Die bemerkenswerten Einsichten investigativer Journalisten

Die derzeit bekannteste Kooperative des investigativen Journalismus – SZ, NDR und WDR – hat eine neue Form der journalistischen Quellenausschöpfung entwickelt. Besonders, wenn es um Informationen aus dem Kanzleramt geht: Sie konnten nämlich „Einsehen in Dokumente aus dem Kanzleramt“.
So geschehen am 8. Mai [1], als sie ausführlich aus – vertraulichen – Emails zwischen Christoph Heusgen und Karen Donfried aus dem Jahr 2013 zitierten. Heusgen leitet im Bundeskanzleramt die Abteilung 2, die für Außen- und Sicherheitspolitik zuständig ist. Donfried war 2013 die Beraterin von US-Präsident Obama für die Beziehungen zu Europa. Aus den Emails lässt sich nicht ableiten, dass die deutsche mit der amerikanischen Seite über den formellen Abschluss eines No-Spy-Abkommens ernsthaft verhandelt hätte. Ganz im Gegenteil ergibt sich daraus deutlich, dass die amerikanische Seite entsprechende Erwartungen gedämpft und die Anfrager hingehalten hat. Das muss auch der Kanzlerin, ihrem Regierungssprecher und dem seinerzeitigen Kanzleramtsminister Pofalla bekannt gewesen sein. Die aber haben damals – es war Wahlkampf zum Bundestag – über Wochen den Eindruck verbreitet, als sei der Abschluss eines No-Spy-Abkommens in greifbarer Nähe.

Nach dieser Veröffentlichung geschah erst einmal gar nichts. Insbesondere vermisste man den Aufschrei aus dem Kanzleramt über den unerhörten Geheimnisverrat, der selbstredend und sofort strafrechtlich verfolgt werden muss. Dass es kurz darauf eng wurde im NSA-Untersuchungsausschuss für den BND, dass der Abteilungsleiter, der für die Abhörmaßnahmen zuständig war, sowie der BND-Präsident Schindler höchstpersönlich „gegrillt“ wurden, ist sicher nur ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen. Das war Ende letzter Woche.

Nach dem langen Pfingstwochenende enthüllte die Süddeutsche Zeitung dann erneut [2], dass sie in „Unterlagen aus dem Kanzleramt einsehen konnte“. Demnach wussten Merkel und Außenminister Westerwelle im August 2013 definitiv, dass es keine Zusage der amerikanischen Seite für ein No-Spy-Abkommen gab. Ansonsten hat der Artikel nichts Neues zu bieten, sondern ist ein Aufguss der Darstellungen vom 8. Mai; es fehlen diesmal allerdings noch mehr als beim ersten Artikel qualifizierte Quellenangaben.

Und wieder blieb der Aufschrei aus. Politik, Medien und Öffentlichkeit finden es anscheinend ganz normal, dass Edelfedern des investigativen Journalismus mal ihren Kumpel im Kanzleramt anrufen, nach Einsichten in vertrauliche oder geheime Unterlagen fragen und die auch prompt erhalten.

Bis es soweit ist, fragen wir uns allerdings, wem diese Enthüllungen nützen: Merkel und ihrer Regierung sicher nicht. Dem BND unter Umständen schon. Aber die Einsichtnehmer würden sich doch nie instrumentalisieren lassen für solche Zwecke, sagen wir uns. Oder doch? Wir warten gespannt auf das nächste Einsehen ….

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Quellen zu diesem Beitrag

[1]   Wie Berlin vergeblich um ein No-Spy-Abkommen rang, 08.05.2015, Süddeutsche Zeitung
http://www.sueddeutsche.de/politik/geheimdienstaffaere-wie-berlin-vergeblich-um-ein-no-spy-abkommen-rang-1.2471912

[2]   Aktenvermerk bringt Merkel in Bedrängnis, 26.05.2015, Süddeutsche Zeitung
http://www.sueddeutsche.de/politik/keine-zusage-fuer-abkommen-merkel-in-no-spy-affaere-belastet-1.2494410