Rechtsgrundlagen der Zusammenarbeit zwischen BND und NSA

In den Wochen nach den ersten Enthüllungen durch Edward Snowden – im Sommer 2013 – haben wir eine Reihe von Artikeln zur Zusammenarbeit zwischen BND und NSA und zum Verhalten der Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzlerin veröffentlicht. Der folgende Artikel erschien erstmals am 10. Juli 2013. Aus aktuellem Anlass – und weil schon wieder Vieles in Vergessenheit geraten ist, was damals öffentlich bzw. bekannt war – veröffentlichen wir diesen Artikel hier noch einmal.

Glaubte man der Bundesregierung kurz nach den Snowden-Enthüllungen 2013, so war es notwendig, zur Aufklärung der Sachlage in Sachen Überwachung aufwändige Dienstreisen in die Vereinigten Staaten zu unternehmen. Schneller und zielführender wäre es gewesen, die Vertragsarchive der Regierung zu sichten oder, falls dies zu aufwändig erscheint, einen Blick in offene Literatur (OSINT!) und in im Internet frei verfügbare Dokumente zu wagen. Hier folgt ein Abriss dieser Quellen, der die seinerzeit aktuelle, völkerrechtlich verpflichtende Situation für die Bundesrepublik Deutschland darstellt:

Nachkriegszeit und Besatzungsstatut

Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten verabschiedeten im April 1949 das so genannte Besatzungsstatut: Es regelte das Besatzungsrecht der drei Westmächte für die westlichen Besatzungszonen Deutschlands, insbesondere definierte es die Befugnisse und Verantwortlichkeiten einer zukünftigen deutschen Bundesregierung, oder, besser gesagt, die Einschränkung dieser Befugnisse. Im Mai 1949 wurde für die Westsektoren von Berlin ein ähnliches Statut vereinbart.

Am 23. Mai 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet, am gleichen Tag trat das Grundgesetz in Kraft.

Obwohl das Besatzungsstatut ursprünglich nur 18 Monate Gültigkeit haben und die darin enthaltenen Einschränkungen aufgehoben werden sollten, blieb es fast sechs Jahre, bis zum Inkrafttreten des ‚Deutschlandvertrages‘, in Kraft.

Vorbereitung des Deutschlandvertrags und Pariser Verträge

Zwischen den drei Westmächten und der BRD wurde im Mai 1952 der „Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten (Deutschlandvertrag) vereinbart. Damit sollte „das Besatzungsregime in der BRD beendet, das Besatzungsstatus aufgehoben, die Alliierte Hohe Kommission als Vertreter der Westmächte aufgelöst werden und die BRD „die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten haben“.

Die Erlangung der vollen staatlichen Souveränität sollte verbunden sein mit der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland. Diese war zunächst verknüpft mit dem Beitritt der BRD zur europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG). In Frankreich fand dieses Projekt jedoch keine Mehrheit; vielmehr lehnte die französische Nationalversammlung die Ratifizierung des EVG-Vertrages im Sommer 1954 ab. In Folge dessen konnte auch der fertig ausgehandelte Deutschlandvertrag zunächst nicht in Kraft treten.

Besonders Großbritannien und die Vereinigten Staaten waren jedoch an einer Einbindung der BRD in die westliche Staatengemeinschaft interessiert. Auf einer Konferenz in London im September 1954 wurde daher – als Ersatz für den Beitritt der BRD zur gescheiterten europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) – vereinbart, dass die BRD der nordatlantischen Verteidigungsorganisationen (NATO) beitreten, auf die Herstellung atomarer biologischer und chemischer Waffen verzichten und im Übrigen Mitglied der Westeuropäischen Union (WEU) werden sollte, einem militärischen Beistandspaket zwischen Frankreich, Großbritannien, Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, der Bundesrepublik Deutschland und Italien.

Im Oktober 1954 wurden die ‚Pariser Verträge‘ unterzeichnet, ein Paket von Verträgen, zu denen auch der o.g. Deutschlandvertrag gehört. In dessen Artikel 1 beenden die drei Westmächte das Besatzungsregime in der BRD, heben das Besatzungsstatut auf und verleihen der Bundesrepublik Deutschland die „volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten“.

Lange geheim gehaltene Vorbehalte der drei Westmächte

Der Preis, den die deutsche Verhandlungsdelegation dafür zu akzeptieren hatte, war hoch. Denn offensichtlich waren die Westmächte überzeugt davon, dass viel Kontrolle notwendig sei, bevor Deutschland eine gewisse Souveränität zurück erhalten sollte. Sie bedingten sich daher aus, ‚Vorbehalte‘ geltend machen zu können – aus diesem Grund werden die entsprechenden Rechte zusammengefasst als ‚Vorbehaltsrechte‚ bezeichnet:

Und ganz so weit her war es dann auch wirklich nicht her mit der „vollen Macht der Souveränität der BRD … „:
Im Artikel 2 des Deutschlandvertrages folgt bereits die Einschränkung, nach der die drei Westmächte „die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung behalten. Daran sollte sich erst durch den Abschluss der ‚Zwei-plus-Vier-Verträge‘ im Jahr 1990 etwas ändern.
In Artikel 4 ist ein Recht der Westmächte zur Truppenstationierung festgeschrieben, eine eindeutige Folgewirkung des alliierten Besatzungsrechts. Demnach dürfen die drei Westmächte ohne Zustimmung der Bundesregierung ihre Truppen in der BRD verstärken oder verringern. Einzelheiten der Befugnisse dieser alliierten Truppen wurden in einem weiteren Vertrag, dem so genannten ‚Truppenvertrag‘ geregelt. [FP 39f] Die nachhaltigste Wirkung im Hinblick auf die Überwachungspraxis entfaltete jedoch Artikel 5, Abs. 2 des Deutschlandvertrages: Er regelt nämlich, dass diese (Vorbehalts-)rechte erst

„erlöschen, sobald die zuständigen deutschen Behörden entsprechende Vollmachten durch die deutsche Gesetzgebung erhalten haben und dadurch in Stand gesetzt, wirksame Maßnahmen zum Schutz der Sicherheit dieser Streitkräfte zu treffen…“.

Diese Gruppe von Rechten wird übrigens als ‚Sicherheitsvorbehalt‚ bezeichnet, der aus einem Überwachungsvorbehalt, einem Notstandsvorbehalt und einem Geheimdienstvorbehalt besteht.

Am 5. Mai 1955 traten die Pariser Verträge, und damit auch der Deutschlandvertrag, in Kraft. Einen Tag später wurde die Bundesrepublik Deutschland das 15. Mitglied der NATO. Und das sollte sich als folgenreich für die Überwachungspraxis in Deutschland erweisen.

Memo of Understanding über die Geheimdiensttätigkeit der Westmächte in der BRD

Zunächst jedoch ging es den Westmächten um die Sicherung ihrer Rechte aus dem Geheimdienstvorbehalt und dazu handelten sie blitzschnell Fünf Tage nach dem Beitritt der BRD zur NATO und dem Inkrafttreten der Pariser Verträge wurde ein ‚Memo of Understanding‘ abgeschlossen, das geheime Vereinbarungen enthält zur Geheimdiensttätigkeit der Westmächte in der BRD. Ende Juni 1955 folgte darauf eine ‚deutsch-alliierte Vereinbarung bezüglich der Erfüllung des geheimen Memorandum of Understanding‘.
Im Ergebnis bedeutet diese Vereinbarung, dass Mitarbeiter westlicher Nachrichtendienste – nur leicht überspitzt gesagt – tun und lassen können, was sie möchten in diesem Lande. Geregelt ist nämlich insbesondere,

„das Verfahren beim Anhalten von Personen, die … für einen westlichen Nachrichtendienst tätig zu sein scheinen. In diesem Fall hat die anhaltende Stelle „unverzüglich“ das zuständige Landesamt für Verfassungsschutz zu informieren, das seinerseits das Bundesamt für Verfassungsschutz verständigt, das seinerseits den betroffenen Nachrichtendienst informiert, der „die Wünsche des betroffenen Nachrichtendienstes dem BfV mitteilt.“ Das BfV, heißt es weiter „wird sich dafür verwenden, dass polizeiliche Maßnahmen, wie Fotografieren, Daktyloskopieren [Fingerabdruck abnehmen / AB], usw. von der anhaltenden Stelle aufgeschoben werden, bis die Wünsche des [westlichen] Nachrichtendienstes durch das BfV übermittelt worden sind.
Weiter regelt diese Vereinbarung, dass die betroffenen Personen auf eigenen Wunsch oder den ihrer Auftraggeber an diese verwiesen bzw. „übergeben“ werden, dass die der Person abgenommenen Gegenstände und Dokumente zurückgegeben werden, dass diese Verfahren angewendet wird „ohne Rücksicht darauf, ob eine Verletzung strafrechtlicher Vorschriften vorliegt und „dass das BfV oder die Landesämter für Verfassungsschutz darauf hinwirken, das den Wünschen der Vertreter der Streitkräfte besonders im Hinblick auf die Behandlung des nachrichtendienstlichen Materials nach Möglichkeit Rechnung getragen wird.“

Bilaterale Vereinbarungen / „Ausführungsbestimmungen“ zum Überwachungsvorbehalt

Hinsichtlich des Überwachungsvorbehalts ließen sich die drei Mächte etwas länger Zeit: Drei Jahre nach Inkrafttreten des Deutschlandvertrages, nämlich 1958, wurden in bilateralen Vereinbarungen zwischen Deutschland und den drei Westmächten Einzelheiten des genannten Artikels 5, Abs. 2 des Deutschlandvertrages konkretisiert:

Großbritannien stimmte zu dass

  • „eine Überwachung des Post-und Fernmeldeverkehrs nur zum Zwecke der Beschaffung von strategischen Informationen [erfolgen wird], soweit der Verdacht einer Bedrohung von außen besteht und zum Zwecke der Beschaffung von Sicherheitsinformationen in Fällen, in denen ein Verdacht der Spionage, Sabotage oder der Zersetzung zum Nachteil der britischen Streitkräfte besteht
  • Maßnahmen zur Überwachung des Post-und Fernmeldeverkehrs innerhalb des Bundesgebietes nur gegen diejenigen Einzelpersonen oder diejenigen Organisationen oder Stellen ergriffen [werden], gegen die sich der in Ziffer eins gemacht genannte Verdacht richtet
  • eine allgemeine [strategische] Überwachung des Telegrafen-und Fernmeldeverkehrs sich beschränkt auf Leitungen, die aus dem Bundesgebiet in den Ostblock führen bzw. in die unter sowjetischem Einfluss stehenden Länder und Gebieten.“

Die Amerikaner waren wesentlich weniger bereit zu Zugeständnissen, sondern forderten, ganz im Gegenteil, eine Erweiterung statt Einschränkung ihrer Post- und Telefon-Überwachungsbefugnisse. Sie wollten

  • „eine Kontrolle einer Anzeige durchgehender Leitungen ([damals / AB] überwiegend Fernschreibleitungen) zwischen dem östlichen und dem westlichen Auslande,
  • die allgemeine Überwachung einer Anzahl Leitungen ([damals / AB] überwiegend Fernschreibleitungen) zwischen der Bundesrepublik und dem westlichen Auslande,
  • die allgemeine Überwachung einer Anzahl Leitungen ([damals / AB] ausschließlich Fernschreibleitungen) innerhalb der Bundesrepublik.“


Prof. Foschepoth schreibt dazu:
„Der Anspruch auf Überwachung von Durchgangsleitungen steht im Widerspruch zu internationalen Verpflichtungen der BRD“. „Die US-Stellen betonen jedoch, gerade aus diesen Verbindungen sehr wichtige Erkenntnisse für die Sicherheit Ihrer Streitkräfte ziehen zu können. Dasselbe gelte für bestimmte Leitungen aus der Bundesrepublik in westliche Staaten, da Agentenverbindungen häufig auf dem Umwege über das westliche Ausland in die Bundesrepublik führten. Ihren Wunsch, gewisse Fernschreibleitungen innerhalb der Bundesrepublik allgemein zu überwachen, begründen die Amerikaner damit, dass hierdurch Erkenntnisse über den illegalen Ost-West-Handel gewonnen.“ [sic! / AB]

Das Auswärtige Amt, der Bundespostminister sowie der Bundesnachrichtendienst waren sich einig in der Beurteilung, dass die allgemeine Überwachung von Leitungen innerhalb der Bundesrepublik geradezu als „bedenklich für die Sicherheit der Bundesrepublik“ bezeichnet werden müsse.

Es sollte jedoch noch weitere 13 Jahre dauern, bis sich eine Bundesregierung dazu aufraffte und durchsetzen konnte, dass der alliierte Überwachungs- und Notstandsvorbehalt, wie im Deutschlandvertrag vorgesehen, durch entsprechendes deutsches Recht abgelöst wurden.

Pflichten aus NATO-Statut ersetzen Pflichten aus Besatzungsstatut

Man scheint – und insbesondere die Amerikaner scheinen – daraufhin eine andere Taktik verfolgt zu haben. Denn der Beitritt der BRD zur NATO eröffnete die vielversprechende Möglichkeit, die BRD als NATO-Mitglied in ein Abkommen einzubinden zwischen den drei Westmächten, den Niederlanden und Belgien, sowie Kanada, das die Rechtsstellung von deren in der Bundesrepublik stationierten ausländischen Truppen regelt. Dieses so genannte ‚Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut‘, enthält in Artikel 3, Absatz 2 eine – aus der Sicht der Vereinigten Staaten und anderer Verbündeter – wunderbar umfassende Verpflichtung für deutsche Behörden und die Behörden der Stationierungsstreitkräfte, …

„alle Nachrichten, die für die Wahrung und Förderung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, der Entsendestaaten und deren Streitkräfte von Bedeutung sind, zu sammeln, auszutauschen und zu schützen.“
Art. 38 des gleichen Abkommens regelt einen umfassenden Schutz solcher „Amts- und Staatsgeheimnisse“.

Notstandsverfassung und G10-Gesetz

Zwischen 1958 und 1968 passiert dann nicht viel auf diesem Gebiet – jedenfalls nichts, was im Zusammenhang mit den Rechtsgrundlagen der Überwachung sonderlich relevant geworden wäre. Die Bundesregierungen dieser Periode, Adenauer (bis 1963), Erhard (bis 1966) und die Große Koalition unter Kiesinger (ab 1968) ließen sich viel Zeit mit der Ausarbeitung und Verabschiedung entsprechender nationaler Gesetze, die, wie in Artikel 5, Abs. 2 des Deutschlandvertrages vereinbart, den alliierten Überwachungs- und Notstandsvorbehalt ablösen sollten.

Wie erwartet worden war, führte die Einführung der ‚Notstandsgesetze‚ und des ‚Gesetzes zur Beschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses (‚G10-Gesetz‘) im Frühjahr 1968 zu den heftigsten und lang anhaltendsten öffentlichen Proteste in der bisherigen Geschichte der BRD. Mit den Notstandsgesetzen waren wesentliche Einschränkung von Grundrechten vorgesehen, darunter auch des in Artikel 10 des Grundgesetzes vorgesehenen Grundrechts auf Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnis. Die dadurch den Verfassungsschutzbehörden eingeräumten Überwachungsbefugnisse wurden in einem eigenen ‚G10‘-Gesetz definiert.

Späte Intervention der Amerikaner in das Gesetzgebungsverfahren

Ende Mai 19689 hatten beide Gesetzentwürfe das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren im Wesentlichen erfolgreich durchlaufen, die ‚Notstandsgesetze sollten am 30. Mai 1968 in Kraft treten.

Was sich jedoch wenige Tage zuvor zwischen dem Auswärtigen Amt und dem US-Botschaft in Godesberg abspielte, war mehr als 50 Jahre lang streng geheim und wurde erst durch Foschepoth im Jahr 2012 bekannt gemacht. Die entsprechenden Dokumente, auf die ich mich im Folgenden Beziehen, finden sich im Original-Wortlaut ebenfalls dort [FP 296ff]:

Am 27. Mai 1968 musste Außenminister Willy Brandt dem US-Botschafter in einer „ersten Note“ quasi eine Eingangsbestätigung ausfertigen für die folgende Erklärung der Regierung der Vereinigten Staaten gegenüber der Bundesregierung: Sie besagte …
…ja, man habe von den gerade im Deutschen Bundestag angenommenen Notstandsgesetz und dem vom Rechtsausschuss des DBT angenommenen G10-Gesetzentwurfs Kenntnis genommen,
die Vereinigten Staaten verlangten jedoch, in Übereinstimmung mit Frankreich und Großbritannien, dass das G10-Gesetz „den Erfordernisse des Artikels 5 Absatz 2 des Deutschlandvertrages, also zur Wahrung und Förderung der Sicherheit der Stationierungstruppen entsprechen müsse“.

In einer zweiten Note vom gleichen Tag musste Außenminister Brandt dann im Namen der Bundesregierung bestätigen, dass diese sich sechs konkreten Verpflichtungen der amerikanischen Seite unterwirft, darunter insbesondere

„dass sie [=die Bundesregierung / AB] die Verpflichtung übernimmt, im Rahmen der deutschen Gesetzgebung wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um für den Schutz der Sicherheit der in der Bundesrepublik stationierten Streitkräfte auf dem Gebiet der Post-, und Fernmeldeüberwachung zu sorgen sobald die oben erwähnten Rechte [=alliierter Überwachungsvorbehalt / AB] erlöschen. In Erfüllung dieser Verpflichtung wird die Bundesregierung in Übereinstimmung mit Art. 3, Abs. 2 (a) des Zusatzabkommens und NATO-Truppenstatut handeln.“

Damit waren die Vorkehrungen getroffen, um alliiertes Überwachungsrecht nahtlos zu ersetzen durch Mitwirkungsverpflichtungen Deutschlands bei der Überwachung auf der Grundlage des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut.

Dementsprechend „gehorsam“ hatte die Regierung der großen Koalition funktioniert, sodass sich die letztlich in Kraft getretene Fassung des G10-Gesetzes vom 13. August 1968 dann las, wie folgt:

„den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, dem Militärischen Abschirmdienst und dem Bundesnachrichtendienst [wird] das Recht ein[geräumt], die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen bzw. die dem Brief- oder Postgeheimnis unterliegenden Sendungen zu öffnen und einzusehen“ und zwar „zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes einschließlich der Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen der nicht-deutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrages“.

Bilaterale Verwaltungsvereinbarungen mit den Westmächten zur Kooperation bei der Überwachung

Wie schon 1958, nach dem Inkrafttreten des Deutschlandvertrages, erschien es offensichtlich den drei Westmächten auch 1968 geboten, ihre jeweiligen Rechte in gesonderten – bisher geheimen – bilateralen Verwaltungsvereinbarungen mit der Bundesregierung erneut zu fixieren. Foschepoth [FP298ff] gibt beispielhaft die entsprechende Verwaltungsvereinbarung mit Großbritannien vom 28. Oktober 1968 wieder, wo die Verpflichtung aus dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut von 1959 wörtlich wiedergegeben wird, dass nämlich

„die deutschen Behörden und die Behörden der Stationierungskräfte verpflichtet sind, in enger Zusammenarbeit die Sicherheit der Bundesregierung Deutschland, der Entsendestaaten und der Streitkräfte zu fördern und zu wahren, indem sie insbesondere alle Nachrichten, die für diese Zwecke von Bedeutung sind, sammeln, austauschen und schützen.“
Damit waren an die Stelle der bisherigen Überwachungsvorbehalte der drei Westmächte völkerrechtlich bindende Vereinbarung unter Berufung auf das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut von 1959 getreten und weiter detailliert worden.

Anschläge vom 11. September 2001: Die Vereinigten Staaten berufen sich auf den ‚Bündnisfall‘

Dick Marty, ehemaliger Schweizer Staatsanwalt und ehemaliger Abgeordneter im Europarat ist ein ausgewiesener Fachmann in Geheimdienstangelegenheiten. Als Sonderberichterstatter hat er ab 2005 für den Europarat die Untersuchungen zu den vermuteten geheimen Gefangenentransporten und Gefangenenlagern der CIA in Europa geleitet. Marty macht in einem Interview mit dem Deutschland-Radio vom 09. Juli 2013 darauf aufmerksam, dass „einer der wichtigsten Befunde meines Berichtes übersehen“ wurde: Die Tatsache nämlich, dass nach den Anschlägen vom 11. September 2001 der so genannte Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages ausgerufen wurde und eine entsprechende ‚Beistandsverpflichtung‘ aller NATO-Mitglieder gegenüber den Vereinigten Staaten auslöste: Artikel 5 lautet:

„Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wieder herzustellen und zu erhalten.“
Marty weist darauf hin, dass unmittelbar nach der NATO-Sitzung im Oktober 2001 eine Geheimsitzung einberufen wurde, in der drei Dinge vereinbart wurden:

  1. Die umfassende nachrichtendienstliche Zusammenarbeit der NATO-Mitglieder unter der operativen Führung der CIA,
  2. die Gewährung der völligen Immunität für Agenten, die in diesem Zusammenhang tätig sind,
  3. und Behandlung dieser Maßnahmen unter der höchsten Geheimhaltungsstufe

Marty führt aus, dass nach seiner Kenntnis selbst bei höchster Geheimhaltungsstufe der Regierungschef Bescheid wusste, sowie der Innenminister, der Verteidigungsminister und der politisch Verantwortliche der Regierung für die Geheimdienste, im Falle Deutschlands also der Chef des Bundeskanzleramts.

Der Kreis dieser Geheimnisträger umfasst also Schröder, Schily, Scharping und Struck, sowie Steinmeier von der SPD und Merkel, Schäuble, de Maizière, Jung, Friedrich, zu Guttenberg und Pofalla von der CDU bzw. CSU.

Nachvollziehbar mag sein, dass sie über konkrete, operative Maßnahmen seit 2001 zur Geheimhaltung verpflichtet sind. Nicht nachvollziehbar ist aus meiner Sicht jedoch, dass ein ganzes Volk für dumm verkauft wird, indem so getan wird, als würden die oben dargestellten Rechtsgrundlagen zur umfassenden nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit zwischen NATO-Mitgliedsstaaten bzw. der BRD und den drei Westmächten nicht existieren.

Literaturhinweis

Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland – Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik = [FP…]
2012, Vandenhoeck & Ruprecht, ISBN 978-3-525-30041-1

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