PKW-Maut ermöglicht umfassende Mobilitätskontrolle

99% aller Halter von im Inland zugelassenen PKWs und Wohnmobilen nutzen Autobahnen und Bundesstraßen, sagt die Bundesregierung. Wenn ‚der Staat‘ also wissen will, wer wann mit welchem Fahrzeug von wo nach wo reist, müssen solche Bewegungen lediglich erhoben und gespeichert werden.
Das ist Phantasie, sagen Sie, entsprungen aus einem Orwell’schen Alptraum?! Weit gefehlt! Genau das ist es, was die Bundesregierung gerade dabei ist einzuführen. Der unverfängliche Name lautet: Einführung einer Infrastrukturabgabe zur Benutzung von Bundesfernstraßen [1], abgekürzt auch das Dobrindt’sche PKW-Maut-Gesetz genannt.

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Erhebung der ‚Infrastrukturabgabe‘

Funktionieren soll das Ganze wie folgt: Alle Halter von in Deutschland zugelassenen PKW und Wohnmobilen haben pro Jahr eine Infrastrukturabgabe an das Kraftfahrt-Bundesamt zu entrichten. Damit wird eine „elektronische Vignette“ erworben. Das Kraftfahrt-Bundesamt, bei dem ohnehin das Zentrale Fahrzeugregister geführt wird, wird zusätzlich das neue, Zentrale Infrastrukturregister führen. Darin werden gespeichert:

  • Höhe der festgesetzten Infrastrukturabgabe,
  • Zeitraum, sowie Ort und Zeit der Entrichtung und die Belegnummer, sowie der Zahlungsstatus,
  • Kennzeichen und für die Abgabenhöhe maßgebliche Merkmale des Fahrzeugs,
  • die Fahrzeugidentifikationsnummer,
  • Name, Wohnort und Bankverbindung des Halters,
  • sowie Angaben zur Entrichtung der Kfz-Steuer.
[Diese Informationen bezeichnen wir im Folgenden als „Bewegungsprofil-Stammdaten“ / d. Verf.] Die Informationen aus dem Kraftfahrt-Zentralregister werden mit dem Zentralen Infrastrukturregister abgeglichen.

Kontrolle

Natürlich soll kontrolliert werden, dass nur noch solche Fahrzeuge die Bundesfernstraßen nutzen, für die auch die Infrastrukturabgabe gezahlt worden ist. Diese Kontrolle wird Sache des Bundesamts für Güterverkehr (BAG).

Die dafür notwendige Technik ist, zumindest auf den Autobahnen, längst installiert in Form der sattsam bekannten Mautbrücken. Beim Passieren einer Mautbrücke, wie auch bei mobilen Kontrollen dürfen nach dem neuen Gesetz diese Daten erhoben werden:

  • Das Kennzeichen des Fahrzeugs,
  • die „für die Abgabenhöhe maßgeblichen Merkmale des Fahrzeugs“,
  • ein Bild des Fahrzeugs (und Fahrers …),
  • Ort und Zeit der Benutzung der Straße,
  • sowie „Name und Anschrift der Person, die das Fahrzeug führt“ [, was derzeit wohl noch nicht vollautomatisch über die Mautbrücken möglich sein dürfte, doch darf man gespannt sein auf die Nachrüstung mit entsprechender Gesichtserkennungstechnik – die notwendigen Fotos für den Abgleich liegen den Behörden ja längst vor / d. Verf.]
[Diese Informationen bezeichnen wir im Folgenden als „Bewegungsprofil-Kontrolldaten“ / d. Verf.]

‚Erstattungsanspruch‘ – der vorgeschobene Zweck

Es bleibt völlig offen, warum nicht, wie in den Nachbarländern, eine Vignette gekauft und in die Windschutzscheibe geklebt werden kann, wenn schon mehr Abgaben erhoben werden sollen für Bau und Unterhalt von Fernstraßen. An den Haaren herbeigezogen erscheint die Begründung aus dem Gesetzentwurf, dass die Bewegungsprofil-Stammdaten erhoben und gespeichert werden müssten, um etwaige Erstattungsansprüche des Halters (z.B. nach Unfall mit Totalverlust oder Verkauf des Fahrzeugs) erfüllen zu können. Rechtsanwalt Thomas Stadler hat dazu hier eine lesenswerte Zusammenfassung veröffentlicht [2].

Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist der aufwändige Prozess des Abgleichs der Bewegungsprofil-Kontrolldaten mit den -Stammdaten. Österreich und die Schweiz kriegen das mit ihren eingeklebten Vignetten wesentlich einfacher hin und ohne einen solchen massiven Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das gesamte Konstrukt ist vorgeschoben und tatsächlich geht es um die flächendeckende Erhebung von Bewegungsdaten deutscher Autofahrer, so ist mein Eindruck.

Wer speichert die Daten?

Die Bewegungsprofil-Stammdaten sollen beim Kraftfahrt-Bundesamt gespeichert werden; die Bewegungsprofil-Kontrolldaten dagegen beim Bundesamt für Güterverkehr, das sich „dabei der Hilfe eines privaten Dritten bedienen“ kann. Das Gesetz sieht also schon jetzt vor, dass die Bewegungs-Kontrolldaten durch einen privaten Servicedienstleister erhoben, gespeichert, verarbeitet und genutzt werden dürfen.

Cui bono?! ÖPP-Projekte und Bundesfernstraßen

Das Outsourcing an private Unternehmen ist im Zusammenhang mit Bundesfernstraßen ja generell nichts Neues:

Toll Collect als Betreiber des LKW-Mautsystems

Das System für die LKW-Maut wird vom privaten Konsortium Toll Collect betrieben, auch das in enger Kooperation mit dem Bundesamt für Güterverkehr. Das System, nach technischen Pannen, erst verspätet, nämlich seit Anfang 2005 in Betrieb, wird vom Bund als Staatsgeheimnis behandelt [4]. Das Bundesverkehrsministerium hat das Betreiberkonsortium zunächst verklagt und erhob den Vorwurf der arglistigen Täuschung im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss. Vereinbarte Vertragsstrafen, Schadenersatz wegen Einnahmeausfällen aufgrund verspäteter Inbetriebnahme und aufgelaufene Zinsen belaufen sich inzwischen auf rund 7 Milliarden Euro, die vom Bund jedoch nicht weiter verfolgt werden, ohne dass die Gründe dafür bekannt sind [5]. [Dabei wäre dies doch ein hübscher Batzen Geld, der dazu beitragen könnte „den hohen Standard des hoch belasteten Bundesfernstraßennetzes aufrecht zu erhalten“ (, so der erste Satz des Gesetzentwurfs). Die Gesamtinvestitionen des Bundes für Fernstraßen belaufen sich 2014 auf etwas über 5 Milliarden Euro / d. Verf.]

ÖPP-Projekte beim Bau und Betrieb von Autobahnabschnitten

Schon heute werden mehr Autobahnabschnitte von privaten Konsortien gebaut bzw. modernisiert und betrieben, als gemeinhin bekannt [6]. Der Bundesrechnungshof hat sich mehrfach mit ÖPP-Projekten im Fernstraßenbau beschäftigt und bemerkt z.B. in einem Gutachten von 2009 [7], kritisch [zitiert nach [8]], dass

  • die Investoren die LKW-Maut, die ihnen auf den Teilstrecken als Entgelt zusteht, prognostisch zu hoch ansetzen und anschließend Ausgleich vom Staat verlangen,
  • die Kapitalkosten der Privaten bei 30 Prozent der Gesamtinvestition liegen und damit weit über denen der öffentlichen Hand,
  • die Erhaltung der Straße nicht auf den tatsächlichen Lebenszyklus, sondern nur auf die Vertragslaufzeit optimiert wird [sic! / d. Verf.] und
  • die Logik der ÖPP-Straßenprojekte auf die Einführung einer allgemeinen Maut auch für PKW hinaus läuft. [sic, so bereits 2009! / d. Verf.][8]

Wird Bezahlung mit Daten die neue Währung im Maut-Projekt?!

Die Bewegungsprofil-Stammdaten dürfen vom Kraftfahrt-Bundesamt an das BAG übermittelt werden und dort verarbeitet, gespeichert und genutzt werden. Das BAG kann sich zur Erfüllung seiner Aufgaben „der Hilfe eines privaten Dritten bedienen“ und diesem „die Feststellung von Benutzungen von Straßen und der ordnungsgemäßen Abgabenentrichtung übertragen.“ Diese Beauftragung ist im Bundesanzeiger bekannt zu geben, irgendwelche weitergehenden Auflagen über den Dienstleister finden sich im Gesetzentwurf nicht.

Damit erschließt die Bundesregierung – sicher nicht nur ‚versehentlich‘ – dem Betreiber eine lukrative Einnahmemöglichkeit. Ganz so, wie Google, Amazon oder Apple Profit ziehen aus den Daten über das Surf- und Einkaufsverhalten von Nutzern im Internet, erhält dieser Betreiber in Zukunft das Recht zur wirtschaftlichen Ausbeutung der Bewegungsdaten von „99% aller Halter von in Deutschland zugelassenen PKWs und Wohnmobilen“ (Text aus dem Gesetzentwurf) – eine alptraumhafte Vorstellung!

Polizei und Polizistengewerkschaften erheben Ansprüche auf die Mautdaten

Doch das ist es nicht allein: Auch die drei Polizistengewerkschaften sind sich in diesem Punkt vollkommen einig und fordern schon, seitdem das Toll Collect System seinen Betrieb aufgenommen hat, dass dort erhobene Daten auch zur Strafverfolgung genutzt werden.

Keine zwei Tage nach Bekanntwerden des Gesetzentwurfs springt der noch amtierende BKA-Präsident Ziercke auf den Zug auf: „In besonderen Ausnahmefällen der Schwerstkriminalität halte ich es für sinnvoll, wenn wir Mautdaten für Ermittlungen nutzen können“, wird er in einem heute erschienenen Artikel der Welt [3] zitiert. Er sei sich sicher, „dass dies in bestimmten Fallkonstellationen zur schnelleren Täterermittlung führen würde“.

Möglicherweise hat Herr Ziercke den Gesetzentwurf nicht gelesen. Oder er weiß, dass stete Wiederholung von Forderungen zuverlässig zur Aufweichung von Gesetzentwürfen führt: Noch aber steht im Gesetzentwurf, zumindest für die Bewegungsprofil-Stammdaten, dass diese „ausschließlich für die Zwecke dieses [Maut-]Gesetzes erhoben, verarbeitet und genutzt werden“ dürfen.
Irgendwelche Aussagen zur Zweckbestimmung der Bewegungsprofil-Kontrolldaten fand ich übrigens nicht im Gesetzentwurf.

„Maut für Ausländer“ wird Mobilitätskontrolle der Bevölkerung

Die PKW-Maut ist ein Lieblingsprojekt der CSU: Der damalige Innenminister Friedrich legte bei den Koalitionsverhandlungen im Herbst 2013 einen Forderungskatalog vor, in dem die Nutzung der Mautdaten für die Zwecke der Sicherheitsbehörden [10] verlangt wird. Konkret schwebte ihm vor, dass von Reisenden auf deutschen Autobahnen demnächst umfassende Bewegungsprofile erstellt werden könnten.

Allein die bereits installierte Technik für die LKW-Maut deckt 12.800 Kilometer Bundesautobahnen und 5.400 Kontrollabschnitte ab. Mit dem Streckennetz des Bundesstraßen kommen knapp 40.000 Kilometer hinzu [11]. So wurde die Forderung allerdings nicht sonderlich publik gemacht.

Vielmehr hatte der CSU-Vorsitzende Seehofer – ebenso unanständig, wie populistisch – sich mit dem Argument der „Maut für Ausländer“ die Zustimmung an den Stammtischen und einige zusätzliche Wählerstimmen im Bundestags- und Landtagswahlkampf besorgt. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf von Bundesverkehrs- und „-infrastrukturminister“ Dobrindt, ebenfalls CSU, dürfte also nicht die „große Überraschung“ sein, als die ihn manche aktuelle Artikel darstellen. Dobrindt treibt lediglich voran, was sein Parteikollege Friedrich im vergangenen Jahr eingeleitet hatte und was in der schwarzen-roten Regierungsfraktion seit einem Jahr auf dem Tisch liegt.

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Quellen zu diesem Beitrag

[1]   Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe
für die Benutzung von Bundesfernstraßen, Bundesrats-Drucksache 658/14
[2]   Beeindruckender neuer Überwachungscoup der Bundesregierung: Das Maut-Gesetz, 01.11.2014, Internet-Law / URL: http://www.internet-law.de/2014/11/beeindruckender-neuer-ueberwachungscoup-der-bundesregierung-das-maut-gesetz.html
[3]   Das BKA will Zugriff auf die Mautdaten, 02.11.2014, Welt / URL: http://www.welt.de/politik/deutschland/article133891564/Das-BKA-will-Zugriff-auf-die-Mautdaten.html
[4]   Staatsgeheimnis Lkw-Maut – Wie Politik und Großkonzerne kungeln, 24.06.2013, WDR1 – Video bei youtube: http://www.youtube.com/watch?v=lO0ZDEXmZjU
[5]   Verzichtet die Bundesregierung auf 7 Milliarden Euro?, 17.01.2013, der Experte für ÖPP-Projekte, Werner Rügemer, im Gespräch mit Reinhard Jellen in Telepolis / URL: http://www.heise.de/tp/artikel/38/38349/1.html
[6]   Vergabestand, Wettbewerb und Länderprüfungsrechte beim A-Modell im Bundesfernstraßenbau, 17.04.2013, Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90/die Grünen / URL: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/131/1713116.pdf
[7]   Übersicht über ÖPP-Projekte im Bundesfernstraßenbau in Vergabestand, Wettbewerb und Länderprüfungsrechte beim A-Modell im Bundesfernstraßenbau, Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, DBT-Drs 17/13116 vom 17.04.2013 / URL: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/131/1713116.pdf
[8]   Public Private Partnership: Die Plünderung des Staates, Werner Rügemer, 02.2010 in Blätter für deutsche und internationale Politik / URL: https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2010/februar/public-private-partnership-die-pluenderung-des-staates#_ftnref
[9]   Gutachten des Bundesrechnungshofs zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP) im Bundesfernstraßenbau, 05.01.2009 / URL: https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/gutachten-berichte-bwv/berichte/langfassungen/2009-bwv-gutachten-oeffentlich-private-partnerschaften-oepp-im-bundesfernstrassenbau
[10]    Überwachung: Innenminister Friedrich greift nach Maut-Daten, 06.11.2013, Spiegel Online / URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ueberwachung-innenminister-friedrich-fordert-zugriff-auf-maut-daten-a-931952.html
[11]   Streckenlänge der Bundesstraßen / URL: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/36486/umfrage/strassenlaenge-der-bundesstrassen-seit-1950/