Die Hansalinie, Autobahn zwischen Hamburg und Bremen, ist für die Betreibergesellschaft ein Verlustgeschäft – sagt diese. Sie suchte daher Verhandlungen mit dem Bund über eine andere Erlösverteilung für die Einnahmen aus der LKW-Maut. Denn sonst drohe in kurzer Zeit die Insolvenz, sagt die Gesellschaft. Der Bund scheint das aussitzen zu wollen. Schließlich ist bald Bundestagswahl. Den hohen Einsatz für dieses Poker“spiel“ wird wieder einmal der Steuerzahler aufzubringen haben.
Die Hansalinie und ihre ÖPP-Isierung
Die Hansalinie, Teilstück der Bundesautobahn A1 zwischen Hamburg und Bremen, war einst das Vorzeigeprojekt für eine rundum erfolgreiche Autobahnprivatisierung. Die Bundesrepublik Deutschland als „Konzessionsgeber“ übertrug den sechsstreifigen Ausbau, die Erhaltung, den Betrieb und die Finanzierung des 72 km langen Teilstücks einem deutsch-englischen Konsortium. 42,5% der Anteil hielt ein englischer Investor, der weltweit auf solche Infrastrukturprojekte fokussiert ist. 57,5% lagen in den Händen zweier deutscher Baugroßfirmen, nämlich Bilfinger Berger (mit 42,5%) und Bunte mit 15%.
Das Projekt begann 2008 mit dem sehr zügigen Ausbau der Strecke. Euphorisch konnte der damals amtierende Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer/CSU bereits zwei Monate vor dem vertraglich vereinbarten Fertigstellungstermin im Oktober 2012 Vollzug melden. Die Autobahn war fertig, der Bund hatte – das war man der gerade eingeführten „Schuldenbremse“ schuldig – keine Investitionsmittel in die Hand nehmen müssen und erhielt schon seit Beginn der Baumaßnahmen im Jahr 2008 einen festen Anteil an den Einnahmen aus der LKW-Maut. Das private Konsortium erhielt den Rest und hatte damit seine gesamten Kosten zu finanzieren. Wenn diese Angaben zutreffen, dann waren die Risiken des Projekts ungleich verteilt: Denn der Bund erhält einen festen Anteil unabhängig vom Verkehrsaufkommen durch LKWs, während das Konsortium den darüber hinausgehenden Rest erhält. Der ist jedoch abhängig davon, wie viele LKWs die Strecke pro Monat benutzen. Und diese Zahl soll, gerade in den Zeiten nach der Bankenkrise von 2008 und aufgrund des eingebrochenen Exports erheblich gesunken sein.
Die Verträge in diesem Projekt sollen nach Auskunft des Bundesrechnungshofs 155 Leitz-Ordner füllen. Sie sind, wie üblich in solchen Projekten geheim. Selbst Bundestagsabgeordnete dürfen nur in der Geheimschutzstelle des Bundestages Einsicht nehmen, keine Kopien anfertigen und nicht einmal mit Kollegen über die Inhalte sprechen. Insofern sind auch wir bei der weiteren Beurteilung dieser Angelegenheit auf die inzwischen zu Tage getretenen und öffentlich gewordenen Differenzen zwischen dem Bund als Konzessionsgeber und dem Konsortium als Konzessionsnehmer angewiesen.
Das Konsortium ist offensichtlich schon seit mindestens zwei Jahren der Ansicht, ein schlechtes Geschäft abgeschlossen zu haben. Im Anhang des veröffentlichten Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 2015 der A1 mobil GmbH & Co. KG findet sich ein langer, ungewöhnlicher Abschnitt unter der Überschrift „Bestandsgefährdende Tatsachen“. Dort heißt es eingangs:
Selbst bei einer Fortschreibung der Verkehrsentwicklung gemäß den ursprünglichen Prognosen kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass die durch die Kapitalgeber zur Verfügung gestellten Finanzmittel vollumfänglich zurückgezahlt werden können. Diese Situation führte dazu, dass die im Kreditvertrag geforderten Cover Ratios [= Deckungsquoten] nicht eingehalten werden konnten und somit ein Kündigungsgrund der kreditgebenden Banken entstand.“
Die Gesellschafter hinter der A1 Betreibergesellschaft
Konzessionsnehmer und Vertragspartner der Bundesrepublik Deutschland ist die A1 mobil GmbH & Co. KG; eine Gesellschaft, die aus der früher für den Ausbau der A4 verwendeten A4 mobil GmbH & Co. KG hervorgegangen ist. Die haftende Einlage beträgt 10.000 Euro. Haftender Gesellschafter (Komplementär) ist die A1 mobil Verwaltungs-GmbH, eine Gesellschaft mit einem Stammkapital von 26.000 Euro.
Die Kommanditisten der Betreibergesellschaft waren gleichzeitig auch die (alleinigen) Gesellschafter an der haftenden A1 mobil Verwaltungs-GmbH. Bei Errichtung der Firmenkonstruktion war Bilfinger Berger noch mit an Bord:
2015 waren deren Anteile dann von der Bunte PPP Investment GmbH übernommen worden, sodass sich die Einflussverhältnisse auf die A1 mobil seither so darstellen:
Die Bunte PPP Investment GmbH
Die neue Mehrheitsgesellschafterin / -kommanditistin ist eine hundertprozentige Tochter der Johann Bunte Bauunternehmung GmbH & Co KG. Die Gesellschaft weist in den veröffentlichten Bilanzen zum Jahresende 2014 und 2015 ein (noch verbliebenes) Eigenkapital von 0,00 Euro aus und einen Fehlbetrag von rund 13,8 Mio Euro.
Die Finanzsituation der A1 Betreibergesellschaft
Die Finanzsituation des Konzessionsnehmers für die Hansalinie ist schon seit Jahren nicht rosig: Im veröffentlichten Jahresabschluss für das Jahr 2015 findet man in der Sektion Eigenkapital „eingetragene Hafteinlagen“ in Höhe von 10.000 Euro. Darunter folgen (nicht haftende) Zusatzeinlagen in Höhe von 91,72 Mio Euro, die jedoch aufgezehrt werden durch „verrechnete Verlustanteile“ der Kommanditisten in Höhe von rund 796 Millionen Euro. Darüber hinaus weist die Bilanz unter der Position Verbindlichkeiten weitere 470 Millionen Euro aus, davon entfallen 458 Millionen Euro auf Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten von denen 26 Millionen Euroinnerhalb der folgenden fünf Jahre und der Löwenanteil von 432 Millionen Euro nach mehr als fünf Jahren fällig werden.
In Kürze also: Das haftende Kapital des Konzessionsnehmers für die Hansalinie beläuft sich auf 10.000 Euro, „peanuts“ also aus Sicht des persönlich haftenden Gesellschafters der ‚& Co KG‘. Dieser haftende Gesellschafter heißt A1 mobil Verwaltung-GmbH, eine Gesellschaft mit einem Stammkapital in Höhe von 26.000 Euro, an dem der englische Investor 11.050 Euro, das sind 42,5% der Anteile hält und die restlichen Anteile, das sind 14.950 Euro bzw. 57,5% in Händen der Bunte PPP Investment GmbH liegen. Diese Gesellschaft hatte schon im November 2014 der Bilfinger Berger Tochtergesellschaft ihre sämtlichen Anteile abgekauft. Somit sind also seit November 2014 die Bunte PPP Investment GmbH, sowie der englische Investor die alleinigen Gesellschafter der A1 mobil Verwaltungs-GmbH, sowie (nicht haftende) Kommanditisten der A1 mobil GmbH & Co KG.
Trotz Desaster positive Fortbestehensprognose
Die desaströse Finanzsituation des A1-Konzessionsnehmers, die sich aus dem Jahresabschluss 2015 ergibt, erforderte rigorose Maßnahmen der Geschäftsführung, um nicht sogleich den Gang zum Insolvenzrichter wegen Überschuldung antreten zu müssen. Das ist gesetzlich möglich, wenn die Geschäftsführer plausibel eine sogenannte positive Fortbestehensprognose darstellen können.
Um dies zu bewerkstelligen, wurden eine Reihe von Maßnahmen ergriffen:
- Mit den Kreditinstituten, bei denen das Unternehmen mit 432 Mio Euro in der Kreide stand, wurde ein „Stillhalteabkommen“ abgeschlossen. Dessen wesentliche Eckpunkte darin bestanden,
- dass fällige Zahlungen in bestimmtem Umfang gestundet wurden,
- dass die Kreditinstitute während der Laufzeit dieses Abkommens auf ihre bestehenden Kündigungsrechte verzichteten und
- dass eine etwaig freie Liquidität des Unternehmens für den Schuldendienst verwendet wird.
- Dieses Abkommen sollte spätestens zum Ablauf des Jahres 2017 enden.
- Gleichzeitig verhandelte die Gesellschaft in einem vertraglich offensichtlich vorgesehenen Schlichtungsverfahren mit dem Konzessionsgeber über eine „positive Anpassung“ des Konzessionsvertrages. Das Ziel bestand darin, mehr von den Lkw-Maut-Einnahmen für die A1-Bau- und Betreibergesellschaft zu erhalten. Über den genauen Verlauf und das Ergebnis dieser Schlichtungsverhandlungen ist öffentlich nichts bekannt.
Man darf es jedoch als Menetekel ansehen, dass die Süddeutsche Zeitung heute berichtete, dass die A1 mobil nun Klage eingereicht hat gegen ihren Vertragspartner, die Bundesrepublik Deutschland und damit 640 Millionen Euro zu erlangen sucht. Auf unsere Presseanfrage bestätigte die A1-Betreibergesellschaft die von der Süddeutschen berichteten Sachverhalte wie folgt:
Die Folgen der Insolvenz der A1-Betreibergesellschaft
Schon im Jahresabschluss für 2015, der im Juni 2016 veröffentlicht wurde, hatte die Geschäftsführung die möglichen Folgen des Scheiterns dieses Schlichtungsverfahren drastisch an die Wand gemalt:
- Die Fortführung des Unternehmens, hieß es dort sei – „auch im Hinblick auf die nicht gedeckten Verlustanteile der Kommanditisten in Höhe von 704 Millionen Euro“ – davon abhängig, dass das Schlichtungsverfahren zu einem für die Gesellschaft positiven Ergebnis kommt und
- darauf beruhend eine Einigung über die Anpassung der Bedingungen des Konzessionsvertrages erzielt werden kann, die für die Gesellschaft eine tragfähige wirtschaftliche Grundlage darstellt, sowie ferner,
- dass die Finanzierung durch die Banken in der Folge unter Anpassung an den geänderten Konzessionsvertrages aufrechterhalten bleibt.
Unterzeichnet wurde dieser Jahresabschluss übrigens von einem ganz neu berufenen Geschäftsführer. Die vorherigen Geschäftsführer, Vertreter der Gesellschafter, waren auf Wunsch der Banken ersetzt worden durch diesen Sanierungsexperten aus einer Unternehmensberatung.
Pokern mit hohem Einsatz
Es sieht so aus, als würde in dieser Angelegenheit von beiden Seiten mit hohem Einsatz gepokert. Möglicherweise geht es, was für Vertreter aus Bundesministerien in solchen Situationen auch nicht ungewöhnlich wäre, jetzt auch mehr um emotionale Befindlichkeiten und Machtdemonstration. Was ziemlich unklug wäre: Die Betreibergesellschaft kündigt seit langem unmissverständlich an, dass ein Insolvenzantrag unvermeidlich ist. Es sei denn, sie kommt zu günstigeren Abrechnungskonditionen hinsichtlich der Erlöse aus der LKW-Maut und im Zuge dessen zu einer Umfinanzierung mit ihren Kreditgebern. Der Bund, vertreten durch das Bundesverkehrsministerium, bleibt offensichtlich stur. Denn sonst wäre es nicht notwendig gewesen, eine Klage einzureichen.
Ob diese Haltung allerdings langfristig wirtschaftlich ist – beim Bund und seinen Projektentscheidungen steht die (angebliche) Wirtschaftlichkeit ja immer an vorderster Stelle – wird sich vermutlich bald herausstellen: Sollte nämlich die A1-Betreibergesellschaft in Insolvenz gehen, so passiert deren haftenden Gesellschaftern gar nichts. Das Haftungskapital von lächerlichen 10.000 Euro dürfte die Portokasse der betroffenen Firmen nur unwesentlich übersteigen. Die Kommanditisten, Bunte und die Engländer, bleiben u.U. auf ihren Verlusten sitzen, doch auch darauf würde ich nicht wetten.
Was dem Bund jedoch sicher bleibt, ist einerseits ein Haufen Schulden, in der Größenordnung von 450 Millionen Euro oder mehr, der zu übernehmen ist. Da sieht es dann plötzlich ganz düster aus mit den früher so optimistischen Annahmen über „keine budgetäre Belastung des Bundeshaushalts“ durch den notwendigen Ausbau der Streckeninfrastruktur. Darüber hinaus steht dann der Bund in der finanziellen Verantwortung für den weiteren Betrieb und die Erhaltung des Streckenabschnitts der Hansalinie. Das bedeutet, dass das nun wieder benötigte Personal, das im Zuge der Privatisierung abgebaut worden war, nun wieder aufgebaut werden muss und dass die zuvor geschlossenen Autobahnmeistereien nun wieder hergestellt und betriebsfertig gemacht werden müssen.
Den Einsatz zahlt, wie immer, der Steuerzahler …
Ob die beiden Züge, die derzeit mit hohem Tempo aufeinander zu rasen, noch zu stoppen sind, bleibt abzuwarten. Zu befürchten ist, dass Diesel-Dobrindt, sein Landesvater und die CDU-Chefin alles daran setzen, diesen Skandal vor der Bundestagsahl nicht bekannt werden zu lassen und daher weiter verschleppen – koste es (später), was es wolle, nur Hauptsache, keine Stimmen!
Was es auf jeden Fall kostet, ist eine erhebliche Einbuße an Glaubwürdigkeit: Denn ganz offensichtlich sind die von den CDU/CSU-Vertretern hochgelobten PPP-Projekte eben doch nicht so „wirtschaftlich“, wie immer behauptet wurde. Ein Sogeffekt auf andere im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft fianzierten Autobahn-Ausbauprojekte ist nicht ausgeschlossen.
Quellen und Belege
Die dedizierte Aufzählung sämtlicher veröffentlichter Dokumente aus dem Unternehmensregister (unternehmensregister.de), die wir zur Grundlage für diesen Bericht genommen haben, wäre unübersichtlich und wenig hilfreich für den Leser. Wir verweisen daher auf die in unternehmensregister.de veröffentlichten Angaben, die die Grundlage für unseren Bericht darstellen, insbesondere für die Firmen
- A1 mobil GmbH & Co. KG
- A1 mobil Verwaltungs-GmbH
- A1 mobil Beteiligungs-GmbH
- Bunte PPP Investment GmbH
Sollten Sie KONKRETE Fragen haben über die Quelle eines bestimmten, von uns genannten Sachverhalts und den nicht selbst finden, sprechen Sie uns gerne an.
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Ich fordere Minister Dobrindt auf, aus dem Vertragstext den Passus „Zahlungunfähigkeit der A1 mobil GmbH&Co KG“ zu veröffentlichen. Jede Wette, dass da steht : Wird die GmbH&Co KG zahlungsunfähig, haftet die GmbH nur mit dem eingezahlten Kapital. Darüber hinaus erhalten die Gesellschafter der GmbH über den vereinbarten Zeitraum den festgelegten Anteil der Mauteinnahmen direkt von der Bundesrepublik Deutschland. Von den vertraglichen Pflichten der GmbH&Co KG sind sie freigestellt.
Ein weiterer Aspekt : Laing hat seinen Sitz in Großbritannien. Mit dem Brexit werden wahrscheinlich steuerliche Priviligien im Ausland wegfallen, sodass Laing eine neue Konstruktion der Auslandbeteiligungen anstreben muss.
Der weitere Gang der A1 mobil wird spannend werden.
Norbert Welker