Forderungen führender Regierungsmitglieder – Testballons für die Wählermeinung

Mit einem Schwall von „Forderungen“ demonstrieren führende Parteifunktionäre in Regierungsverantwortung, wie die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Merkel oder der SPD-Bundesvorsitzende und Vizekanzler Gabriel, scheinbar entschlossenes Handeln. Bei näherem Hinsehen entpuppen sich solche Forderungen als unlogisches Konstrukt: Denn an wen sollten sie sich richten?! – Wohl vor allem an den potenziellen Wähler. Aufgrund der Resonanz auf solche „Forderungen“ lässt sich für Politiker im Wahlkampfmodus ausloten, was zieht und was nicht. Und Leitmedien, wie auch die öffentlichen Fernsehanstalten machen sich zu kritiklosen Multiplikatoren solcher Verlautbarungen.

Führende Vertreter der Regierungskoalition in Berlin haben die Schleusen geöffnet: Seit dem Jahresanfang ergießt sich ein Schwall von „Forderungen“ über die Redaktionen der Medien und damit die Öffentlichkeit.

Die Kanzlerin , Erfinderin und Vorreiterin in dieser Disziplin „fordert“ aktuell u.a.

  • „die gesellschaftliche Ächtung von Übergriffen“,
  • „Mörder ganz deutlich zu benennen,“
  • „schnellere Abschiebung“, sowie
  • „Menschlichkeit gegen den Hass“.

Ihr Beispiel wirkte ansteckend: Der Vizekanzler, Bundesvorsitzende und vermutlich bald Kanzlerkandidat der SPD, Sigmar Gabriel „fordert“ aktuell

  • „den kulturellen Kampf gegen Islamismus“,
  • „einen Vorschlag zur Kindergeld-Kürzung für EU-Ausländer“ [warum macht er ihn nicht einfach?!] und
  • „hartes Vorgehen des Staates gegen die Straftäter“.

Oppermann, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, „fordert“

  • „Sanktionen gegen die Herkunftsländer“ und
  • „stärkere Cyber-Abwehr [damit ihm die bösen Russen nicht sein erträumtes Wahlergebnis kaputtmachen?!]

Justizminister Maas, Mitglied im SPD-Bundesvorstand „fordert“

  • die elektronische Fußfessel für islamistische Gefährder

Und Innenminister De Maizière, Mitglied im CDU-Bundesvorstand, der wegen des Anschlags in Berlin am meisten unter Kritik steht, „fordert“ besonders viel, nämlich

  • „Ausreisezentren für abgelehnte Asylbewerber“ (am 3.1.),
  • „den Umbau der Sicherheitsarchitektur“ (auch am 3.1.),
  • „mehr Kompetenzen für den Bund“ (am 3.1.),
  • „einen stärkeren Staat“ (3.1.),
  • „mutige Handwerker (am 6.1.),
  • „eine EU-weit abgestimmte Asylpolitik“ (am 9.1.)
  • „die Entlassung von Reichsbürgern aus dem Staatsdienst“ (auch am 9.1.)

[1]

Bleibt Spitzenpolitikern eigentlich noch Zeit für Entscheiden und Handeln – oder sind sie schon voll ausgelastet damit, sich ihre Forderungen für die nächsten 24 Stunden auszudenken?!

Fordern statt Entscheiden und Handeln

Von Entscheiden und Handeln ist derzeit wenig zu bemerken. Insbesondere gibt es keine Antworten auf Fragen, die das ganze Land stellt: Wie konnte es zu dem Anschlag in Berlin kommen? Warum wurde ein Gefährder, der den Behörden bestens bekannt war, nicht gestoppt, bevor er gefährlich wurde? Von solchen Fragen wird abgelenkt – durch eine schrilles Konzert von „Forderungen“.

Doch was ist das eigentlich – „Forderungen“?

Ein Blick ins Wörterbuch [2] liefert einen ganzen Strauß an englischen Verben für das deutsche Wort „fordern“:

Claim, die erste Option auf der Liste, bedeutet, etwas als wahr oder richtig zu erklären oder zu behaupten, ohne dafür Beweise zu liefern“. Sagt das Oxford English Dictionary [3a]. Wer also „Sanktionen gegen Herkunftsländer“ fordert oder den „kulturellen Kampf gegen Islamismus“ hat noch lange nicht belegt, dass diese Forderung richtig oder zielführend ist.

Demand das zweite englische Wort für unser deutsches „fordern“, steht für „autoritäres Verlangen, das von oben herab geltend gemacht wird [3b]. Doch wen meint Kanzlerin Merkel mit ihrem Anspruch auf „schnellere Abschiebung“?! Hat nicht sie selbst den meisten Einfluss darauf, dass geltendes Recht vollzogen wird bzw. Gesetzeslücken (, sollte es sie denn geben,) gefüllt werden?

Wen meint Vizekanzler Gabriel, wenn er einen Vorschlag zur Kürzung des Kindergelds bei EU-Ausländern verlangt? Hat er niemandem im Ministerium oder im SPD-Apparat, der einen solchen Vorschlag mal ausarbeiten kann? Ohne dass anstelle von Handeln gleich wieder die mediale Trompete geblasen wird?! Und was hat das zu tun mit den Ursachen des Anschlags in Berlin?

Inwiefern verbessert ein „Umbau der Sicherheitsarchitektur“, ein „stärkerer Staat“ oder „mehr Kompetenzen für den Bund“, die der Bundesinnenminister fordert, die Sicherheit vor möglichen Anschlägen in diesem Land?! Von wem eigentlich fordert er diese Maßnahmen?! Ist nicht vielmehr zu erwarten – nach langjährigen Erfahrungen mit dem von De Maizière geführten Innenministerium – dass dieser Umbau

  • wieder Jahre dauern,
  • sehr viel Geld kosten wird,
  • dass aber, außer Ankündigungen, wenig praktisch Verwertbares dabei rauskommt.
[Zur jüngsten Ankündigung von den angeblich jetzt bald vereinheitlichten Informationssystemen der Polizeibehörden von Bund und Ländern verweisen wir auf diesen Artikel [4].]

Ask, die dritte Option für das deutsche Wort ‚“fordern“ bedeutet, etwas zu sagen, um eine Information oder Antwort zu erhalten [3c]. Wen „fragt“ also De Maizière mit seiner Forderung, dass Reichsbürger aus dem Staatsdienst zu entlassen sind?! Noch vor wenigen Jahren wurde jeder kleine Lehramtsanwärter, der als Schüler auch nur mal in die Nähe der DKP geraten war, gründlich auf seine Treue zur freiheitlichen, demokratischen Grundordnung abgeklopft. Und im Zweifelsfall nicht eingestellt bzw. bei späteren Zweifeln wieder entfernt aus dem Staatsdienst. Was hindert den Innenminister einfach mal zu machen, statt ständig zu trompeten?! „Reichsbürger in Sicherheitsbehörden: Ab morgen haben sie schlechte Karten in der Bundespolizei, beim Bundeskriminalamt oder im Bundesamt für Verfassungsschutz!“ Das wäre doch mal eine Schlagzeile, mit der De Maizière sein entschlossenes Handeln unter Beweis stellen könnte. Warum also tut er’s nicht einfach?!

Forderungen sind Testballons für Wählermeinungen und -mehrheiten

Dieses ganze schrille Konzert soll davon ablenken, dass Entscheidungen in der Regierung nicht getroffen, geschweige denn umgesetzt werden. Regierungshandeln ist ersetzt durch lautstarke Verlautbarungen, „Forderungen“ der oben beschriebenen Art. Sie richten sich vor allem an den potenziellen Wähler. Mit den Forderungen und der darauf erfolgenden Resonanz wollen führende Parteifunktionäre in Regierungspositionen, schon voll im Wahlkampfmodus, vor allem ausloten, was zieht und was nicht beim Wähler und was zumutbar ist und wohl „geschluckt“ werden wird und was nicht.

Gelernt haben die Gabriels, Oppermanns, De Maizières & Co bei der Kanzlerin: Die schon seit Jahren blendend damit fährt, Entscheiden und Handeln durch „Forderungen“ zu ersetzen. Lernen konnten sie auch bei Juncker, dem aktuellen Chef der Europäischen Kommission. Der sagte

Wir stellen etwas „in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter.“ [5]

In diesem Sinne sind die Forderungen führender Parteifunktionäre in Regierungsverantwortung seit der Jahreswende bzw. dem Anschlag in Berlin Testballons, mit denen sie im Vorwahlkampf antesten, wo es „großes Geschrei“ gibt und wo nicht.

Die Medien – zunehmend nur noch PR-Agenturen zur Verbreitung von Partei- und Regierungsverlautbarungen

Die Medien – egal ob Print, Online oder Fernsehen – tun ihnen den Gefallen, als Multiplikatoren zu wirken für die alltäglich wohlfeilen „Forderungen“. Aus den Redaktionen kommen weder Fragen, noch Kritik. Wer eigentlich „Übergriffe gesellschaftlich ächten“ soll, wer „Mörder ganz deutlich benennen soll“, wer „schneller abschieben soll“, wer „kulturell gegen den Islamismus kämpfen“ oder „das Kindergeld für EU-Ausländer kürzen“ soll. Tja, wer, wenn nicht mitverantwortlich die Regierungsmitglieder, sollte solche Aufgaben denn anpacken?! Wem könnten Regierungsmitglieder solche Aufträge auf den Tisch legen mit Aussicht darauf, dass sie auch umgesetzt werden?! Nachgefragt wird auch nicht, welches Problem durch die jeweilige Forderungen eigentlich gelöst werden soll. Es würde sich dabei zeigen, dass zahlreiche Forderungen kausal absolut nichts zu tun haben mit den im Raum stehenden Problemen.

Kein Bericht aus Bonn, keine Anne Will, kein ‚Hart aber Fair‘ und wie sie alle heißen, hat Merkel, Gabriel oder De Maizière interviewt und denen mal ernsthaft auf den Zahn gefühlt: Was ihre „Forderungen“ mit dem Anschlag in Berlin zu tun haben? Was ihre Forderungen dazu beitragen, ähnliche Anschläge in Zukunft zu verhindern? Warum sie Forderungen erheben, die sie selbst in eigener Verantwortung längst hätten umsetzen können?

Das alles bleibt unhinterfragt im Abstrakten stehen. Denn Forderungen dieser Art sind ja Testballons. Mit denen die Reaktion der öffentlichen Meinung, also der potenziellen Wähler, angetestet wird, um Strategien und Positionen für den anlaufenden Wahlkampf besser einnorden zu können. Es sind ja – interessanter Weise – Mitglieder aus der Führungsspitze von CDU und SPD, die vor allem mit „Forderungen“ agieren: Die CDU-Vorsitzende Merkel, das Mitglied im CDU-Bundesvorstand De Maizière, der SPD-Vorsitzende Gabriel und der SPD-Fraktionsvorsitzende Oppermann. Sie missbrauchen skrupellos ihre Funktionen in der Regierung für Parteiinteressen.

Solange die führenden Print- und Online-Medien und öffentliche Fernsehanstalten nicht mehr zu bieten haben, als nur Verlautbarungsjournalismus zu betreiben, das Wahlkampfgeplänkel von Parteifunktionären und Regierungsmitgliedern einfach kritiklos wiederzugeben und zu verbreiten, brauchen sie sich über ihr rasch sinkendes Ansehen und schwindende Zahlen von Lesern und Zuschauern nicht zu wundern.

Quellen

[1]   Es ist müßig, einzelnen Quellen aufzuführen für diese Menge an Forderungen. Geben Sie z.B. „Merkel fordert“ in der Suchmaschine ein und sehen Sie selbst. Das funktioniert natürlich auch mit den Namen der anderen Politiker.

[2]   Wir haben LEO verwendet, siehe
http://dict.leo.org/englisch-deutsch/fordern

[3a]   https://en.oxforddictionaries.com/definition/claim
[3b]   https://en.oxforddictionaries.com/definition/demand
[3c]   https://en.oxforddictionaries.com/definition/ask

[4]   Trotz geplanter Modernisierung und Vereinheitlichung: Das BMI hält weiterhin am PIAV fest, 09.12.2016, POLICE-IT
https://police-it.org/piav-gescheitert-innenminister-neue-alte-visionen

[5]   In ‚Junckers beste Zitate: “Wenn es ernst wird, muss man lügen‘, die Presse.com
http://diepresse.com/home/wirtschaft/eurokrise/1335097/Junckers-beste-Zitate_Wenn-es-ernst-wird-muss-man-luegen?gal=1335097&index=2&direct=&_vl_backlink=&popup=

3 Gedanken zu „Forderungen führender Regierungsmitglieder – Testballons für die Wählermeinung“

  1. heute:
    „Soziale Netzwerke: Grüne fordern Transparenzpflicht für Meinungsroboter“
    (vor-)gestern
    „Grüne fordern Sex auf Rezept für Pflegebedürftige“

    Können die nicht mal einen Tag einfach nur die Klappe halten ?

  2. Und bitte das „will“ nicht vergessen !
    Eine kleine Auswahl beschränkt auf die Bundeskanzlerin:
    Merkel …
    … will konsequent abschieben
    … will eine nationale Kraftanstrengung bei Abschiebungen

    Naja soll sie doch anfangen Bundeskanzlerin ist sie schliesslich schon.
    Ach so sie will noch mehr:
    …will Sicherheit in Freiheit.
    Das will ich auch. Obwohl: klingt doch eher nach einem Gemeinplatz.

    Aber was will sie noch? Richtig:
    „Angela Merkel will zum vierten Mal an die Macht.“

    Wie Sie richtig ausführen geht es wohl hauptsächlich darum.

  3. Das sind nicht nur leere Forderungen. Da steckt System dahinter. Wie Sie schon schreiben, wird hier die Meinung und Reaktion des Volkes ausgelotet, um dann gezielt den Wahlkampf zu führen. Gleichzeitig wird die sogenannte Willkommenskultur durch gefühlvolles Gegensteuern beendet und eine sanfte Wende eingeleitet. Dadurch möchte man auch die ungeliebten populistische Parteien soweit als möglich ausbremsen.
    Unsere Bundeskanzlerin ist eine Meisterin dieser Wende-Manöver. Sie schöpft aus ihren Erfahrungen Anfang der 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Sie schafft das, wetten dass …?

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