Auch der ‚Guardian‘ spricht vom Ende des Projekts Europa

[Deutsche Kurzfassung eines Kommentars im britischen Guardian, erschienen am 16.07.2015]
  • Was Demokratie heute noch bedeutet in Europa hat man in dieser Woche am Beispiel der Opferung von Griechenland gesehen:
    Nach fünf mühsamen Jahren der Austerität, die die Troika [aus Europäischer Zentralbank, Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfond / AB] dem Land verordnet hatte, war die Wirtschaftskraft um ein Viertel geschrumpft und Millionen in die Armut abgeglitten. Als Folge davon rebellierten die griechischen Wähler und wählten im Januar 2015 eine Regierung, die Politik gegen die Austerität versprach.
  • Nach Monaten fruchtloser Verhandlungen stimmte das Land in der letzten Woche gegen weitere Sparmaßnahmen, Steuererhöhungen und Privatisierungen, die gefordert worden waren, um die verheerenden Folgen der ersten Phase der Austerität aufzufangen.
  • Die „Master der Eurozone“ reagierten sofort und zogen die Daumenschrauben nur noch fester an: Athen sollte bestraft werden für den Vertrauensbruch, der darin bestand, das Volk um seine Meinung zu fragen.
  • Und so kam es dann, dass der griechische Premierminister, Alexis Tsipras, am Montag klein beigab – bedroht vom Rausschmiss aus der Eurozone und angesichts des unmittelbar bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Landes, der der [eigentlich gar nicht zulässigen / AB] Nichtversorgung mit Bargeld durch die Europäische Zentralbank zu verdanken war.
  • Im Gegenzug für ein sogenanntes Hilfspaket, bei dem es sich in Wirklichkeit um die Aufnahme weiterer Schulden handelt, um damit die Forderungen bestehender Gläubiger bedienen zu können, müssen die Griechen Volksvermögen im Wert von 50 Milliarden Euro an einen „unabhängigen“ Privatisierungsfond übertragen [Nach noch nicht endgültig bestätigen Meldungen soll es sich dabei um die luxemburgische „Institution for Growth für Griechenland (IfG)“ handeln, die von der deutschen KfW kontrolliert wird. Finanzminister Schäuble ist Vorsitzender des Aufsichtsrats der KfW. Soweit zum Thema „Unabhängigkeit“. / AB]
  • Darüber hinaus muss Griechenland seiner ohnehin schrumpfenden Wirtschaft noch mehr Austeriät verordnen; jegliche Gesetzgebung, die den Lehnsherrn der Eurozone missfällt, muss zurückgenommen werden – in anderen Worten also: Das Gegenteil von dem, wofür Tsipras und Syriza eigentlich gewählt wurden.
  • Das ist auch der Grund, warum EU-Offizielle so wild darauf waren, dass bekannt wird, dass Tsipras „gekreuzigt“ und einem „mentalen Waterboarding unterzogen“ wurde.
    Griechenland soll in ein ökonomisches Protektorat verwandelt werden, in dem alle wesentlichen Entscheidungen von ausländischen Regierungen und nicht demokratisch gewählten EU-Bürokraten getroffen werden. …
  • Denn die eigentliche Angst in den Regierungen der Eurozone besteht darin, dass die Rebellion in Griechenland gegen die Austeritätspolitik erfolgreich sein und Wähler in anderen Europäischen Ländern sich ebenfalls für diesen Weg entscheiden könnten. Aus diesem Grund muss Syriza nicht nur besiegt, sondern komplett vernichtet werden. …
  • Die Ereignisse dieser Woche werden erhebliche Folgen nach sich ziehen: Selbst wenn das vorliegende Verhandlungsergebnis noch abgemildert werden und ein paar Monate überdauern sollte: Es wird nicht lange halten. Früher oder später wird Griechenland gezwungen werden, den Euro aufzugeben oder die Eurozone aus freien Stücken zu verlassen. Bleibt nur die Frage, wer diesen Prozess steuert.
  • Sobald dies geschieht – und damit demonstriert wird, dass die Euro-Mitgliedschaft umkehrbar ist – wird sich die Frage nach der Zukunft der weiteren Eurozone stellen. Eine halb-gare Währungsunion, ohne Finanzausgleich und ohne demokratische Strukturen, wird nicht halten. Eine Eurozone, die von einem Staat, nämlich Deutschland, beherrscht wird, der seinen Vasallen mit roher Gewalt seine zerstörerische Austerität aufzwingt, hat keine nachhaltige Daseinsberechtigung.
  • Die 16 Jahre Euro haben dem Kapital in Deutschland genützt, deutschen Arbeitnehmern jedoch allenfalls magere Einkommen beschert und Ländern wie Italien eine Stagnation in Wachstum und Produktivität.
  • In dieser Woche wurde die Währungsunion als der Weg zu einem vereinten, demokratischen Europa zum Gespött gemacht und stattdessen der Weg für ein Auseinanderbrechen der Eurozone aufgemacht.
  • Und damit stellt sich die Frage nach der Zukunft der Europäischen Gemeinschaft: Welche Gemeinschaft von Partnern behandelt einen der ihren wie eine aufmüpfige Kolonie, zerstört dessen Wirtschaft, wenn er es wagt vom rechten Weg abzuweichen und geht mit dessen demokratischen Entscheidungen um, als handelte es sich um unverschämte Beleidigungen?! …
  • Es ist wenig überraschend, dass eine feindselige Haltung gegenüber einer EU, die keine Bereitschaft zu tiefgreifenden Reformen erkennen lässt, auf dem ganzen Kontinent wächst. Und auch in Großbritannien neigen inzwischen viele progressive Leute angesichts des autoritären Vorgehens gegenüber Griechenland dazu, bei dem geplanten Referendum über den Austritt aus der EU mit Nein zu stimmen. Der Feuereifer, mit dem die Eliten auf dem Kontinent die Eurozone disziplinieren, ist gerade dabei das Europäische Projekt zu zerstören.

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Quelle zu diesem Artikel

The crucifixion of Greece is killing the European project, Kommentar von Seumas Milne, 16.07.2015, Guardian
http://www.theguardian.com/commentisfree/2015/jul/16/crucifixion-greece-killing-european-project-debt-colony-breakup-eurozone

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