Vom Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln

Was hat die Kanzlerin Herrn Erdogan versprochen?

Erdogan tobt wegen der Armenien-Resolution im Deutschen Bundestag. Und wegen des angeblichen Wortbruchs von Kanzlerin Merkel.

Drei, vier Tage vor der Abstimmung des Deutschen Bundestages über die Armenien-Resolution habe ihm Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel persönlich versichert, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um diese Abstimmung zu verhindern, sowie ihr Bestes zu geben, um die Annahme der Armenien-Resolution zu verhindern.
Diese angebliche Aussage von Erdogan berichten übereinstimmend Die Welt, Epoch Times und Focus Online jeweils am 04.06.2016, FAZ.NET am 05.06.2016, sowie die Südwest Presse Online am 06.06.2016.

Wenn das stimmt, wäre das ein dicker Hund. Fand jedenfalls Hans-Christian Ströbele, Innenpolitiker und Urgestein der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Und stellte eine Dringliche Anfrage [1], ob diese Aussage von Erdogan zutrifft. Und wie die Kanzlerin die Frage von Erdogan zu beantworten gedenkt, wie sie ihm und dem türkischen Ministerpräsidenten nach dieser Entscheidung in die Augen sehen will? Vor allem im Hinblick auf ihre geplanten baldigen weiteren Unterredungen mit Erdogan über die Vollziehung des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens?

Wie die Regierung nicht antwortet auf unangenehme Fragen

Die Anfrage wurde am 07.06. im Bundestag behandelt. ‚Beantwortet‘ wäre das falsche Wort für das verbale Scharmützel, das dann folgte. Bei dem Frau Prof. Maria Böhmer, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, erfolgreich demonstrierte, wie man als Pudding nicht an die Wand genagelt wird [2].

Frau Böhmer, man merkte ihr da die Professorin für Pädagogik an, eröffnete mit einer Lektion für Sozialkunde, 7. Klasse.

„Die Entschließung ist eine politische Initiative aus der Mitte des Deutschen Bundestags, der ein demokratisch gewähltes eigenständiges Organ unserer Verfassung ist.
Der Bundestag hat eine souveräne Entscheidung getroffen. Das ist zu respektieren. In diesem Sinne und im Respekt vor der Rolle, die der Deutsche Bundestag als Verfassungsorgan im Rahmen der Gewaltenteilung in Deutschland innehat, hat die Bundeskanzlerin ihre Gespräche mit dem türkischen Staatspräsidenten geführt. Die bilaterialen Gespräche werden in diesem Geiste fortgeführt. Einzelheiten solcher Gespräche sind im Übrigen grundsätzlich vertraulich.“

Ströbele parierte mit dem Hinweis, dass Erdogan selbst die Vertraulichkeit aufgegeben habe. Und wollte wissen, ob stimmt, dass Merkel Erdogan versichert habe, sie werde „alles in ihrer Macht Stehende tun, um diese Entschließung zu verhindern.“
Frau Böhmer wiederholte fast wortgleich noch einmal ihr langes Eingangsstatement und setzte bekräftigend obendrauf: „Das ist die Position und das ist die klare Aussage.“

Ströbele monierte, dass die stete Wiederholung des Gleichen keine Beantwortung von Fragen ist. Frau Böhmer, erneut kam die Pädagogin durch, freute sich „über das engagierte Vorgehen“ des „lieben Kollegen Ströbele.“ Beim Zuschauer stellten sich Visionen vom Kindergarten ein …

Strafanzeigen in der Türkei gegen elf Abgeordnete des Bundestages

Die Diskussion bekam mehr Schärfe durch den Einwand von Özcan Mutlu, MdB der Grünen: Der berichtete, dass am gleichen Tag in den türkischen Zeitungen zu lesen war, dass bereits drei Strafanträge gegen elf Mitglieder des deutschen Bundestages in der Türkei gestellt worden seien im Zusammenhang mit dem berühmt-berüchtigten §301, Beleidigung des Türkentums. Diese elf Abgeordneten würden sich also ausmalen können, welche Konsequenzen es hat, wenn eine oder einer von ihnen in die Türkei reist. Er wollte wissen, wie die Regierug diese Eskalation bewertet und was sie für die Partnerschaft zwischen beiden Ländern bedeutet.

Frau Böhmer zeigte sich „betroffen und erschüttert über das, was Ihnen [Mutlu und anderen Abgeordneten des Bundestags, auch mit türkischen Wurzeln] widerfährt.“
Und „schockiert“ über die Anzeigen. Das habe sie jetzt „zum ersten Mal gehört“. [a] Dieses Übermaß an Empathie genügte ihrer Meinung nach. Antworten auf die gestellten Fragen blieben daher aus.

Britta Haßelmann führte den nächsten Angriff: Wann denn die Kanzlerin sich in aller Deutlichkeit öffentlich einlassen werde zur Bedrohungssituation für die elf Abgeordneten. Denn Worthülsen, wie „stoßen bei uns auf Unverständnis“ oder „nicht nachzuvollziehen“ [von der Kanzlerin] seien der Situation in keiner Weise mehr angemesesen.
Die Regierungsbank brauchte eine Weile um zu klären, wer denn antwortet, wenn das Kanzleramt gefragt wird. Das Los traf schließlich den parlamentarischen Staatsekretär bei der Bundeskanzlerin. Und der hatte „heute über weiter gehenden Bewertungen durch die Bundesregierung nichts anzukündigen.“

Volker Beck durfte als nächster ran: „Können Sie ausschließen, dass die Bundeskanzlerin dem türkischen Staatspräsidenten versprochen hat, hier eine Abstimmung über eine Resolution zum Völkermord an den Armeniern zu verhindern?“ Nun verfiel Frau Prof. Böhmer aufs Filibustern:

„Es ist ganz klar …, dass ich gesagt habe, dass die Bundeskanzlerin im Respekt vor den Entscheidungen und der Unabhängigkeit und der Souveränität dieses Parlaments – das ist der Deutsche Bundestag; auch ich bin Abgeordnete; wir sind Vertreterinnen und Vertreter des deutschen Volkes; ich danke Ihnen, dass Sie das noch einmal so deutlich gesagt haben; das scheint mir gerade in dieser Zeit besonders wichtig – ihre Gespräche führt. Klarer geht es nicht.“

Ja oder Nein„, wolle Ströbele jetzt wissen. Und Jörn Wunderlich [LINKE] ergänzte:

„Aus Ihrer Antwort kann man nur schließen: Entweder die Bundeskanzlerin hat diese von Erdogan zitierte Äußerung wirklich verbal abgelassen, oder Erdogan hat gegenüber der Presse gelogen. Jetzt stehen Sie vor der Entscheidung: Für welche Variante entscheiden Sie sich?“

Darauf Frau Böhmer: „Herr Kollege, das sind Spekulationen, die Sie vornehmen und die Sie zu vertreten haben. Ich habe in eindeutiger Art und Weise geantwortet.“

Und dabei blieb es dann auch …

Fußnote

[a]   Politiker sollen ins Gefängnis / Türkei will Bundestagabgeordnete verklagen
Einflussreiche Gruppen in der Türkei wollen elf deutsche Politiker türkischer Abstammung ins Gefängnis bringen, weil sie im Bundestag für die Völkermordresolution gestimmt hatten. Die Betroffenen verlangen ein Einschreiten der Bundesregierung. [3]

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Quellen

[1]   Dringliche Frage des Abg. Ströbele für die Fragestunde am 08.06.2016, DBT-Drs 18/8699
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/086/1808699.pdf

[2]   Plenarprotokoll der 175. Sitzung des Deutschen Bundestages am 08.06.2016, Fundstelle ab 17255 (B)
http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18175.pdf

[3]   Türkei will Bundestagabgeordnete verklagen, 08.06.2016, n-tv
http://www.n-tv.de/politik/Tuerkei-will-Bundestagabgeordnete-verklagen-article17889876.html