EU wird vor den NATO-Karren gespannt

Klammheimlich haben die EU-Staats-und Regierungschefs beim Gipfel in Bratislava einer wesentlich verstärkten Zusammenarbeit zwischen EU und NATO zugestimmt. NATO-Generalsekretär Stoltenberg hatte sie im Juli mit EU-Ratspräsident Tusk und Kommissionspräsident Juncker ausgearbeitet und verabschiedet.

Die Ergebnisse des EU-Gipfels zur Flüchtlingspolitik

Gestern ging der EU-Gipfel in Bratislava zu Ende. Sollten Sie in der heutigen Presse Informationen darüber suchen, was auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten in Bratislava eigentlich beschlossen wurde, könnten Sie ähnlich enttäuscht sein wie ich.
Die ‚Welt‘ sieht am Horizont bereits einen Richtungswechsel in der Flüchtlingspolitik [1]. Die ‚Süddeutsche‘ vermeldet dagegen, dass die osteuropäischen Staaten in der Flüchtlingsfrage nicht einlenken wollen [2]. Die ‚Bericht’erstattung ist ersetzt durch Schilderungen über das Wetter („Die Sonne strahlt“ / SZ), die Gebäudlichkeiten („in der hoch über den Donau gelegenen weiß verputzten Festungsanlage mit ihren vier Ecktürmen …“ / FAZ) oder persönliche Befindlichkeiten („Merkel, die mächtigste Frau der Welt, muss den „jungen Herrn Roivas erst einmal ausreden lassen. So ist die EU. Eigentlich wunderbar“ / SZ).

Doch nach Fakten darüber, was in Bratislava eigentlich beschlossen wurde, sucht man in den Medien heute vergeblich. Auf der Seite des Europäischen Rates findet sich dann eine von Politfloskeln strotzende „Erklärung von Bratislava“ mit einem anhängenden „Bratislava-Fahrplan“ [3].

Die Athen-Erklärung der EU-Mittelmeer-Regierungschefs

Eine ähnliche Erklärung hatte es sieben Tage zuvor schon aus Athen gegeben. Den hatten die Medien in Deutschland so gut wie ganz ignoriert. Es hatten sich in Athen am 7. und 8. September die Regierungschefs der Staaten in Europa getroffen, die besonders vom stark gewachsenen, wirtschaftlichen Ungleichgewicht in Europa betroffen waren. Nämlich Zypern, Griechenland, Italien, Malta, Spanien und Portugal, sowie der französische Staatspräsident Hollande. Ziel ihres Treffens war, wie in ihrer „Athen Erklärung“ (Athens Declaration) [4] nachzulesen, „die Vertiefung unserer Zusammenarbeit und ein Beitrag zum Dialog über die Zukunft der Europäischen Gemeinschaft“.

Ihren Beitrag zur Diskussion gliedern sie in fünf Prioritätsbereiche:

  1. Wahrung der Inneren und Äußeren Sicherheit von Europa
  2. Verstärkung der Zusammenarbeit im Mittelmeerraum und mit den Afrikanischen Staaten
  3. Unterstützung für mehr Wachstum und Investment in Europa
  4. Stärkung von Programmen für junge Leute
  5. Angehen und Bewältigen der Herausforderungen, die sich aus der Zuwanderung ergeben

Der Bratislava-Fahrplan

Die sieben Unterzeichner der Athener Erklärung stellen zwar ein Viertel der Regierungschefs, die sich eine Woche später in Bratislava trafen. Deren „Bratislava-Fahrplan“ [3] stimmt jedoch nur in geringen Teilen überein mit der Erklärung der Sieben aus dem Süden. Insbesondere den französischen Staatspräsidenten Hollande dürften seine Mitstreiter aus Athen als Umfaller ansehen. Eine Woche zuvor noch zeichnete er freudig die Athener Erklärung mit, die durchaus als Kontrapunkt zur Schäuble-/Merkel’schen Austeritätspolitik zu verstehen ist. In Bratislava dann trat er mit dem Statement vor die Presse, dass es „sehr wichtig (ist) zu zeigen, dass Deutschland und Frankreich gemeinsam zum Erfolg Europas beitragen wollen“.

Maßnahmen zur Wirtschafts-, Finanz- oder Steuerpolitik?! – Fehlanzeige im Bratislava-Fahrplan!

Die Wirtschafts- und Finanzpolitik nimmt in der Athener Erklärung den breitesten Raum von allen ein. Konkret fordert sie u.a.

  • eine Verdoppelung der Mittel aus dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen („Juncker-Plan“),
  • den Abschluss der Bankenunion,
  • Investitionsimpulse auf nationaler Ebene [was direkt gegen die „Schwarze Null“ gerichtet ist],
  • die Verbesserung von Arbeits- und Lebensumständen und Verbesserung der Wohnsituation,
  • Kampf gegen Steuerflucht und aggressiv-kreative Steuer(vermeidungs-)gestaltung,
  • ein Ende des gegenseitigen Unterbietens mit immer niedrigeren Steuersätzen,
  • sowie Kampf gegen Sozialdumping, insbesondere durch wirksame Maßnahmen gegen Betrug, Missbrauch und die Umgehung von Gesetzen und Regeln.
  • Und außerdem sollten neue Anstrengungen unternommen werden für mehr Wachstum, Annäherung und Stabilität in der Euro-Zone.

Diese Anregungen sind ebenso richtig, wie sie nicht neu sind. Schließlich beschäftigen sie sich mit den wesentlichen Problemen für die Zukunft des gemeinsamen Europas.
Umso bemerkenswerter ist, dass sich davon im Bratislava-Fahrplan so gut wie nichts wiederfindet – schon gar nichts, was Ursachen und mögliche Lösungen ähnlich konkret anspricht.

Schwerpunkt im Bratislava-Fahrplan: Abschottung, Abwehr von Migranten und mehr Überwachung und Kontrolle

Breiten Raum nimmt im Bratislava-Fahrplan dagegen die „Innere und Äußere Sicherheit“ ein, die „Externe Sicherheit und Verteidigung“, sowie „Migration und Außengrenzen“.
Tragender Gedanken hinter all dem ist „Abschottung“, Hochfahren der Grenzsicherung (nicht nur gegenüber Migranten), sowie mehr Überwachung und Kontrolle. Das alles ist verpackt in verbale Watte und Selbstverständlichkeiten. wie „Entschlossen, die EU mit 27 Mitgliedsstaaten zum Erfolg zu führen“, … „entschlossen, gemeinsame Lösungen zu finden“, … „zahlreiche, vor uns liegende Herausforderungen“ … und so fort.

Wer konkret beschlossene Maßnahmen sucht, wird enttäuscht. Das konkrete Vorgehen befasst sich mit Interna der Zusammenarbeit zwischen EU und Mitgliedsstaaten, wie z.B. „Verstärkung des Mechanismus, mit dem die Umsetzung der gefassten Beschlüsse überprüft wird“ [und was geschieht dann??] oder: „Loyale Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Mitgliedsstaaten und den EU-Institutionen“ [offenbar intern ein gravierendes Problem …].

Und zum Zeitplan heißt es nur, dass „Bratislava der Beginn eines Prozesses“ sei. Dann wird vertröstet auf ein nächstes Treffen der Staats-und Regierungschefs Anfang 2017, auf die Frühjahrstagung des Europäischen Rates und auf Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge im März 2017.

Hinhaltetaktik zum Nutzen von Merkel und Hollande – aus innenpolitischem Kalkül

Mit diesem Hinhalten erkaufen sich insbesondere Kanzlerin Merkel und der französische Staatspräsident Hollande Zeit, die sie aus innenpolitischen Gründen dringend brauchen: Denn im Frühjahr 2017 stehen in beiden Ländern Wahlen an: Landtagswahlen im Saarland (26.3.2017), in Schleswig-Holstein (7.5.2017) und in Nordrhein-Westfalen (14.5.2017), sowie Präsidentschaftswahlen in Frankreich am 22.4. und Parlamentswahlen am 11.6.2017. In beiden Ländern müssen die beiden Amtsinhaber derbe Verluste für sich persönlich und ihre Parteien befürchten und die Abwanderung von Wählern im zweistelligen Prozentbereich an rechte Parteien. Ein Werben darum, dass Stammwähler der eigenen Parteien erhalten bleibe und womöglich sogar neue Wähler gewonnen werden, sieht jedenfalls anders aus, als das, was Merkel und Hollande in Bratislava abgeliefert haben.

Doch möglicherweise ging es in Bratislava gar nicht vorrangig um eigene Wähler und auch nicht um die Zukunft Europas …

Klammheimliche Vereinbarung über verstärkte Zusammenarbeit zwischen EU und NATO

Denn im Kleingedruckten des Bratislava-Fahrplans findet sich eine Textzeile, die aufhorchen lässt: Unverzügliche Umsetzung der gemeinsamen Erklärung EU-NATO“ wird da gefordert. Es steht dies unter dem erklärten Ziel der „Verstärkung der EU-Zusammenarbeit im Bereich der externen Sicherheit und der Verteidigung angesichts der Herausforderungen, die sich aus dem geopolitischen Umfeld ergeben.“
Diese EU-NATO-Erklärung stammt vom 8. Juli 2016 und wurde von Tusk, dem Präsidenten des Europäischen Rats (der Staats- und Regierungschefs), Juncker, dem Präsidenten der EU-Kommission und dem NATO-Generalsekretär Stoltenberg unterzeichnet [5].

NATO-Generalsekretär Stoltenberg treibt ein Mega-Bündnis zwischen EU und NATO voran

Stoltenberg strebe ein ‚Mega-Bündnis‘ aus Nordatlantischer Allianz und Europäischer Union an. Das Projekt sei weit gediehen. Russlands Vorgehen in der Ukraine habe alles verändert und erzwinge die enge Kooperation beider Organisationen. Das schrieben die ‚Blätter für deutsche und internationale Politik‘ in ihrer Chronik für den Monat Juni 2016 [6].

Was steht in der EU-/NATO-Erklärung?

Einleitend heißt es in dieser Erklärung:

„Die Euro-atlantische Gemeinschaft ist heute mit noch nie da gewesenen Schwierigkeiten aus dem Süden und Osten konfrontiert. Unsere Bürger fordern, dass wir alle Möglichkeiten und Wege ergreifen, um diesen Herausforderungen entgegenzutreten und so ihre Sicherheit zu verbessern.“ … „Im Licht der gemeinsamen Herausforderungen, denen wir ausgesetzt sind, müssen wir unsere Anstrengungen intensivieren: Wir brauchen neue Wege miteinander zu arbeiten und neue strategische Ziele; weil unsere Sicherheit wechselseitig vom anderen abhängt, weil wir gemeinsam eine große Bandbreite von Maßnahmen aufbieten können und weil wir unsere Ressourcen möglichst effizient einsetzen müssen.“ … „Eine starke NATO und eine starke EU verstärken sich gegenseitig.“ …“

Mit solchen Bekräftigungsfloskeln geht es noch eine Weile dahin in der EU-NATO-Erklärung, bis dann die Liste der dringlichsten Notwendigkeiten aufgestellt wird:

  • Steigerung der Fähigkeiten zum Gegenhalten gegen hybride Bedrohungen,
  • Erweiterung und Anpassung unserer Zusammenarbeit auf operativer Ebene, insbesondere auf See und im Zusammenhang mit (Anti-)Migrations-Einsätzen,
  • erweiterte Abstimmung auf den Gebieten der Cybersicherheit und -Abwehr, auch im Zusammenhang mit Einsätzen und Operationen, Übungen, sowie bei Ausbildung und Training,
  • Entwicklung eines stimmigen, sich gegenseitig ergänzenden und kompatiblen Verteidigungspotenzials der EU Mitgliedsstaaten und der NATO-Verbündeten,
  • Förderung einer starken Verteidigungsindustrie und mehr Forschung und Zusammenarbeit auf diesem Gebiet zwischen Europa und Nordamerika,
  • Stärkung der Zusammenarbeit bei Übungen, einschließlich solcher im Bereich der hybriden Kriegsführung; im ersten Schritt durch Durchführung zeitgleicher und koordinierter Übungen in den Jahren 2017 und 2018;
  • Aufbau der Verteidigungs- und Sicherungskapazität und der Widerstandsfähigkeit unserer Partner im Osten und Süden in einer abgestimmten Weise durch spezifische Projekte in einer Vielzahl von Bereichen für einzelne Empfängerländer und unter besonderer Berücksichtigung der Verstärkung der maritim-militärischen Kapazitäten,

Die Zusammenarbeit auf diesen Gebieten sei von hoher strategischer Priorität, die rasche Umsetzung wichtig. Bis Dezember 2016 sollten dafür eingesetzte Mitarbeiter bei der EU, der NATO und der EU-Kommission konkrete Maßnahmen für die Umsetzung entwickeln und vorlegen. So sahen es die Väter der neu aufgelegten EU-NATO-Erklärung, die Herren Tusk, Juncker und Stoltenberg. Eine Zusammenfassung der Beziehung zwischen NATO und EU finden Sie auch in diesem Dokument der NATO (in englisch).

Anmerkungen

  • Im Licht dieser Information hatte der EU-Gipfel in Bratislava vor allem den Zweck, möglichst unscheinbar und im Kleingedruckten einen Beschluss der 27 noch verbliebenen EU Staats- und Regierungschefs für die unverzügliche Umsetzung dieser gemeinsamen Erklärung herbeizuführen. Dieser Zweck ist erreicht.
  • In zweiter Linie wichtig war taktisches Timing für die bevorstehenden Wahlkämpfe der Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten. Ernsthafte Sorgen um die Zukunft von Europa spielen bei so wichtigen strategischen bzw. taktischen Überlegungen dann keine Rolle mehr …
  • Die permanenten Vorstöße des Bundesinnenministers für noch mehr Überwachung – angeblich notwendig im Kampf gegen den Terror – und die Veränderung des BND-Gesetzes, in dem nunmehr alles erlaubt werden soll, was bisher illegal war, müssen im Licht dieser EU-NATO-Kooperation allerdings neu bewertet werden.
  • Ausdrücklich bekräftigt wurde im Bratislava-Fahrplan das „uneingeschränkte Festhalten an der Umsetzung der Erklärung EU-Türkei“. Die Vertiefung der Partnerschaft zwischen EU und NATO schafft weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit dem NATO-Mitglied Türkei …
  • Anlass für den EU-Gipfel in Bratislava war die Entscheidung aus dem Vereinigten Königreich zum Ausscheiden aus der EU. Großbritannien ist weiterhin NATO-Mitglied. Eine vertiefte Partnerschaft zwischen EU und NATO bietet auch für das Verhältnis zu GB erweiterte Möglichkeiten, vor allem dann, wenn sich das Verhältnis zwischen EU und der Insel weiter verhärten sollte.

Quellen

[1]   ’In Bratislava deutet sich Europas Richtungswechsel an‘, 17.09.2016, Welt Online
https://www.welt.de/politik/ausland/article158210680/In-Bratislava-deutet-sich-Europas-Richtungswechsel-an.html

[2]   ’EU-Mitgliedsstaaten einigen sich auf „Agenda von Bratislava“‚, 16.09.2016, Süddeutsche Zeitung
http://www.sueddeutsche.de/politik/eu-sondergipfel-eu-mitgliedstaaten-einigen-sich-auf-agenda-von-bratislava-1.3165246

[3]   Erklärung von Bratislava und Bratislava Roadmap, 16.09.2016, Europäischee Rat
http://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2016/09/16-bratislava-declaration-and-roadmap/

[4]   ’Athens Declaration of the 1st Mediterranean EU Countries‘ Summit, 08.09.2016
http://news.gtp.gr/2016/09/09/athens-declaration-mediterranean-eu-summit/

[5]   ’Joint Declaration by the President of the European Council, the President of the European Commissionn and the Seretary General of the North Atlantic Treaty Organization“, 08.07.2016,
http://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_133163.htm

[6]   ’8.6. – Nato/EU‘ in ‚Chronik des Monats Juni 2016‘, Blätter für deutsche und internationale Politik,
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2016/august/chronik-des-monats-juni-2016

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