Unsere Studie über Parlamentarische Anfragen als Mittel der Information und Kontrolle der Regierung zeigt noch viel mehr aufschlussreiche Details: Insbesondere auch, ob und was eigentlich die vielen tausend Anfragen der Oppositionsparteien nützten … | Lesedauer ca. 25 Minuten
Parlamentarische Anfragen als Mittel der Information und Kontrolle
Wie läuft es in der Praxis?! Die Parteien mit den meisten Stimmen schmieden, sofern sie sich denn inhaltlich einigen können, zu Beginn einer Wahlperiode eine Koalition. Im Koalitionsvertrag werden die vereinbarten Inhalte festgelegt und es werden Vereinbarungen getroffen über den Umgang der Koalitionäre miteinander.
Was das Grundgesetz dazu sagt …
Das Grundgesetz kennt weder Koalitionsvereinbarungen, noch Fraktionszwang
Diese Praxis ist so im Grundgesetz nicht vorgesehen. Auf vier Jahre angelegte Koalitionsabsprachen zwischen den Regierungsfraktionen gibt es dort nicht. Es gibt im Grundgesetz auch keinen Fraktionszwang. Ganz im Gegenteil steht in Art. 38: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“
Das Frage- und Informationsrecht der Abgeordneten und die Verpflichtung der Bundesregierung zur Beantwortung
Daraus folgt ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung, das sowohl jedem einzelnen Abgeordneten zusteht, als auch den Fraktionen (als Zusammenschlüssen von Abgeordneten). Aus dem FrageRECHT der Abgeordneten folgt für die Mitglieder der Bundesregierung die verfassungsrechtliche VERPFLICHTUNG, auf Fragen Rede und Antwort zu stehen. Die Antworten der Bundesregierung sollen dazu dienen, dem Bundestag und den einzelnen Abgeordneten die für ihre Tätigkeit nötigen Informationen auf rasche und zuverlässige Weise zu verschaffen. Die Bundesregierung schafft so mit ihren Antworten auf parlamentarische Anfragen die Voraussetzungen für eine sachgerechte Arbeit des Parlaments. Sagt das Bundesverfassungsgericht in seinem am 7.11.2017 veröffentlichten Urteil [1].
Gewaltenteilung: Der Bundestag soll Regierung und Verwaltung kontrollieren
Fragen und die Pflicht zur Antwort dienen nicht nur der besseren Informationsversorgung der Abgeordneten. Vielmehr ergibt sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, dass der Bundestag die Kontrolle über Regierung und Verwaltung ausüben soll(te). Die Regierung soll sich also für ihr Handeln gegenüber dem Parlament verantworten. Dabei handeln die Mitglieder des Bundestages stellvertretend für das Volk: Denn das Volk (, von dem ja dem Konzept nach „alle Macht“ ausgeht), soll seine Staatsgewalt nicht nur bei Wahlen ausüben, sondern auch durch seine Vertreter im Bundestag wahrnehmen lassen. Doch „ohne Beteiligung AM WISSEN der Regierung kann das Parlament sein Kontrollrecht gegenüber der Regierung nicht ausüben. Daher kommt dem parlamentarischen Informationsinteresse besonders hohes Gewicht zu, soweit es um die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße und vergleichbarer Missstände innerhalb von Regierung und Verwaltung geht.“
Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts bekräftigt die Auskunftsrechte der Abgeordneten
Das Verfassungsgericht war – nicht zum ersten Mal – von Abgeordneten und der Fraktion Bündnis90/Grüne angerufen worden, weil die Bundesregierung ihren Auskunftspflichten nach Ansicht der Kläger nicht im vorgesehenen Umfang nachgekommen war. Im Wesentlichen hat das Verfassungsgericht diese Auffassung der Kläger – wieder einmal – bestätigt. Das ist das Positive. Das Negative ist: Es ging in dem Verfahren um verweigerte Auskünfte der Bundesregierung aus dem Jahr 2010, also aus der vorletzten = 17. Wahlperiode. Seither ist im politischen Betrieb jedoch eine halbe Ewigkeit vergangen. Und die Auskunftsverweigerung durch die Bundesregierung hat sich eher noch verschlimmert.
Die Situation im 18. Deutschen Bundestag
In der 18. Wahlperiode haben die Regierungsfraktionen – CDU/CSU und SPD – rund 80% der Sitze errungen. Mit ihren gerade einmal 20% hätten die beiden Oppositionsfraktionen – Bündnis90/Grüne und Linke – allein noch nicht einmal das notwendige Viertel aller Stimmen zusammen bekommen, um z.B. einen Untersuchungsausschuss einzuberufen. Daraufhin wurde die Geschäftsordnung des Bundestages so verändert, dass 120 Stimmen dafür ausreichen.
Kultur der Anfragen in der 18. Wahlperiode
Davon abgesehen, gab die 18. Wahlperiode keinen Anlass zur Euphorie über die parlamentarische Kultur. Es wurde da sehr viel niedergebürstet und an die Wand geschoben mit der überwältigenden 80%-Mehrheit der Großen Koalition. Das veranlasste uns, einmal genauer hinzusehen, wie es denn um die Kultur der Anfragen im 18. Deutschen Bundestag ausgesehen hat.
2 Die Kultur der Anfragen im 18. Deutschen Bundestag
Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ist ein Gesetz [2], das die Anforderungen des Grundgesetzes über die Arbeit im Deutschen Bundestag konkret ausgestaltet. In den Paragraphen 100 – 105 sind auch die verschiedenen Arten der Anfragen von Abgeordneten an die Regierung definiert und geregelt:
Art der Frage | Fragesteller | Zahlenmäßige Beschränkung |
Anzahl in der 18. WP |
Große Anfrage | 5% aller Abgeordneten oder eine Fraktion |
keine | 15 |
Kleine Anfrage | 5% aller Abgeordneten oder eine Fraktion |
keine | 3.953 |
Schriftliche Frage | Jeder einzelne Abgeordnete | Max. 4 pro Monat | 13.871 |
Mündliche Frage | Jeder einzelne Abgeordnete | Max. 2 für jede Sitzungswoche | 3.119 |
2.1 Art und Anzahl der Fragen
Schriftliche und mündliche Fragen kann jeder Abgeordnete für sich selbst und ohne Abstimmung mit Kollegen oder der Fraktion stellen. Sie werden häufig dazu genutzt, Fragen zu klären und Informationen zu beschaffen, die den Wahlkreis des jeweiligen Abgeordneten betreffen. Mündliche, wie auch schriftliche Fragen sind (nach Abstimmung/“Genehmigung“ in der Fraktion?!) zuvor beim Parlamentssekretariat einzureichen und werden von dort an das zuständige Ressort der Regierung weitergeleitet. Zulässige mündliche Fragen werden von der Bundesregierung, meist von einem Staatssekretär des federführend antwortenden Ressorts, in der Fragestunde beantwortet. Das ist ein Sitzungsblock von bis zu drei Stunden in jeder Sitzungswoche. Schriftliche Fragen werden schriftlich beantwortet, die Antwort in einer Drucksache veröffentlicht.
Große bzw. Kleine Anfragen können entweder fraktionsübergreifend von 5% aller stimmberechtigten Abgeordneten gestellt werden müssen oder von mehreren Abgeordneten im Namen einer Fraktion.
Die Zahl der Großen Anfragen hat gegenüber früheren Wahlperioden stetig ABgenommen und lag in der 18. WP nur noch bei insgesamt 15 Anfragen. Davon kamen 6 von Bündnis 90/Grünen und 9 von der Linksfraktion. Die Regierungsfraktionen verzichteten ganz auf dieses Instrument.
2.2 Welche Abgeordneten / Fraktionen wählen wie oft welche Frageart?
2.2.1 Fragen der Regierungsfraktionen
Die Regierungsfraktionen – also CDU/CSU und SPD – hatten in der zurückliegenden Wahlperiode augenscheinlich wenig Fragen an „ihre“ Regierung. Nämlich
- 0 Große Anfrage
- 43 Kleine Anfragen, das entspricht rund 1%. Und auch die wurden – bemerkenswert – nur im VERBUND von CDU/CSU gemeinsam mit der SPD gestellt. Für sich allein hat weder CDU/CSU noch die SPD auch nur eine einzige Kleine Anfrage gestellt. Das scheint ein Sakrileg zu sein! Und es legt die Vermutung nahe, dass die Koalitionsbindung es einer Fraktion wie der SPD sogar unmöglich macht, eigenständig eine Kleine Anfrage zu stellen. Wir lernen daraus: Kontrolle der Regierung wurde durch den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD faktisch ausgehebelt. Das aber pervertiert die repräsentative Demokratie, denn der Repräsentant des Volkes ist der Abgeordnete/das Parlament und nicht die Fraktion mit Regierungsbeteiligung!
- Nur 2% aller mündlichen Fragen und 1% aller schriftlichen Fragen stammten von Abgeordneten der CDU/CSU bzw. der SPD.
Auch das bestätigt den Eindruck, dass die Wahrnehmung von parlamentarischen Fragerechten und Regierungsbeteiligung sich gegenseitig ausschließen. Gelten Fragen schon als Misstrauensbeweis? Oder warum sonst stellen CDU/CSU und SPD, die zusammen rund 80% aller Sitze im Deutschen Bundestag innehatten, nur 1 bzw. 2% aller mündlichen bzw. schriftlichen Anfragen?! Es bedeutet doch faktisch: Kontrolle der Regierungsarbeit findet durch eine Große Koalition nicht statt!
2.2.2 Fragen der Opposition
Fragen, egal welcher Frageart, kamen nahezu ausschließlich von den beiden Oppositionsfraktionen im 18. Bundestag.
- 100% bei den (insgesamt 15) Großen Anfragen
- 99% aller Kleinen Anfragen
- sowie 98% bzw. 99% der mündlichen und schriftlichen Fragen, die einzelne Abgeordnete stellen können.
Bei der Wahl der jeweiligen Frageart gibt es zwischen Grünen und Linken methodische Differenzen. Die 64 Abgeordneten der Linken arbeiteten sich ab an 55% = 2.184 aller Kleinen Anfragen. Da ließen es die 63 Abgeordneten der Grünen bei 44% bzw. 1.745 bewenden.
Die Grünen bevorzugten die mündlichen bzw. schriftlichen Anfragen. Die sind schneller zu erstellen, jeder Abgeordnete kann allein und ohne Abstimmung mit anderen Kollegen und Fraktionsführung agieren. Und die Antworten kommen auch schneller. Bei den Grünen zeigte sich also eine wesentlich größere individuelle Frageaktivität der einzelnen Abgeordneten.
2.3 Themen und Antragsteller der Großen Anfragen
2.4 Kleine Anfragen
2.4.1 Federführende Ressorts für die Beantwortung von Kleinen Anfragen
Anfragen aus dem Bundestag werden von einem Ministerium = Ressort beantwortet, das sachlich/inhaltlich dafür am meisten zuständig ist. Die folgenden Daten verdanken wir einer Auswertung der Parlamentarischen Dienste im Deutschen Bundestag – vielen Dank dafür! -, die uns eine Auswertung nach federführenden Ressorts zur Verfügung gestellt haben.
Von den knapp 4.000 Kleinen Anfragen entfielen rund knapp 60% auf nur vier Ressorts. Das waren
- das Innenministerium (mit weitem Abstand)
- das Verkehrsministerium
- das Auswärtige Amt und
- das Wirtschaftsministerium
Das heißt: Für 90% aller Kleinen Anfragen waren nur zehn RESSORTS zuständig.
2.4.2 Themen / Sachgebiete der Kleinen Anfragen
Die Bundestagsverwaltung ordnet die Kleinen Anfragen jeweils einem oder mehreren (von insgesamt knapp 30) SACHGEBIETEN zu. Die Spitzenreiter unter den Sachgebieten zeigt dieses Diagramm: Es besagt, welchem Prozentsatz aller Kleinen Anfragen das jeweilige Sachgebiet zugeordnet war.
und das hier sind die weniger häufig genutzten Sachgebiete:
3 Interpretation des Frageverhaltens der Abgeordneten und Fraktionen
3.1 Verzicht auf Frage- und Kontrollrechte durch die Regierungsfraktionen aus machttaktischen Gründen
Die Abgeordneten und Fraktionen der Großen Koalition, also rund 80% aller Mitglieder des 18. Deutschen Bundestages, verzichteten nahezu komplett auf ihr Frage- und Kontrollrecht gegenüber der Regierung. Soll damit das unbedingte Vertrauen in die Korrektheit des Verwaltungs- und Regierungshandelns zum Ausdruck gebracht werden?!. Das wäre allerdings bedenklich und unklug: Denn wo viele tausend Menschen arbeiten, werden Fehler gemacht. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, sagt ein altes Sprichwort. Auch Regierungsfraktionen würde es daher gut anstehen, wenn sie ihre parlamentarischen Informations- und Kontrollaufgaben ernst nähmen. Statt, wie in der 18. Wahlperiode geschehen, aus politischen bzw. taktischen Gründen ganz auf Fragen, mehr Information und Kontrolle zu verzichten.
3.2 Parlamentarische Anfragen repräsentieren NICHT das Informations- bzw. Kontrollbedürfnis des Volkes
Das Konzept der repräsentativen Demokratie besagt, dass die Abgeordneten als Repräsentanten des Volkes auch dessen Informations- bzw. Kontrollbedürfnisse mit ihren parlamentarischen Anfragen an die Regierung herantragen.
- Die Wirksamkeit dieses theoretische Konzept wird schon dadurch wiederlegt, dass rund 80% der Abgeordneten im 18. Bundestag auf ihre parlamentarischen Fragerechte NAHEZU VOLLSTÄNDIG VERZICHTET haben.
- Die tatsächlich gestellten An-/Fragen reflektieren – zumindest teilweise – die Interessen- bzw. Profilierungs-Sachgebiete der beiden Oppositionsparteien.
- Die Fragen decken sich thematisch kaum mit den wesentlichen Sorgen bzw. Nöten der Bevölkerung: Die RuV-Versicherung zum Beispiel erhebt in einer Langzeitstudie die Ängste der Deutschen. Weit oben rangieren da in den Jahren 2013 bis 2017 (= 18. Legislaturperiode)
- Kosten für den Steuerzahler durch die Schuldenkrise von EU-Staaten (zwischen 68 (2013) bis 58% (2017))
- die Gefährdung des Euro durch die EU-Schuldenkrise (zwischen 53 und 42%)
- die Angst vor Schadstoffen in Nahrungsmitteln (zwischen 54 und 58%)
- oder die Angst vor Überforderung der Politiker (zwischen 45%, 65% (2016) und in 2017 55%)
Diese Themen sind in den Fragen allenfalls am Rande gestreift.
In der deutlich gestiegenen Angst vor terroristischen Anschlägen – von 43% im Jahr 2013 auf 71% im Jahr 2017 – spiegeln sich die Anschläge in Paris, Brüssel, Nizza und London bzw. Manchester. Die insgesamt 32 einschlägigen Anfragen/Antworten während der gesamten Wahlperiode zu Anschlägen bzw. Terrorismus reflektieren allerdings nicht signifikant das Bedürfnis der Bevölkerung nach mehr wirksamem Schutz vor solchen Anschlägen.
Warum der Anschlag vom Breitscheidplatz in Berlin nicht verhindert werden konnte, soll jetzt erst, in der 19. Wahlperiode, durch einen Untersuchungsausschuss geklärt werden. Am 19. Januar 2017 wird im Bundestag über gleich vier verschiedene Einsetzungsanträge (1) beraten werden, nämlich von den Grünen, der FDP und den Linken. Der vierte, ein angekündigter, gemeinsamer Antrag von der alten (und neuen?) Groko ist bisher nicht öffentlich. Ich gehe aber davon aus, dass die dort formulierten Untersuchungsfragen vor allem den Zweck haben, allzu kritische Fragen an die Bundessicherheitsbehörden und das BMI zu verhindern, statt zur Aufklärung beizutragen. Der Cum-Ex-Untersuchungsausschuss und die Nicht-Aufklärung des Diesel-Betrugs waren in der vergangenen Legislatur unrühmliche Vorlagen für diese Informations- und Kontroll-Verhinderungs-Strategie.
3.3 Parlamentarische Anfragen der Opposition als Möglichkeit der Eigenwerbung für Abgeordnete
Wenn eine Anfrage gestellt ist und (endlich) die Antwort vorliegt, läuft der immer gleiche Prozess ab:
- Schritt – Versorgung bevorzugter Journalisten mit der Antwort:
Die Regel ist, dass das Büro eines für das Thema federführenden Abgeordneten nach Erhalt der Antwort die Journalisten seines Netzwerkes vorab mit der Antwort versorgt. (Die Antwort wird zunächst den Abgeordneten bzw. Fraktionen zugestellt und erscheint erst Tage später auch für jedermann und andere Journalisten öffentlich im Dokumentationssystem des Deutschen Bundestages). Im Gegenzug erhält der entsprechende Abgeordnete die Gelegenheit, ein Statement abgeben, mit dem er/sie in der Nachricht zitiert wird, die der Journalist aus dem persönlichen Netzwerk als erster bringt. Diese Form der Öffentlichkeitswirkung ist auch ein wesentlicher Zweck solcher Anfragen …
Eine Variante dieses Schritts besteht darin, dass Teilzeit-Mitarbeiter von Abgeordneten auch noch als freiberufliche Journalisten arbeiten und diese Aufgabe der Einfachheit halber mitübernehmen. - Schritt: Zeitgleich mit der frühen Nachricht bedient der entsprechende Abgeordnete seinerseits „die sozialen Netzwerke“: Bei Twitter, Facebook & Co weist er/sie auf seinen Erfolg hin.
- Schritt: Und das war’s dann in der Regel auch schon mit der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Das THEMA der Anfrage ist dann in der schnelllebigen Medienlandschaft auf absehbare Zeit verbraucht. Wer vier Tage nach einer solchen PR-Mitteilung über den/die Abgeordneten tatsächlich mit einer tieferen Analyse zum Thema der Anfrage kommt (, weil erst dann die Antwort im Dokumentationssystem des Bundestages ÖFFENTLICH erhältlich ist,) stößt bei konventionellen Redaktionen auf taube Ohren. Das Thema ist nämlich „schon durch“ auf absehbare Zeit. Damit verstopfen solche PR-Mitteilungen von Abgeordneten und ihren Mitarbeitern die medialen Kanäle für bestimmte Themen.
3.4 Ungleiche Waffen: Zur Effektivität und Wirtschaftlichkeit von Kleinen Anfragen
In der vergangenen Wahlperiode gehörten 64 Abgeordnete und -Innen zur Fraktion ‚Die Linke‘ und 63 zu Bündnis90/die Grünen.
Rein rechnerisch entfielen somit auf jeden Abgeordneten der Linken 34, auf jeden Abgeordneten der Grünen 27 Kleine Anfragen (unter der nicht ganz zutreffenden Annahme, dass Kleine Anfragen jeweils nur von einem Abgeordneten gestellt / bearbeitet werden. Tatsächlich zeichnen wesentlich mehr Abgeordnete jeweils eine Anfrage mit.)
80% aller Kleinen Anfragen betreffen allerdings nur sechs Sachgebiete, nämlich
Sachgebiet | Zahl der Anfragen | % aller Antworten |
Innere Sicherheit | 824 | 20,8 |
Verkehr | 578 | 14,6 |
Außenpolitik und internationale Beziehungen | 568 | 14,4 |
Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen | 471 | 11,9 |
Ausländerpolitik, Zuwanderung | 372 | 9,4 |
Verteidigung | 346 | 8,8 |
In den kleinen Oppositionsfraktionen ist die Zahl der Abgeordneten, die sich auf diese Sachgebiete fokussieren, naturgemäß relativ klein. Natürlich haben diese Abgeordneten Mitarbeiter und natürlich unterhalten die Fraktionen Arbeitskreise für die Fokussierung auf bestimmte Sachgebiete und Ressorts. Dem steht allerdings auf Seiten des Regierungsapparats eine ungleich größere Armada von Sachbearbeitern zur Verfügung, so z.B. im Bundesministerium des Innern insgesamt rund 1.500 Mitarbeiter und ein entsprechend großer Stab für die Beantwortung parlamentarischer Anfragen.
3.5 Zu viele Details erhöhen die Komplexität – letztlich sieht niemand mehr durch …
Es ist in den vergangenen Jahren üblich geworden, Kleine Anfragen nach dem Motto ‚viel hilft viel‘ zu formulieren. Eine Anfrage zu einem Thema unterteilt sich daher häufig in 30 und mehr Einzelfragen und die wiederum in 5, 6, 7 oder 8 Subfragen. Damit soll die Möglichkeit für die Mitarbeiter im federführenden Regierungsressort eingehegt werden, einer nicht ausreichend präzise gestellten Frage auszuweichen. Denn auf Seite der Regierung/Ressorts hat sich die Fähigkeit zur spitzfindigen Auslegung von Fragen mit dem Ziel der ausweichenden oder Nicht-Beantwortung inzwischen zur „hohen Kunst“ entwickelt. Dieses Prozedere bringt also für die einzelne Kleine Anfrage leicht Antworten auf an die hundert Einzelfragen zustande – ein Wust von Informationen, die weder auf Seiten der Anfrager, geschweige denn in den Medien oder der Öffentlichkeit noch irgendjemand aufnehmen oder verarbeiten kann.
3.6 Antworten auf Anfragen könnten ein wahrer Schatz an Informationen „aus der Regierung“ sein – leider kümmert sich niemand darum, diesen Schatz zu heben
Es fällt ferner auf, dass die Anfrager = Oppositionsfraktionen auch selbst nicht die Möglichkeit haben oder nicht den Zweck darin sehen, die Anfragen und Antworten auf ihre Serien von Anfragen systematisch zu erfassen und auszuwerten. Geschweige denn, öffentliche Informationssysteme zur Verfügung zu stellen, aus denen sich interessierte Bürger die relevanten Informationen auf Anfragen/Antworten abrufen und damit für sich nutzbar machen könnte. Dies im Sinne einer wohlverstandenen „repräsentativen Demokratie“!
Für den Bereich der Anfragen zur Inneren Sicherheit, die unsere Redaktion seit Jahren beobachtet, lässt sich sagen, dass ein Erkenntnisgewinn aus der Vielzahl von Fragen und Antworten nicht zu erkennen ist. Jedenfalls nicht ohne erheblichen eigenen Aufwand für die Erschließung dieses Steinbruchs an Information. Manche Fragesteller protzen geradezu mit Detailkenntnissen und scheinen damit sagen zu wollen: „Schaut her, wie gut ich informiert bin“. Beim Nicht-Insider, also dem interessierten Bürger, hinterlässt dieses Gehabe keine Wirkung. Das antwortende Ressort revanchiert sich, mitunter geradezu genüsslich detailreich, mit einem Kübel von x-Seiten langen Tabellen. Die die gestellte Frage u.U. minutiös erfüllen. Allerdings keinerlei Erkenntnisgewinn liefern. Denn eine Auswertung und Aufbereitung dieser Informationslawinen im Sinne von „was bedeutet das?“ findet nicht statt. Die Anfrager (Fraktionen) haben nicht die Ressourcen und die antwortliefernden Ressorts weder das politische Interesse, noch die Aufgabe, um Antworten aus parlamentarischen Anfragen nutzbar aufzubereiten und recherchierbar vorzuhalten. Das gilt in gleicher Weise – derzeit jedenfalls – auch für die Verwaltung des Deutschen Bundestages.
3.7 Der aktuelle Status Quo mit parlamentarischen Antworten
- Da wird viel Zeit und Aufwand in die Formulierung von (vor allem Kleinen) Anfragen gesteckt.
- Wo Antworten peinlich werden im Sinne der Regierung, insbesondere wenn es um Fehler u nd Versagen der Regierung geht, wird sehr gerne das „Staatswohl“ bemüht. Nicht nur dort, wo es nachvollziehbar um geheimhaltungsbedürftige Informationen im Sinne des „Staatswohls“ geht, sondern auch in vielen nicht nachvollziehbaren Fällen wird da im hochtrabenden Ton eine halbe Seite Belehrungstext anstelle einer Antwort geliefert. Dem anzumerken ist, dass auf Regierungsseite der
DünkelGlaube vorherrscht, dass alles, was der Regierung nützt, automatisch identisch mit den Staatswohl sei. Und wo das Argument mit dem Staatswohl selbst dem antwortenden Ressort zu wenig belastbar erscheint, wird gerne mal mit dem „Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung“ hantiert. Beides mekren wir uns als ein demnächst zu vertiefendes Thema vor … - Wo Antworten unvermeidlich sind, antwortet das Ressort der Regierung – immer scharfsinnig an der konkreten Fragestellung ausgerichtet! – mit einer Fülle von Details. Die allein schon, bezogen auf die einzelne Anfrage, zu viel Information bedeuten, als dass der normale Bürger bzw. Medienvertreter damit etwas anfangen könnte. Ein klassisches Beispiel übrigens dafür, das ein Zuviel an Information nicht für „mehr Wissen“ sorgt, sondern nur die Informationsüberfrachtung befeuert …
- Eine Konsolidierung der Antworten zu gleichen oder ähnlichen Sachverhalten findet nirgendwo statt. Leider und gerade auch nicht durch die Verwaltung des Deutschen Bundestages. Dort allerdings steht mit dem DIP, dem Dokumentations- und Informationssystems des Bundestages, ein Informationssystem zur Verfügung, in dem die Anfragen und Antworten ohnehin schon eingepflegt sind. Sie müssten lediglich noch besser inhaltlich erschlossen werden und diese Erschließung der Öffentlichkeit zugänglich sein. Das wäre ein immenser Fortschritt und Gewinn für die Transparenz der Regierungsarbeit und für die parlamentarische Kontrolle.
- In der Verwaltung des Deutschen Bundestages verfügt man auch über die notwendige fachliche Expertise, die zur qualifizierten Erschließung solcher Dokumentenbestände notwendig ist.
- Der Bedarf an einer solchen Problemlösung müsste deutlicher und von vielen Interessenten deutlich artikuliert werden: Abgeordnete, Fraktionen, Medien, Organisationen und „die Öffentlichkeit“ wären aufgerufen, aktiv zu werden.
- Die Erschließung der entsprechenden Dokumente benötigte eine Aufrüstung bzw. Ergänzungen des vorhandenen DIP-Informationssystems im Bundestag. Doch hat die Bundestagsverwaltung ja gerade über die Weihnachtspause gezeigt, dass sie in das Dokumentationssystem DIP investiert. Eine ziemlich gruselige Benutzeroberfläche, die vor einiger Zeit eingeführt worden war, ist grundlegend überarbeitet. Der DIP präsentiert sich seit Anfang des Jahres in einer klaren, übersichtlichen und benutzerfreundlichen Struktur.
3.8 Auch Bürger sollten – über ihre Abgeordneten – Anfragen stellen bzw. steuern können
Das alles wäre jedoch – im Sinne des Volkes als Träger der Staatsgewalt – nur sinnvoll, wenn die Anfragen an die Regierung nicht nur gesteuert würden von politischen, strategischen, taktischen, fraktionellen oder individuellen „Bedarfs-„überlegungen: Sondern wenn es auch für den Wähler die Möglichkeit gäbe, relevante Fragen bzw. Kontrollkomplexe gegenüber der Regierung zu artikulieren und über die Abgeordneten und ihre Fraktionen als Anfragen einzubringen. Und zwar, ohne dass dies, wie es derzeit geschieht, nur dann „passieren“ und zur Anfrage werden, wenn sie in das aktuelle, taktische, strategische, politische, fraktionelle bzw. individuelle Anfragen-Bedarfsbild des jeweiligen Ansprechpartners in der Opposition hineinpassen …
Quellen
[1] BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 07.11.2017, 2 BvE 2/11 – Rn. (1-372)
http://www.bverfg.de/e/es20171107_2bve000211.html
[2] Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/rechtsgrundlagen/go_btg/go08/245176
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