Vertane Chance: Nach 535 Tagen mit US-Präsident Trump

Vor vier Wochen beim G7-Gipfel in Kanada
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Heute vor 535 Tagen wurde Donald Trump als amerikanischer Präsident ins Amt eingeführt. Zwei Tage später hatten wir den folgenden Artikel veröffentlicht: Ein Aufruf dazu, Trump IN UND FÜR DEUTSCHLAND als Chance zu begreifen. Diese Chance hat die Bundesregierung in fahrlässiger Weise vertan.

Trump agiert als Präsident ganz wie der Geschäftsmann. Seine öffentlichen Äußerungen dienen der Vorbereitung kommender Verhandlungen. Es ist Zeitverschwendung, jede seiner Verlautbarungen zu sezieren. Absehbar erscheint: Trumps Amtsübernahme schafft Verunsicherung, der Brexit und die Gefahren der schwelenden Bankenkrise machen es möglich, dass die EU zerbricht und die Eurozone auseinanderfällt und die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession fällt. Deutschland würde von dieser Entwicklung aufgrund seiner Exportlastigkeit besonders hart getroffen. Das ist das Risiko.
Trump bietet andererseits die Chance für Deutschland, seine Politik effektiv und zügig auf die neue Zukunft auszurichten. Schwarze Null ist das Konzept von gestern: Aktuell wird Geld gebraucht – Geld, welches vorhanden ist und das man sich leisten kann – um einen gewaltigen Investitionsstau aufzuarbeiten, die Wirtschaft stoßfest und möglichst unabhängig zu machen und das Land für die Menschen wieder lebenswerter.

Erinnert an SimCity: Wie der Geschäftsmann Trump als Präsident agiert

Zwei Tage nach der Amtseinführung des neuen amerikanischen Präsidenten Trump ist das Wehklagen groß. Denn der hat keine Zweifel daran gelassen, dass Amerika für ihn ganz oben auf der Prioritätenliste steht. Trump, der „Nicht-Politiker“, denkt eben ganz wie ein Geschäftsmann. Und sieht demzufolge das ganze Land als einen Markt, den es gegenüber Eindringlingen von außen zu schützen gilt. Was in Amerika in Zukunft verkauft wird, soll auch in Amerika produziert werden. Für Importeure soll der Verkauf ihrer Produkte auf dem amerikanischen Markt durch hohe Zölle erschwert werden. Und man sollte sich darauf einstellen, dass Trump den Nutzen der amerikanischen Nachrichtendienste für seine Politik sehr bald entdecken wird: Die sind sehr leistungsfähig – gerade im Ausland – und bestens vernetzt und können gute Dienste leisten für Competitive Intelligence zugunsten der amerikanischen Wirtschaft. Mit Sarkasmus muss man dann feststellen, dass die deutsche Bundesregierung mit ihrem neuen BND-Gesetz ohne Not die Voraussetzungen geschaffen hat, dass der BND dem amerikanischen Partner umfangreich zuarbeiten muss bzw. „darf“ [a].

Absehbare Folgen für Deutschland

Die deutsche Wirtschaft lebt vom Export in andere Länder [1]: 2015 wurden Güter im Gesamtwert von rund 1.200 Milliarden Euro in andere Länder verkauft. Davon gingen Exporte im Wert von 803 Milliarden in andere europäische Länder, 196 Milliarden nach Asien und 157 Milliarden in die Vereinigten Staaten. Allein die Automobilindustrie in Deutschland macht einen Umsatz von rund 250 Milliarden [2]. Autohersteller und Zulieferer beschäftigen in Deutschland 750.000 Arbeitnehmer, d.h. jeder siebte Arbeitsplatz ist direkt mit der Automobilindustrie verbunden.
Egal, was Trump im Einzelnen macht: Die Unsicherheiten bei seiner Amtsübernahme, der anstehende „harte“ Brexit, sowie die latent schwelende Bankenkrise werden mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Destabilisierung der EU, sowie der Euro-Zone führen und zu einer weltweiten Rezession. Die Folgen werden in Deutschland wegen seiner starken Exportabhängigkeit besonders heftig ausfallen.

Spekulationen kosten nur Zeit

Derzeit beherrschen Spekulationen über Trump die öffentliche Diskussion. Das ist gut für viele Medien, führt aber in der Sache nicht weiter. Matthias Schranner, Fachberater für Verhandlungen, macht heute in der Welt [3] darauf aufmerksam, dass die bisherigen Ankündigungen Teil der eingeübten Verhandlungsstrategie des Geschäftsmanns Trump sind: Der legt erst mal Maximalforderungen auf den Tisch. Verhandlungsprofis, wie Trump, erreichen damit genau das, was sie wollen: Den zukünftigen Verhandlungspartner zu verunsichern. Und genau den Gefallen tat ihm die Verteidigungsministerin von der Leyen: Die hatte Trump’s erste Androhungen als „schweren Schock“ bezeichnet. Ein „Anfängerfehler“, wie Schranner meint.

Die Basis notwendiger Überlegungen

Wie wäre es statt dessen, wenn wir in Deutschland nicht weiter spekulieren, was Trump tun oder lassen wird. Sondern die dadurch gewonnene Zeit dafür aufwenden, zu planen und umzusetzen, was wir in Deutschland tun müssen, um das Land und seine Wirtschaft möglichst unabhängig und „stoßfest“ zu machen. Dazu hätte ich einige Beobachtungen und Thesen als Diskussionsgrundlage:

Aktuell starke wirtschaftliche und finanzielle Situation nutzen

Deutschland ist der Gewinner der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre. Das Land steht finanziell und wirtschaftlich gut da. Entsprechend gut sieht die Bilanz des Finanzministers aus. Der Staat musste wesentlich weniger für Zinszahlungen aufwenden. Allein zwischen 2008 und 2015 mussten mehr als 120 Milliarden Euro nicht für Zinsen ausgegeben werden.

Endlich weg mit der unsinnigen „schwarzen Null“

Dem Finanzminister und der Kanzlerin fällt in dieser Situation nichts anderes ein, als bei ihrer Politik der schwarzen Null zu bleiben. Das mag dem Schäuble’schen Ego und dem Ruf der schwäbischen Hausfrau nutzen. Mit zukunftsorientierter Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik hat es nichts zu tun.

Schluss mit Versprechungen von Steuer“erleichterungen“ – vor der Wahl

Wenn Schäuble, wie vor wenigen Tagen geschehen, vor zwei wichtigen Wahlen in diesem Jahr großzügig Steuererleichterungenverspricht, zeigt das von einer befremdlichen Abgehobenheit: Ganz so, als sei er der Souverän, der den Anspruch haben darf, die Bürger zu schröpfen und darauf, dass er diese Abgaben dann nach freiem Gutdünken verteilen kann. Schäuble setzt auch immer noch auf plumpe Wahlkämpferhetorik. Welcher Wähler glaubt denn noch Wahlversprechen? Man denke nur an die Bundestagswahl 2005: Die SPD hatte eine Mehrwertsteuererhöhung vor der Wahl kategorisch ausgeschlossen, die Fraktionsführerin der CDU/CSU und Kanzlerkandidatin Merkel von einer Erhöhung um maximal 2 Prozentpunkte gesprochen. Es wurden nach der Wahl auf Beschluss der Großen Koalition dann 3 Prozentpunkte. Und das ist bei weitem nicht das einzige Beispiel.

Wie wäre es dann stattdessen mit einer …

Zukunftsorientierten Politik

Was das Land dringend braucht, sind Investitionen in die eigene Infrastruktur: Denn die so glänzende Finanzlage des Bundes wurde auch damit erkauft, dass notwendige Investitionen seit Jahren nicht getätigt wurden [4]. Die Schuldenbremse im Zuge der Föderalismusreform II hat die Kommunen und Ländern finanziell ausgetrocknet: Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) beziffert den aufgelaufenen Investitionsstau für alle staatlichen Ebenen zusammen auf 300 Mrd. Euro. Das ist fast genauso viel, wie der gesamte Bundeshaushalt für das Jahr 2016 (316,9 Milliarden Euro).

In den Schulen konnte seit Jahren nicht renoviert werden, der Putz fällt von den Wänden und die Platten von der Decke. Vielfach funktionieren nicht einmal mehr die Toiletten. Kindern und Jugendlichen wird an jedem Schultag neu die Botschaft vermittelt, dass der Staat für ihre Zukunft kein Geld in die Hand nimmt! Auf den Straßen wachsen die Schlaglöcher, tausende von Brücken sind in mangelhaftem oder ungenügendem Zustand [5]. Ein flächendeckender Ausbau von schnellem Internet wurde vor Jahren versprochen, passiert ist nichts.

Überhaupt gibt Deutschland in der Informationstechnik ein bemitleidenswert Bild ab: Die heimische IT-Industrie ist so gut wie tot, nicht zuletzt dank eines Investitions- und Finanzierungsklimas in diesem Land, das Unternehmen nicht hochkommen ließ. Die zahlreichen Misserfolge öffentlicher IT-Projekt sind für ein Land von der Größe und Wirtschaftsmacht Deutschlands geradezu beschämend: BOS, der Digitalfunk der Behörden und Einrichtungen mit Sicherheitsaufgaben funktioniert noch immer nicht flächendeckend. E-Government steht vor allem auf dem Papier. Das „Leuchtturmprojekt“ ‚Netze des Bundes‘ ist ein Bild des Jammers. Ein polizeilicher Informationsverbund, der das dringend notwendige Teilen von Information zwischen den Polizeibehörden von Ländern und dem Bund erlaubt, steht noch auf Jahre in den Sternen – entgegen der andersartigen, vollmundigen Ankündigungen! [6]. Statt Projekte zügig zu planen und erfolgreich umzusetzen, werden hier Konzeptpapiere gehätschelt, Beraterstäbe eingerichtet und runde Tische gezüchtet.

Um den Menschen kümmert sich dieser Staat hauptsächlich in Sonntagsreden. Auch um die Menschen, die dafür sorgen, dass hier überhaupt noch so viel funktioniert. Lehrer oder Erzieher in Kindergärten werden kurz gehalten, Polizisten wurden über Jahre „abgebaut“, die Bezahlung und Arbeitsbedingungen von Altenpflegern sind eine Zumutung, die Lebenssituation alter und kranker Leute in den Heimen häufig menschenunwürdig. Krankenhäuser wurden nahezu flächendeckend im Zuge der verfehlten Finanzpolitik an Privatkonzerne verscherbelt. Bei denen steht Profit über allem und entscheidet der Kaufmann darüber, welche Therapie einem Kranken verpasst wird. Nämlich die, die den meisten Profit bringt …

Nicht zu vergessen sind einige hunderttausend Zuwanderer, die dauerhaft im Land bleiben werden. Die brauchen Hilfe bei der Integration in die Sprache, Kultur und Gesellschaft und Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Für ihre Kinder jeden Alters ist es wichtig, sie rasch und in einer sie annehmenden Art und Weise in den Kindergärten und Schulen aufzunehmen, wachsen und lernen zu lassen. Geld dafür einzusetzen ist wesentlich zielführender als heute x und in der Zukunft ein Vielfaches von x für „Terrorismusbekämpfung“ aufzuwenden.

Um die Defizite auf all diesen Gebieten aufzuholen und Deutschland zukunfts- und für viele Menschen wieder lebenwerter zu machen, sollte der zukünftige Bundesfinanzminister – es muss ja nicht schon wieder Herr Schäuble sein – das unsinnige Diktat von der schwarzen Null über Bord werfen und Kredite aufnehmen und mit deren Hilfe das Land und die Menschen in diesem Land zukunftsfähig zu machen. Für eine Zukunft die, ganz egal was Mister Trump noch veranstaltet, das Land nachhaltig auf eigene Füße stellt.

Fußnote

[a]    SimCity – ein Simulationsspiel, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/SimCity

Quellen

[1]   Wert der Exporte aus Deutschland nach Ländergruppen im Jahr 2015 (in Milliarden Euro), Statista
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/158303/umfrage/deutsche-exporte-und-importe-2010-nach-laendergruppen/

[2]   Die Automobilindustrie: eine Schlüsselindustrie unseres Landes, (ohne Datum), Bundesregierung
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Magazine/emags/economy/051/sp-2-die-automobilindustrie-eine-schluesselindustrie-unseres-landes.html

[3]   So verhandelt man mit dem Dealmaker Trump, 23.01.2017, Welt Online
https://www.welt.de/wirtschaft/article161403429/So-verhandelt-man-mit-dem-Dealmaker-Trump.html

[4]   Deutschland lebt von der Substanz, 05.09.2016, Deutschlandradio Kultur
http://www.deutschlandradiokultur.de/investitionsstau-deutschland-lebt-von-der-substanz.1005.de.html?dram:article_id=364933

[5]   Hier zerbröseln Deutschlands Brücken, 07.03.2016, Spiegel Online – mit interaktiver Karte der Fernstraßen-Brücken
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/deutschland-hier-sind-deutschlands-bruecken-marode-a-1080431.html

[6]   Auswirkungen der Schuldenbremse auf die Sicherheitsarchitektur in Deutschland, 13.01.2017, Cives
https://cives.de/schuldenbremse-sicherheitsarchitektur-staatsstreit-teil2-4220

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