Tricksereien bei der IT-Beschaffung für Polizeibehörden

Dass bei der Beschaffung von IT-Produkten und -Dienstleistungen für Polizeibehörden häufig getrickst wird, um dem Wunschkandidaten einen Auftrag zuzuschustern und dass dabei das Gesetz gebeugt oder gleich ganz ignoriert wird, ist ein gravierender Vorwurf. Die FIrma Polygon hat solche Tricks mehrfach erlebt und berichtet darüber auf dem Polygon-Blog. Den Anfang machen die – noch nicht abgeschlossenen – Erfahrungen mit der Polizei und insbesondere mit der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, die wir hier wiedergeben:

03. Juli 2013: Auftragsbekanntmachung für die „Entwicklung eines Recherchetools“

Bei TED, dem Online-Portal der EU-Kommission zur Veröffentlichung von großen, europäischen Beschaffungsvorhaben, wird ein neuer Auftrag bekanntgemacht: Auftraggeber ist die Vergabestelle der Behörde für Inneres und Sport in Hamburg, die für die Polizei Hamburg tätig wird. Beauftragt werden soll ein „Dienstleistungsvertrag über die Entwicklung eines Recherchetools, sowie die Adaption einer graphischen Auswertungssoftware (Visualisierungssoftware) für die visualisierte Analyse von vernetzten Daten aus zwei verschiedenen Pilotbereichen des LKA Hamburg“. Geplant ist ein Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb.

Beschreibung des Vorhabens

Der Auftrag interessiert uns: Denn eine ganz ähnliche Lösung haben wir mit dem Produkt Polygon-PIOS seit Jahren erfolgreich im Einsatz – in mehreren großen Polizeibehörden. Was die Sache für uns noch interessanter macht, sind mitgeteilte technische Details zur geplanten Realisierung. Hier soll offensichtlich ein vorhandenes „polizeiliches Quellsystem“ erweitert werden, „auf Basis einer Oracle-Datenbank mit generischem Datenmodell“, bei der die Daten „in Form von definierten Objekten und Beziehungen zwischen je zwei Objekten abgelegt sind“. Das finden wir hochgradig spannend, schließlich sind wir Hersteller des polizeilichen Informationssystems Polygon, das genau dieser Beschreibung entspricht. Hinzu kommt, dass in unserem Firmenverbund das in Deutschland gültige Patent für das generische Datenmodell entwickelt wurde, auf dem Polygon basiert. Neben der grafischen Visualisierungssoftware haben wir also auch umfassende Kenntnisse über ein polizeiliches Informationssystem, das dem beim Auftraggeber eingesetzten sehr ähnlich ist.

Bewerbung um die Teilnahme

Wir bitten noch am gleichen Tag um Übersendung der Bewerbungsunterlagen und erhalten diese innerhalb von Stunden. Die Lektüre bestärkt unsere Einschätzung, dass wir für das gesuchte Projekt viel Kompetenz, Erfahrung, Technologie und Produkt schon mitbringen.

Die große Anzahl von fernmündlichen und schriftlichen Nachfragen …

Die Kriterien, nach der Bewerber ausgewählt werden sollen, werfen allerdings Fragen auf. Genauso einige formelle Anforderungen. Wir stellen also Fragen an die Ausschreibungsbehörde, genauso wie auch andere Bewerber. Fragen und Antworten werden gegenüber allen Bewerbern offen gelegt.
Insbesondere zu den mitgeteilten Einzelheiten zum „generischen Datenmodell“ stellen wir einige Fragen. Und verweisen auf ‚unsere‘ Patentschrift für dieses generische Datenmodell. Das ist am vierten Arbeitstag nach der Auftragsbekanntmachung. Am fünften Tag teilt die ausschreibende Behörde auf Anfrage eines anderen Bewerbers mit: Die zu adaptierende Analysesoftware heißt Crime-Vis. Dass es hier auch um die Weiterentwicklung bzw. von Crime geht, hatten wir uns schon gedacht. Aber eine Bestätigung ist allemal besser als eine Vermutung. Am sechsten Tag erhalten alle Bewerber ein Email: Bewerberfragen können „zur Zeit“ nicht beantwortet werden, da die „auskunftsfähige Person“ ungeplant abwesend“ ist. Man darf spekulieren: Haben zu viele Fragen krank gemacht?! Wir wissen es nicht. Immerhin wird die Bewerbungsfrist um zwei Wochen verlängert.

…. führt nach sieben Tagen zur Aufhebung des Vergabeverfahrens

Doch am siebten Tag wird das Beschaffungsverfahren überraschend ganz aufgehoben. Die „große Anzahl der fernmündlichen und schriftlichen Nachfragen“ habe „deutlich gemacht, dass die angestrebten Inhalte des abzuschließenden Dienstleistungsvertrages nicht hinreichend genug beschrieben waren“. … Eine erneute Ausschreibung zu einem späteren Zeitpunkt werde angestrebt.

Eineinhalb Jahre später: Auf unsere Frage nach der „erneuten Ausschreibung“ erfahren wir: Der Auftrag wurde längst freihändig vergeben

Im März 2015 fragen wir bei der Vergabestelle der Polizei Hamburg nach dem weiteren Fortgang des Verfahrens. Und erfahren, dass für die Entwicklung eines Recherchetools für das Landeskriminalamt nunmehr „die Finanzbehörde die fachlich zuständige Dienststelle“ ist. Von dort sei der Auftrag „im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens“ [ohne Teilnahmewettbewerb] bereits neu vergeben worden. Und das bedeutet: Der geplante Auftrag ist auch nicht öffentlich bekanntgemacht worden. Ergebnis dieses Vorgehens ist, dass wir – als potenziell geeigneter Bewerber – von dem Auftrag nichts erfahren, uns daher nicht bewerben und natürlich auch den Auftrag nicht erhalten konnten.

Dieser illegitime „Trick“ ist in deutschen Behörden offensichtlich kein Einzelfall: Sonst hätte sich das Bundesministerium für Wirtschaft nicht veranlasst gesehen, im Januar 2015 ein eigenes Rundschreiben zu diesem Thema herauszugeben [1]. Die wenigen Ausnahmen, die zusammen genommen eine Vergabe ohne vorangegangenen Teilnahmewettbewerb rechtfertigen, werden dort noch einmal deutlich gemacht. Insbesondere darf eine Vergabe ohne Teilnahmewettbewerb und Bekanntmachung „nicht dazu genutzt werden, eine sonst bestehende Ausschreibungsverpflichtung zu umgehen.“ Dann kommt der Autor zu den Folgen:

„Wird eine europaweite Bekanntmachung unterlassen, ohne dass die entsprechenden Ausnahmetatbestände vorliegen, besteht nicht nur die Gefahr eines Nachprüfungsverfahrens nach den §§ 102 ff GWB, sondern auch das Risiko einer Rückforderung von Zuwendungen oder der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-Kommission. Letzteres kann im Falle eines festgestellten Verstoßes dazu führen, dass Verträge aufgelöst werden müssen, was auch Schadensersatzforderungen nach sich ziehen kann. Es ist damit zu rechnen, dass die EU-Kommission aufmerksam darauf achten wird, ob die Voraussetzungen für einen Verzicht auf eine europaweite Bekanntmachung im Einzelfall vorliegen.“

Und damit nicht genug: Entgegen den Vorschriften haben die Hamburger auch nicht veröffentlicht, wann und an wen der Auftrag eigentlich vergeben wurde. Merkwürdiges Gebaren einer „Finanzbehörde“, finden wir.

Natürlich interessiert uns auch, warum in Hamburg die Finanzbehörde zuständig ist für die Verbesserung einer polizeilichen Software. Das fragen wir die Vergabestelle der Polizei am 27.03.2015. Eine Antwort erhalten wir nicht.

Software-Weiterentwicklung ist in Hamburg „Grundlagenforschung“

Anfang Juli fragt der Anwalt, den wir inzwischen eingeschaltet haben, direkt bei der Vergabestelle der Finanzbehörde an. Die teilt Ende Juli mit, das Verfahren sei nach der Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) durchgeführt worden. Die ist für die Vergabe von „verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Aufträgen“ vorgesehen.

Dass im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben wurde, wird damit begründet damit, dass es sich angeblich um „Forschungs- und Entwicklungsleistungen“ handelt. Über diese heißt es in der VSVgV: „Forschung und Entwicklung sind alle Tätigkeiten, die Grundlagenforschung, angewandte Forschung und experimentelle Entwicklung umfassen, …“ Wir nehmen mit Staunen zur Kenntnis, dass in Hamburg Grundlagen erforscht werden müssen, um eine bestehende Software weiter zu entwickeln.

Vergabebekanntmachung?! – Gibt‘s (anscheinend) nicht!

Auch wenn die VSVgV in der beschriebenen Weise angewandt wird, muss die entsprechende Auftragsvergabe allerdings ebenfalls beim Amt für Veröffentlichungen der EU bekannt gemacht werden. Nach dieser Bekanntmachung fragen wir. Und auch nach der Begründung dafür, warum die (Weiter-)Entwicklung eines Recherchetools angeblich Grundlagenforschung, bzw. angewandte Forschung bzw. experimentelle Entwicklung ist.

Antwortfristen werden verlängert, wegen „hohem Zeitaufwand“ und „großer Komplexität“

Vier Wochen später – inzwischen ist es September – gibt es darauf noch keine Antwort. Wir erinnern also am 25.09. zum zweiten Mal an die Beantwortung und weisen darauf hin, dass die Frist zur Beantwortung solcher Auskünfte nach dem Hamburger Transparenzgesetz vier Wochen beträgt. Weitere zwei Wochen später, am 07.10., teilt die Finanzbehörde mit, wir könnten „voraussichtlich in der übernächsten Woche“ mit einer Beantwortung rechnen. Daraus wird dann doch nichts. Stattdessen hat man einen neuen Einfall: Mit Brief vom 20.10. wird mitgeteilt, unser Auskunftsverlangen stütze sich auf das Hamburger Transparenzgesetz. Als Auslöser für dieses Verlangen werte man unser Schreiben vom 25.09 (sic!). Und verlängere gleichzeitig die Frist zur Beantwortung auf zwei Monate. Begründung: „Umfang oder Komplexität der gewünschten Informationen erfordern eine intensive Prüfung …“

Wir sind ja nicht ungeduldig und wollen auch nicht drängen. Und warten daher drei Wochen ab, ehe wir der Finanzbehörde am 16.11. ein weiteres Mail schreiben: Die zwei Monate sind längst abgelaufen. Denn unser Auskunftsbegehren haben wir am 07. Juli gestellt. Die Begründung mit dem hohen Zeitaufwand bzw. der angeblichen ‚Komplexität‘ greift im Übrigen nicht. Denn über die erbetene Auskunft muss nach der VSVgV ja umgehend nach der Auftragsvergabe ein schriftlicher Vermerk gefertigt werden – im vorliegende Fall also gefertigt worden sein. Daraus müsste man nur zitieren – und das sollte weder hohen Zeitaufwand verursachen, noch besonders „kompliziert“ sein. Vorausgesetzt natürlich, dass es diesen Vergabevermerk gibt …

„Sicherheitsinteressen“ und „der lautere Wettbewerb“ sind bedroht – wie wahr!

Ende November – jetzt sind auch die beanspruchten zwei Monate endgültig um – verweigert die Finanzbehörde die Offenlegung des Vermerks über die Auftragsvergabe. Wieder mal hat man eine neue Idee: Diesmal sind es „Sicherheitsinteressen“, „die berechtigte geschäftliche Interessen öffentlicher oder privater Unternehmen schädigen oder den lauteren Wettbewerb zwischen ihnen beeinträchtigen könnten„. [Das ist ein Hinweis auf den richtigen Sachverhalt. Wir verstehen ihn nur anders als die Hamburger Beamten!]

Die Sache mit der Markterkundung

Und dann führt die Finanzbehörde noch aus, dass [angeblich] „auf dem Markt bisher keine vergleichbare Softwarenanwendung bekannt“ ist, weshalb die Entwicklung und Erstellung einer solchen Software vergeben wurde. Auch das kann so allerdings nicht stimmen:

  1. Denn man muss in Hamburg übersehen haben, dass es einen deutlichen Hinweis von uns auf die existierende Visualisierungssoftware und das Patent für das „generische Datenmodell“ gegeben hat.
  2. Im Übrigen war in Hamburg auch bestens bekannt, dass Brandenburg, ein Land der Crime-Kooperation unter dem Dach des IPCC, zu der auch die Polizei Hamburg gehört, seit Jahren erfolgreich mit Polygon arbeitet.
  3. ist auch eine solche Markterkundung im Vergabevermerk – also umgehend nach der erfolgten Auftragsvergabe – zu dokumentieren.

Aus diesem Grund bitten wir – in der bisher letzten Runde unseres Auskunftsersuchens – um Vorlage dieses gesetzlich vorgeschriebenen und in Hamburg doch sicher vorhandenen Vergabevermerks. Darauf warten wir …

Wir sind gespannt darauf, ob und wie es der Finanzbehörde doch noch gelingt, den Nachweis anzutreten, dass sie unter korrekter Beachtung des Vergaberechts diesen Auftrag erteilt hat. Wenn dies, wie zu erwarten ist, nicht gelingt, wäre dieses Verfahren ein aktuelles, eklatantes Beispiel dafür, dass bei IT-Beschaffungen von Polizeibehörden sehr eigenmächtig und an Recht und Gesetz vorbei das Geld des Steuerzahlers ausgegeben wird.
Von offenem und fairem Wettbewerb kann keine Rede mehr sein. Das belegt dieses Beispiel. Aber vermutlich stellt man mit Hilfe solcher Tricks und Finten sicher, dass ‚Polizei‘ nur mit den besten Produkten arbeitet …

Quelle

[1]   Rundschreiben zur Anwendung von § 3 EG Abs. 4 Buchstabe d VOL/A, § 3 Abs. 4 Buchstabe c VOF und § 6 Abs. 2 Nr.4 SektVO Vergabe ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb/Dringlichkeit Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vom 09.01.2015