Bei Microsoft gibt’s jetzt Punkte gegen Daten

Bei Microsoft gibts jetzt Punkte
Alle großen Internet-Firmen, die mit Daten als Ware handeln, haben ein massives Glaubwürdigkeitsproblem bei ihren Nutzern. Statt darin eine Chance zu sehen, setzt Microsoft (noch immer?!) auf die Dummheit und Sorglosigkeit der Nutzer seiner Produkte: Für Suchfragen bei Bing oder fürs Einkaufen via Microsoft-Kundenkonto soll es jetzt so etwas wie Treuepunkte geben. Nachdem sich der Nutzer mit seinem Logon gegenüber Microsoft identifiziert hat. | Lesedauer: Ca. 4 Minuten
Google/Alphabet, der Konzern, der ein mindestens ebenso großes Glaubwürdigkeitsproblem hat wie Facebook, versucht es aktuell mit der Taktik Totstellen. So tun, als sei man gar nicht da und habe mit der so genannten ‚Facebook-Krise‘ nichts zu tun. Dabei ist allenfalls das unprofessionelle Risiko-Management der Geschäftsführer Mark Zuckerberg und Sheryl Sandberg Facebook-spezifisch. An Glaubwürdigkeit haben jedoch alle verloren, die mit Daten wie Ware handeln [a]. Ein neuer Begriff hat sich dafür bereits gebildet: Überwachungs-Kapitalismus / Surveillance capitalism. Die Firmen, die ganz oder teilweise mit diesem Geschäftsmodell agieren, sind die wertvollsten Konzerne der Vereinigten Staaten:
(C) CIVES Redaktionsbüro GmbH
Börsenwerte der Internet-Firmen im Februar 2018 [1] [b]

Alphabet/Google lebt im gleichen Maße wie Facebook davon, die Daten seiner Nutzer an Werbetreibende zu verkaufen, auf dass diese den Nutzern individualisierte Werbung auf den Bildschirm schicken können.
Microsoft, Apple und andere, die älter sind als Facebook und ursprünglich ein anderes Geschäftsmodell hatten, standen bisher in der zweiten Reihe und schauten sehnsüchtig auf das super-ertragreiche Geschäftsmodell ‚Daten als Ware‘. Denn demgegenüber ist der Verkauf von iPhones oder iTunes oder Windows- oder Office-Lizenzen geradezu altbacken, Entwicklung, Produktion und Vertrieb kosten viel mehr und die Erträge sind geringer.

Microsoft hatte eine (alte) Idee: (Treue-)Punkte gegen Daten

In dieser Situation hat sich Microsoft offenbar am schnellsten besonnen und neu orientiert. Und überrascht die Nutzer von Windows 10 neuerdings mit einem ganz tollen Angebot: Wie im Supermarkt an der Ladenkasse gibt’s jetzt auch bei Microsoft Punkte! Ganz einfach!
Man muss sich dazu nur beim Microsoft-Kundenkonto anmelden. Dann Suchfragen stellen an die Microsoft-Suchmaschine Bing (wie Google, nur von Microsoft). Oder online shoppen gehen. Und je mehr man über Bing sucht oder virtuell einkauft, desto mehr Punkte kriegt man. Ist das nicht fabelhaft? Und noch dazu so einfach!

Quelle: Microsoft / Windows 10 / 09.04.2018
Für die so erworbenen Punkte – die neue Art der Ersatzwährung – kriegt man – bei Microsoft – fast alles, was das Herz so begehrt: Filme, Spiele, Apps und vieles mehr. Man kann für die gesammelten Punkte auch Geschenkkarten kriegen oder Wettlose. Gipfel der Selbstlosigkeit: Man kann die eigenen Punkte an Non-Profit-Organisationen spenden.

Das Erwerben von Punkten ist ganz einfach:

  • Erst teilt man Microsoft genau mit, wer man ist. Durch Eingabe des Microsoft-Logons.
  • Dann fragt man Bing, was man aktuell gerne wissen möchte.
    Quelle: Microsoft / Windows 10 / 09.04.2018
  • Oder man geht virtuell shoppen. Kauft natürlich längst nicht alles, was man sich so ansieht.
    Quelle: Microsoft / Windows 10 / 09.04.2018

Und hinterlässt dabei eine Spur individuellen Interesses, die zur besseren Auswertung verbunden ist mit persönlichen Kennung des Microsoft-Kundenlogons.

Die Vorteile von ‚Punkte gegen Daten‘ – zumindest aus der Sicht von Microsoft

Ganz sicher ist: Dieses Angebot wird zünden. Das deutsche Volk der Payback-AdeptInnen und Treuepunkte-SammlerInnen nimmt es schon im Einzelhandel geduldig hin, dass jede Kassiererin nach der Postleitzahl, dem individuellen Alter oder der Payback-Karte fragt. Und ob man die Treuepunkte sammelt. Oder die Sticker haben möchte. Bisher sind – was ich erstaunlich finde! – noch keine Fälle von Totschlag an Kassiererinnen durch zahlende Kunden bekannt geworden, die durch diese aggressiv-dreiste Neugier belästigt und aufgehalten werden. Das spricht für die Duldsamkeit der Gattung der deutschen KonsumentInnen und mag Microsoft in seinem jüngsten, hier thematisierten Vorstoß beflügelt haben.

Im neuen Modell von Microsoft wird die individualisierte Ausbeutung des Bewirtschaftungsobjekts KUNDE noch viel einfacher: Der/die muss gar nicht mehr zum Rewe, Edeka, Aldi oder Kaufhof & Co fahren/gehen, um an der Kasse zu hinterlassen, wer man/frau ist (mit der Payback-Karte oder bei Zahlung via EC-Karte) und was man/frau gerade gekauft hat. Microsoft verleiht jetzt schon Punkte für das bloße Interesse (via Frage an die Suchmaschine Bing) oder Kaufen in einem Online-Shop. Das Entgelt, das die eigentlichen Kunden von Microsoft, nämlich die Werbetreibenden, aufbringen müssen, ist relativ gering. Kleine Werbegeschenke, virtual oder vapor Ware, wie Filme, Spiele oder Apps, kleine Preisnachlässe oder Bonusaktionen. Die samt und sonders nur darauf angelegt sind, SIE, das Individuum noch besser auszukundschaften und zu vermessen – mit dem Ziel, SIE in Zukunft angeblich noch besser „informieren“ bzw. Ihre „Kundenzufriedenheit“ erhöhen zu können.

Die Auswirkungen für NutzerInnen

Dass SIE danach mehr WISSEN oder tatsächlich ZUFRIEDENER sind, sollten SIE nicht erwarten. Der ganze Aufwand wird vielmehr dazu getrieben, dass SIE bombardiert werden können mit angeblich objektiven Informationsbeiträgen und Werbung in jeder (auch subtil verborgenen) Form. Das einzige Ziel besteht darin, SIE zum Geldausgeben zu bringen. Hilfsweise zum Abliefern weiterer Informationen darüber, wer SIE sind, was SIE interessiert und mit wem Sie Kontakte haben. Wobei – machen SIE sich nichts vor: Wer SIE sind als Person, interessiert nicht wirklich: SIE sind nur interessant als BEWIRTSCHAFTUNGSOBJEKT mit Internet-Firmen direkt (als Käufer) oder indirekt (als Datenlieferant) Geld verdienen können.

(Wieder einmal hat) Microsoft eine Chance vertan, es besser zu machen als andere

Auch Microsoft versucht nun, im Windschatten der Facebook-Krise und in vollem Vertrauen auf die Dummheit und Sorglosigkeit der Mehrheit seiner KundInnen, mit der Kombination von bewährten, ertragsträchtigen Ideen (Daten als Ware) und ollen Geschäftsmodell-Kamellen (SAMMELN von Treuepunkte, Meilen, …) aus der aktuellen Situation Kapital zu schlagen. Damit hat auch dieser Mitspieler sich eingereiht unter den global agierenden Internet-Firmen, die dem Überwachungs-Kapitalismus huldigen.

Microsoft hat damit die Chance vertan, zu erkennen zu geben, dass der Konzern aus der aktuellen Glaubwürdigkeitskrise der Internet-Firmen etwas gelernt hat bzw. die Interessen der Nutzer seiner Produkte respektiert. Sollten SIE jetzt maliziös lächeln und sich fragen, ob ICH von Microsoft tatsächlich etwas anderes erwartet habe. „Nein, nicht wirklich – aber man wird ja noch mal träumen dürfen …“

Fußnoten

[a]   An Glaubwürdigkeit verlieren meiner Ansicht nach auch die Bundeskanzlerin und andere Politiker, die das hohle Mantra von den „Daten als Öl (oder Rohstoff) des 21. Jahrhunderts“ daher beten und sich dabei der damit verbundenen Risiken – auch für die Demokratie – entweder nicht bewusst sind oder diese wissentlich unterschlagen.

[b]   Dargestellt ist der Börsenwert von Facebook im Februar 2018, also VOR der aktuellen Krise

Quellen

[1]   Amazon überholt Microsoft – und ist jetzt drittwertvollster US-Konzern, 15.02.2018, Wirtschaftswoche
https://www.wiwo.de/finanzen/boerse/boersenwert-amazon-ueberholt-microsoft-und-ist-jetzt-drittwertvollster-us-konzern/20965830.html

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