So wenig zahlt Deutschland an das Welternährungsprogramm

Vizekanzler Gabriel schimpfte wie ein Rohrspatz: Auf die „internationale Staatengemeinschaft, die Vereinigten Staaten und die Golfstaaten“: Weil sie kein Geld geben, stehen dem Welternährungsprogramm in den Flüchtlingslagern nur noch 13 Euro pro Flüchtling und Monat zur Verfügung. Und der UN-Flüchtlingskommissar muss Krankenhäuser schließen. Das ist ebenso wahr wie untragbar.
Was Gabriel allerdings nicht laut gesagt hat: Die Bundesregierung ist nicht viel besser. Wir haben mal angefragt in den Berliner Ministerien, was denn aus Deutschland an das UN-Flüchtlingshilfswerk und das UN-Welternährungsprogramm geflossen ist – bzw. noch fließen soll in diesem Jahr …

______________________________________________________________________________

Dieses Land ist gerade stramm dabei, bis zum Jahresende um so viele Leute zu wachsen, wie Köln aktuell Einwohner hat, eine gute Million also. Und bei allem Jammern über das Altern der Gesellschaft und in Zukunft fehlende Sozialversicherungs-Beitragszahler: Ganz so überstürzt wäre das Wachstum dann doch nicht notwendig gewesen. Ganz so überraschend allerdings, wie Vertreter der Bundesregierung jetzt vorgeben, war die Entwicklung jedoch auch nicht: Dass Flüchtlinge aus Syrien schon seit Jahren in jordanischen und libanesischen Massenlagern ausgeharrt haben, war seit langem bekannt. Und dürfte auch dem eigentlich für das Ausland zuständigen Nachrichtendienst dieser Republik nicht entgangen sein. Die BND-Strategen waren jedoch beschäftigt: Wahlweise mit Auftritten vor dem NSA-Untersuchungsausschuss und deren Vor- und Nachbereitung. Oder mit der Beschaffung von 300 Millionen Euro über ihren ohnehin üppigen Etat hinaus, für eine „Strategische Initiative Technik“. Merken Sie sich diese 300 Millionen, denn Ausgaben in gleicher Höhe werden Ihnen in diesem Artikel noch mehrfach begegnen!

Die Türkei hat, ebenfalls über Jahre, mehr als zwei Millionen Syrer als Gäste beherbergt. Das wurde von deutscher Regierungsseite lange Zeit geflissentlich ignoriert. Und im Übrigen war ja gerade Frau Merkel sehr deutlich ablehnend gegenüber der türkischen Regierung und deren Versuchen einer Annäherung an die Europäischen Union mit dem Ziel eines späteren Beitritts. Nächsten Sonntag reist Merkel in die Türkei. Vielleicht denkt sie auf der Reise an das Sprichwort: „Man sieht sich immer zweimal“. Denn jetzt muss sie um guten Willen und Kooperationsbereitschaft von Erdogan und dem türkischen Ministerpräsidenten werben. Weil man, in der generellen Konzeptionslosigkeit und Verzweiflung, auf EU-Regierungsebene auf die Idee verfallen ist, die Türkei zum sicheren Herkunftsland zu erklären. Auf solche Verhandlungs“angebote“ entgegnet man übrigens überall sonst auf der Welt mit der Frage „What’s in it for me?“ In deutschen Regierungskreisen hat der Ansatz, auch mal den Blickwinkel des Verhandlungspartners einzunehmen, allerdings noch nicht viele Anhänger.

Merkel und Gabriel fordern: Fluchtursachen bekämpfen!

Neben der Türkei als sicherem Herkunftsland ist ein weiterer Geistesblitz über der Regierungsspitze niedergegangen: Merkel, wie auch ihr Vizekanzler, fordern nun öffentlich, dass man die „Fluchtursachen bekämpfen“ müsse. Ein zweifelsohne guter Gedanke – wenn auch etwas spät.

Sigmar Gabriel, am vergangenen Sonntag in einem Interview im ZDF ohnehin zur Hochform aufgelaufen, redete sich in Rage:

„[Lösungen sind] sehr kurzfristig nötig: Denn wenn das Welternährungsprogramm seine Mittel pro Kopf der Flüchtlinge von 27 Dollar pro Monat und Kopf auf 13 Dollar senken muss, weil die internationale Staatengemeinschaft ganz kurzfristig kein Geld gibt, dann ist doch die logische Folge, dass nicht nur Deutschland – wir sind ja bereit das zu tun, haben es bereits getan, seine Mittel anheben muss – nicht nur Europa, sondern z.B. auch die Vereinigten Staaten, die Golfstaaten. Wir müssen etwas kurzfristig dafür tun, dass der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen nicht Krankenhäuser schließen muss in Jordanien, weil er kein Geld mehr hat: Dass die Menschen dort ihre Kinder derzeit nicht zur Schule schicken können, weil die Schulen geschlossen werden müssen, weil die internationale Staatengemeinschaft kein Geld gibt, das muss ganz kurzfristig passieren, sonst setzen sich diese Menschen kurzfristig in Gang und kommen nach Europa und Deutschland. Das sind Maßnahmen, die wir jetzt brauchen.“

Gabriel versucht hier, anderen den schwarzen Peter zuzuschieben: Sein Schimpfen auf „die internationale Staatengemeinschaft“, die „Vereinigten Staaten“ oder die „Golfstaaten“ erweckt den Eindruck, als gehöre die Bundesrepublik zu den Guten, die großzügig zahlen. Das Gegenteil ist leider richtig: Und auch hier wieder entsprechen die Taten der Bundesregierung so gar nicht dem, was die Regierungsmitglieder öffentlich weis zu machen versuchen.

So wenig gibt Deutschland tatsächlich aus

Das belegen Antworten aus mehreren Bundesministerien: Wir haben nämlich mal nachgefragt, was denn die Bundesrepublik in diesem Jahr aufgewendet hat und für nächstes Jahr auszugeben gedenkt für das Welternährungsprogramm (WEP/WFP) und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Der Sprecher des Entwicklungshilfeministeriums teilt mit, dass an das Welternährungsprogramm in diesem Jahr rund 105 Millionen Euro überwiesen wurden. Weitere 34 Millionen „werden derzeit administrativ abgewickelt und in Kürze ausgezahlt“. Wohl damit man dort nicht über die Stränge schlägt, wird dieser Betrag im nächsten Jahr dann um mehr als die Hälfte verringert auf dann noch 60 Millionen Euro. Und auch das Auswärtige Amt trägt noch sein Scherflein bei: Nämlich „voraussichtlich“ 51,2 Mio Euro an das Welternährungsprogramm im laufenden Jahr, wie aus dem AA zu hören war.
190,2 Millionen Euro werden es also „voraussichtlich“ und nach Klärung der „administrativen Probleme“ allenfalls werden, die das reiche Deutschland im Jahr 2015 erübrigen kann für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Das ist übrigens in vielen Ländern dieser Erde tätig, nicht nur in den Nachbarländern Syriens!

Doch sollten Sie nun Hoffnungen darauf setzen, dass dafür wesentlich mehr an das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen gezahlt wird: Leider Fehlanzeige! Die Ausgaben des Entwicklungshilfeministeriums für UNHCR betragen im laufenden Jahr ganze 5,3 Millionen Euro. Das Auswärtige Amt, so ist von dort zu hören, gibt „voraussichtlich“ 109 Millionen Euro im laufenden Jahr an das UNHCR für „humanitäre Hilfe, Krisenprävention und Stabilisierung“. Auch in diesem Fall übrigens an eine Organisation, die weltweit tätig ist. Das reiche Deutschland zahlt also im Jahr 2015 insgesamt gerade mal 304,5 Millionen Euro für das Welternäherungsprogramm und das Flüchtlingshilfwerk der Vereinten Nationen – zusammen! Das ist, Sie erinnern sich, so viel, wie der BND meint, zusätzlich haben zu sollen für seine Strategische Initiative Technik. Oder so viel, wie sich der Bund und Bayern zusammen die 28 Stunden des G7-Gipfels in Elmau kosten ließen.

Entwicklungshilfeminister Müller: 300 Millionen, im Libanon eingesetzt, könnten dort 300.000 Familien ernähren

Der für Entwicklungshilfe zuständige Bundesminister, Herr Müller von der CSU, hat mal eine Rechnung aufgemacht: Für 1.000 Euro lässt sich der Unterhalt einer Flüchtlingsfamilie in Jordanien für ein Jahr finanzieren. Die 300 Millionen, die in diesem Artikel schon mehrfach aufgetaucht sind, würden also für 300.000 Familien nach der Rechnung von Herrn Müller ausreichen.
Sind die Leute erst mal hier, kostet es das zig-fache. Ganz zu schweigen von den Risiken, denen sich Flüchtlinge mit ihren Familien aussetzen müssen, um in dieses Bollwerk zu gelangen, das maßgeblich der deutsche Innenminister in den letzten Monaten an den so genannten EU-Außengrenzen errichtet hat.

Erinnert sei daran, dass Mare Nostrum, ein Programm, das maßgeblich der italienische Staat finanziert hat und das (aus heutiger Sicht) läppische 10 Millionen Euro pro Monat kostete, nicht fortgeführt werden konnte, weil Italien die Maßnahme nicht länger allein zu tragen willens und in der Lage war und Innenminister de Maiziére auf die so genannten ‚Grenzschutzagentur‘ Frontex und die totale Abschottung setzte. Um auch hier den Rechenstift anzusetzen: Für 300 Millionen hätte Deutschland ganz allein Mare Nostrum für zweieinhalb Jahre fortführen können! Das ist nicht geschehen. Die Auswirkungen dieser Politik sind aktuell an der bayerisch-österreichischen Grenze oder in Berlin-Moabit vor dem Lageso zu besichtigen.