Staatsstreich auf leisen Sohlen – Teil 1

Es ist gerade zwei Wochen hier, dass ein Versagen der Sicherheitsbehörden von bis dahin undenkbarem Ausmaß das Land erschütterte: Zwölf Menschen mussten dies mit ihrem Leben bezahlen, weitere 55 wurden verletzt, einige davon lebensgefährlich. Heute ging nun der Bundesinnenminister vor die Presse und erhob Forderungen. Die zielen allerdings nicht darauf ab, mehr Sicherheit für den einzelnen Bürger vor terroristischen Anschlägen zu gewährleisten. Vielmehr nutzt De Maizière die Situation gezielt aus, um mehr Macht und Kompetenzen für den Bund, also konkret sein eigenes Haus, einzufordern.

Präsentation der ‚Leitlinien‘ als taktischer Schachzug

An seiner Forderungsliste überrascht die offensichtliche Überzeugtheit des Ministers von der technischen und fachlichen Kompetenz des eigenen Apparates. Denn der war mitbeteiligt an der Erkenntnisgewinnung über den späteren Attentäter, aus der allerdings nichts gemacht wurde. Man wusste um die Gefährlichkeit des Anis Amri und ließ ihn frei herumlaufen, bis es zum Anschlag kam.

Noch vor dem Inhalt irritiert allerdings die Art und Reihenfolge, mit der De Maizière seine Ansprüche öffentlich anmeldet: Angemessen gewesen wäre es, zu analysieren, warum es zu einer solchen Vielzahl von Fehleinschätzungen und nicht getroffenen Entscheidungen gekommen ist. Angemessen wäre es gewesen, auf der Grundlage einer objektiven und schonungslosen Untersuchung (, die De Maizière angekündigt, bisher aber nicht geliefert hat) und ohne Ansehen der verantwortlichen Behörden und Personen eine Analyse vorzunehmen, wo und warum welche Fehler gemacht wurden. Und Maßnahmen bei allen beteiligten Behörden und auf allen Ebenen zu implementieren, die eine Wiederholung solcher Fehler vermeiden. Das alles ist bisher nicht geschehen. Der Innenausschuss des Bundestages wurde bei einer ersten Sondersitzung abgespeist mit „kaltem Kaffee“ [1]. Für eine zweite Sondersitzung steht der Innenminister erst am 18.01. – vier Wochen nach dem Anschlag – zur Verfügung.

Der Minister und seine Mannen haben die Zeit über Weihnachten und die Jahreswende allerdings dazu genutzt, die Endfassung der „Leitlinien für einen starken Staat“ [2] fertig zu stellen. Die wurden heute, am 03.01.2017, mit Hilfe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an die Öffentlichkeit gebracht. Es fällt schwer zu glauben, dass dieses Paper tatsächlich in Reaktion auf den Anschlag innerhalb von zwei Wochen entstanden sein soll. Man kann auch zu dem Eindruck kommen, dass das Papier längst in der Schublade lag und der Anschlag den notwendigen Anlass bot, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Das aktuelle Timing spricht zusätzlich für diese Hypothese: Von einer vorherigen Abstimmung mit dem Koalitionspartner ist nichts zu erkennen. Der Bundeswirtschaftsminister und Parteivorsitzende der SPD war denn auch so überrascht, dass er das Thema ‚Innere Sicherheit‘ flugs zur Chefsache machte [1]. Die Opposition wurde komplett überfahren. Den Fraktionskollegen aus der CSU konnte der Minister mit diesem Coup die Schau stehlen. Die hatten sich nämlich schon seit Tagen vor ihrer morgen beginnenden Klausurtagung übertroffen mit öffentlichen Forderungen nach weiteren Verschärfungen von Sicherheitsmaßnahmen und der Abwehr gegenüber Zuwanderern. De Maizière führte ihnen heute vor, wie man der Öffentlichkeit den Eindruck von entschlossenem Handeln verkauft. Dass Änderungen von Gesetzen notwendig sind, um seine Forderungen umzusetzen, was – bisher jedenfalls – noch nicht vom Bundesinnenminister allein bewerkstelligt werden kann, bedenkt nur der aufmerksame Leser. Bei allen anderen bleibt hängen, dass der Innenminister „nüchtern, maßvoll – im Geiste von Einigkeit und Recht und Freiheit“ agiert. Mit diesen Worten beschreibt De Maizière selbst seine ‚Leitlinien‘.

De Maizière geht es um „Sicherheit im Bund“, nicht um Sicherheit der Bürger …

Erst auf den zweiten Blick wird klar, um wessen „Einigkeit und Recht und Freiheit“ es dem Minister geht:
Die ersten und wichtigsten Forderungen in den „Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten“ lauten:

  1. Die „Sicherheit im Bund“ müsse vom Bund zu steuern sein. Der Bund brauche eine „Steuerungskompetenz über alle Sicherheitsbehörden“ Überall dort, wo Bund und Länder „in Angelegenheiten der Sicherheit des Bundes zusammenarbeiten.
  2. Die bisherigen Befugnisse für das Bundeskriminalamt seien zu eng gefasst und müssten erweitert werden.
  3. Die gesamten Aufgaben des Verfassungsschutzes sollten in die Bundesverwaltung übernommen werden. Was praktisch bedeutet, dass die Landesämter für Verfassungsschutz dem Bundesamt unterstellt werden.

Die so genannten „Angelegenheiten der Sicherheit des Bundes“ sind weit entfernt, von dem, was der normale Bürger unter seinem Recht auf Sicherheit versteht: Das wäre nämlich die Sicherheit vor Angriffen auf sein Leben, seine körperliche Unversehrtheit oder sein Eigentum. Wer wissen will, wie der Staat ihn zukünftig davor schützen will, von einer Bombe zerrissen, von einem Amokschützen an- oder erschossen oder von einem 40-Tonner überfahren zu werden, sucht in den ‚Leitlinien‘ vergeblich nach Antworten. Denn die Sicherheit, um die es dem Bürger geht, kommt in den ‚Leitlinien‘ des Dr. De Maizière nicht vor. Dieser nutzt vielmehr die aktuell aufgeladene Situation, um mehr Macht und mehr Kompetenzen für den Bund und damit für sein Ministerium und dessen untergeordnete Behörden zu erlangen.

Übersetzt man die oben genannten, zentralen Forderungen der ‚Leitlinien‘, so fordert der Minister

  1. dass der Bund in Zukunft (allein) zuständig ist für Gefahrenabwehr und Strafverfolgung in allen Angelegenheit, die die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder betreffen (= „Sicherheit im Bund“)
  2. dass (zu diesem Zweck) die Befugnisse des Bundeskriminalamts entsprechend ausgeweitet werden und
  3. die Landesämter für Verfassungsschutz „Außenstellen“ des Bundesamts für Verfassungsschutz werden und dieser neue geordnete Verfassungsschutz unter Führung des Bundes die Aufgabe hat, „es den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu treffen“ [3]

Nicht ausdrücklich erwähnt ist, was heute schon Faktum ist: Das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz sind Behörden im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren sind. Der oberste Dienstherr ist der Bundesinnenminister, aktuell also Dr. Thomas De Maizière. Wo bzw. in welcher Weise diese immense Konzentration von Macht im Hause des Bundesinnenministers zu mehr Sicherheit gegenüber terroristischen Anschlägen führt, versucht De Maizière noch nicht einmal zu erklären. Und es dürfte auch nicht möglich sein, dafür plausible Gründe vorzubringen. Vor allem, wenn man nach bisherigen Erfolgen des Bundes sucht, die die jetzt beanspruchte Ausweitung der Befugnisse rechtfertigen könnten.

Welche Erfolge der Vergangenheit könnten eine Ausweitung der Befugnisse der Bundes-Sicherheitsbehörden in der Zukunft rechtfertigen?!

Der Minister verlangt mit seinen ‚Leitlinien‘ einen erheblichen Vertrauensvorschuss. Man möge ihm und den Sicherheitsbehörden in seinem Geschäftsbereich wesentlich mehr Befugnisse einräumen, dann werde – im Nachgang – … Tja: Was dann?! Es gibt dann – angeblich – einen „starken Staat“ und einen „starken Bund“. Das sind starke Worte oder auch Floskeln! Weder steht in den ‚Leitlinien‘, was der einzelne Bürger verlässlich davon haben sollte, noch findet man dort konkrete Maßnahmen, mit denen Anschläge in Zukunft besser begegnet werden kann. Es geht ausschließlich um mehr Kompetenzen für den Bund, also um taktischen Landgewinn in Zeiten eines beginnenden Wahlkampfs und absehbar anderer Fraktionszusammensetzungen im Deutschen Bundestag nach der Wahl im September.

Fehlende Erfolge im Kampf gegen den Terror ./. umfassende Eingriffe in die Grundrechte aller Bürger

Es gibt auch keine Serie erfolgreicher Operationen der Sicherheitsbehörden des Bundes, vereitelter Anschläge, ausgehobener Terrorzellen, festgenommener Tatverdächtiger, die die Ausweitung der Befugnisse der Bundessicherheitsbehörden rechtfertigen könnten. Klar ist lediglich, das ergibt sich aus den bisherigen Erfahrungen mit diesem Minister, dass vom einzelnen Bürger verlangt wird, erhebliche Eingriffe in den Bereich seiner persönlichen Lebensführung zu tolerieren und verlangt wird, dass er dafür viel Verständnis aufbringt: Durch mehr Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung, Zugriff der Polizei und Nachrichtendienste auf Maut-Daten, Videoüberwachung, am besten mit automatischer Gesichtserkennung, Flugdatenregistrierung und wesentlich erweiterte Zugriffsmöglichkeiten auf Internet-Daten und solche der sozialen Netze. Das sei der Preis, so die Argumente von De Maizière, im Kampf gegen den Terror. Dumm nur, dass bisher keine plausiblen und belastbaren Beweise vorliegen, wo, wann und wie diese massenhaften und flächendeckenden Eingriffe in die Rechte aller Bürger zu mehr Sicherheit oder Verhinderung von terroristischen Anschlägen geführt hätten.

Management von Großprojekten im BMI – eine Serie von Katastrophen

Auf der Suche nach messbaren Erfolgen des BMI wird man auch dort nicht fündig, wo das BMI Projektträger von großen Infrastrukturprojekten ist: Zahlreiche, zig-Millionen teure IT-Projekte, die vom Hause De Maizière projektiert und verantwortet werden, gehören in die Rubrik der gescheiterten, um Jahre verzögerten und kostenmäßig völlig aus dem Ruder gelaufenen Großprojekte

  • wie z.B. „Netze des Bundes“,
  • nicht viel besser ist der BOS-Digitalfunk der Sicherheitsbehörden,
  • unrühmliches Altbeispiel aus der Zeit „vor“ De Maizière ist das Projekt Inpol-Neu, mit dem das polizeiliche Informationswesen nach der Jahrtausendwende erneuert und modernisiert werden sollte. Nach dem völligen Scheitern dieses Projekts wurde klammheimlich ein ganz anderes System zu „Inpol-Neu“ gemacht, eine Maßnahme, von der sich das polizeiliche Informationswesen von Bund und Ländern bis heute nicht vollständig erholt hat.
  • Folge davon und maßgeblich während der Amtszeit von De Maizière wurde der PIAV umgesetzt, der Polizeiliche Informations- und Analyseverbund, die angebliche neue Wunderwaffe für den Informationsaustausch zwischen Polizeibehörden von Bund und Länder: Großartig propagiert, großzügigst – mit bislang mindestens 62 Mio Euro finanziert und aktuell klammheimlich auf dem Weg ins Grab …
  • und ersetzt durch das nächste Kaninchen aus dem Hut: Dies unter dem Namen „einheitliches Fallbearbeitungssystem“.
  • Ungeachtet dieser im eigenen Haus gescheiterten bzw. aus Gründen der Gesichtswahrung mühsam am Leben erhaltenen IT-Projekte ist es dann Stil des Dr. De Maizière den Schlachtruf „Ran an die Datentöpfe“ auszugeben, wenn wieder mal ein Anschlag passiert ist und man festgestellt hat, dass – wieder mal – eigentlich alle Informationen über die Tatverdächtigen bei den Sicherheitsbehörden vorlagen, jedoch nicht als relevant erkannt worden waren.
  • Und über all dem steht dann eine geradezu verzweifelt anmutende Stellungnahme des Bundesrechnungshofs, der den Großprojekten im Verantwortungsbereich seiner Nachbarorganisation, des Bundesinnenministerium, öffentlich attestiert: „Die Bundesregierung wird komplexe IT-Projekte … nur dann im zeitlichen und finanziellen Rahmen erfolgreich beenden, wenn sie ihre IT-Steuerung grundlegend verändert. Sie muss
    • eigenes Know-How stärken,
    • das Großprojektmanagement professionalisieren,
    • Verantwortung und Kompetenzen in der Verwaltung bündeln,
    • Risiken durch die Vergabe von geeigneten Gewerken abschichten
    • und Verträge durch Leistungsanreize und angemessene Vertragsstrafen durchsetzen.“

Das Verhalten des Innenministers De Maizière in der Vergangenheit hat Vertrauen beschädigt

Nicht nur, dass man vergeblich nach nachweisbaren Erfolgen sucht, bevor man bereit ist, den Sicherheitsbehörden des Bundes mehr Befugnisse zu überantworten. Schwierig wird es mit dem eingeforderten Vertrauensvorschuss auch deshalb, weil das Verhalten des Dr. Thomas De Maizière in der Vergangenheit nicht gerade angetan war, Glaubwürdigkeit und Vertrauen aufzubauen: Ganz im Gegenteil:

  • Da griff er sich schon mal Zahlen aus der Luft, um seine Argumente zu „belegen“ und musste nach Protesten einräumen, dass nichts dran war, an diesen Behauptungen.
  • Für Rücksichtnahme auf im Grundgesetz verankerte Bürgerrechte zeigte er bisher wenig Verständnis: Die Kritik des Bundesverfassungsgerichts über zu weitgehende Eingriffe in die Privatsphäre durch das neu gefasste BKA-Gesetz kanzelt er ab: „Das sind Bedenken, die ich nicht teile und die den Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht erleichtern.“
  • Auch für parlamentarische Rechte der Opposition im Deutschen Bundestag bringt er kein Verständnis auf: Legion sind – allein in der aktuellen Wahlperiode – die Fälle, wo Antworten auf einzelne Fragen vom Bundesinnenministerium verweigert wurden, weil durch eine offene Antwort angeblich das „Staatswohl gefährdet“ oder der „Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung der Regierung“ berührt sei. In vielen dieser Fälle drängt sich der Eindruck auf, dass dies eine gerne genutzte Ausrede ist, um unangenehme Antworten auf legitime Fragen nicht geben zu müssen.
  • Glaubt De Maizière, er stünde über Recht und Gesetz? Dann sind da noch die wiederholten Fälle – man denke zum Beispiel an die Vorratsdatenspeicherung oder die Novelle zum BKA-Gesetz, wo es deutliche Kritik an der Gesetzgebung des Hauses De Maizière durch das Bundesverfassungsgericht bzw. den Europäischen Gerichtshof gegeben hat. Was den Minister bisher nicht daran gehindert hat, die Auflagen des Gerichts weitgehend zu ignorieren, Neufassungen des Gesetzes bis zum sprichwörtlichen Sankt-Nimmerlein zu verzögern und im Übrigen inhaltlich noch mehr draufzusatteln von dem, was vom Gericht als Eingriff in Bürgerrechte beanstandet wurde. Respekt vor einem (anderen) Verfassungsorgan sieht anders aus …

Forderungen an einen „Bund“, der mehr Befugnisse verdient und rechtfertigt

Die genannten Beispiele belegen, dass – auch und gerade beim Bundesinnenministerium und seinen untergeordneten Sicherheitsbehörden – erheblicher Lern-und Nachholbedarf besteht, bevor diesem Apparat die geforderten Mehr-Befugnisse anvertraut werden.

Fehlende fachliche, technische und Projektmanagement-Kompetenz

Auf diesen Feldern müsste dringend nachgerüstet werden:

  • Beginnend damit, dass der Minister und alle Nachgeordneten in seinem Bereich lernen, wie man mit Fehlern umgeht. Nicht durch Schuldzuweisungen gegenüber anderen und Selbst-Beweihräucherung. Sondern durch offene Analyse von Fehlern der Vergangenheit und Umsetzung in Maßnahmen, die solche (und andere denkbare) Fehler in Zukunft verhindern.
  • Durch Entstauben gewachsener personeller und organisatorischer Strukturen und Eingeständnis der Tatsache, dass fachlich erheblicher Nachholbedarf besteht auf dem Gebiet der Intelligence Analysis. Die amerikanischen Sicherheitsbehörden haben seit den Anschlägen vom 11. September Methoden, Prozesse und Werkzeuge entwickelt, um einheitliche, hohe Standards in ihrer fachlichen Arbeit einzuführen und dadurch klassische Denkfehler, Entscheidungs- und Umsetzungsprobleme zu vermindern. Die deutschen Sicherheitsbehörden sind Lichtjahre von dieser Denkweise entfernt. Es gibt weder eine auch nur annähernd dem amerikanischen Standard entsprechende Ausbildung, noch hat Intelligence Analysis bisher den notwendigen Stellenwert in der Arbeit der Sicherheitsbehörden. Man wurstelt vor sich hin und setzt sich in immer weiteren, vom BMI geförderten „Abwehrzentren“ an großen runden Tischen zusammen. Bei denen, wie zuletzt das Beispiel Anis Amri belegt, nichts rauskommt, was den Anschlag verhindert hätte.
  • Durch den Aufbau einer eigenen technischen, vor allem IT-technischen Kompetenzebene. Seit Jahren werden Haus- und Hoflieferanten – häufig unter sehr kreativer Auslegung des Vergaberechts – mit Dienstverträgen beglückt. Was bedeutet, dass diese Firmen nach Manntagen abrechnen und nicht der geringste Anreiz besteht, ein „Werk“, also z.B. ein bestimmtes Informationssystem, funktionsfähig fertigzustellen und in Betrieb zu bringen. Man wurstelt vor sich hin – über Jahre hinweg. Schriftliche, technische Spezifikationen, die diesen Namen auch verdienen würden, existieren nicht. Gearbeitet wird weitgehend auf Zuruf durch den Auftraggeber. Kein Wunder, dass bei diesem Vorgehen kein einziges der genannten Projekte entsprechend dem ursprünglichen Zeit- und Kostenplan abgeschlossen worden ist.

Mehr Transparenz und demokratische Kontrollen

Die Gewährung von mehr Vertrauen durch wesentlich erweiterte Befugnisse für den Bund, wie sie De Maizière mit seinen ‚Leitlinien‘ beansprucht, macht mehr Transparenz und Kontrolle notwendig. Und zwar nicht dadurch, dass – wie aktuell – ein ständiges Tauziehen besteht zwischen Opposition oder Journalisten und einem Bundesinnenministerium, das Transparenz für einen unbotmäßigen Angriff auf das eigene Arbeitsgebiet hält. Das Verständnis müsste sich um 180 Grad drehen. Transparenz müsste – in den Bereichen, die nicht zwingend eine Geheimhaltung erforderlich machen – verstanden werden als das selbstverständliche Recht einer demokratischen Gesellschaft, über das Handeln und Unterlassen ihrer Sicherheitsbehörden informiert zu werden. Ob es der Person Thomas De Maizière gelingt, sich auf eine solche Transparenz einzulassen, muss leider bezweifelt werden. Entsprechende Offenheit und Lernfähigkeit auf diesem Gebiet war bisher bei ihm nicht zu erkennen.

Das gilt auch und in besonderem Maße für die notwendige parlamentarische Kontrolle. Wer Befugnisse – gerade auch auf dem Gebiet nachrichtendienstlicher Tätigkeit, wo es ohnehin weniger Transparenz und Kontrolle gibt – ausübt und erweitert sehen möchte, muss bereit sein, sich der gesetzlich vorgegebenen, parlamentarischen Kontrolle in vollem Umfang zu stellen. Das Haus De Maizière und der vom BMI eingesetzte Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz haben in den vergangenen Jahren jedoch das Gegenteil unter Beweis gestellt: Sie unterliefen und unterlaufen die parlamentarische Kontrolle mit taktischen Tricks und Maßnahmen ebenso, wie mit dem Schreddern ganzer Aktenbände, wenn sonst kein Mittel der „Geheimhaltung“ mehr zur Verfügung steht.

Bleibt also abzuwarten, ob es das Haus De Maizière schafft oder welche externen Kräfte bewirken können, dass der Bundesinnenminister nicht nur „mehr haben“ will, sondern auch bereit ist, dafür den adäquaten Gegenwert in die Waagschale zu legen.

Quellen und Verweise

[1]   Gabriel sucht die Meinungsführerschaft, 03.01.2017, Telepolis
https://www.heise.de/tp/features/Innere-Sicherheit-Gabriel-sucht-die-Meinungsfuehrerschaft-3585709.html

[2]   Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten, 03.01.2017, Abdruck eines „Interviews“ mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf der Webseite des Bundesministeriums des Inneren
http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Namensartikel/DE/2017/namensartikel-faz.html

[3]   ’Die Polizei im Verfassungsgefüge‘ in ‚Denninger/Rachor ‚Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage, dort Rd-Nr. B42

Alle Artikel aus der Serie ‚Staatsstreich auf leisen Sohlen

Staatsstreich auf leisen Sohlen – Teil 1:
Anmerkungen zur den Leitlinien des Bundesinnenministers für einen starken Staat in schwierigen Zeiten , 03.01.2017, CIVES
https://cives.de/staatsstreich-auf-leisen-sohlen-teil-1-4054

Staatsstreich auf leisen Sohlen – Teil 2:
Auswirkungen der Schuldenbremse auf die Sicherheitsarchitektur in Deutschland, 13.01.2017, CIVES
https://cives.de/schuldenbremse-sicherheitsarchitektur-staatsstreit-teil2-4220

Staatsstreich auf leisen Sohlen – Teil 3:
Neues BKA-Gesetz: Polizeiarbeit soll Bundessache werden, 02.02.2017, CIVES
https://cives.de/neues-bka-gesetz-polizeiarbeit-bundessache-staatsstreich-teil3-4458

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5 Gedanken zu „Staatsstreich auf leisen Sohlen – Teil 1“

  1. Die geringschätzige Einstellung des Innenministers zu den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH ist ein Vorgeschmack darauf, wie der Innenminister mit dem geplanten Machtzuwachs umzugehen gedenkt: Grenzenlos und unbeeindruckt vom gesetzlich gezogenen Rahmen. Dieser Mann ist ein gefährlicher Verfassungsfeind und gehört aus dem Amt entfernt.
    Der Zeitablauf spricht dafür, dass die Pläne bereits länger in den Schubladen lagen. Man hat nur auf die passende Gelegenheit gewartet, die sich – dank Anis Amri – jetzt bot. Immerhin haben die sogenannten Sicherheitsbehörden mit dafür gesorgt, dass Amris Spielraum entgegen ausreichender Hinweise nicht weiter eingeschränkt wurde.
    Solche Behörden jetzt auch noch stärken, und unter der Leitung dieses Ministers? Eine schreckliche Vorstellung!
    Und wer noch auf die Aufklärung der unzähligen Pannen im Fall Amri hofft, der wird noch bis zum Sankt Nimmerleinstag warten müssen.

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