Im Windschatten des Brexit: EU-Kommission und EZB gaben umfassende Garantien für Italiens Banken

Hick-Hack zwischen Berlin und Brüssel

Berlin schießt sich auf Juncker ein …

„Berlin schießt sich auf Juncker ein“ berichtet der österreichische Standard am 04.07. [1] und beruft sich dabei auf die Sunday Times. Nicht namentlich benannte Quellen in der deutschen Hauptstadt, darunter insbesondere „ein Minister“, würfen Juncker vor „sich an dem Brexit-Votum zu ergötzen“ und dies als Chance für mehr Integration zu sehen. Juncker habe immer wieder gegen das gemeinsame Interesse verstoßen und „seine Reaktion auf das Brexit-Referendum war sehr schädlich“. Kanzlerin Merkel betrachte Juncker inzwischen als „Teil des Problems“. Das alles sind Meinungsäußerungen ohne Beleg und Substanz und – vorsichtigt ausgedrückt – nicht frei von Interessen.

Ökonom Piketty und viele andere sehen die Hauptschuld für das EU-Desaster bei der deutschen Regierung

Außerhalb des Nabels der Welt deutschen Regierungssitzes, gibt es viele Stimmen, die eine erhebliche Mitschuld am aktuellen, desaströsen Zustand der Europäischen Union bei der deutschen Regierung sehen. Und dies auch faktenreich und plausibel belegen können. Dazu gehört auch der französische Ökonom Piketty [2]: Der gibt der deutschen Regierung die Hauptschuld am Brexit-Votum und an der wirtschaftlichen Spaltung der EU. Berlin führe sich „als Besserwisser auf, was für den Rest der Europäer schlicht unerträglich“ sei. Es sei auch irrational, die südeuropäischen Länder in den Würgegriff zu nehmen. Denn kaputtgesparte Länder sind kaum in der Lage, die ihnen aufgebürdeten Kredite zurück zu zahlen. Piketty sieht in diesem Verhalten „die Lust, bestrafen zu wollen“. Das habe mit Nationalismus zu tun. Zwar nicht der Nationalismus rechter Parteien, aber ein softer Nationalismus, einer „durch Exportpolitik“.

„Alles heiße Luft!“ Über das „Reform“-Feuerwerk des Wolfgang Schäuble vom Wochenende

Am Wochenende feuerte Schäuble dann ein ganzes Feuerwerk von Reformideen ab. Und warf sich persönlich ins Zeug in medialen Auftritten: Großes Interview in der Welt am Sonntag [3], gefolgt vom Gespräch zur besten Sendezeit in der ARD im Bericht aus Berlin [4]. Schäuble wurde da präsentiert unter dem Titel „Vom Hardliner zum Brückenbauer“. Und hatte angeblich eine Reihe von Reformplänen für die EU in der Tasche.

Um Optimisten gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Reformpläne bei Herrn Schäuble heißt, dass andere etwas leisten sollen. Auf die Idee, seine eigene „Austeritätspolitik“ zu reflektieren und ggf. zu ändern, kommt dieser Mann noch lange nicht. Was von den Reformplänen zu halten ist, die Welt und ARD und zahlreiche andere Medien so eilfertig präsentieren, hat sich Albrecht Müller in den Nachdenkseiten einmal näher angesehen. Und kommt zu dem kurzen und bündigen Urteil: Alles heiße Luft! [5]

Was die Staubwolken nach dem Brexit verdeckt haben: Italienische Banken standen kurz vor dem Banken-Run

Die brisanteste Nachricht dieser Tage kommt aus Italien. Und hat es bisher kaum auf die vorderen Seiten der deutschen Mainstream-Presse geschafft. Wieder einmal ist es Ernst Wolff, der auf Telepolis [6] auf das Problem hinweist. Und das für ihn bedeutet: „Die Endphase der EU ist eingeleitet“.

„Während die internationale Öffentlichkeit wie gebannt auf den Brexit und seine Folgen starrte, haben sich in der vergangenen Woche anlässlich der italienischen Bankenkrise hinter den Kulissen der EU dramatische Vorgänge abgespielt. Sie zeigen, dass nationale Regierungen und EU-Bürokratie aus Angst vor der Reaktion der Bevölkerung davor zurückschrecken, die von ihnen selbst zur Aufrechterhaltung des Bankensystems eingeführten rechtlichen Regelungen des Bail-In durchzusetzen.“

Was war geschehen?

Im Dezember letzten Jahres waren vier regionale Banken in Italien in Schieflage geraten. Zu deren Rettung und auf Veranlassung der Regierung in Rom wurden daraufhin 150.000 Aktionäre und Anleihegläubiger um 750 Mio Euro erleichtert. Diese Rettung mit dem Geld der Bankengläubiger nennt sich ‚Bail-In‘ und ist seit diesem Jahr in der gesamten EU gesetzlich eingeführt (siehe auch [7].

Doch italienische Banken verloren weiter an Wert: 40% im Schnitt seit Jahresbeginn, bis zu 75% im Einzelfall. Es kam zu massiven Protesten der Bevölkerung gegen eine Wiederholung des Bail-In. Andere Maßnahmen der Regierung, wie die Auflegung eines Rettungsfonds, brachten nicht die gewünschte Wirkung. Die Situation verschlimmerte sich nach dem Brexit. Premier Renzi sah die Gefahr einer Panik und eines Banken-Runs und verlangte von der EU 40 Milliarden Euro zur Stützung der Banken des Landes.

Merkel und Schäuble wiesen dieses Ansinnen scharf zurück und forderten Renzi auf, das Bail-In-Verfahren anzuwenden, sich also bei den Anteilseignern und Kontoguthaben zu bedienen. Kurz darauf erklärte die EU-Kommission (deren Chef bekanntlich Juncker heißt – siehe oben) nach Rücksprache mit der Europäischen Zentralbank, dass Italien bis zum Ende dieses Jahres Garantien in Höhe von 150 Milliarden Euro erhalte – fast das Vierfache der von Renzi geforderten Summe.

Bail-In nicht durchsetzbar, für Bail-Out fehlt das Geld: Hyperinflation droht

Ernst Wolff, der über diese Vorgänge berichtet, sieht darin den Beleg dafür, wer in Europa das Sagen hat, wenn es um die Erhaltung des derzeitigen Finanzsystems geht: Die Europäische Zentralbank und die EU-Kommission. Das mit Aplomb EU-weit und auch in Deutschland gesetzlich durchgesetzte Bail-In-Verfahren (siehe [7]), also eine Bankenrettung mit dem Geld von Guthabeneigentümern und Aktionären, ist ohne massiven Widerstand der Bevölkerung nicht durchsetzbar. Eine Bankenrettung mit Mitteln des Steuerzahlers ist politisch nicht gewünscht und dürfte (man sehe auf das Beispiel der Deutschen Bank [8]) jedes Land bei weitem überfordern. Wolff weiter [in 7]:

„Die EU-Kommission hat nun [auf die Proteste] reagiert, indem sie die Bail-in-Regelung im entscheidenden Moment außer Kraft gesetzt hat. Das heißt aber nicht anderes, als dass sie auch weiterhin auf Bail-outs, also auf die Rettung von Banken mit dem Geld der Steuerzahler setzt. Da die vorhandenen Summen aber wegen der Löcher in den Staatshaushalten aufgrund der vorangegangenen Bankenrettungen nicht ausreichen, bleibt ihr derzeit nur eine Möglichkeit: Das Gelddrucken. Dies wird in Zukunft in vermehrtem Maße passieren und damit unweigerlich in eine Hyperinflation führen.

Hier liegt nun der Grund, weshalb die Vorgänge um die italienischen Banken für die EU das Einläuten ihres Endes bedeuten: Die einzige Möglichkeit, eine Hyperinflation zu vermeiden, besteht darin, doch wieder auf das Bail-in zurückzugreifen. Diese direkte und unverhohlene Enteignung großer Teile der Mittelschicht im Interesse der Finanzindustrie aber ließe sich nur gegen den Widerstand der Bevölkerung durchsetzen. Der erforderliche Einsatz von Gewalt aber würde unmittelbar zu einer Volksbewegung gegen die EU und zu deren endgültigem Auseinanderbrechen führen. Anders ausgedrückt: Die EU befindet sich in einer Situation, aus der es außer dem Herbeiführen der Hyperinflation keinen realistischen Ausweg mehr gibt.“

[Hervorhebung durch d. Verf.]

Siehe auch unseren Glossareintrag: Bail-In und gesetzliche Einlagensicherung

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Quellen

[1]   ’Berlin schießt sich auf Jean-Claude Juncker ein‘, 04.07.2016, DerStandard.at
http://derstandard.at/2000040359018/Berlin-schiesst-sich-auf-Juncker-ein

[2]   ’Thomas Piketty: Deutschland trägt die Hauptschuld am Brexit‘, 03.07.2016, Welt
http://www.welt.de/politik/ausland/article156750787/Deutschland-traegt-die-Hauptschuld-am-Brexit.html

[3]   ’In Europa nicht so weitermachen wie bisher‘, 03.07.2016, Welt am Sonntag
http://www.welt.de/politik/deutschland/article156764432/In-Europa-nicht-so-weitermachen-wie-bisher.html

[4]   Bericht aus Berlin, 03.07.2016, ARD
http://www.ardmediathek.de/tv/Bericht-aus-Berlin/bericht-aus-berlin/Das-Erste/Video?bcastId=340982&documentId=36344884

[5]   ’Schäuble blendet Medien genauso wie das wirtschaftspolitisch ziemlich unwissende Bürgertum‘, 05.07.2016, Albrecht Müller in Nachdenkseiten
http://www.nachdenkseiten.de/?p=34091

[6]   ’Italiens Pulverfass: Lunte am Pulverfass EU‘, 05.07.2016, Erst Wolff auf Telepolis
http://www.heise.de/tp/artikel/48/48732/1.html

[7]   ’Bargeld-Abschaffung und die absehbaren Folgen für Ihr Bankguthaben‘, 25.02.2016, Cives
https://cives.de/bargeld-abschaffung-und-die-absehbaren-folgen-fuer-ihr-bankguthaben-2833

[8] ‚Schäuble, die Finanzmarktregulierung und die Deutsche Bank‘, 11.02.2016, Cives
https://cives.de/schaeuble-die-finanzmarktregulierung-und-die-deutsche-bank-2719