung einer PKW-Maut schafft, zusammen mit den schon existenten Mautbrücken, die notwendige Voraussetzung für die Erfassung und Abrechnung der Streckennutzung durch jeden PKW-Fahrer.

Vergiftetes „Geschenk“

Morgen wird das Bundeskabinett über eine Änderung des Grundgesetzes beraten. Es geht um die Autobahnen, um die PKW-Maut und um die Möglichkeit, privaten Investoren die Möglichkeit zur Geldanlage und Renditegenerierung aus Mauteinnahmen zu eröffnen. An den Plänen dazu wird – vor allem im Hause des Bundesfinanzministers – seit Jahren gearbeitet [1]. In der vergangenen Woche konnte ein wesentlicher Durchbruch erzielt werden. Und zwar bei den Verhandlungen zur Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Die Länder, seit Einführung der „Schuldenbremse“ notorisch knapp bei Kasse, erhalten demnach rund 10 Milliarden Euro mehr pro Jahr. Im Gegenzug gaben sie u.a. ihren Widerstand auf gegen die Übernahme von Bau, Betrieb und Erhaltung der Autobahnen durch den Bund. Bisher hatten die Länder diese Aufgabe wahrgenommen im Auftrag des Bundes. Und so ist es bisher auch im Art. 90 des Grundgesetzes geregelt:

Art 90 GG in der aktuell gültigen Fassung
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 90
(1) Der Bund ist Eigentümer der bisherigen Reichsautobahnen und Reichsstraßen.
(2) Die Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften verwalten die Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs im Auftrage des Bundes.
(3) Auf Antrag eines Landes kann der Bund Bundesautobahnen und sonstige Bundesstraßen des Fernverkehrs, soweit sie im Gebiet dieses Landes liegen, in bundeseigene Verwaltung übernehmen.

Greifen Hand in Hand: Bundesautobahngesellschaft und die Dobrindt’sche PKW-Maut

Ab 2021 soll für die Verwaltung eine eigens zu schaffende Gesellschaft des Bundes zuständig sein, an der private Investoren bis zu 49% der Anteile übernehmen können sollen.

Die ursprünglichen Pläne aus dem Haus Schäuble sahen vor, das Eigentum an den Bundesautobahnen an die neue Gesellschaft zu übertragen. Versicherungsgesellschaften und andere Anleger, die zukünftigen Anteilseigner an der Bundesautobahngesellschaft, wären damit zu Miteigentümern am Staatseigentum geworden. Dagegen hatte es in den vergangenen Wochen erheblichen Widerstand gegeben. Im Finanzministerium gab man sich kompromissbereit: Die Eigentumsübertragung soll jetzt vom Tisch sein. In der neuen Fassung soll es vielmehr heißen: „Der Bund ist Eigentümer der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs. Das Eigentum ist unveräußerlich.“

Ob dies aus Sicht des Steuerzahlers und Autofahrers tatsächlich ein Teilsieg ist, darf bezweifelt werden. Denn man muss ja nicht unbedingt Eigentümer einer Sache sein, um aus ihrer Nutzung Einnahmen zu erzielen. „Nießbrauch“ nennen die Juristen das Recht, aus der Nutzung einer Sache entsprechende Vorteile zu ziehen. Wenn die Eltern ihr Häuschen schon zu Lebzeiten an den Nachbarn verkaufen, jedoch ein Wohnrecht bis zum Lebensende vereinbart wird, dann ist das eine Form des Nießbrauchs. Und das soll, im Falle der Autobahnen, folgendermaßen von statten gehen:

Schritt 1: Die Bundesautobahngesellschaft

Bau, Betrieb, Erhaltung und – eben auch der Nießbrauch – soll an die neue Bundesautobahngesellschaft übertragen werden. Bis zu 49% der Anteile an dieser Gesellschaft sollen von privaten Investoren übernommen werden können. Wie (trickreich) und damit lukrativ das Finanzministerium diese Anlagemöglichkeit ausgestaltet, hat die TAZ gestern [1] ausführlich und lesenswert dargestellt.

Schritt 2: Ausgliederung an ÖPP – öffentlich-private Partnerschaften

Wie auch bisher schon können private Partner den Ausbau, die bauliche und betriebliche Erhaltung und deren anteilige Finanzierung übernehmen. ÖPP – öffentlich-private Partnerschaften nennen sich diese Konstrukte. Nur am Rande sei erwähnt, dass die Rechnungshöfe von Bund und Ländern [2] und andere Fachleute [3] seit Jahren Sturm laufen gegen dieses Geschäftsmodell. Weil es für den Nutzer nachweislich erheblich teurer wird als ohne private Beteiligung. Wir hatten darüber schon vor zwei Jahren ausführlich berichtet [4].

Schritt 3: Erlöse aus der Nutzung generieren

Der private Partner erwartet natürlich Einnahmen aus diesem Geschäft. Die können bestritten werden aus den Maut-Gebühren für den jeweiligen Streckenabschnitt. So geschieht es bisher mit der LKW-Maut.

Hier kommt nun der Verkehrsminister ins Spiel und sein angebliches Steckenpferd – die PKW-Maut. Denn so unsinnig, unwirtschaftlich und angeblich nur dem CSU-bayerischen Starrsinn geschuldet, wie aktuell überall zu lesen, ist dieser Vorstoß vielleicht gar nicht, jedenfalls nicht aus der Sicht von Schäuble und Dobrindt. Denn der Gesetzentwurf zur Einführung einer Infrastrukturabgabe regelt zwei neue Vorhaben.

  • Das erste, die Einführung der PKW-Maut, wird breit diskutiert.
  • Das zweite, die Einführung eines ‚Infrastrukturabgabenregister‘ nimmt im Entwurf mindestens ebenso viel Raum ein, spielt jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle. Es handelt sich dabei um eine Datenbank, die beim Kraftfahrtbundesamt neu aufgebaut werden soll. Deren Zweck besteht darin, das aktuelle PKW-Kennzeichen zu verbinden mit dem Namen und Wohnort des aktuellen Halters. Und mit dessen Bankverbindung, die benötigt wird für die Abbuchung der Mautgebühren von dessen Konto.

Beides zusammen, die neue Bundesautobahngesellschaft und das neue Infrastrukturabgabenregister, sind aus der Sicht von Schäuble und Dobrindt die notwendigen Komponenten zur schrittweisen Privatisierung der Nutzung der Autobahnen durch die Hintertür. Die Frage des Eigentums ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Denn man muss nicht Eigentümer von Autobahnen- und Fernstraßenabschnitten sein, um daraus zu Einnahmen zu generieren. Es genügt vollkommen, wenn die neue Bundesfernstraßengesellschaft deren Bau, Betrieb, und Erhalt auslagert an private ‚Partner‘ und denen im Gegenzug die Einnahmen überlässt.

Schritt 4: Das Abrechnungssystem

Für nutzungsabhängige Einnahmen braucht man jedoch ein Abrechnungssystem. Ein wesentlicher Teil davon steht bereits: In Form der Mautbrücken des Toll Collect Systems auf rund 13.000 Autobahnkilometern. Schon seit langem ist bekannt, dass die Mautbrücken die Kennzeichen aller Fahrzeuge erheben. Bisher werden davon nur die Daten der mautpflichtigen Lastwagen verarbeitet, während die PKW-Kennzeichen – derzeit noch – Abfallprodukt sind und nicht gespeichert bzw. anderweitig genutzt werden. Das dürfte sich nach dem neuen Plan jedoch ändern.

Schritt 5: Die Abrechnung der Streckennutzung

Denn wenn in Zukunft der private Betreiber eines Autobahn-Streckenabschnittes Einnahmen erzielen möchte, muss erfasst werden, welcher PKW diesen Streckenabschnitt genutzt hat. Das lässt sich mit Hilfe der Mautbrücken leicht feststellen, indem die KFZ-Kennzeichen gelesen und gespeichert werden. Was zur Abrechnung noch fehlt, ist die Möglichkeit, das Kennzeichen zu einem bestimmten Datum und Zeitpunkt dem dann zuständigen Halter zuzuordnen. Dieser Link zwischen Kennzeichen und Halter wird – zeitaktuell und hoheitlich gesichert – durch das neue Infrastrukturabgabenregister des Kraftfahrtbundesamtes hergestellt. Es muss nun nur noch die Nutzung dieser Daten dem Streckenabschnittsbetreiber für die Abrechnung und Abbuchung der Gebühren zur Verfügung gestellt werden.

Weitere Nutzungsmöglichkeiten

Prinzipiell ergeben sich aus diesem Konstrukt der Bundesautobahngesellschaft und dem Infrastrukturabgabenregister noch weitere Möglichkeiten.

Möglichkeit 1: Erlöse aus dem Verkauf von Daten

Die Bundeskanzlerin ließ in ihrer Rede auf dem CDU-Parteitag schon mal anklingen, in welche Richtung die Regierung denkt:

„Es braucht gute Rahmenbedingungen – das ist eine Aufgabe auch für Europa –, wenn es um das Management von Riesen-Datenmengen geht, um Big Data. Die Idee, dass man sparsam mit Daten umgeht, gehört ins vergangene Jahrhundert. Wer sich nicht daran beteiligt, die Vielzahl der Daten zum Wohle des Menschen zu nutzen, sei es in der Medizin, sei es in der Zukunft der Mobilität [sic!], sei es in Angeboten der Plattform Wirtschaft, der wird zurückfallen und nicht Arbeitsplätze der Zukunft haben. Deshalb müssen wir vorne mit dabei sein.“

Könnte also sein, dass wir Autofahrer in Zukunft nicht nur Maut bezahlen, sondern auch mit unseren Daten zahlen: Dann nämlich, wenn es – via Toll Collect und Infrastrukturabgabenregister – gesetzlich zulässig gemacht wird, dass unsere Bewegungsdaten verkauft werden. Die technischen Voraussetzungen dafür werden gerade geschaffen.

Nutzung der Mautdaten durch Sicherheitsbehörden

Und nur am Rande sei daran erinnert, dass die Polizeigewerkschaften und Politiker der Inneren Sicherheit schon seit Jahren den Zugriff auf die Daten der Mautbrücken fordern. Für die Strafverfolgung in Fällen der schweren Kriminalität bzw. für den Kampf gegen den Terrorismus sei dies notwendig.

Ein weiterer Meilenstein bei der Schaffung des Digitalen Tsunamis

Immer enger würde damit das Netz aus digitalen Spuren: Kommunikationsdaten (Vorratsdatenspeicherung), Konto- und Finanztransaktionsdaten, Grenzübertritts- bzw. Flugreisedaten [a], könnten mit den Maut-Daten ergänzt werden um ein Bewegungsprofil vieler Autofahrer. Die Zusammenführung entsprechender Daten erzeugt einen digitalen Abdruck der Aktivitäten jedes einzelnen im Berufs- und Privatleben. Schäuble, der langjährige Innenminister, ist damit der Vision vom ‚Digitalen Tsunami‘ näher, die er schon Ende vor zehn Jahren als damaliger Vorsitzender des Rates der EU-Innenminister formulieren ließ:

„Jedes Objekt, das ein Mensch benutzt, jede Transaktion, die er macht und beinahe jeder Geschäftsgang oder jede Reise, die er unternimmt, erzeugt einen detaillierten digitalen Datensatz. Dies generiert einen wahren Schatz an Information für öffentliche Sicherheitsorganisationen und eröffnet gigantische Möglichkeiten zur Steigerung der Effektivität und Produktivität [sic!] der öffentlichen Sicherheit.“ [5]

Fußnote

[a]   Die Einführung des Fluggastdatensystems zur Speicherung von Flugreisedaten wird beim Bundesinnenministerium gerade vorbereitet.

Quellen

[1]   Dobrindt’s vernebelter Coup, 12.12.2016, TAZ
http://www.taz.de/Bundesregierung-will-privatisieren/%215361952/

[2]   utachten des Bundesrechnungshofs zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP) im Bundesfernstraßenbau, 05.01.2009
https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/gutachten-berichte-bwv/berichte/langfassungen/2009-bwv-gutachten-oeffentlich-private-partnerschaften-oepp-im-bundesfernstrassenbau

[3]   Public Private Partnership: Die Plünderung des Staates, Werner Rügemer, 02.2010 in Blätter für deutsche und internationale Politik
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2010/februar/public-private-partnership-die-pluenderung-des-staates#_ftnref

[4]   PKW-Maut ermöglicht umfassende Mobilitätskontrolle, 02.11.2014, CIVES
https://cives.de/pkw-maut-ermoeglicht-umfassende-mobilitaetskontrolle-2728

[5]   Public Security, Privacy and Technology in Europe: Moving Forward – Concept paper on the European strategy to transform Public security organiszations in a Connected World, Portugal 2007

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