Mit der Brechstange: Wie die GroKo ihr neues BKA-Gesetz durchsetzen will

Die Bundesregierung, in Person des Bundesministers des Inneren, ist auf dem besten Wege, eine dramatische Veränderung der polizeilichen Informationslandschaft in Deutschland weitgehend ohne Konzept, dafür mit umso brachialeren Mitteln durchzusetzen. Dazu hat es – angeblich – eine Einigung zwischen Unionsfraktion und SPD gegeben, deren Einzelheiten geheim gehalten werden. Schon in der kommenden Woche soll das Gesetz in einer 38-minütigen „Beratung“ in 2. und 3. Lesung den Bundestag passieren. Hat sich die SPD hier ein weiteres Mal in kurzer Zeit in einer wichtigen Frage der Inneren Sicherheit von der Union über den Tisch ziehen lassen?! (Zu letzterem mehr in [4].)

Es geht um das „neu strukturierte“ BKA-Gesetz, das die große Koalition im letzten Jahr auf den Weg gebracht hat. Im März 2017 fand dazu eine Anhörung von Sachverständigen im Innenausschuss des Bundestages statt. Das Urteil der Gutachter fiel nahezu einhellig ablehnend [a], ein Armutszeichen für ein Gesetz dieser Bedeutung und Tragweite. (Alle folgenden Zitate im Original von der Webseite des Bundestages unter [1].)

Kritik der Sachverständigen am Entwurf für das BKA-Gesetz

Professor Matthias Bäcker von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz sagte, Ziel der Regelungen zur „Neustrukturierung der Informationsordnung“ des BKA sei eine „fundamentale Umgestaltung“. Werde der Entwurf so in Kraft gesetzt, kippe er entweder vor dem Bundesverfassungsgericht oder man erhalte von einem Verwaltungsgericht Entscheidungen, die dazu führen, dass das BKA „ohne jede Not ganz empfindlich in seiner Tätigkeit eingeschränkt wird“. Er glaube, dass „hier noch erhebliche konzeptionelle Nacharbeit erforderlich ist“. Sollte dies in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu leisten sei, könne er nur dazu raten, den Gesetzentwurf „in dieser Form nicht in Kraft zu setzen“.
Auch Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, warnte davor, den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form umzusetzen. Die bisher das Datenschutzrecht leitenden Grundsätze der Datensparsamkeit und der Zweckbindung würden in ihr Gegenteil verkehrt. Buermeyer kritisierte zugleich, insbesondere der „Terrorismusteil“ des Gesetzentwurfes leiste keine Abwägung „zwischen Freiheit und Sicherheit“, sondern gehe „an die Grenzen dessen, was von Verfassung wegen gerade noch möglich sein mag“. Statt sich „in der Mitte einer vorgegebenen Fahrspur möglicher Grundrechtseingriffe“ zu bewegen, schramme der Gesetzgeber „konsequent an der rechten Leitplanke entlang“. Dies sei zwar in weiten Teilen verfassungsgemäß, aber eine „sehr eindeutige Priorisierung“der Interessen des BKA. Besonders augenfällig werde dies etwa bei den Befugnissen für den Einsatz sogenannter Staatstrojaner.
Diethelm Gerhold, leitender Beamter der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, urteilte, dass der Entwurf das polizeiliche Datenschutzrecht „grundlegend verändern“ werde. Beim neuen Informationssystem des BKA sei zu berücksichtigen, dass „all das, was in den letzten Jahrzehnten seit dem Volkszählungsurteil“ an datenschutzrechtlichen Sicherungen im Zuge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eingeführt worden sei, „jetzt abgelöst werden soll“. Jeder müsse damit rechnen, „dass er in dieses Informationssystem hineinkommen“kann, was „mitunter ganz schnell“ gehe. „Da reicht, dass Sie am falschen Ort gewesen sind“, sagte Gerhold. Es genüge ein einfacher Verdacht. Während die bisherigen Regelungen davor schützten, „dass Sie dann auf Ewigkeit in dem System drinbleiben“, werde sich da „in Zukunft einiges ändern“.

Ein undemokratisches Kalkül: Bis das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz (erneut) kassiert, kann das BKA damit arbeiten …

Doch das Risiko, dass auch dieses BKA-Gesetz in einigen Jahren vom Bundesverfassungsgericht in weiten Teilen kassiert wird, wie die aktuelle Fassung, ist – leider – ein stumpfes Schwert aus Sicht des Bundesinnenministers. Denn auch mit der aktuell gültigen, in wesentlichen Teilen verfassungswidrigen und teilweise sogar nichtigen Gesetzesfassung konnten bzw. können die Behörden immerhin fast zehn Jahre operieren.

„Fake News“ der Tagesschau, wenn es um Themen der IT der Polizeibehörden geht

Hoffnungen darauf, dass sich die SPD-Mitglieder im Innenausschuss – und weitere Angehörige der SPD-Fraktion – umstimmen lassen würden von den Ausführungen der Sachverständigen, bestätigen sich nicht: So berichtete zunächst die Tagesschau drei Tage nach der Anhörung, dass „die SPD nun keine Bedenken mehr gegen die Reform des BKA-Gesetzes“ habe, nachdem sich „die Große Koalition auf eine Überarbeitung des BKA-Gesetzes verständigt hat“. [2]

Die „Erklärungen“ über die Art der angeblichen Einigung im Beitrag der Tagesschau sind aus fachlicher Sicht abenteuerlich. Sie haben mit der Sachlage nichts zu tun und gehen am Problem windschief vorbei. Da wird kritiklos nachgeplappert, was Politiker von sich geben, die offensichtlich auch nicht verstanden haben, worum es geht [b]. Mit solcher Art von Berichterstattung ist die Tagesschau in den vergangenen Monaten schon wiederholt aufgefallen, wenn es um Themen der Informationstechnik der Polizeibehörden geht. Auch eine Form von „Fake News“, für die auch noch zwangsweise Gebühren erhoben werden …

Knickt die SPD schon wieder ein vor der Union?

POLICE-IT wollte daher aus erster Quelle wissen, wie denn nun die überarbeitete Fassung des Gesetzes aussieht und fragte bei der SPD-Pressestelle nach. Doch nach einigem Hinhalten kam lediglich die Mitteilung: „Wir planen, das BKA-Gesetz in der nächsten Sitzungswoche des Deutschen Bundestages in 2./3. Lesung im Parlament abzuschließen. Bis dahin kann ich Ihnen noch nichts Schriftliches anbieten.“ Das heißt also, dass die Oppositionsfraktionen (?) und die Öffentlichkeit vor vollendete Tatsachen gestellt werden sollen, wenn dann das Gesetz am 27.4. in 38-minütiger „Beratung“ in zweiter und dritter Lesung mit der Mehrheit der Großen Koalition den Bundestag passieren wird.

Fußnoten

[a]   Dass der „Sachverständige“ Holger Münch das neue Gesetz begrüßt und sich dementsprechend positiv geäußert hat, dürfte an seiner Funktion liegen: Der Mann ist der Präsident des BKA.

[b]   Anders, als im Beitrag dargestellt, dreht es sich nicht um „eine (!) neue Datenbank“. Es sollen in diese Datenbanken auch keine „Akten einfließen“, wie im Artikel behauptet (wie geht das eigentlich, wenn „Akten in eine Datenbank einfließen“??). Vor allem übersieht der Beitrag völlig, dass „nicht ausreichend gekennzeichnete Altdaten“ nicht etwa eine Ausnahme darstellen, sondern die Regel. Denn – wie wir an anderer Stelle [3] ausführlich dargelegt haben – können die aktuell eingesetzten polizeilichen Informationssysteme die heute schon geforderten Kennzeichnungen nicht aufnehmen und speichern. Folglich müsste der Löwenanteil der „nicht ausreichend gekennzeichneten Altdaten“ mit einer „Generalklausel“ versehen werden. Dann aber kann man sich das neue IT-System erst einmal ganz sparen!
Update am 19.4.2017 um 06.33: Und sollte vorrangig erst einmal klären, ob und wieviele tausend personenbezogene Informationen in den aktuellen polizeilichen Informationssystemen eigentlich unrechtmäßig gespeichert sind, genutzt werden und weitergegeben wurden, weil die heute schon gesetzlich vorgeschriebenen Kennzeichnungen ganz fehlen, funktional unwirksam sind bzw. schlichtweg ignoriert werden.

Quellen

[1]   Experten uneinig zu neuem BKA-Gesetz, 20.03.2017, Deutscher Bundestag
http://www.bundestag.de/presse/hib/2017_03/-/498832

[2]   Koalition legt Streit über BKA-Gesetz bei, 31.03.2017, Tagesschau
http://www.tagesschau.de/inland/bka-gesetz-121.html

[3]   Unkeusche Begründungen im Entwurf zum neuen BKA_Gesetz, 070.4.2017, POLICE-IT
https://police-it.org/unkeusche-begruendungen-im-entwurf-zum-neuen-bka-gesetz

[4]   Wohnungseinbrüche: Union zieht SPD über den Tisch, 30.03.2017, POLICE-IT
https://police-it.org/wohnungseinbrueche-union-zieht-spd-ueber-den-tisch

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