Zum zwölften Mal entschied die Mehrheit des Bundestages, dass es in Deutschland auch künftig auf Bundesebene weder Volksbegehren noch Volksentscheid geben wird.
Gesetzentwurf der Linken zur Einführung einer dreistufigen Volksgesetzgebung …
Die Linke hatte ihren weiteren Versuch bereits zu Beginn der 18. Wahlperiode, am 17. März 2014, im Bundestag eingebracht. Der unter Federführung der Abgeordneten Halina Wawzyniak formulierte Gesetzentwurf nimmt Bezug auf Artikel 20, Absatz 2, Satz 1 des Grundgesetzes (GG), demzufolge alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und dem Grundgesetz der Gedanke innewohnt, „dass der Souverän die Bevölkerung ist“. [1] Doch trotz dieser Regelung beschränke sich die Ausübung der Staatsgewalt auf das Wahlrecht, bei dem zudem nur über die Erststimme ein tatsächlicher Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments ermöglicht werde. Denn die Zweitstimme ermögliche ja lediglich, die von den Parteien aufgestellten Listen zu wählen. Weiter heißt es: „Tatsächlich bieten die Wahlen allein keine Chance, nachhaltig und stetig die Politik mitzubestimmen.“
Bei der genauen Formulierung des Gesetzes bezogen sich Die Linken auf Vorschläge des Vereins ‚Mehr Demokratie‘ e.V.. Stimmberechtigt sollten Personen sein, „die das 16. Lebensjahr vollendet haben und seit fünf Jahren in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet sind.“ Das Gesetz beinhaltet eine Ergänzung des Artikels 82 Grundgesetz, Dieser soll erweitert werden um Artikel 82 a-c, um Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide zu regeln: Die Linken schlagen vor,
- dass für eine Volksinitiative bereits ein Quorum von einhunderttausend Wahlberechtigten genügen soll, um eine „mit Gründen versehene Gesetzesvorlage und andere bestimmte Gegenstände der politischen Willensbildung in den Bundestag einzubringen.“
- Ein Volksbegehren soll zustande gekommen, wenn mindestens eine Million Wahlberechtigte innerhalb von neun Monaten dem Volksbegehren zugestimmt haben.
- Für einen Volksentscheid sehen die Linken lediglich eine Mehrheitsentscheidung der Abstimmenden vor.
Grüne: Im Prinzip dafür, im Detail dagegen
Für die Grünen forderte deren Berliner Abgeordneter Özcan Mutlu stattdessen deutlich höhere Hürden. So etwa vierhunderttausend Unterstützer für eine Volksinitiative, sowie eine 5-Prozent-Klausel für Volksbegehren, das wären Mutlu zufolge derzeit etwa 3,2 Mio. Unterschriften innerhalb von sechs Monaten. Für einen Volksentscheid schlagen die Grünen eine Zustimmung von fünfzehn Prozent vor. Dies, so Mutlu, hätten sie in einem früheren Gesetzentwurf bereits gefordert [2].
Auch die Grüne Kathrin Keul, die ihre Jugend in der Schweiz verbrachte, bezeichnete Elemente direkter Demokratie als gutes Mittel gegen Politikverdrossenheit. Keul: „Nichts bringt den Bürgerinnen und Bürger die Arbeit politischer Entscheidungsträger näher als sie hin und wieder selbst entscheiden zu lassen.“ Die Grünen stimmten dem Antrag der Linken (Demokratie für alle) zu, enthielten sich aber wegen einiger inhaltlicher Differenzen bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf.
Weil’s die CDU/CSU so will: Ablehnung durch die GroKo …
Die Koalitionsmehrheit von CDU/CSU und SPD lehnte den Antrag sowie den Gesetzentwurf ab.
Das generelle Dilemma der SPD brachte der Abgeordnete Lars Castelucci auf den Punkt: „Wir halten sie [Antrag und Gesetzentwurf der Linksfraktion] über weite Strecken für sehr sinnvoll, und wir werden ihnen nicht zustimmen.“ Grund für diese paradoxe Haltung sei die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU, in dem sich die Koalitionäre gegenseitig verpflichtet hätten, im Bundestag nicht unterschiedlich abzustimmen.
Keine Traute für „Mehr Demokratie wagen“
„Wir wollen mehr Demokratie wagen“ – Dieser Satz des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt stammt aus einer Regierungserklärung von 1969 [a]. Es vergingen danach noch einmal dreißig Jahre, bis – erstmals im Jahr 1999 – Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht wurden, um mit Volksentscheiden für mehr Demokratie in diesem Land zu sorgen. Bis auf die Unionsfraktionen haben seitdem alle anderen derzeit im Bundestag vertretenen Parteien bereits Gesetzentwürfe zur Einführung von mehr direkter Demokratie vorgelegt.
- Bereits in der 14. Wahlperiode gab es zwei Gesetzentwürfe zur Einführung der Möglichkeiten direkter Demokratie [4a, 4b]. Noch am 5. Juni 2002 empfahl der Innenausschuss des Deutschen Bundestages die Aufnahme von Elementen direkter Demokratie in das Grundgesetz.
- In der 15. Wahlperiode ist der Versuch unternommen worden, mittels Grundgesetzänderung der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, über die europäische Verfassung mittels Volksentscheid abzustimmen [4c, 4d].
- In der 16. Wahlperiode lagen dem Deutschen Bundestag drei Gesetzentwürfe vor (Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE auf Bundestagsdrucksache [4e], Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache [4f], Gesetzentwurf der Fraktion FDP [4g].
- In der 18. Wahlperiode liegt der Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/008/1800825.pdf) vor. [1]
Die Überheblichkeit der Macht
In der ersten Beratung des Gesetzentwurfs am 23. Mai 2014 hatte der CDU-Abgeordnete Tim Ostermann, nicht ohne gewisse Häme, auf die zahlreichen jeweils vergeblichen Bemühungen verwiesen:
„Der Bundestag hat in der Vergangenheit bereits elfmal über eine Vorlage zum Thema direkte Demokratie debattiert. Der Kollege Michael Hartmann hat sich in der letzten Wahlperiode die Mühe gemacht, dies zurückzuverfolgen. Das heißt, heute diskutieren wir über dieses Thema zum zwölften Mal.“ [5]
Ostermann nahm diesen Faden der vergeblichen Bemühungen um mehr Demokratie in der abschließenden Beratung des Gesetzentwurfs der Linken am 9.6. 2016 wieder auf und ergänzte:
„Wir beraten heute über ihren Gesetzentwurf – zumindest für diese Wahlperiode. Ich bin mir sicher, dass wir spätestens zu Beginn der neuen Legistlaturperiode mit der erneuten, dann dreizehnten Einbringung rechnen dürfen und dass es auch dann keine Mehrheit für ihren Antrag und ihren Gesetzentwurf geben wird.“
Fußnote
[a] “Mehr Demokratie wagen“ – Auszug aus der Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt am 28.10.1969 [6]________________________________________________________________________________________
Quellen
[1] Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz) und zur Einführung eines Gesetzes über das Verfahren bei Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid (Bundesabstimmungsgesetz) und zur Änderung weiterer Gesetze, 17.03.2014, DBT-Drs 18/825, Deutscher Bundestag http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/008/1800825.pdf [2] Rede des Abgeordneten Özcan Mutlu am 09.06.2016 vor dem Deutschen Bundestag, (Videomitschnitt),http://www.bundestag.de/mediathek/?isLinkCallPlenar=1&action=search&contentArea=details&ids=6907570&instance=m187&categorie=Plenarsitzung&mask=search [3] Deutscher Bundestag Drucksache 18/8419 v. 11.5.2016
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/084/1808419.pdf [4a] Bundestagsdrucksache 14/1129; [4b] Bundestagsdrucksache 14/8503 [4c] Bundestagsdrucksache 15/1112 [4d] Bundestagsdrucksache 15/2998 [4e] Bundestagsdrucksache 16/1411 [4f] Bundestagsdrucksache 16/680 [4g] Bundestagsdrucksache 16/474 [5] Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll zur 37. Sitzung vom 23.05.2014, Fundstelle 3224 (A)
http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18037.pdf [6] Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Deutschen Bundestag in Bonn am 28. Oktober 1969,
http://www.willy-brandt.de/fileadmin/brandt/Downloads/Regierungserklaerung_Willy_Brandt_1969.pdf