Merkel’s Festhalten an TTIP und der Schaden ihrer Sanktionspolitik gegenüber Russland

In Berlin demonstrierten am Samstag hunderttausende gegen das geplante ‚Freihandels’abkommen TTIP mit den Vereinigten Staaten und gegen die Ratifizierung von CETA, einem vergleichbaren Abkommen mit Kanada. Zu der Veranstaltung aufgerufen hatte ein breites Bündnis von Gewerkschaften, Umweltverbänden, Entwicklungs- und Verbraucherorganisationen. Trotz unterschiedlichen Interessen im Detail sind sie sich einig in ihrer Kritik am Zustandekommen dieser Abkommen: Noch nicht einmal die Abgeordneten des Deutschen Bundestages erhalten Einblick in die entsprechenden Unterlagen. Bundestagspräsident Lammert forderte bereits vor Wochen die US-Botschaft in Berlin [sic!] dazu auf, Einsicht in die TTIP-Verhandlungsprotokolle zu ermöglichen [1]. [NB: Wäre es nicht naheliegender gewesen, die Bundesregierung dazu aufzufordern, die Einsicht für Abgeordnete sicherzustellen? Oder war das zu viel „Protest“ für das CDU-Mitglied Lammert gegenüber seiner Kanzlerin?? / d. Verf.]

Stures Festhalten an TTIP – trotz der bisherigen Kritik

Die Bundesregierung zeigte sich von allem bisherigen Protest gegen TTIP ungerührt – unter anderem waren auch in München im Juni 50.000 Menschen auf die Straße gegangen: Noch einen Tag vor der Demo in Berlin machte sie Stimmung in einem polemischen Beitrag „Was TTIP-Gegner verschweigen“, ein Machwerk von einer Qualität, für das der Presseapparat der Bundesregierung nicht eingesetzt werden sollte [2]. Am Ende dieses Textes gibt es auch eine Begründung dafür, warum das alles nicht veröffentlicht wird:

„Für erfolgreiche Verhandlungen ist eine gewisse Vertraulichkeit notwendig. Die Veröffentlichung von Verhandlungsstrategien und Rückfallpositionen würde deutschen und europäischen Interessen schaden.“

Viele Argumente in diesem Artikel stimmen nicht mit den Fakten überein. So zum Beispiel die Behauptung über die (angeblich ach so hohen) Zölle, die durch TTIP beseitigt werden sollen. Denn schon jetzt fallen für Waren aus Europa in die USA nur 3% Zölle an. Und das ist nur eines von vielen Beispielen. Im Anhang finden Sie eine ganze Reihe von Artikeln, in denen sich kompetente Autoren mit den Auswirkungen von TTIP auseinandergesetzt haben und die zu ganz anderen Aussagen kommen, als die „Argumente“ in der Polemik der Bundesregierung.

Wirtschaftliche Bindung an die USA durch TTIP vertieft den Graben zwischen Deutschland und Russland

Zu kurz kommt meiner Ansicht nach bei der Betrachtung allerdings die außenpolitische Bedeutung eines TTIP-Abkommens für die Bundesrepublik Deutschland. Sevim Dagdelen, die Sprecherin für Internationale Politik der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag, hat darauf am Wochenende hingewiesen [3] und wir möchten diesen Aspekt untermauern: Eine stärkere wirtschaftliche Bindung Europas an Nordamerika hat weitere negative Auswirkungen auf das ohnehin stark belastete Verhältnis mit Russland. Dennoch verkauft Merkel TTIP als „eine Riesenchance“ für Unternehmer, Verbraucher und Dienstleister. Es gehe um „unsere Zukunft als Exportnation“.„Wir brauchen gute Exportbedingungen für mehr Arbeitsplätze“.“Deutschland ist drittgrößer Exporteur weltweit. Jeder vierte Arbeitsplatz hängt unmittelbar vom Export ab, mehr als eine Million Arbeitsplätze allein vom Export in die USA.“ [in 2] [Diese letzte Aussage tut so, als seien diese Arbeitsplätze gefährdet, wenn TTIP nicht abgeschlossen würde, wovon ja keine Rede sein kann. /d. Verf.]

Vage Versprechungen zu mehr Wachstum und Arbeitsplätzen durch TTIP

Dass durch TTIP „mehr Arbeitsplätze“ geschaffen werden, lässt sich aus der besonders häufig zitierten CEPR-Studie [siehe 4] jedoch gerade nicht ableiten [4, Seite 1]. Diese Studie ist im Auftrag des EU-Handelskommissars entstanden. Sie kommt auch im Hinblick auf erwartbares Wirtschaftswachstum zu sehr bescheidenen Aussagen: Unter optimistischen Annahmen würde das Bruttoinlandsprodukt, also die gesamte wirtschaftliche Leistung in der Europäischen Union, um gerade mal 0,5% wachsen und zwar in einem Zeitraum von zehn Jahren!

Handfeste wirtschaftliche Nachteile der Sanktionspolitik gegenüber Russland

Während es sich bei der von der Kanzlerin behaupteten Riesenchance bisher vor allem um ungesicherte Versprechungen handelt, hat die Sanktionspolitik gegenüber Russland bereits jetzt handfeste wirtschaftliche Nachteile. Noch am letzten Mittwoch [07.10] sagte sie in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament: „Wir haben glücklicherweise [sic?!] in Europa gemeinsam gehandelt, wir haben gemeinsam Sanktionen [gegen Russland] verhängt“ [5]. Das muss bewusste Leugnung der Fakten sein, denn die dramatisch negativen Auswirkungen der Sanktionspolitik gegenüber Russland sind messbar: Die Exporte nach Russland haben sich im Vergleich zu 2012 halbiert und betragen nun noch 20 Milliarden Euro. Dies gefährdet akut bis zu 150.000 Arbeitsplätze in Deutschland, warnte der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft schon im Juni 2015 [6]. Und auch die Welt, bisher nicht gerade bekannt für deutliche Kritik an der Union und Merkel, zieht im Juni „Bilanz einer katastrophalen Politik“. „Mit viel Getöse hat die EU Sanktionen gegen Russland eingeführt“, heißt es dort. „Doch entweder werden sie nicht richtig umgesetzt, oder sie schaden sogar der eigenen Wirtschaft.“ [7].

Inzwischen ist eine weitere Studie zu TTIP bekannt geworden. Die amerikanische Tufts University wählte dafür als Untertitel: „Europäischer Zerfall, Arbeitslosigkeit und Instabilität“ [8]. Dort ist sogar von einem Verlust von 600.000 Arbeitsplätzen in Europa nach der Umsetzung von TTIP die Rede, davon 134.000 in Deutschland und 130.000 in Frankreich, von einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung und von sinkenden Steuereinnahmen.

Bisher hat weder massive Kritik aus den eigenen Reihen, noch der Hinweis auf die spürbaren Folgen der eigenen Politik, wie im Fall Russland, noch Studien mit negativen Aussagen zu TTIP die Kanzlerin dazu gebracht, ihre Politik zu ändern. Sollte es sich dabei noch um rationales Verhalten handeln, stellt sich mehr denn je die Frage, wem dies nützt.

_________________________________________________________________________

Quellen zu diesem Artikel

[1]   Freihandelsabkommen: Lammert fordert Zugang zu TTIP-Dokumenten, 18.07.2015, Zeit
http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-07/freihandelsabkommen-norbert-lammert-ttip

[2]   Großdemonstration gegen TTIP: Was TTIP-Gegner verschweigen, 09.10.2015, Bundesregierung
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/10/2015-10-10-ttip.html

[3]   Offensive der Transatlantiker, 10.10.2015, Sevim Dagdelen in Junge Welt
https://www.jungewelt.de/2015/10-10/013.php

[4]   Die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft – Erläuterung der wirtschaftlichen Analyse, 09.2013, Europäische Kommission
http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/november/tradoc_151904.pdf

[5]   Rede von Bundeskanzlerin Merkel am 7. Oktober 2015 vor dem Europäischen Parlament, 07.10.2015, Bundesregierung
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/10/2015-10-07-rede-bkin-eu-parlament.html

[6]   Russland-Sanktionen der EU fügen Deutschland schweren Schaden zu, Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft in Detusche Wirtscahfts-Nachrichten vom 28.06.201
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/06/27/russland-bricht-weg-eu-sanktionen-fuegen-deutschland-schweren-schaden-zu/

[7]   Katastrophale Sanktionspolitik der EU gegen Russland, 19.06.2015, Die Welt
http://www.welt.de/wirtschaft/article142752445/Katastrophale-Sanktionspolitik-der-EU-gegen-Russland.html

[8]   The Trans-Atlantic Trade and Investment Partnership, 10.2014, Tufts University
über: http://ase.tufts.edu/gdae/policy_research/ttip_simulations.html

Sammlung von Artikeln zu den Auswirkungen von TTIP

Ein transatlantisches Bollwerk?, Fastkommentar des Ökonomen Herbert Dieter, 25.6.2013, Neue Zürcher Zeitung
http://www.nzz.ch/meinung/ein-transatlantisches-bollwerk-1.18104937

Mehr Wachstum durch TTIP ist ein Märchen, 12.11.2014, Zeit
http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-11/ttip-freihandelsabkommen-arbeitsplaetze

Nur Empörung schafft Transparenz, 17.11.2014, Süddeutsche Zeitung

Mit TTIP zurück in die imperiale Vergangenheit, Ein Überblick über die geopolitischen Implikationen des transatlantischen Freihandelsabkommens, 01.01.2015, Telepolis
http://www.heise.de/tp/artikel/43/43707/1.html

Wie die TTIP-Befürworter tricksen und täuschen, Studienergebnisse zum transatlantischen Freihandelsabkommen werden oft selektiv dargestellt, 01.04.2015, Neues Deutschland
http://www.neues-deutschland.de/artikel/966688.wie-die-ttip-befuerworter-tricksen-und-taeuschen.html