Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit in kleinen Schritten

Schäuble und sein selbstherrliches Gebaren in den Verhandlungen der Eurozone mit Griechenland, haben gestern sehr viel Kritik auf sich gezogen. Eine portugiesische Zeitung schreibt dazu: „Schäuble weiß, dass er gar nicht im Recht sein muss. Es reicht, der Finanzminister des reichsten Landes der EU zu sein.“
Darin zeigt sich ein Politikstil, den Schäuble schon seit Jahren an den Tag legt und der zunehmend auch Eingang gefunden hat in das Handeln dieser Bundesregierung und von Behörden. Dazu nur vier Beispiele:

  • NSA-Untersuchungsausschuss: Die Bundesregierung verweigert und verzögert seit Einsetzung des Ausschusses die Herausgabe von Unterlagen. Ob und was sie herausgibt, ist nicht in ihr freies Ermessen gestellt, sondern gesetzlich geregelt. Wenn etwas herausgegeben wird, ist es in einer Weise geschwärzt, dass der Inhalt nicht mehr zu verstehen ist. Dieses ‚Recht des Stärkeren‘ gipfelt aktuell in der Einsetzung eines ‚Sonderermittlers‘. Er und nur er soll Einsicht nehmen dürfen in die Liste der Selektoren, die die NSA – bzw. der BND in ihrem Auftrag – zum flächendeckenden Abhören verwendet. Dieses Vorgehen widerspricht ganz klar dem PUAG – dem Untersuchungsausschussgesetz. „Wehrt Euch doch! ist die hemdsärmelige Haltung der Bundesregierung. Wohl wissend, dass es Jahre dauert, bis eine entsprechende Klage eingereicht und durchgefochten ist.
  • Neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung: Die Rechtsexperten in der Anhörung des Innenausschuss haben es ebenso deutlich gemacht, wie zuletzt ein hessischer Datenschutzbeauftragter: Ein Gesetz zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung – ganz egal, wie euphemistisch man diesen neuen Gesetzentwurf nun betitelt – hat keine Aussichten auf verfassungsgemäße Ausgestaltung. Die Bundesregierung ficht das nicht an: „Einführen und so lange nutzen, bis das nächste Urteil des Bundesverfassungsgerichts die weitere Nutzung verhindert!„, heißt die Devise.
  • G7-Gipfel in Elmau: Wenn Kanzlerin Merkel Hof halten möchte, um einige idyllische Bilder zu produzieren, die sie im Kreise der Mächtigen dieser Welt zeigen, kommt es auf mindestens 300 Millionen Kosten nicht an. Dass dabei ein ganzer Landstrich in einen wochenlangen Besatzungszustand versetzt wird, dass etliche Einzelhändler und Gastronomen empfindliche Umsatzeinbußen erleiden und zigtausende von Reisenden von der Polizei daran gehindert werden, Autobahnen und Bundesstraßen zu benutzen, das scheint das okkupierte Recht der Mächtigen zu sein. Dreist behauptet die Polizei hinterher, dass „polizeiliche Personen-und Fahrzeugkontrollen grundsätzlich nicht stattfinden“, ungeachtet der Tatsache, dass es für das Gegenteil tausende von Zeugen gibt.
  • Auch wenn’s die Polizei gerne anders sieht: Nicht jeder Demonstrationsteilnehmer ist gleich ein Extremist: Bei einer Prüfung stellte die Bundesdatenschutzbeauftragte fest, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz in einer geprüften Projektdatei eine Vielzahl von Personen als angebliche Extremisten gespeichert hatte, „die bei einer Anti-Atomkraft-Demonstration lediglich ihr Grundrecht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit ausgeübt hatten“. Das war grob rechtswidrig. Hinderte das Bundesinnenministerium allerdings nicht daran, mit unverfrorener Rabulistik zu argumentieren, dass ein Teilnehmer an einer Anti-Atomkraft-Demonstration die Nutzung der Kernkraft als „Ausdruck des menschenverachtenden kapitalistischen Systems“ kritisiere und daher dieses System überwinden wolle. Ein solches Handeln richte sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Und daher sei die Speicherung in einer Datei legitim. Dass auch das Bundesverfassungsgericht (z.B. im so genannten „Brokdorf-Urteil“) der überbordenden Sammelwut der Sicherheitsbehörden Grenzen aufgezeigt hat, wurde beim Bundesamt für Verfassungsschutz und im BUndesinnenministerium geflissentlich ignoriert. „Wen’s stört, der kann ja klagen!“ lautet auch hier das Motto.
  • Und was die Tätigkeit der NSA in Deutschland angeht und den massiven und vielfältigen Verdacht, dass der Bundesnachrichtendienst – gegen die eigene Bevölkerung – die Aktivitäten der NSA unterstützt: Da sieht der Generalbundesanwalt nicht genug Anhaltspunkte, um ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Weil’s gar so erbärmlich aussieht, kommt das Argument hinterher, noch sei ja gar nicht erwiesen, ob Dokumente aus dem Snowden-Material, die über Wikileaks veröffentlicht wurden, „tatsächlich echt sind“. Da fragt man sich dann fassungslos: „Wessen Aufgabe ist es eigentlich, sich um Beweise zu kümmern?!“ Zunehmend – wie man auch aus „normalen“ Strafverfahren immer wieder hört – muss der Anzeigen-Erstatter in diesem Land nicht nur den Schaden tragen, sondern auch noch die Beweislast.

Die Liste ließe sich noch länger fortsetzen. Es käme dann noch vor, wie die Bundesregierung versucht, TTIP, CETA und TISA durchsetzen, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung klar dagegen ist. Oder die Tatsache, dass im Haushalt vorgesehene Ausgaben für HartzIV-Empfänger dadurch eingespart werden, dass Zehntausende von Anspruchsberechtigte schikaniert werden und dadurch nicht die Mittel erhalten, die ihnen gesetzlich zustehen. Auch da heißt es wieder nur: „Klagt doch!“

Die Bundesregierung und ihre Behörden sind offensichtlich entschlossen, zu tun und zu lassen, was ihnen wichtig ist und keine Rücksicht darauf zu nehmen, ob das durch Gesetze gedeckt ist oder nicht. Anrufung der Gerichte, das dauert in diesem Land. Und das weiß die Regierung und wissen ihre Behörden. Wer in diesem Land sein gesetzlich verbrieftes Recht wahrnehmen will, muss es sich aktiv erstreiten. Das ist die „politische Wende“ in vielen kleinen Schritten, die wir Politikern wie Schäuble, Merkel und Steinmeier verdanken.

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Ergänzende Artikel zu diesem Thema

Das amerikanische ‚Vision-2015‘-Konzept und die Politik der Inneren Sicherheit in Europa, 02.08.2013, Cives

Welche geheimen Verträge beschänken die Souveränität Deutschlands?, 21.06.2015, Cives

Nicht jeder Anti-Atomkraft-Demonstrant ist ein Extremist, 17.06.2015, Cives

G7-Polizei: „Personen- oder Fahrzeugkontrollen finden grundsätzlich nicht statt …“, 12.06.2015, Cives