240 oder mehr der 299 Direktmandate gehen voraussichtlich an die C-Parteien, also wesentlich mehr SITZE als die Christ-Demokrat-Sozialen Prozente erringen werden. Zum Ausgleich wird die Zahl aller Sitze so lange erhöht, bis der Proporz wieder übereinstimmt mit dem Verhältnis der Zweitstimmen. Alle anderen gewählten Parteien profitieren davon, denn sie erhalten ebenfalls mehr SITZE. Doch wie funktioniert das eigentlich genau mit diesen Überhang- und Ausgleichsmandaten?!
Anders als die Prognostiker von anderen Institutionen haben sich die Wahlforscher von election.de besonders um die Prognose des Abstimmungsverhaltens auf Wahlkreisebene gekümmert. Ihre jüngste Prognose geht davon aus, dass die C-Parteien mit 251 Direktmandaten rechnen können, das sind 15 mehr als bei der letzten Wahl. Die SPD kommt demnach nur noch auf 43 direkt gewählte Abgeordnete, die Linke auf 4 und die Grünen auf 1 Sitz. Der FDP geben die Leute von election.de keine realistische Chance auf ein Direktmandat. Die AfD liegt in 19 Wahlkreisen bei den Erststimmen immerhin schon auf dem zweiten Platz.
Die Einschätzungen von election.de sind, wie alle Wahlprognosen, natürlich nicht „bombenfest“. Die Wahlforscher unterscheiden selbst nach drei Vorhersage-Klassen:
- „sicher – unter Berücksichtigung aller statistischen Schwankungen ist in jedem Fall mit diesem Ergebnis zu rechnen.
- wahrscheinlich – in der überwiegenden Zahl der möglichen Szenarien ist der Ausgang derselbe.
- Vorsprung – das Ergebnis bleibt bis zur Wahl noch offen, aber es gibt eine Tendenz
Und geben an: „Zuletzt wurden in der Kategorie ‚Wahrscheinlich‘ 99 Prozent und in der Kategorie ‚Vorsprung‘ 75 Prozent der Ergebnisse korrekt prognostiziert.“
Die Prognosen werden bis zum Wahlsonntag laufend aktualisiert. Wenn Sie sich für die aktuellen Werte interessieren, schauen Sie bitte selbst auf der Webseite „election.de“ unter der Überschrift ‚Erststimmen-Prognose Bundestagswahl 2017‘.
Wie aus Millionen Wählerstimmen hunderte von Sitzen im Bundestag werden
Schritt 1: Sitze pro Bundesland
Die Länder sollen entsprechend ihrer Bevölkerungsanzahl proportional gleich im Bundestag vertreten sein. Nach den am 19.09.2017 vom Bundeswahlleiter veröffentlichten Daten [a] bedeutet dies folgende Sitzverteilung auf die Länder [1]:
Baden-Württemberg | 76 |
Bayern | 93 |
Berlin | 24 |
Brandenburg | 19 |
Bremen | 5 |
Hamburg | 12 |
Hessen | 43 |
Mecklenburg-Vorpommern | 13 |
Niedersachsen | 59 |
Nordrhein-Westfalen | 128 |
Rheinland-Pfalz | 30 |
Saarland | 7 |
Sachsen | 32 |
Sachsen-Anhalt | 18 |
Schleswig-Holstein | 22 |
Thüringen | 17 |
Schritt 2: Sitzberechnung für die Parteien pro Bundesland
Nach der Wahl wird berechnet, wie viele Mandate jede Partei nach ihrem Zweitstimmenergebnis im jeweiligen Bundesland erhält. Diese Sitze werden auf die Parteien verteilt, die im jeweiligen Bundesland auch zur Wahl angetreten sind UND die mindestens fünf Prozent der gültigen Zweitstimmen erzielt haben.
Schritt 3: Überhangmandate und deren Ausgleich
Wenn eine Partei nun MEHR Direktmandate aus den Erststimmen gewonnen hat, als ihr nach der Berechnung der Zweitstimmen zustehen, bleiben auch diese Sitze als so genannte Überhangmandate erhalten.
Ausgleichsmandate
Wenn eine Partei durch direkt gewonnene Wahlkreise mehr Sitze errungen hat, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, wird die Zahl der Sitze um so genannte Ausgleichsmandate erhöht: Das sind weitere Sitze im Bundestag. Diese Zahl wird so lange erhöht, bis die prozentuale Verteilung der Sitze dem anteiligen Wahlergebnis aller gültigen Stimmen für Parteien, die die 5-Prozent-Hürde übersprungen haben annähernd entspricht. Durch die Ausgleichsmandate kann es also zu erheblich mehr Sitzen im Bundestag kommen als es der Zahl der 299 Wahlkreis (mal 2) entspricht.
Hier liegt auch der Grund, warum die Nichtwähler (die ja überhaupt nicht berücksichtigt werden bei der Sitzverteilung) und auch die ungültigen Stimmen und die Stimmen für Parteien, die die 5-Prozent-Hürde nicht schaffen, letztlich „verloren“ sind. Hier liegt der Grund für den „Hebeleffekt„, den wir in diesem Artikel [3] bereits ausführlich beschrieben hatten.
Schritt 4: Länderausgleich und Abgeordnete auf den Landeslisten
Nach der Berechnung der Ausgleichsmandate wird noch einmal nach dem Länderproporz gesehen. Denn die Zahl aller Sitze muss auch dem Proporz der Sitze pro Bundesland entsprechen. Alle diese Sitze werden dann von Abgeordneten eingenommen, die auf der Landesliste ihrer jeweiligen Partei stehen.
Auswirkungen
Überproportional mehr Direktmandate, als es dem Zweitstimmenergebnis (pro Bundesland) entspricht, hat faktische und praktische Auswirkungen auf den nächsten Bundestag: Denn die Verlierer im Erststimmenrennen, also insbesondere SPD und kleinere Parteien erhalten mehr Sitze und damit auch die Möglichkeit, mehr Parteigänger in den Bundestag zu bringen, als es der eigentlichen Stimmenzahl (bei nominell 598 Sitzen) entspricht. Das wird im nächsten Bundestag bei der einschlägig aus Landtagen für ihre medial wirksame Krawall-Taktik bekannten AfD dafür sorgen, dass deren Fraktionsangehörigen mehr mediale Verstärkung erhalten, als es ihrem eigentlichen politischen Gewicht entspricht. Umso mehr, wenn sich die SPD zum letzten Schritt auf dem Weg ins politische Nirwana – also der nächsten Großen Koalition – entscheiden sollte und es Linken bzw. FDP nicht gelingt, die AfD als stärkste Oppositionspartei abzufangen. Dann werden nämlich AfD-Redner die ersten sein, die in den wenigen Minuten einer Fernsehberichterstattung aus dem Bundestag direkt nach dem Regierungsredner sprechen und via Tagesschau um 20 Uhr in die Wohnzimmer übertragen werden.
Fußnoten
[a] Der Bundeswahlleiter weist am 19.09. darauf hin, dass am 22.09.2017 die Bevölkerungszahlen zum Stand per 30. Juni 2016 erwartet werden. Dadurch kann sich die Sitzverteilung auf die Bundesländer noch verändern.
Quellen
[1] Bundestagswahl 2017: Sitzkontingente der Länder, 19.09.2017, Bundeswahlleiter
https://bundeswahlleiter.de/info/presse/mitteilungen/bundestagswahl-2017/26_17_sitzkontingente.html
[2] Personalisiertes Verhältniswahlrecht, 02.06.2017, Prof. Karl-Rudolf Korte, BUndeszentrale für Politische Bildung
http://www.bpb.de/politik/wahlen/249465/personalisiertes-verhaeltniswahlrecht
[3] Nichtwählen oder Ungültig sind keine Alternative, 16.09.2017, CIVES
https://cives.de/nichtwaehlen-oder-ungueltig-sind-keine-alternative-6280
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