Spiegel der Republik | KW 39.2017

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Spiegel der Republik
  • Schäuble – Beförderung oder Angst vor künftigem Gesichtsverlust
  • Respektlosigkeit 1: Flugbereitschaft des Bundes für Kanzlerin-Wahlkampf – weitgehend kostenlos – eingespannt
  • Respektlosigkeit 2: Kein CDU-Dienstwagen für Wahlkampfunterstützung durch Partei-Urgestein Bosbach
  • Respektlosigkeit 3: Ehemaliger CDU-Innenstaatssekretär: Zu krank für Auftritt vor dem Amri-Untersuchungsausschuss, voll fit für Teilnahme am Berlin-Marathon

Schäuble – Beförderung oder Angst vor künftigem Gesichtsverlust

Der Noch-Finanzminister Wolfgang Schäuble soll Präsident des Bundestages werden soll. Es brauche an dieser Position, so die Begründung, einen außerordentlich erfahrenen Parlamentarier [1]; denn nur einer wie Schäuble sei in der Lage, den erwarteten Rüpeleien von AfD-Abgeordneten Paroli zu bieten. Plausibel ist diese Erklärung allerdings nicht. Sie unterstellt nämlich, dass der Bundestagspräsident die vielen Sitzungen des Deutschen Bundestages ganz allein leitet. Sie verkennt, dass der Bundestagspräsident unterstützt wird von sieben Stellvertretern [a], mit denen er sich die Leitung der Plenarsitzungen anteilig teilt. Rein rechnerisch entfällt damit auf die Sitzungsleitung durch den designierten Bundestagspräsidenten Schäuble ein Achtel der Debattenzeit. Doch wer hält in den anderen sieben Achteln die schlimme AfD in Schach?!

Nur scheinbar hat diese Personalie gar nichts zu tun mit einer Entscheidung des Internationalen Währungsfonds vom Juli diesen Jahres. Die besagt, dass sich der IWF „im Prinzip“ mit 1,6 Milliarden Euro an einem weiteren Finanzierungspaket für Griechenland beteiligen werde. IWF-Chefin Lagarde sagte bei der Vorstellung der IWF-Zusage im Juli [2]:

„Wie wir schon vielfach gesagt haben, …, benötigt Griechenland einen Schuldenschnitt von seinen europäischen Partnern. … Ich erwarte, dass in Kürze ein Plan zwischen Griechenland und seinen europäischen Partnern vereinbart wird, der Griechenland in die Lage versetzt, seinen Finanzierungsverpflichtungen in der Zukunft nachzukommen. Unsere prinzipielle Unterstützungsbereitschaft ist abhängig von solchen Schuldenerleichterungen und von der Realisierung dieses Planes.“

Es war Finanzminister Schäuble, der diesen Schuldenschnitt vor der Bundestagswahl vehement abgelehnt hat. Ohne erheblichen Gesichtsverlust könnte er dem nach der Wahl kaum zustimmen. Seine Entscheidung, der neue Bundestagspräsident zu werden, erspart ihm diese Blamage. Das neue Amt, dem Protokoll nach das zweithöchste in diesem Staat, schmeichelt der Eitelkeit da wesentlich mehr.

Respektlosigkeit 1: Flugbereitschaft für Kanzlerin-Wahlkampf – weitgehend kostenlos – eingespannt

Die Kanzlerin bediente sich häufig und gerne der Flugbereitschaften von Bundespolizei und Bundeswehr, um sich und ihre Entourage zu den Wahlkampfauftritten fliegen zu lassen. Die nun definitiv nichts zu tun haben mit ihrem Amt als Kanzlerin. Sondern begründet sind durch ihre Funktion als Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Partei Deutschlands. Nach einem Bericht des Spiegel [3] waren bis Anfang September bereits 50 solche Flüge zusammen gekommen. Die CDU zahlte bisher lediglich für die ersten 14 Flüge und zwar im Durchschnitt 1.500 Euro PRO FLUG. Die tatsächlichen Kosten FÜR EINE FLUGSTUNDE belaufen sich jedoch nach einer internen Liste, die dem Spiegel vorliegt, auf rund 18.000 Euro für den ‚Cougar‘-Hubschrauber und auf mehr als 30.000 Euro für die ‚Global-5000‘-FLugzeuge. Und überhaupt sind die restlichen Flüge noch gar nicht abgerechnet, geschweige denn bezahlt.

Die Kanzlerin ließ dazu erklären, sie sei sozusagen „immer im Dienst“ [in 3]. Und müsse daher auch in kürzester Zeit zurück sein können in der Regierungszentrale, um Krisen zu managen, die ihrer Entscheidungsgewalt und politischen Erfahrung bedürfen. Und dazu brauche sie nun mal die Fluggeräte von Bundeswehr bzw. Bundespolizei.

Man könnte an dieser Stelle fragen, warum sich die Kanzlerin in solch krisenhaften Zeiten dann überhaupt von ihrem Hauptamt und dessen Sitz entfernt und ihrer Nebentätigkeit als Parteivorsitzende nachgeht. Man könnte ferner fragen, warum bei vielen Wahlkampfauftritten der Chef des Bundespresseamts und Regierungssprecher der Kanzlerin, Steffen Seibert, diensteifrig hinter ihr aus dem Fluggerät steigt [Foto dazu in 3].

Respektlosigkeit 2: Kein CDU-Dienstwagen für Wahlkampfunterstützung durch Partei-Urgestein Bosbach

Ärger über diese Selbstherrlichkeit kommt allerdings nicht nur beim Steuerzahler auf. Auch altgediente Parteisoldaten erleben am eigenen Leibe, dass es in der CDU Menschen erster Klasse gibt und solche zweiter Klasse: Die gefälligst sparen sollen [4]. Bzw. für Unbotmäßigkeiten, wie insbesondere nicht volle Unterstützung des Kurses der Kanzlerin, schon mal abgestraft werden mit gewissen Gehässigkeiten.

Das erlebte im Wahlkampf Wolfgang Bosbach, der sechs Mal in Folge für die CDU ein Direktmandat gewinnen konnte, zuletzt für den 18. Bundestag mit sagenhaften 58,5%. Bosbach war innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, Obmann im Innenausschuss und später Vorsitzender dieses Ausschusses. Aus Protest gegen die ‚Griechenland‘-Politik der Kanzlerin legte er 2015 seinen Vorsitz im Innenausschuss nieder und stimmte – zusammen mit mehr als 60 anderen Fraktionskollegen – gegen das so genannte 3. ‚Griechenland-Hilfspaket‘ [5].

Bosbach hat – ähnlich wie die Kanzlerin – bis Anfang September bereits 48 Wahlkampfauftritte für seine Partei absolviert [in 4]. Obwohl er für den nächsten Bundestag gar nicht mehr kandidiert. „Die CDU hat in wichtigen Fragen Kurskorrekturen vorgenommen, die ich nicht mehr mit der notwendigen Überzeugen vertreten kann“, gab er als Begründung für seinen Rückzug aus der Politik an [in 5].

Bosbach ist an Krebs erkrankt und auf starke Medikamente angewiesen. Die führen sechs bis acht Stunden nach der Einnahme zu „bleierner Müdigkeit“. Aus diesem Grund hatte Bosbach in der CDU-Parteizentrale angefragt, ob man ihm einen Fahrer stellen könne, da die Gefahr besteht, dass er am Steuer einschläft, wenn es später als 21 Uhr wird. Man ließ ihn daraufhin wissen, dass nur Präsidiumsmitgliedern ein Dienstwagen zusteht. Diesem Gremium gehört Bosbach aufgrund eigener Entscheidung allerdings nicht mehr an. Um die Frage eines Fahrers musste er sich also selbst kümmern …

Respektlosigkeit 3: Ehemaliger CDU-Innenstaatssekretär: Zu krank für Auftritt vor dem Amri-Untersuchungsausschuss, voll fit für Teilnahme am Berlin-Marathon

Bis zur Wahl im September 2016 hatte die CDU in Berlin das Innenressort inne. Und stellte damit auch den Staatssekretär, einen Mann namens Bernd Krömer. Den wollte der Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus befragen zur Vorgeschichte zum Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz. Dabei wäre es sicher auch um die Befassung der Berliner Polizei mit dem späteren Attentäter Anis Amri in den Monaten vor dem Anschlag gegangen. In dieser Zeit stand das Innenressort unter der Führung von CDU-Senator Henkel und seines Staatssekretärs Krömer.

Leider war Bernd Krömer am vorgesehenen Tag unpässlich. Und zwar so sehr, dass der Arzt seines Vertrauens ihm die temporäre Unfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen bescheinigte. Krömer konnte dem Ausschuss daher nicht Rede und Antwort stehen [6]. Diese Unpässlichkeit war – erfreulicherweise aus Sicht des sportlichen Herrn Krömer – allerdings nur von kurzer Dauer. Denn schon zwei Tage nach der ausgefallenen Befragung im Untersuchungsausschuss konnte er erfolgreich, d.h. bis zum Ende, den Berlin Marathon laufen.

Fußnote

[a]   Wie viele Stellvertreter hat der Bundestagspräsident im nächsten Bundestag? Nach Vereinbarung in der gerade zu Ende gehenden 18. Wahlperiode haben sich Union und SPD jeweils zwei Stellvertreterposten genehmigt und jede weitere Fraktion erhielt einen. Eine Fortführung dieser Usance bedeutet den Präsidenten- und einen Stellvertreterposten für die Union, zwei für die SPD und vier weitere für jeweils AfD, FDP, Linke und Grüne. Macht also sieben Stellvertreter insgesamt.

Quellen

[1]   Geeignet wie kaum ein anderer, 27.09.2017, Süddeutsche Zeitung Online
http://www.sueddeutsche.de/politik/2.220/bundestagspraesident-geeignet-wie-kaum-ein-anderer-1.3685499

[2]   IMF Executive Board Approves in Principle €1.6 Billion Stand-By Arrangement for Greece, 20.07.2017, International Monetary Fund (IMF / IWF)
http://www.imf.org/en/News/Articles/2017/07/20/pr17294-greece-imf-executive-board-approves-in-principle-stand-by-arrangement

[3]   Untreue-Anzeige gegen Merkel, 09.09.2017, Spiegel Online
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-untreue-anzeige-wegen-guenstiger-wahlkampffluege-a-1166751-druck.html

[4]   Die Arroganz der Macht, 28.09.2017, Spiegel Online
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-die-arroganz-der-macht-kolumne-a-1170307.html

[5]   Wolfgang Bosbach: Ich kann meine Meinung nicht so schnell ändern, 05.01.2017, Deutscher Bundestag
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw01-wege-politik-bosbach/484376

[6]   Im Amri-Ausschuss mit Attest, beim Marathon im Einsatz, 27.09.2017, Welt Online
https://www.welt.de/politik/deutschland/article169037220/Im-Amri-Ausschuss-mit-Attest-beim-Marathon-im-Einsatz.html

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